DIE OHANA

Im Gegensatz zum individuellen Segnen, das heißt, wenn Sie Ihre Kinder, Ihren Partner, Ihre Arbeit, Ihre Wohnung oder vielleicht Ihr Auto segnen, ist Kūkulu Kumuhana der gemeinschaftliche Segen – eine zielgerichtete geistig-spirituelle Kraft, die das Gute vermehren und die Welt, die Natur, die Tiere und Pflanzen und alle Beziehungen heilen soll.

Diese Gemeinschaft, primär die Familie, nennt man Ohana, und in der Literatur findet man dafür die Übersetzung »Mehrere Pflanzen mit einer gemeinsamen Wurzel«. Ihre Ohana ist traditionell Ihre Herkunftsfamilie, das heißt Ihre Blutsverwandten, und Sie alle wurzeln in gemeinsamen Vorfahren (Aumakua), das heißt in Ihrer weiblichen und männlichen Ahnenlinie. Zudem haben viele Menschen gemeinsame Wurzeln in gemeinsamen Schicksalen. So wurde, gerade durch den westlichen Einfluss in den letzten dreißig Jahren, der Begriff Ohana mehr und mehr im Sinne einer Gruppe mit gemeinsamen Interessen verwendet. In der alten Zeit gab es dazu keinen Anlass, denn alles geschah innerhalb der Sippe, doch wir folgen in diesem Buch der Erweiterung dieses Begriffs und wenden ihn wie heute üblich auf Gemeinschaften und Gruppen an.

Auch Ihr Arbeitsplatz zusammen mit Ihren Kollegen – ein Ort, an dem viele Menschen unter Umständen weit mehr Zeit verbringen als zu Hause – ist eine Ohana. Jede Gemeinschaft und jeder Stammtisch, jede Schulklasse, jede Gewerkschaft und jede Einkaufskooperative ist eine Ohana. Eine Ohana kann ein kleiner Stamm sein, ein Clan, eine Wahlfamilie oder eine Gemeinde mit jeweils einer eigenen Mikro-Kultur als gemeinsamer Nenner, weshalb wir im Folgenden all diese Begriffe synonym verwenden werden.

Bindungen und Bindungsenergie

Sozial-psychologisch betrachtet bietet eine Ohana ihren Mitgliedern die Möglichkeit, individuelle Bedürfnisse, zum Beispiel nach Sicherheit und Anerkennung, effektiv befriedigen zu können, und idealerweise sollte dies zuerst die eigene Familie bieten. Diese grundlegenden menschlichen Bedürfnisse untersuchte unter anderem der amerikanische Psychologe Abraham Maslow (1908 – 1970) und stellte 1943 seine berühmte Hierarchie der Bedürfnisse in Form einer Pyramide vor. Diese Triebfedern menschlichen Handelns lauten von der Basis nach oben gesehen: physiologische Bedürfnisse (zum Beispiel Nahrung), Sicherheitsbedürfnisse (zum Beispiel Arbeit, Wohnen), soziale Bedürfnisse (zum Beispiel Anerkennung), individuelle Bedürfnisse (zum Beispiel Reisen) und Selbstverwirklichung (spirituelle Erkenntnis). Konkret bedeutet dies, dass sich jeder Mensch einer Gruppe um des natür­lichen Vorteils willen anschließt: um genügend Nahrung und mehr Sicherheit zu haben, um mehr Verständnis und mehr Austausch zu erleben, mehr Bildung, mehr Unterstützung zu bekommen usw. – mit vereinten Kräften und gemeinsam geht es eben leichter.

Entsprechend den Kräften, ihre Mitglieder an sich zu binden, kann so ein Stamm stark oder schwach sein, und es sind die gemeinsamen Interessen und Rituale, die gepflegt werden müssen, um eine Ohana zusammenzuhalten. Solche Rituale sind zum Beispiel einfache Treffen, Familienfeste, Spiele und Wettkämpfe, Turniere, Aufmärsche oder Kirchentage. Sie schaffen ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Wenn eine Rugby-Mannschaft oder der örtliche Tanzverein zusammenkommen, haben diese Gruppen ein bestimmtes Verhalten, ihre Ohana-typische Tracht und ihre eigene Sprache. Die verschiedenen Fußballclubs und Fans erkennen einander an ihren Trikots genauso, wie die geistigen Oberhäupter religiöser Gemeinschaften spezielle Roben und Talare tragen. So wie die Clan-Zugehörigkeit in den Highlands am Muster des schottischen Kilts sichtbar ist, so hatte jede Ohana im alten Hawaii ihre spezielle Bemalung und Familiengottheiten. Ob örtlicher Imker-Verein, Firma oder Welt-Kirche – man orientiert sich an einer gemeinsamen Tradition, Kleidung und Sprache. Diese Mikro-Kultur und die gemeinsamen Werte sind die Merkmale, die eine Ohana von einer anderen unterscheiden.

Wir alle, Sie und ich, liebe Leserin und lieber Leser, leben in mehreren »Stämmen« gleichzeitig: in unserer Familie, am Arbeitsplatz, in einer Glaubensgemeinschaft, in einer Gemeinde, in der Stadt und auf dem Land und in vielen anderen Gemeinschaften. In jeder Ohana werden wir uns etwas anders verhalten, kleiden und sprechen. Untersuchungen haben ergeben, je kleiner eine Ohana ist, je tiefer die Wurzeln in Kultur und Sprache sind, je mächtiger die Rituale und je stärker die Abgrenzung zum Umfeld, umso fester sind die Bindungen der Mitglieder an den Stamm.

Die Massai sind stolze Krieger und leben in den weiten Steppen im Süden Kenias und im Norden Tansanias. Heute leben sie vielfach bedroht in kleinen Stammesgemeinschaften am Rande der Touristenpfade, doch gerade ihre besonderen Sitten und Gebräuche ließen sie ihre Identität bewahren und überleben. Im Alter von etwa fünfzehn Jahren bereiten sich die männlichen Kinder darauf vor, zusammen mit erwachsenen Kriegern in die Steppe zu gehen. Dort werden sie in Stammesriten jenseits städtischer Vorstellungen und mitteleuropäischer Komfortzonen eingeführt. Mit anderen Worten – ein Massai kämpft nicht mit der Fernbedienung eines Fernsehers, sondern mit Löwen und Leoparden. Die Sippe versammelt sich vor dem Aufbruch in der Morgendämmerung, und mit Gesängen und Tänzen erbittet das Dorf den Segen ihres Gottes Engai für das erfolgreiche Unternehmen, während die Jungen hinausziehen. Nach einigen Tagen kehren die jungen Massai aus der Savanne als Männer ins Dorf zurück. Ihre Mütter weinen jedoch bei ihrer Rückkehr, da sie praktisch ihre Kinder verloren haben.

Statt ins Innere des afrikanischen Großkontinents zu reisen, reicht uns auch ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn. So wurde der besondere Stellenwert der famiglia, wie man auf Italienisch sagt, in Filmklassikern hinreichend dargestellt. Auch kann man beobachten, dass tief in ihrer Kultur verwurzelte Menschen zuweilen jahrzehntelang in einem fremden Land leben können, ohne je die Sprache der neuen Welt zu lernen. Man lebt dann zwar in Little China, Little Italy oder Little Russia in New York, London oder Berlin, doch die Bindung dieser Familien an ihre ursprüngliche Heimat ist stark und einflussreich.

Die vier Büffel

Auf einer fernen Weide lebten einst vier Büffel, und sie wiegten ihre gewaltigen Köpfe mit den mächtigen Hörnern zwischen den Halmen hin und her. Ob sie nun grasten oder schliefen, immer waren sie ganz nahe beieinander, gerade so wie ein Kreuz, und jeder blickte dabei in eine andere Richtung. Ab und an kam ein Löwe vorbei, der nur allzu gern so einen Büffel gerissen hätte, böte er doch ein gutes Mahl für seine große Familie. »Das ist ein feiner Schmaus für meine Frau, die Kinder und die jüngeren Geschwister. Auch meine Onkel und Tanten könnten sicher noch davon satt werden – und was wir nicht schaffen, das bekommen die Geier«, sprach er und pirschte sich an. Tagelang versuchte er sein Glück, doch gleich von welcher Seite er die Büffel auch bedrängte, er wurde von ihren spitzen Hörner begrüßt. Die Kunde von der Einigkeit der Büffel verbreitete sich im ganzen Land, und kein Löwe und keine Hyäne wagte sich in ihre Nähe. Ob übermütig geworden, einer Versuchung erliegend, aus Dummheit oder aus Verdruss – wir wissen es nicht –, doch eines Tages verließen die vier Büffel ihre schützende Formation und wurden so nach und nach die Beute der Löwen.

Die Wertesysteme von Familien und Stämmen

Unsere Gesellschaft hat sich in den letzten einhundert Jahren grundlegend gewandelt. Mit der Auflösung der traditionellen Großfamilie und der Bewegung hin zum Single-Dasein und den Patchwork-Familien einerseits und dem Schub der globalen Vernetzung und Social Media andererseits ist die Bildung von kleinen Gruppen innerhalb der Gesellschaft zu beobachten, die man Tribes (engl.: Stämme) nennt. Als Studienobjekte der Sozialforschung bemüht man sich, diese zeitweiligen Zusammenkünfte in klar unterscheidbare Bereiche einzuteilen; eine Herausforderung, der sich David Logan PhD von der University of Southern California annahm. Er definiert einen Stamm als eine Gruppe mit eigener Kultur und ordnet sie in fünf Entwicklungsstufen bzw. Wertesysteme ein.

Die folgende Zusammenfassung dieser Entwicklungsstufen von Gemeinschaften ist deshalb von besonderem Vorteil, da Sie, liebe Leser, (1) eine Standortbestimmung Ihrer eigenen Werte und des Wertesystems Ihrer Wahlfamilie vornehmen können. Das ermöglicht Ihnen, (2) Absichten und Ziele von Gruppen zu erkennen und schließlich zu beurteilen, ob und welche Segnungen überhaupt Kraft haben. Wie frisches Wasser eine Blume zum Blühen bringt, ein Stein hingegen nur nass wird, so mag sich manch einer sogar ärgern, wenn Sie ihn segnen. Beabsichtigen Sie schließlich (3) Ihre persönliche Lebensqualität zu steigern, gilt es nur, auf die nächsthöhere Werte-Ebene zu wechseln. Zusätzlich haben wir die eine oder andere Information aus unserer Arbeit mit den feinstofflichen Energiezentren, den Chakras (hawaiianisch: Piku) des Körpers mit einfließen lassen, so dass Sie ein erweitertes Bild über verschiedene Zusammenhänge gewinnen.

Die Werte auf der ersten Entwicklungsstufe: Mein Leben ist ein Kampf

Immer wenn Menschen diese Grundeinstellung zum Leben haben und das Recht dem Stärken einräumen, dann werden sich diese Menschen auch in einer Art und Weise verhalten, die mit diesem Glauben konform geht – sie kämpfen. Gruppen und Menschen, deren Werte sich an dieser Überzeugung orientieren, werden versuchen, sich selbst und andere Menschen zu zerstören. Es ist die Kultur, andere zu überfallen, anzugreifen, zu verletzen, zu...