2.2 Akzeptanz
Alle Dinge geschehen aus Notwendigkeit.
Es gibt in der Natur kein Gutes und kein Schlechtes.
Spinoza
Wie reagieren Sie, wenn die Dinge nicht so laufen, wie Sie es sich vorstellen? Was löst es bei Ihnen aus, wenn Sie von anderen Menschen enttäuscht sind? Welche Haltung haben Sie gegenüber einem Unglück, das Ihnen widerfahren ist oder widerfährt? Was geht in Ihnen vor, wenn Sie an Ihre Grenzen kommen?
Resiliente Menschen wissen und akzeptieren, dass Unglück, Enttäuschung und Widrigkeiten Teile des Lebens sind, die sich weder vermeiden noch spurlos beseitigen lassen. Andere lehnen sich auf gegen Umstände, auf die sie keinen Einfluss haben, oder hadern dauerhaft damit, dass sich die Dinge anders als erwünscht entwickelt haben. Mara trauert noch als Fünfzigjährige einem verpassten Studium hinterher. Ralf grübelt, ob er nicht eine entscheidende Karrierechance versäumt hat, und will sich nicht damit abfinden, dass seine Kinder andere Lebenspläne verfolgen, als er vorgesehen hat. Menschen mit einer akzeptierenden Grundhaltung hingegen nutzen ihre mentale und emotionale Energie dafür, unabänderliche Gegebenheiten konstruktiv zu verarbeiten und in ihr Leben zu integrieren. Bei einschneidenden und schwerwiegenden leidvollen Erfahrungen nehmen sie sich ausreichend Zeit wahrzunehmen, was geschehen ist, und sich nach und nach der veränderten Realität anzupassen. Akzeptanz bedeutet nicht, sich fatalistisch in alles zu fügen. Akzeptanz heißt, sich Schritt für Schritt der Wirklichkeit zu öffnen, um sie zu begreifen und anzunehmen. Danach gilt es zu überlegen, wie man weitergehen will. Sowohl Ereignisse als auch Fähigkeiten und Eigenschaften enthalten immer positive und negative Anteile. Wenn wir dies anerkennen, statt einen Teil abzulehnen oder aus unserem Bewusstsein zu verdrängen, können wir die verschiedenen Seiten zumindest vorübergehend integrieren. Dass sie nicht studieren konnte, ist für Mara vielleicht eine große Enttäuschung gewesen, doch es hat auch ihren Wissensdurst und ihr Interesse an akademischen Fragestellungen wachgehalten. Dass Ralf die Möglichkeit nicht wahrgenommen hat, für seine damalige Firma ins Ausland zu gehen, hat viel zur Verwurzelung seiner ganzen Familie beigetragen. Dass sein Sohn weder ein Studium noch einen Auslandsaufenthalt ins Auge fasst, obwohl Ralf ihm das gerne ermöglichen würden, zeigt auch, mit wie viel innerer Unabhängigkeit dieser sein Leben gestaltet.
Manchen Menschen fällt es schwer, Mehrdeutigkeit und Vielschichtigkeit zu akzeptieren. Sie fühlen sich durch Ungewissheit beeinträchtigt und verunsichert. Um doch noch eindeutige, sichere Antworten zu bekommen, betrachten sie die Welt durch einen Entweder–oder–Filter. Sven ist überzeugt, dass seine Freundschaft zu Patrick dem Konkurrenzdruck zum Opfer fällt, wenn nicht beide Abteilungen erhalten bleiben. Da die Zusammenlegung aber nicht mehr abzuwenden ist, bleibt für ihn nur die zweite Möglichkeit. Dass er seine Befürchtungen als absolut betrachtet, hindert ihn daran, sich auf die neue Situation einzustellen und seine Gestaltungsspielräume auszuloten. Patrick geht hingegen davon aus, dass die ungewollte Zusammenlegung auch neue Möglichkeiten eröffnet, die noch gar nicht alle greifbar sind. Um sich in unklaren Umgebungen effizient zu bewegen, muss man unterschiedliche Perspektiven einnehmen und verschiedene Strategien einsetzen können. Das Bedürfnis nach Eindeutigkeit oder »klaren Verhältnissen« kann sich Veränderungsprozessen und fruchtbaren Beziehungen in den Weg stellen.
Geduld
Was bedeutet es für Sie, zu warten? Wie schnell wollen Sie Ergebnisse haben oder Erfolge sehen? Wofür nehmen Sie sich wirklich Zeit? Was darf für Sie dauern? Wann haben Sie zuletzt etwas lange Zeit herbeigesehnt?
Akzeptanz ist ein Prozess. Sie ist die Frucht einer oft mühsamen Auseinandersetzung mit ungewollten Realitäten, die ihre Zeit braucht. Uns diese Zeit zu nehmen und sie anderen zu gönnen erfordert Geduld. Geduld ist keine passive Dulderhaltung, kein unbeteiligtes Aussitzen. Geduld ist eine »Wartekraft«, eine aktive und bewusste Entscheidung dafür, dem Werden und der Entwicklung den nötigen Raum zu geben.
Geduld setzt die Zuversicht voraus, dass Dinge sich auch ohne unser drängendes Zutun neu ordnen. Geduld vertraut darauf, dass in einer Situation und in Menschen immer mehr steckt, als wir in einem Augenblick erfassen können. Ihre Frucht ist die Zuversicht, etwas zu finden, was (noch) verborgen ist. Sicher haben auch Sie schon die Erfahrung gemacht, dass sich Ihnen erst im Nachhinein erschlossen hat, welche Bedeutung bestimmte Ereignisse für Sie hatten und welche Konsequenzen sich letztlich daraus ergeben haben. Als Anne mit knapp vierzig Jahren von einem Tag auf den anderen Witwe wird, erschüttert sie das nicht nur persönlich. Sie hat sich in ihren Interessen und Plänen immer nach ihrem Mann gerichtet und sich auf seine Initiative verlassen. Heute, mit sechzig Jahren, sagt sie, dass sie durch seinen frühen Tod ganz neue Seiten an sich entdeckt und entwickelt hat. Das Vertrauen in einen größeren Sinnzusammenhang6, auch wenn ich ihn noch nicht entdecken kann, weckt die Bereitschaft, guten Mutes und gelassen darauf zu warten. Mit Geduld kommen wir auch an verborgene Schätze. Wir können lernen, es als vorläufig zu betrachten, wenn wir Geschehnisse nicht verstehen und ablehnen, als normalen Teil eines Prozesses, in dessen Verlauf sich Akzeptanz entwickeln kann.
Dass wir nicht alles vorhersehen und absehen können, ist auch ein Geschenk. Und es liegt eine Chance darin: Erst wenn etwas zu Ende geht, fängt etwas anderes an. Um diese Chance wahrnehmen zu können, müssen wir die Situation aber zuerst akzeptieren, wie sie ist. Marlene sehnt sich sehr nach einem Partner, mit dem sie sich ein gemeinsames Leben vorstellen kann. Sie schwankt seit einiger Zeit zwischen Andreas und Stefan hin und her. Andreas ist ein netter Kumpel, der aber immer wieder viel Zeit für sich alleine oder mit seinen Sportfreunden verbringt. Stefan kann sehr romantisch und aufregend sein, doch findet Marlene ihn zeitweise auch anspruchsvoll und anstrengend. Mit beiden versucht sie immer wieder Kompromisse, um ihre Vorstellungen vom Zusammenleben anzugleichen. Gleichzeitig fragt sie sich immer öfter, ob sie zu hohe Ansprüche stellt oder warum sie sich nicht entscheiden kann. Sie hat das Gefühl, dass im Grunde keiner von beiden für sie der Richtige ist, will sie aber nicht aufgeben, ohne »etwas Besseres« gefunden zu haben. Erst als sie sich schließlich – mit mulmigem Gefühl – durchringt, die Beziehung zu beiden zu beenden und sich auf ein Leben als Single einzustellen, lernt sie drei Monate später über eine Kollegin Markus kennen und lieben. Für beide gibt es keinen Zweifel, dass sie zusammenpassen. Statt in einer Krise sofort zu überlegen: »Was kann ich tun?«, verlangt Akzeptanz zuerst die Frage: »Was kann und muss ich lassen und loslassen?«
Akzeptanz des Unabänderlichen
Wie reagieren Sie, wenn Sie mit unerwünschten Ereignissen konfrontiert sind, die Sie nicht unter Kontrolle haben? Wie leicht fällt es Ihnen, zu unterscheiden, ob Sie etwas ändern oder beeinflussen können? Welche Rolle spielen Dinge in Ihrem Leben, die Sie nicht ungeschehen machen können? Wie fühlen Sie sich, wenn Sie das Ruder nicht in der Hand haben? Wie reagieren Sie, wenn andere Menschen Ihren Erwartungen nicht entsprechen?
Wenn wir Dinge nicht ändern können, ist es notwendig (»Not wendend«), sie anzunehmen. Eine Grundvoraussetzung dazu ist, unterscheiden zu lernen, was in unseren Einflussbereich fällt und was nicht.7 Unmittelbare Kontrolle haben wir über unser eigenes Verhalten sowie über unser Denken und Fühlen. Das ist unser »Königreich«, in dem wir uns gegen Einmischung verwahren können, aber auch allein verantwortlich sind. Angelegenheiten, die mit dem Verhalten und den Einstellungen anderer Menschen zu tun haben, unterliegen nur teilweise unserer Kontrolle: Was andere Menschen sagen und tun, ist deren Entscheidung. Jeder hat die Verantwortung für seine eigenen Gedanken, Gefühle und Taten. Sie können beeinflussen, wie Sie mit anderen umgehen, und wie Sie auf ihre Angebote reagieren. Sie können aber nicht kontrollieren und nicht ändern, was andere fühlen, denken oder tun. Der dritte Bereich sind die Gegebenheiten, die vollkommen außerhalb unserer Kontrolle liegen. Wir leben alle unter bestimmten Rahmenbedingungen, die wir nicht unmittelbar beeinflussen können. Und jedem von uns können tagtäglich Dinge widerfahren, die nicht in unserer Macht stehen.
Sie haben es selbst in der Hand, Probleme in diesen unterschiedlichen Bereichen mit jeweils geeigneten Mitteln anzugehen: Im ersten Bereich, Ihrem Königreich, können Sie an Ihren eigenen Denk- und Verhaltensgewohnheiten und an Ihrer Selbstregulierung arbeiten. Im zweiten Bereich können Sie Ihre Einflussmöglichkeiten optimieren. Im dritten Bereich, in dem Sie keinerlei Kontrolle haben, liegen die größten Herausforderungen an Ihre Fähigkeit zur Akzeptanz. Sie können lediglich bestimmen, mit welcher Haltung Sie diesen unabänderlichen Gegebenheiten begegnen.8 In diesen dritten Bereich gehört auch alles, was in der Vergangenheit passiert ist. Nichts davon lässt sich ungeschehen machen. Sie können sich lediglich mit den Folgen befassen, die daraus entstanden sind. Akzeptanz heißt: nüchtern konstatieren, was ist, und sich in Frieden mit dem Unabänderlichen abfinden. Der Prozess der Akzeptanz ist Versöhnungsarbeit.
Selbstakzeptanz
Wie gehen Sie mit sich selbst um? Akzeptieren Sie sich voll und ganz mit all Ihren Stärken und Schwächen? Sind Sie versöhnt...