| Einsatzmöglichkeiten der Musiktherapie
Musiktherapie auf der Palliativstation
Den enormen Stellenwert der Musiktherapie auf der Palliativstation lernen alle Mitarbeiter dieser Station schnell zu schätzen. Palliativstation bedeutet: Menschen mit starken Schmerzen, Menschen, deren Leben in absehbarer Zeit ein Ende findet, Angehörige, die an ihre Grenzen gestoßen sind und mit den schnell voranschreitenden Erkrankungen ihrer Lieben nicht so schnell mitkommen. Auch wenn das gut vorbereitete Mitarbeiterteam professionelle Hilfe leistet, was die körperlichen, menschlichen und seelischen Bedürfnisse betrifft, sind die Patienten und ihre Angehörigen oft nicht in der Lage, ihre Situation im Ganzen so schnell zu erfassen.
Die Möglichkeiten der Musiktherapie sind – wie schon erwähnt – vielfältig, vielschichtig, verbindend, glättend, beruhigend, klärend etc. Die meisten Patienten schauen überrascht, manche irritiert, wenige resigniert, manche wollen die Therapeutin schnell abwimmeln („Lächerlich, wie wollen Sie mir denn mit Musik helfen?“), wenn ihnen Musiktherapie angeboten wird.
Die meisten spüren jedoch schnell oder instinktiv, dass sie jetzt mit ihren Gefühlen in Kontakt gebracht werden. Diejenigen, die es nicht gewohnt sind, über ihre Empfindungen zu sprechen, stoßen schnell an ihre Grenzen und wehren ab. Menschen, die jetzt gerade über ihre Gefühle und Bedürfnisse sprechen wollen, öffnen alle Schleusentore, weinen häufig hemmungslos. Manche bekommen auch Wut: Wut auf den Krebs oder ihre Erkrankung, die sie so leiden lässt. Oft sind es auch die Angehörigen, die die Musiktherapie abbrechen wollen, weil sie bisher stark und gefasst waren, jetzt aber von ihren Gefühlen überrollt werden, besonders wenn sie sehen, dass der Kranke ebenfalls weinen muss.
| Doch nun zu den Möglichkeiten der Musiktherapie auf diesem Bereich. Bei den meisten Patienten arbeite ich anfangs mit der Körpertambura. Hierbei handelt es sich um ein speziell für die Musiktherapie hergestelltes Instrument eines Berliner Instrumentenbauers, das individuell an die Bedürfnisse sowohl der Patienten als auch der Musiktherapeuten angepasst werden kann. |
Die Form, der Klang, das Material, die Spielweise machen den „Nebenbei-Umgang“ mit dem Instrument leicht, sodass die Aufmerksamkeit immer noch ganz dem Patienten und seinen Befindlichkeiten gewidmet sein kann. Dieses Instrument ist mit ein wenig Übung auch von Laien leicht zu spielen. Der angenehme Klang kann als Grundlage der Entspannungseinleitung dienen. Da es ein Körperinstrument ist, kann der Patient den Klang intensiv fühlen. Die Tambura kann am Körper angelegt werden, entweder am Bauch, am Rücken oder an der Seite des Patienten. Empfindet dieser die Vibration anfangs als zu viel Stimulation, kann die Therapeutin das Instrument auf ihren Schoß nehmen und nur den Klang wirken lassen. Bei vielen Patienten bewirkt der Klang schon Entspannung oder zumindest ein Innehalten und Horchen, dann ein Nachspüren nach der eigenen Befindlichkeit. Meist folgt eine Reflexion der eigenen Situation und es äußert sich ein Bedürfnis nach Zuwendung oder Gesprächen über das soeben Erlebte.
Abb. 6: Die Körpertambura ist leicht zu spielen und eignet sich für viele Patienten
Jetzt beginnt der psychotherapeutische Anteil der Musiktherapie, das Erspüren der momentanen Situation, das Ausloten der Gefühlslage. Sind die Patienten im Hier und Jetzt angekommen, folgt oft wieder eine musikalische Intervention in Form einer gemeinsamen Improvisation. Wenn das nicht möglich ist, sollte die Therapeutin selbst versuchen, die emotionale Grundstimmung musikalisch auszudrücken, damit sich der Patient in seinen Gefühlen begleitet und bestätigt wahrnimmt. Auch hier kann die Tambura die ganze Zeit als musikalische Verbindung weiterwirken.
In vielen Forschungsprojekten wurde nachgewiesen, dass durch die Stimulation mit Musik Schmerzen besser regulierbar sind bzw. weniger stark erlebt werden. Die Tambura kann auch zur Schmerzbehandlung eingesetzt werden. Die Vibration des Instrumentes wirkt über Hautoberfläche und Knochengerüst unmittelbar auf das vegetative System und reguliert den Tonus der entsprechenden Muskulatur. Zu hoher Tonus wird reduziert und zu niedriger Tonus wird nach oben ausgeglichen. Die Muskulatur entspannt, der Mensch empfindet weniger Schmerz, was auch durch den wohligen Klang durch Umlenkung der Wahrnehmung geschieht.
Ein weiteres Medium auf der Palliativstation ist der mobile Snoezelwagen. Dieser wird meist schon vom Pflegepersonal genutzt. Ruhige Musik, angenehme Lichtreflexe, verschiedene Duftstimulanzien werden beispielsweise bei sterbenden oder ängstlichen Patienten eingesetzt, um ihnen ein gewisses Gefühl von Wärme und Nähe zu vermitteln. Die Gelprojektoren werfen abstrakte weiche Formen in warmen Farbtönen an die Wand, der Duft von Zitronen oder Melisse unterstützt die Entspannung und eine CD mit ruhigen, fließenden Melodien rundet die Stimmung ab. Solch ein Snoezelwagen sollte jedoch nicht als Dauerberieselung auf die Patienten wirken, da sonst irgendwann kein Effekt mehr erzielt wird oder der Patient nur noch genervt ist. Auch hier sollte jeder im Team darauf achten, dass sämtliche Reize nicht überdosiert oder dauerhaft angewendet werden.
Ein weiterer Ansatzpunkt in der musiktherapeutischen Behandlung auf der Palliativstation ist das gemeinsame Musizieren. Manchmal verstirbt ein Patient auch während des gemeinsamen Musizierens. Sowohl der Sterbende als auch die Angehörigen erleben die musikalische Verbindung als positiv. Beim Sterbenden zeigt es sich im friedlich entspannten Dahingleiten in den Tod, bei den Angehörigen durch den intensiven, gemeinsam gelebten Augenblick. Häufig wacht der Sterbende in der musikalischen Begleitung noch einmal kurz auf, um sich zu verabschieden oder zu klären, was noch nicht ausgesprochen werden konnte.
Die Erleichterung auf beiden Seiten spiegelt das dringende Bedürfnis nach Nähe in dieser schweren Stunde. Diese Nähe ist in der gemeinsam gelebten Musik ganz stark spürbar und möglich. Musik macht den Ausdruck von Gefühlen, von Unausgesprochenem oder ungreifbaren Dingen möglich, verbindet Menschen, wenn sie durch unabwendbare Schicksale getrennt werden oder in solchen Situationen zusammenfinden müssen. Die Musik gibt Raum für die individuellen Bedürfnisse und lässt das Erleben zusammenfließen.
Vielleicht hilft Ihnen die Erinnerung an ein Lied aus der eigenen Kindheit, um solch eine Brücke zu einem geliebten Menschen herzustellen, wenn er in einer schwierigen Lage ist, und die Erinnerung an das gemeinsam gelebte Ereignis trägt Sie in Stunden der Sehnsucht, denn sie bleibt immer in Ihrem Herzen.
Musiktherapie mit Kindern
Kinder lassen sich in der Musiktherapie leicht motivieren. Ihre Kreativität und ihre Fantasie ermöglichen es ihnen, leichter ihre Ressourcen zu aktivieren als Erwachsene es vermögen.
Außerdem sind sie experimentierfreudig und neugierig, fremde bzw. unbekannte Klänge reizen sie. Formen und Farben der Instrumente lassen sie schnell ausprobieren, was möglich ist. Oft gebrauchen sie die Instrumente in ungewöhnlicher Spieltechnik oder nutzen die Instrumente wie Spielzeug. Ocean Drum oder Steel Drum reizen sie optisch und akustisch, häufig auch haptisch.
Abb. 7: Die Ocean Drum übt eine große Faszination aus
Kinder gehen unvermittelt auf alle Instrumente zu und probieren sie aus, so kann man als Therapeutin schnell erfassen, in welcher Stimmungslage sie sind oder welches Ereignis sie gerade beschäftigt. Alles ist Indiz für ihre Befindlichkeit. Musiktherapie ist für Kinder ein spielerisches Element des Ausdrucks. Sie sind mit Leib und Seele involviert und so findet man als Therapeutin unmittelbar einen Ansatz zur Kontaktaufnahme.
Kinder, die von Unruhe und Nervosität getrieben sind, kann man durch musikalische oder rhythmische Begleitung in ihrer Bewegung unterstützen. Sie bringen ihr inneres Tempo zum Ausdruck und werden ruhiger, wenn man diesen Rhythmus von außen übernimmt. Brauchen sie eher Ruhe, kann man sie gut mit Schlaf- oder Wiegenliedern einhüllen. Meist ziehen sie sich dann in eine Kuschelecke zurück und hören einfach zu oder schlafen ein.
Abb. 8: Durch den Schlag auf den Gong lassen sich langanhaltende Töne erzeugen
Instrumente können Sprachrohr oder Vermittler werden, wenn Kindern die Worte fehlen oder sie ihre Gefühle kennenlernen wollen. Ein Kind z.B., das heftig den Gong schlägt, lernt seine Kräfte einzuschätzen, weil die Lautstärke des Klanges seine Kraft sogleich hörbar werden lässt.
In der Gruppe lernen die Kinder ihre Klänge in Gestalt und Lautstärke so einzusetzen, dass ein Spielen miteinander möglich ist. So kann man soziales Verhalten lernen, ohne zu reden. Man hört es einfach.
In selbst erfundenen Spiel- und Bewegungsliedern können Kinder ihrer Fantasie und ihren Bedürfnissen...