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E-Book

Epochen deutscher Staatlichkeit

Vom Reich der Franken bis zur Bundesrepublik

AutorRudolf Weber-Fas
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl284 Seiten
ISBN9783170295780
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis33,99 EUR
Das Buch 'Epochen deutscher Staatlichkeit' bietet eine kurzgefasste Gesamtdarstellung insbesondere für Studierende und Praktiker der Rechts- und Staatswissenschaften, der Geschichte und der Politik. Außerdem richtet es sich an ein allgemeines Publikum, das sich für die Grundlinien der historischen Entwicklung deutscher Staatlichkeit interessiert. In einer neuartigen leserfreundlichen Konzeption gliedert sich der Band in folgende Kapitel: I. Mittelalterliche Ursprünge II. Verfassungsentwicklungen im Heiligen Römischen Reich III. Der Deutsche Bund IV. Norddeutscher Bund und Deutsches Reich V. Zwischen Reichsgründung und Geburt der Republik VI. Die Weimarer Republik VII. Das Dritte Reich VIII. Deutsche Staatlichkeit nach 1945

Rudolf Weber-Fas studierte Rechts- und Staatswissenschaften u.a. in Bonn (Dr. jur.) und Harvard (Master of Laws). Er war Richter an einem obersten Gerichtshof des Bundes und ist Ordinarius für Öffentliches Recht und Staatslehre in Mannheim. Er ist Autor zahlreicher Buchveröffentlichungen über Verfassungsrecht und politische Ideengeschichte.

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Leseprobe

II. Verfassungsentwicklungen im Heiligen Römischen Reich


Unter dem Kaisertum Karls d. Gr. hieß das Reich „Romanum Imperium“. Bei dieser Bezeichnung blieb es auch in ottonischer Zeit. Die Erweiterung des Reichstitels um das Wort „Sacrum“ begegnet uns erstmals 1157 unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Die deutsche Wendung „Heiliges Römisches Reich“ erscheint in urkundlicher Form kaum vor Kaiser Karl IV. (1347–1378). Der Zusatz „Deutscher Nation“ mit seinen oben angedeuteten Implikationen wird seit der Mitte des 15. Jahrhunderts zunehmend gebräuchlich; ein Gesetz von 1486 verwendet ihn ganz offiziell. Dieses „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ erlosch im Jahre 1806 mit der Niederlegung der Kaiserkrone durch den Habsburger Franz II.

1. Die Kurfürsten


In der Wahlmonarchie des alten deutschen Reiches waren es schließlich die Kurfürsten, die das Recht zur Königswahl allein besaßen. Diesem exklusiven Fürstengremium gehörten an: Die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier; als weltliche Große der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Markgraf von Brandenburg und der Herzog von Sachsen-Wittenberg. Die Kurfürsten bekleideten im Reich bestimmte, im Laufe der Zeit bloß zeremoniell gewordene Ämter mit folgenden Bezeichnungen: Reichserzkanzler (Erzbischof von Mainz), Erzkanzler für Gallien (Erzbischof von Trier), Erzkanzler für Italien (Erzbischof von Köln), Erzmarschall (Kurfürst von Sachsen), Erzkämmerer (Kurfürst von Brandenburg) usw.

Zum Titel „Fürst“ (althochdeutsch „furisto“, lat. „princeps“) sei kurz angemerkt: Im fränkischen Reich (Regnum Francorum) hießen „princeps“ zunächst nur der König und Kaiser. Nachdem diese als „rex“ und „imperator“ regierten, wurden die Großen des Reiches „principes“ genannt. Im Mittelalter entwickelte sich der Reichsfürstenstand als Führungsschicht des Hochadels mit den Kurfürsten an der Spitze. Manche Fürsten wurden im weiteren Geschichtsverlauf eigenständige Herren über weltliche oder geistliche Territorien (Herzogtümer, Markgrafschaften, Bistümer, Abteien usw.). Der Fürstentitel als bloßes Adelsprädikat im Range zwischen Herzog und Graf wurde seit dem 17. Jahrhundert vom Kaiser verliehen, nach dem Ende des alten deutschen Reiches auch von den souverän gewordenen Landesherren.

Nach der im Sachsenspiegel, einem hochbedeutsamen mittelalterlichen Rechtsbuch, kodifizierten Rangordnung der Lehnsträger (Heerschildordnung) gab es folgende siebenstufige Hierarchie: 1. König, 2. Geistliche Fürsten, 3. Weltliche Fürsten, 4. Grafen und Freie Herren, 5. Schöffenbarfreie und Ministeriale, 6. Mittelfreie, 7. sonstige ritterbürtige Leute. In dieser pyramidenförmig gegliederten feudalen Herrschaftsform zwischen frühem Mittelalter und fürstlichem Absolutismus stand an der Spitze der König als oberster Lehnsherr. Es folgten die Fürsten als herausgehobene unmittelbare Vasallen. Hinter ihnen rangierten die sonstigen Lehnsmänner mit ihren jeweiligen politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Pflichten und Privilegien.

Die karolingische Praxis der Erbfolge in das Königsamt fand ihr Ende mit der Wahl des Markgrafen Arnulf von Kärnten (887), eines natürlichen Sohns des ostfränkischen Königs Karlmann. Von nun an war das Reich bis zu seiner Auflösung (1806) eine Wahlmonarchie dergestalt, dass kein Großer ohne einen Wahlakt auf den Königsthron gelangte. Seither gehörte das Reich staatsrechtlich keiner Dynastie mit entsprechenden Verfügungsbefugnissen und Anwartschaften. De facto aber bestand die starke Tendenz, den Gedanken des Geblüts zu verwirklichen, indem man an einer bestimmten Dynastie festhielt, sofern sie über einen hinreichend befähigten Mann verfügte.

Diese Mentalität, die sich auch beim Übergang von den Saliern zu den Staufern auswirkte, kam dem Bestreben der Könige entgegen, die einstige Vererblichkeit der Krone zu restaurieren. Dies zeigte sich durchgängig in der Neigung regierender Häupter, ihren Nachfolger selbst zu designieren sowie seiner Wahl und Krönung den Weg zu ebnen. Freilich blieb der Vorstoß Kaiser Heinrichs VI. (1190–1197), die weitgehend faktisch gewordene Erbfolge gesetzlich zu fixieren, ohne Erfolg. Eine derartige verfassungsrechtliche Festlegung lag nicht im Interesse der Fürsten, die ihren politischen Einfluss im Reich durch eine juristisch freie Wahl zu wahren wünschten. Ihre Haltung entsprach durchaus der kurialen Politik, die eine formelle Erblichkeit des römisch-deutschen Spitzenamtes nicht hinnehmen wollte. Tatsächlich aber wurden – beginnend mit der Wahl Rudolf von Habsburgs (1273), die das Interregnum beendete – in einer Reihe von Wahlen abwechselnd die Habsburger, Luxemburger und Wittelsbacher zu Königen berufen. Mit dem Hause Habsburg blieb das Königtum des alten Reiches seit Albrecht II. (1438–1439) immerfort verknüpft.

Erst nach und nach entwickelten sich in den Jahrhunderten des Mittelalters feste Regeln für die Königswahl. Dieser Prozess fand seinen endgültigen reichsgesetzlichen Abschluss in der Goldenen Bulle (Bulla aurea) von 1356, dem wohl wichtigsten Verfassungsgesetz des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. „Bulle“ war damals die Bezeichnung für mit einem Siegel (bulla) versehene grundlegende Urkunden des weltlichen oder kirchlichen Rechts. Päpstliche Bullen wurden nach ihren Eingangsworten, z. B. „Unam Sanctam“, zitiert.

Ursprünglich war das ganze Volk wahlberechtigt: Kleriker und Laien, Fürsten und Nichtfürsten. De facto freilich hatten schon früh die weltlichen und geistlichen Großen das entscheidende Gewicht, sodass dem Volke wenig mehr übrigblieb, als dem Vorschlag dieser Elite zuzustimmen. Der formal zunächst weite Wahlkörper verengte sich im Laufe der Zeit immer mehr. Bereits im Sachsenspiegel, der zwischen 1220 und 1235 entstand, werden nur noch die Fürsten als wahlberechtigt erwähnt. Und die meisten späteren Kurfürsten sind dort schon als Königswähler besonders hervorgehoben. Seither ragten diese Großen aus dem übrigen Fürstenstand als die allein Kürenden heraus. Von ihnen wurde die innere und äußere Politik des Reiches in wachsendem Maße bestimmt.

Mit Karl IV. (1347–1378) beginnt das königliche Berufungsverfahren durch die Kurfürsten, das in der Goldenen Bulle verankert und bis zur Wahl des letzten römisch-deutschen Kaisers Franz II. (1792–1806) ständig praktiziert wurde. Die feierliche Abstimmung leitete der Erzbischof von Mainz. Er frug die Stimmen ab und stimmte als letzter, sodass ihm eventuell eine Art von Stichentscheid zukam. Das altem deutschen Recht gemäße frühere Erfordernis der Einstimmigkeit konnte dazu führen, dass eine nicht konzessionsbereite Minderheit die Abstimmung verließ, was die Gefahr einer Doppelwahl heraufbeschwor.

Demgegenüber sanktionierte die Goldene Bulle das Mehrheitsprinzip, wie es kanonistischer Lehre entsprach und bereits vom Kurverein zu Rhens (1338) anerkannt worden war. Dort hatten die Kurfürsten ein Bündnis zum Schutze des Reiches und zur Verteidigung der kurfürstlichen Rechte und Freiheiten geschlossen. Es war das erste Mal, dass sich diese Großen – außer bei der Königswahl – zu einer gemeinsamen reichspolitischen Aktion zusammentaten. Zugleich wurde dort für rechtens erklärt, dass der von den Kurfürsten einstimmig oder mehrheitlich zum König Gewählte den Titel führen und das Reich regieren dürfe. Eine Zustimmung oder Genehmigung des Papstes sei hierzu nicht erforderlich.

Bestimmungen über die Wählbarkeit wurden in der Goldenen Bulle nicht statuiert. Nach dem Sachsenspiegel war lediglich Voraussetzung, dass der zu Wählende frei und ehelich geboren, nicht lahm oder aussätzig und nicht vom Papst rechtmäßig gebannt sei. Freilich wurden in der Verfassungspraxis, von ganz seltenen Ausnahmen abgesehen, nur Mitglieder des Reichsfürstenstandes zu Königen gewählt.

Außer der Wahl war, seit Otto I. (936–973), die Salbung und Krönung notwendig zum Erwerb der königlichen Gewalt. Die Vornahme dieser Handlungen oblag zunächst dem Erzbischof von Mainz. Später wurde das Vorrecht dem Erzbischof von Köln als dem für den Krönungsort Aachen örtlich zuständigen Metropoliten zuerkannt. Salbung und Krönung, deren Bedeutung nach dem Interregnum (1254–1273) merklich zurücktrat, fanden regelmäßig in Aachen statt. Hier wurde der Gewählte auf den Thron Karls d. Gr. erhoben, wobei er die Reichsinsignien im Empfang nahm und von der Herrschaft symbolisch Besitz ergriff. Nach mittelalterlicher Rechtsauffassung war zum Erwerb der Kaiserwürde und römischen Reichsgewalt die Krönung des Königs in Rom mit der Kaiserkrone unerlässlich. Diese Zeremonie wurde, von sehr seltenen Ausnahmen abgesehen, durch den Papst persönlich im Petersdom vorgenommen.

2. Rechtsstellung des deutschen Königs


Der damalige König war nichts weniger als ein absoluter Herrscher (rex legibus solutus). Er stand nicht über den Gesetzen, war vielmehr an Gesetz und Recht gebunden. Handelte er wider das Recht, so war dies ein Treubruch gegenüber dem Volk, das ein Widerstandsrecht besaß. Sowohl der Sachsenspiegel wie die Goldene Bulle sahen ein Fürstengericht vor, das unter dem Vorsitz des Pfalzgrafen bei Rhein zu Entscheidungen über den König befugt war, wozu als strengste Sanktion die Absetzung gehörte. Dieses Recht beanspruchten auch die Kurfürsten als alleinige Königswähler; zwei Könige wurden von ihnen für abgesetzt erklärt. Überdies gab es ein kirchenrechtliches Verfahren, auf dessen Grundlage Kaiser Friedrich II. der...

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