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E-Book

Diakonie inszenieren

Performative Zugänge zum diakonischen Lernen

AutorJens Kramer
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl237 Seiten
ISBN9783170262843
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Diakonisches Lernen und Performative Religionsdidaktik weisen Strukturanalogien auf. Bislang wurde diakonisches Lernen meist auf Praxisprojekte/Praktika verengt. Die Performative Religionsdidaktik dagegen zielt auf eine inszenierungsspezifische Weitung des diakonischen Lernens. So wird in Aufnahme des Diskurses zur Performativen Didaktik insbesondere der Inszenierungsbegriff entfaltet, um deutlich zu machen, wie diakonisches Handeln in diakonischen Lernprozessen didaktisch inszeniert werden kann. Des Weiteren wird nach der Entstehung von Empathie durch die Ausbildung von Narrationen gefragt. Diakonisches Handeln ist Handeln in körperlichen Ausdrucksformen - diakonisches Lernen besteht darum in der didaktischen Inszenierung diakonischer Gesten. Abschließend werden Möglichkeiten einer praktischen Umsetzung aufgezeigt. Dabei geht es zum einen um die dichte Beschreibung einer Fortbildung für Lehrkräfte, zum anderen um praktische Beispiele für die Umsetzung im Religionsunterricht.

Dr. Jens Kramer ist Studienleiter für Ev. Religionsunterricht im Land Brandenburg im Amt für kirchliche Dienste, Berlin.

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Leseprobe

2        Biblische Aspekte diakonischen Lernens


2.1       Klärungen


Geht es um die Ursprünge diakonischen Handelns, dann wird in der Geschichte der christlichen Liebestätigkeit mit Recht ostinat auf die Bibel verwiesen, so schon Johann Hinrich Wichern 1848: „Bei der ganzen Arbeit bin ich davon ausgegangen, dass tiefer und umfassender, als es bis jetzt geschehen, zur Anschauung gebracht werden müsse, in welchem organischen Zusammenhang die Antwort auf die Frage der Diakonie mit der ganzen Offenbarung Gottes im alten und neuen Bunde, ja, mit den noch erst verheißenen, noch nicht erfüllten Entwickelungen des Heils steht.“1

Auch jüngere Grundlagenwerke zur Diakonie beginnen meist mit einem Verweis auf die biblischen Wurzeln der Diakonie.2 Auf der Ebene des diakonischen Lernens hingegen spielt dagegen eine biblische Grundlegung nahezu keine Rolle. Heinz Schmidt ist mit seinem Verweis auf Luther3 nahezu der einzige Religionspädagoge, der nicht nur diakonisches Handeln, sondern auch diakonisches Lernen als in der Bibel begründet ansieht.4

In diesem Kapitel geht es um die Frage, inwiefern bereits in biblischen Texten – als den narrativen und theologischen Grundlegungen diakonischen Handelns – auch die narrativen und theologischen Grundlegungen diakonischen Lernens liegen. Die Bibel – so die hier vertretene These – ist nicht nur Basis diakonischen Handelns, sondern auch die des diakonischen Lernens. Der impliziten Didaktik biblischer Texte soll in der Perspektive diakonischen Handelns exemplarisch nachgegangen werden.

2.2       Biblische Spurensuche


2.2.1     Zum Begriff διακονία


Ausgehend von John N. Collins5 und dem programmatischen Text von Hans-Jürgen Benedict: „Beruht der Anspruch der evangelischen Diakonie auf einer Mißinterpretation der antiken Quellen?“6 wird in jüngster Zeit die Frage gestellt, inwiefern biblische Texte zu διακονία überhaupt für Diakonie und diakonisches Handeln relevant sind.7

Ausgangspunkt dieser Frage ist der Befund, dass διακονία im Neuen Testament an keiner Stelle kategorial entfaltet wird. Vielmehr meint διακονία mit seinen Derivaten8 in der Antike vornehmlich Botengänge, die Übermittlung von Botschaften, Beauftragungen.9 Dabei ist der διάκονος seinem Auftraggeber zumeist untergeordnet, nicht aber im Sinne eines Sklaven, auch spielt der Status des διάκονος keine Rolle.10 Dieses Verständnis ist von dem des „Dienens am Tisch“ – und damit dem Grundverständnis von διακονία als Dienst – zu unterscheiden.11

Hans-Jürgen Benedict folgert aus diesem semantischen Befund für das Neue Testament, dass διακονία nicht sozial-karitativ, sondern gesellschaftskritisch zu verstehen ist und dass der Auftrag, der der διακονία zugrunde liegt, ein Auftrag Gottes ist zur Kommunikation seiner Versöhnung.12

Aus der exegetischen Erkenntnis, dass διακονία im Neuen Testament eher „ein technischer Begriff“ ist, „der eine Beauftragung signalisiert und gemäß den neutestamentlichen Zeugnissen v.a. in den Bereichen Verkündigung und Gemeindeleitung“13 verwendet wurde, folgt nicht, dass das in der Kirchengeschichte herausgebildete Verständnis von Diakonie damit in keinem Zusammenhang steht. In systematisch-theologischer Lesart14 hat Diakonie ihren Ursprung in der Liebe, die sich als Zuwendung zum Nächsten äußert.15 Eine solche Zuwendung kann spontan aus einer spezifischen Situation heraus entstehen, sie kann aber auch beruflich bedingt sein. In jedem Fall gilt sie „Menschen, die in Lebenskonflikte geraten“ sind, „mit denen sie nicht selbständig umgehen können.“16 Die etymologische Bedeutung von διακονία für das Verständnis von Diakonie – und damit auch für das diakonische Lernen – darum auch von geringer Bedeutung. Diakonie ist ein historisch gewachsener Begriff, der auf der neutestamentlichen Vokabel διακονία fußt, aber über die griechische Wortbedeutung hinausweist. In den für diakonisches Handeln zentralen neutestamentlichen Texten kommt das Wort διακονία mit seinen Derivaten zudem nur am Rande vor (Mt 25,44; Lk 10,40 im Anschluss an Lk 10,25–37). Darum kann Diakonie und sozial-karitatives Handeln biblisch begründet werden, ohne dass in den biblischen Texten das Wort διακονία vorkommen muss. Umgekehrt kann sozial-karitatives Handeln nur dann als diakonisch angesehen werden, wenn die christliche Motivation deutlich wird, wenn dieses also biblisch legitimiert wird.17

Für die pädagogische Konzeption des diakonischen Lernens bedeutet dies, dass vom diakonischen Lernen gesprochen werden kann, auch wenn der Begriff der διακονία auf etwas anderes weist. Aus der Frage Benedicts, ob der „Anspruch der evangelischen Diakonie auf einer Mißinterpretation der antiken Quellen“ beruhe, folgt weder für Benedict noch in diesem Zusammenhang eine Kritik an diakonischem Handeln selbst, sondern höchstens an dessen Überhöhung und einer Gleichsetzung von Kirche und Diakonie.18 Diakonisches Handeln, hier verstanden als ein Handeln aus der „Liebesatmosphäre Jesu“19, kann auch ferner als diakonisch bezeichnet werden und ein Lernen, das sich auf dieses Handeln bezieht, ist dann diakonisches Lernen.

2.2.2     Altes Testament


Frank Crüsemann betrachtet das „Alte Testament als Grundlage der Diakonie“.20 Crüsemann sieht hierfür zwei Ansatzpunkte: der eine liegt in der Klage, insbesondere in den Klagepsalmen.21 Nach Crüsemann gibt die Klage dem Klagenden die Möglichkeit, seiner Trauer, Wut etc. Ausdruck zu verleihen. Nicht die Antwort ist entscheidend, sondern der Ausdruck: „So wie in der Klage die Gottverlassenheit als ein grundlegender Aspekt des Leides begriffen, aber das Leid gerade nicht darauf reduziert wird, so wird die Wende als von der erneuten Zuwendung Gottes getragen gesehen. Die – diakonische – Ermöglichung von Klage ist Voraussetzung der Erfahrung solcher Zuwendung, durch die der Beter dem Netz der Not, in das er geraten ist, entrissen werden kann.“22

Das andere Ansatzpunkt Crüsemanns liegt in der alttestamentlichen Sozialgesetzgebung.23 Diese betrifft den Schutz der Alten (Ex 20,12; Ex 21,15.17; Dtn 27,16; Lev 19,3; Lev 20,9), der Witwen und Waisen (Ex 22,21ff.; Dtn 24,17; 1. Kön 17,10ff.; 2. Kön 4,1ff.) und der Fremden (Ex 22,20; 23,9; Lev 24,22f.; Num 15,15f.). Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auch das Liebesgebot (Lev 19,18) und die Sozialsteuer (Dtn 14,28f.) zu sehen, nicht zuletzt die Wirtschaftsgesetze zum Schutz sozial Schwacher (Ex 22,26; 23,10f.; Dtn 15,1ff.). Insgesamt wird damit nach Crüsemann im Alten Testament ein „soziales Netz“ durch die Schutzbestimmungen geknüpft.24

Die theologische Begründung sieht Crüsemann in erster Linie in der Geschichte Israels, das Gott als Befreier erfahren hat,25 z. B. Ex 22,20: „Einen Fremden sollst du nicht bedrücken, und sollst ihn nicht bedrängen, denn ihr seid im Land Ägypten Fremde gewesen“. Die Kenntnis der eigenen Tradition, der erlebten Geschichte, ermöglicht, dass sich das Volk Israel in die Situation der Benachteiligten einfühlt. Dabei geht es zunächst nicht um die Befreiung, sondern um die Erfahrung der Unfreiheit. Die Konsequenz, die sich nach Crüsemann aus dieser Erfahrung ergibt, ist die, dass, wer Unterdrückter war, sich nicht als Unterdrücker verhalten kann. „Die eigene Tradition und damit Identität ermöglicht die Einfühlung, ja nötigt geradezu zu...

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