IV
Wir werden, um die innere und äußere Geschichte des Atheismus verstehen zu können, manche Anleihe machen müssen bei der Geschichte des Aberglaubens, der Ketzerei und der Philosophie; und wir werden die Erfahrung machen, daß die Meinungen des Aberglaubens und der Ketzerei einander ebensooft berühren wie die Meinungen der Ketzerei und der Philosophie, daß darum auch die Kluft zwischen Aberglauben und Philosophie nicht unüberbrückbar ist; überall tönen uns nur arme Menschenworte entgegen, und vor der rücksichtslosen Wortkritik wandelt sich leicht auch Metaphysik wie Physik in Wortaberglauben.
Theologie
Die eigentliche Theologie als die vermeintliche Wissenschaft derer, die von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes unglaublich viel auszusagen wissen, sollte nach dem ursprünglichen Plane von dieser Darstellung ausgeschlossen werden; wie es aber nicht angeht, eine Geschichte der Heilkunst zu schreiben, ohne sich mit den Verirrungen und den Betrügereien der Zauberer und Scharlatane zu beschäftigen, wie die Alchimie notwendig zu einer Geschichte der Chemie gehört, die Astrologie zu einer Geschichte der Sternenkunde — schon um der lebendigen Menschen willen, die auf diesen Wissensgebieten gearbeitet haben —, so ist für einen Geschichtschreiber des Atheismus der geistige Kampf nicht zu umgehen, der sich nicht unmittelbar gegen das Dasein Gottes richtete, sondern mittelbar gegen theologische Sätze, welche das Dasein des alten Gottes als unzweifelhaft annahmen und darüber-hinaus über das Verhältnis zwischen Gott und Welt allerlei zu erzählen wußten: über die Art und Weise der göttlichen Weltregierung oder über die Vorsehung, über die Unabhängigkeit Gottes von den Naturgesetzen oder über die Wunder, über die Gerechtigkeit Gottes, die sich bei der Ungerechtigkeit des Weltlaufs nur in jenseitigen Belohnungen und Strafen äußern konnte, oder die Unsterblichkeit der Seele. Heutzutage noch gibt es Menschen genug, welche an die Vorsehung, an Wunder, an die Unsterblichkeit der Seele nicht glauben und dennoch in dem geheimsten Schreine ihres Herzens einen konfessionslosen, unbekannten Gottschöpfer irgendwie verehren; um so weniger darf es überraschen, wenn wir in den Zeiten der Aufklärung, der Renaissance und des mittelalterlichen Nominalismus (um nur die wichtigsten Perioden der älteren Freidenkerei zu nennen) Männer kennenlernen werden, die einen Zweifel am Dasein oder Wesen Gottes niemals aussprachen, die aber bereits Vorsehung oder Wunder oder Seelenunsterblichkeit leugneten und so das Aufkommen der Gottesleugnung selbst vorbereiteten; vom Wesen Gottes blieb wirklich nichts mehr übrig, wenn man dem Wesen seine Eigenschaften genommen hatte. Die schwierigste und wichtigste Auf|gabe wird in jedem Falle der Versuch sein müssen, sich auf den Standpunkt so eines alten Freidenkers zu versetzen, der z. B. die Unsterblichkeit oder die Geister oder die Hexen nicht anerkannte, dennoch aber für einen Gottgläubigen gelten wollte. Wir werden ja von unserer Darstellung fast immer die frommen Ketzer auszuschließen haben, die die eine oder andere Meinung der Theologen nicht teilten, an dem Gotte der Offenbarung aber mit um so stärkerer Inbrunst hingen; wir werden bei den eigentlichen Aufklärern oder starken Geistern, die jedoch nur einzelne Eigenschaften Gottes bestritten, nicht aber sein Dasein, sehr genau zusehen müssen, ob sie in dieser schwankenden Haltung — die oft erst uns schwankend erscheint — mehr von der Macht des Zeitgeistes und der Sprache oder mehr von ihrem eingewurzelten Kinderglauben oder gar mehr von der Gefahr beeinflußt wurden, die durch ein Bekenntnis zum Atheismus ihnen drohte.
Es wird also nötig sein, den Begriff des Atheismus auch auf viele dogmenfeindliche Bestrebungen auszudehnen und die Aufmerksamkeit besonders auf solche Schriftsteller zu lenken, die unter dem Scheine der Ketzerei die rechtgläubige Lehre über Vorsehung, Wunder, Unsterblichkeit und über ähnliche leere Worthülsen bekämpften. Die Aufgabe ist freilich, eine Geschichte der Leugnung Gottes zu entwerfen; der Gott, um den es sich da handelt, bleibt aber immer der Gott des christlichen Abendlandes, der zwar nicht einer und derselbe geblieben ist durch die Jahrhunderte, der aber bis zum Schatten verblassen muß, wenn man ihn seiner Tätigkeiten und seiner Eigenschaften beraubt. So wird in meiner Darstellung der Deismus und die Aufklärung einen breiten Raum einnehmen, obgleich die meisten Vertreter beider Richtungen ängstlich bemüht waren, sich zum Gotte einer Vernunftreligion zu bekennen. Eine Geschichte des Atheismus wäre unvollständig, wenn sie z. B. Voltaire, den Advokaten eines konfessionslosen Gottes, nicht ausführlich behandeln wollte. Unter den Tätigkeiten und Eigenschaften Gottes gibt es aber eine (Tätigkeit oder Eigenschaft? ich wüßte es nicht zu sagen), die bei dem bloßen Glauben an das Dasein Gottes im Abendland fast immer mitgedacht wird: die göttliche Weltregierung, die sogenannte Vorsehung.
Vorsehung
Zu den Atheisten wurde also auch gerechnet, vom Standpunkt der christlichen Gottesvorstellung mit vollem Recht, wer nur die Weltregierung durch die göttliche Vorsehung anzweifelte oder leugnete. Bei den Alten standen sich in dieser Frage die Epikureer und die Stoiker schroff gegenüber; aber selbst Epikuros leugnete die Götter nicht ausdrücklich, die freilich bei ihm müßig und überflüssig waren, das fünfte Rad am Weltwagen, und das »Schicksal« der Stoiker war doch etwas ganz anderes als etwa | die Vorsehung beim heiligen Thomas. Wo die theistischen oder deistischen Theologen in Gott die erste Ursache und den Schöpfer und Regierer der Welt sahen, daneben aber doch das Bestehen der Naturgesetze, der sogenannten zweiten Ursachen anerkannten, da verwickelten sie sich in unlösbare Widersprüche, am meisten die lutherischen Theologen mit ihrem concursus, einer Mitwirkung von Schöpfer und Geschöpf; der fromme Volksglaube, besonders der der Katholiken, kennt solche Widersprüche nicht, weil er, wenn man ihn zu einer Besinnung darüber zwingen wollte, außer der ersten Ursache keine zweiten Ursachen, d. h. keine unabänderlichen Naturgesetze kennen würde. Nach diesem einfachen Glauben wird die Welt unaufhörlich, im größten wie im kleinsten, von dem wandelbaren oder unwandelbaren Willen Gottes regiert, ohne Rücksicht auf die naturgesetzliche Ursächlichkeit, in jedem Augenblicke durch unzählige Wunder; nicht die poetisch so genannten Wunder der Natur sind damit gemeint, sondern richtige Wunder im kirchlichen Sinne, unmittelbare Wirkungen der ersten Ursache. Die göttliche Vorsehung des abendländischen Volksglaubens, übrigens auch die des Judentums und des Islam, ist nicht die unzerreißbare Kausalkette des naturwissenschaftlichen Denkens, sondern eine unendliche unzusammenhängende Reihe von Wundern. Wer also die Vorsehung leugnet, der leugnet wirklich die Wunder und damit den Gott des gemeinen Volksglaubens. Wie eng die beiden Vorstellungen miteinander verwachsen sind, mag man daraus erkennen, daß der Fromme die Vorsehung personifizieren und anstatt Gott »die Vorsehung« sagen kann. In dichterischer Sprache heute noch »die Vorsicht«.
»Vorsicht« ist natürlich die ältere (schon althochdeutsche), »Vorsehung« die jüngere Lehnübersetzung von providentia ; das griechische Modellwort προνοια bedeutete mehr das Vorherbemerken, in der Gemeinsprache dann soviel wie menschliche Klugheit. Auch das Vorhersehen war in einem gewissen Umfange nicht der Gottheit vorbehalten; auch der kenntnisreiche Mensch, freilich besonders der von der Gottheit beratene, konnte mancherlei vorhersehen, vorherwissen, vorhersagen (propheta). Im Deutschen wie im Lateinischen ist aber, sicherlich nicht unabhängig voneinander, zu unterscheiden zwischen praevidentia und providentia, zwischen Vorsehung und Fürsehung, wie man die beiden Worte noch vor hundert Jahren und auch noch einige Jahrzehnte später auseinanderhielt. Prae und pro, vor und f ür wurden im Sprachgebrauche oft miteinander verwechselt oder doch vermischt, wahrhaftig ebensooft wie in der älteren Philosophie vorausgehende Ursachen und Endursachen. Worüber nachzudenken wäre. In den Begriff der Vorsehung wurde so, auch nachdem man nicht mehr »Fürsehung« schrieb, der Begriff der Fürsorge gemischt. Buddeus | sagt also ungefähr die Wahrheit, wenn er sich vernehmen läßt: unter denjenigen Lehrsätzen, welche mit dem Atheismus eng verbunden seien, habe wohl den vornehmsten Platz die Verleugnung göttlicher Vorsehung inne. »Denn gleichwie ein Atheiste dieselbe nicht zuläßt, also ist ein solcher, der sie leugnet, nicht viel von einem Atheo unterschieden; wenigstens hebet er allen Grund der Religion und Gottesdienst auf.« Auch ist Buddeus dem Skeptiker Bayle gegenüber vollkommen im Rechte, wenn er die in den Artikeln über Origenes, über die Marcioniten, die Manichäer und die Paulicianer hervorgehobenen Schwierigkeiten so deutet, daß Bayles Absicht mehr die Vorsehung zu bekämpfen als den Manichäismus zu unterstützen war. Und Bayle wiederum ist im Rechte gegen Spinoza, der zwar alle Wunder und damit eine wunderbare Vorsehung Gottes entschiedener bestritt als irgend jemand vor ihm, die providentia also durchaus ablehnte, die praevidentia jedoch an einigen Stellen, die leider nicht gut spinozistisch sind, anzunehmen schien; freilich ist Bayles Artikel »Spinoza«, wie wir in anderem Zusammenhange sehen, ein wunderliches Gemisch von erstaunlicher Überlegenheit und ebenso erstaunlichen Vorurteilen.
Die rechtgläubigen Schriftsteller, die zu einem Atheisten machten, wer auch nur die göttliche Vorsehung leugnete, waren demnach in ihrem guten Rechte;...