3 Energiebilanzen
Ohne Datenbasis ist es nicht möglich, Energie zu managen. Energiebilanzen stellen den Energiefluss im Unternehmen auf unterschiedlichen Ebenen und mit verschiedenen Bezugsgrößen dar. Im Prinzip verfügen bereits alle Unternehmen, die ein Umweltmanagement nach DIN 14001 und der EU-Öko-Audit-Verordnung aufgebaut haben, bereits über Energiebilanzen. Das durch diese Regelungen normierte Umweltmanagement enthält zwingend Umweltbilanzen, die auch den Umweltaspekt Energie umfassen. Dies gilt auch für die neuere, darauf aufbauende DIN 16001, die den Aufbau des Energiemanagements regelt. Mit der Einbindung des Energiemanagements in das Umweltmanagement befasst sich das sechste Kapitel über die organisatorische Umsetzung, während hier die technisch-naturwissenschaftlichen Gesichtspunkte bei der Erstellung von Energiebilanzen im Mittelpunkt stehen: Dazu sind zunächst im Abschnitt 3.1 Begriff und Abgrenzungen von relevanten Bilanzvariantenvorzustellen. Derfolgende Abschnitt 3.2 zeigt detaillierte Energiebegriffe, die Darstellung des Energieflusses im Unternehmen und erläutert Wirkungsgrade bei der Energieumwandlung. Um den Energiefluss quantifizieren zu können, sind Messung und Formen von Energie im Abschnitt 3.3 erläutert – ein unabdingbares Kernkapitel für den Leser ohne technischen Hintergrund. Energiemanagement kann nur sinnvoll betrieben werden, wenn die grundlegenden Unterschiede von Leistung und Energie, von Kilowatt und Kilowattstunde, verstanden sind. Der Abschnitt 3.4 wendet sich den praktischen Möglichkeiten der Betriebsdatenerfassung (BDE) zu, um die Daten für die Bilanzen und damit für das ganze Energiemanagement zu erheben. Wer diese Möglichkeiten nicht kennt, bleibtleicht bei allgemeinen Aussagen für ganze Betriebsteile und könnte neuere technische Entwicklungen wie das Smart Metering als Elemente von intelligenten Stromnetzen übersehen. Im Abschnitt 3.5 über Checklisten und Kennzahlen sind grundlegende Überlegungen für die weiteren Kapitel enthalten, die – ebenso wie das Energiebilanzen Kapitel als Ganzes – »vor die Klammer« gezogen werden.
3.1 Begriffe und Abgrenzungen
Das Prinzip von Bilanzen ist einfach: Abgeleitet vom italienischen Begriff »Bilancia« (zweiarmige Waage) müssen Input und Output im Gleichgewicht sein. In Literatur und Praxis ist die Verwendung der Begriffe Umwelt-, Öko-, Stoff-, Energie-, Kohlendioxid-, Prozess-, Sach- und weiter Bilanzen jedoch eher unübersichtlich. Ausgehend von den sachlichen Notwendigkeiten werden hier drei Gliederungssysteme vorgestellt, die die Begriffsvielfalt strukturieren:
- Energiebilanzen sind als Teil einer umfassenden Nachhaltigkeitsrechnung oder Corporate Responsibility Rating des Unternehmens aufzufassen. Der Abschnitt 3.1.1 zeigt die Hierarchie der Bilanzierungs- und Rechensysteme von der umfassenden Nachhaltigkeitsrechnung bis zur detaillierten Kohlendioxidbilanz.
- Während eine Nachhaltigkeitsrechnung das Unternehmen als Ganzes in den Mittelpunkt stellt, möchte die Energiebilanz tief ins Detail gehen, um für energiebezogene Maßnahmen Entscheidungsunterstützung le isten zu können. Deshalb zeigt der Abschnitt 3.1.2 die verschiedenen Möglichkeiten der Abgrenzung des Bilanzbereichs, in dem insbesondere die Zusammenhänge von Betriebs-, Prozess- und Produktbilanz erläutert werden.
- Die sachliche Beschreibung des Energieflusses als eine der Umweltwirkungen des Unternehmens sagt noch wenig über die Wirkung dieser Umweltbelastung. Der Abschnitt 3.1.3 erläutert, wie die Wirkungsabschätzung auf der Sachbeschreibung aufsetzt.
3.1.1 Von der Nachhaltigkeitsrechnung zu Treibhausgasbilanz
Unternehmen beschäftigen sich mit Energie zunächst aufgrund ganz handfester, kostenbezogener Motive. Da aber Energie als Teil der Umweltwirkungen des Unternehmens nicht nur interne sondern auch externe Kosten verursacht, mischen sich in die Motivation über eigennütziges Kosteninteresse hinausgehende, ethische Gesichtspunkte, der auf der Seite der Gesellschaft kritische Fragen an die Unternehmen gegenüber stehen. Energiebilanzen sind also als Teilaspekt einer umfassenden Nachhaltigkeitsrechnung aufzufassen, die in den letzten Jahren zunehmend Verbreitung findet. Damit zeigen Unternehmen Leistungen und Belastungen ihrer Tätigkeit für die Gesellschaft und die natürliche Umwelt auf, um ihre Tätigkeit zu begründen und zu legitimieren. Vier Ebenen strukturieren die Herangehensweise, um auf der letzten Ebene die Rolle von Energiebilanzen präzise fassen zu können:
- Nachhaltigkeitsrechnungen oder -bilanzen, Corporate Responsibility Ratings, Sozialbilanzen und Ethik Audits versuchen eine gesamthafte Zusammenfassung des Gebens und Nehmens zwischen Unternehmen und gesellschaftlicher und natürlicher Umwelt. Die Begriffe sind noch nicht fest gefügt und es würde zu weit führen, sie hier im Detail abzugrenzen, so dass dieser Rahmen für Energiebilanzen nur exemplarisch angesprochen wird (Abschnitt 3.1.1.1).
- In umfassende Nachhaltigkeitsrechnungen gehen Umweltbilanzen ein, die alle Umweltwirkungen des Unternehmens erfassen und bewerten. Auch hier gibt es zahlreiche Ansätze, die allerdings insbesondere durch die DIN 14000 Serie präziser gefasst werden (Abschnitt 3.1.1.2).
- Energiebilanzen als Auskopplungen von Umweltbilanzen beschreiben den Energieflussin technischen Maßeinheiten wie Joule oder Kilowattstunden (Abschnitt 3.1.1.3).
- Durch Energieverbrauch entsteht das Treibhausgas Kohlendioxid. Kohlendioxidbilanzen schließen von der Energiebilanz auf die dadurch verursachten Emissionen (Abschnitt 3.1.1.4). Sie sind ein Teil der Treibhausgasbilanzen.
3.1.1.1 Nachhaltigkeitsrechnung
Gemäß dieser Gliederung zunächst zum Corporate Responsibility Rating als Beispiel für gesamthafte Ansätze. Die folgende Abbildung 3 zeigt die wichtigsten Kriterien zur Messung der Verantwortungswahrnehmung.
Abb. 3: Bestandteile des Corporate Responsibility Rating (Haßler 2004, 266)
Bereits in den 1970er-Jahren sind Sozialbilanzen Vorläufer solcher Ratings, aber nach Jahrzehnten mit geringem Interesse an dem Thema gewinnt derzeit die Entwicklung von Verfahren, Normen und Standards spürbaren Schwung. Anleger lassen solche Kriterien zunehmend in ihre Entscheidungen einfließen und die Börsen, Banken und institutionellen Anleger richten Börsenindizes und Aktienfonds mit ethischem, sozialen und Umweltbezug ein. Die Abbildung 4 schlägt eine Gliederung für die Klassifizierung von Ethikindizes und -fonds vor, da diese Begriffe oft sehr verschieden verwendet werden.
Abb. 4: Klassifizierung von Ethikfonds und -indizes
Als Oberbegriff dient Ethik, die kurz definiert ist als Reflektion über die grundlegenden Werte, aus denen wir leben. Sobald neben die üblichen Anlagekriterien (Rendite, Risiko und Verfügbarkeit) weitere Umwelt- oder soziale Gesichtspunkte treten, können sie als Spielart von ethischen Geldanlagen angesehen werden. Gemäß der Systematik der Abbildung sind Fonds und Indizes mit Energiebezug innerhalb des Umweltaspekts anzusiedeln. Die energiebezogenen Überlegungen betreffen zunächst Unternehmen, die sich spezialisiert haben, beispielsweise Windanlagenhersteller, die den Anlagekriterien von Klimawandelfonds entsprechen. Anderseits ist wichtig zu sehen, dass Nachhaltigkeitskriterien und ihre Wirkung auf Anleger über den Best-of-Class-Ansatz alle Unternehmen betreffen. Der Dow Jones Sustainability Index kann beispielsweise 10 bis 20 Prozent der Klassenbesten im Umweltschutz einer jeden Branche aufnehmen. So kommt es jedoch zu der kritisierbaren Situation, dass Automobilunternehmen, die große Geländewagen produzieren, in einem Index gelistet sind, der im Titel Nachhaltigkeit führt. Neben der Wirkung auf Anleger haben solche Bilanzierungen und Ratings natürlich zahlreiche weitere Wirkungen in die Öffentlichkeit und innerhalb des Unternehmens, insbesondere sind sie Planungsgrundlage für Verbesserungen. Dafür sind neben objektivierten Ratingverfahren auch neutrale, vertrauenswürdige Institutionen erforderlich, um sie weiter zu entwickeln und anzuwenden. Die Abbildung 5 zeigt den Ablauf bei der Erstellung eines Nachhaltigkeitsratings.
An dieser Stelle einige Überlegungen zum oft gebrauchten und manchmal missbrauchten Begriff »Nachhaltigkeit«: Ursprünglich stammt er aus der Forstwirtschaft und besagt, dass nicht mehr Holz eingeschlagen werden darf als im gleichen Zeitraum nachwächst. Dann wurde er auf jede Nutzung natürlicher Ressourcen übertragen, beispielsweise darf eine Einleitung in ein Gewässer die Fähigkeit des Gewässers, den Stoff ökologisch abzubauen, nicht überschreiten. Heute hat die Verwendung des Begriffs inflationär zugenommen und er wird synonym mit »dauerhaft« oder »langfristig« verwendet. So bedeutet im Börsenjargon die Formulierung einer »nachhaltigen« Gewinnsteigerung eines Unternehmens nichts anderes, als dass der Gewinn vermutlich dauerhaft auf hohem Niveau bleibt. Von den umwelt- und ökologiebezogenen Wurzeln des Begriffs haben sich solche Formulierungen weit entfernt. Faktoren wie Klimawandel, Ressourcenverknappung oder globale Ungleichheit setzen unser gesamtes Wirtschaftssystem unter Legitimationsdruck und damit auch die Unternehmen als wichtige Akteure. Wenn Unternehmen als »Good Corporate Citizen« zeigen möchten, dass sie Werte schaffen und nicht vernichten, so sind die ökologische Nachhaltigkeit und damit der Umgang mit Energie ganz wichtige Aspekte. Das wird auch in der Abbildung 3 deutlich, in der soziale, kulturelle und umweltbezogene...