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Entdeckung der Radioaktivität, natürliche Radioaktivität
1.1 Entdeckung
Die Entdeckung der natürlichen Radioaktivität erfolgte 1896 durch Henri Becquerel, als er im Anschluss an die von Röntgen entdeckte Strahlung, bei der von Poincaré als Ausgangspunkt der Strahlung fälschlicherweise der grüne Phosphoreszenzfleck der Geißlerröhre vermutet wurde, Untersuchungen an phosphoreszierenden Stoffen durchführte. Als glücklicher Umstand erwies sich, dass er im Besitz von (phosphoreszierenden) Uransalzen war und sehr bald feststellen konnte, dass diese Substanzen durch Papier und Aluminium hindurch fotografische Platten schwärzen konnten. Die ersten Ergebnisse wurden am 24. Februar 1896 veröffentlicht (Sitzung der franz. Akademie d. Wissenschaften), aber schon am 5. März 1896 erkannte er, dass keine Vorbelichtung der verwendeten Uransalze notwendig war, um die fotografische Wirkung zu erzielen. Außerdem konnte er zeigen, dass andere phosphoreszierende Substanzen diese Wirkung nicht besaßen. Schließlich folgerte er, dass die Strahlung eine Eigenschaft des Uranatoms war und in keinem Zusammenhang mit der Phosphoreszenz der ursprünglich untersuchten Substanzen stand. Die ausgesandten Strahlen hatten große Ähnlichkeit mit Röntgenstrahlen und wurden später als Becquerel-Strahlen bezeichnet.
Wir wissen heute, dass neben Uran noch viele andere Elemente radioaktive Strahlung emittieren, ohne dass dem eine durch den Menschen verursachte Aktivierung (Kernumwandlung) vorangeht. Man bezeichnet solche, ohne menschliches Zutun bestehende, Radioaktivität als natürliche Radioaktivität. Durch Messung, z. B. mittels eines Geigerzählers, kann man sich leicht überzeugen, dass dies kein selten auftretendes Phänomen ist, sondern vielmehr als allgegenwärtig angesehen werden kann. So ist Uran in Spurenelementen nahezu überall in der anorganischen Natur vorhanden, und auch in der Biosphäre werden verschiedene radioaktive Substanzen in alle Körper eingebaut, so dass es keine Lebewesen gibt, die nicht auch von sich aus radioaktiv sind.
Schon sehr früh erkannte man, dass mit der Radioaktivität eine Elementumwandlung verbunden ist, wobei sich die Menge des Ausgangselements (und auch die Strahlenintensität) exponentiell verringert. Es waren der neuseeländische Physiker Ernest Rutherford (Nobelpreis für Chemie 1908) und der englische Chemiker Frederick Soddy, die an der McGill Universität in Montreal die Theorie der Elementumwandlung entwickelten [1–6]. Der Nachweis erfolgte durch chemisches Abtrennen der Elemente. Für die Intensität I der Strahlung oder die Anzahl N der Atome eines Elementes ergab sich als Funktion der Zeit t folgendes Verhalten:
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mit Io der Intensität, No der Atomzahl zum Zeitpunkt t = 0 und λ, einer für das untersuchte Element charakteristischen Konstante. Man bezeichnet λ als Zerfallskonstante und – wie man leicht einsieht – T1/2 = ln(2)/λ als Halbwertszeit und τ = 1/λ als mittlere Lebensdauer. Aufgrund von Ablenkungsversuchen im Magnetfeld konnten verschiedene Strahlenarten und Energien nachgewiesen werden, die schließlich durch Ernest Rutherford [7, 8] in drei Arten von Strahlung eingeteilt wurden, und zwar die α-Strahlung, die, wie man heute weiß, aus Heliumkernen besteht, die β-Strahlung, die aus Elektronen besteht, und die γ-Strahlung, die hochenergetische, elektromagnetische Strahlung ist.
1.2 Natürliche Radioaktivität
Aus der Tatsache, dass die Radioaktivität exponentiell abnimmt, sollte man schließen können, dass nach genügend langer Zeit keine Radioaktivität mehr vorhanden sein dürfte. Es stellt sich also die Frage, wieso eine natürliche Radioaktivität überhaupt nachweisbar ist bzw. wie sie entstanden ist. Zwei Mechanismen der Entstehung radioaktiver Substanzen sind denkbar, und beide tragen zur natürlichen Radioaktivität bei.
Die erste Möglichkeit der Entstehung natürlicher Radionuklide ist deren Erzeugung bei der Bildung der chemischen Elemente im Zug der Sternentwicklung. Damit sie auch heute noch vorhanden sind, muss ihre Halbwertszeit in der Größenordnung von mindestens 108 Jahren liegen. Man nennt diese Radionuklide primordial. Man kann zu dieser Gruppe auch jene zählen, die durch den Zerfall primordialer Radionuklide entstehen und selbst radioaktiv sind (natürliche Zerfallsreihen). Letztere werden auch als radiogene Radionuklide bezeichnet. Typische Beispiele für primordiale Nuklide sind 235 U (T1/2 = 7 · 108 a), 238U (T1/2 = 4,5 · 109 a), 232Th (T1/2 = 14 · 109 a), 40K (T1/2 = 1,3 · 109 a) usw.
Da eine Reihe von natürlich vorkommenden Radionukliden Halbwertszeiten aufweisen, die zu gering sind, als dass diese Nuklide bei der Sternentwicklung entstanden sein können, muss geschlossen werden, dass auch andere Mechanismen die Entstehung von Radionukliden ermöglichen. Diese Mechanismen müssen zu einer dauernden Bildung von Radionukliden führen, wie etwa die Existenz einer natürlichen Tritiumkonzentration (überschwerer Wasserstoff: 3H) mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren oder die in allen Lebewesen sowie in der Atmosphäre vorhandene Konzentration an Radiokohlenstoff (14C, T1/2 = 5730 a) zeigt.
1.3 Die kosmische Strahlung
Als Ursache für diese dauernde Nachbildung ist die kosmische Strahlung anzusehen, deren Entdeckung u. a. auf Victor Hess zurückgeht (siehe später in diesem Abschnitt). Es treffen etwa 1000 Kerne pro Quadratmeter und Sekunde auf die Erdatmosphäre, wobei Protonen mit etwa 90 %, α-Teilchen mit 9% und schwerere Kerne sowie Elektronen mit etwa je 1% zur kosmischen Strahlung beitragen. Ein Teil dieser Teilchen weist sehr hohe Energien auf, manchmal bis zu 1020 eV (ultrarelativistisch), was 11 Größenordnungen über der Ruhemasse der Protonen liegt. Aufgrund des Magnetfeldes der Erde kommt es zu einer Abhängigkeit der Intensität der kosmischen Strahlung von der geographischen Breite. Zumeist werden in der Literatur Werte für mittlere Breiten angegeben. Kommt es zur Bildung von Radionukliden in der Atmosphäre, so ist die Breitenabhängigkeit von nicht allzu großer Bedeutung, da in der Atmosphäre stets eine relativ rasche Durchmischung stattfindet. Im Fall von Radionukliden, die an der Erdoberfläche gebildet werden, ist jedoch die Abhängigkeit der kosmischen Strahlung von der geographischen Breite sehr wohl zu berücksichtigen. Natürlich werden durch die kosmische Strahlung auch in der interstellaren Materie Radionuklide gebildet, jedoch ist dieser Beitrag für die auf der Erde relevanten natürlichen Radionuklide als vernachlässigbar anzusehen.
Man unterscheidet in der kosmischen Strahlung aufgrund ihrer Herkunft eine solare Komponente, eine galaktische Komponente (Entstehung außerhalb unseres Sonnensystems, aber innerhalb unserer Galaxie) und eine außergalaktische (extragalaktische) Komponente.
Als Ursache der beobachteten hohen Energien in der sogenannten primären Komponente der kosmischen Strahlung können Supernova-Explosionen angenommen werden („Supernovadruckwelle“), wobei die Übertragung von kinetischer Energie eines Plasmas auf individuelle Teilchen zu einer nichtthermischen Energieverteilung mit einer Überhöhung der Intensität im hochenergetischen Bereich führt. Der Mechanismus beruht einerseits auf der wiederholten Wechselwirkung geladener Teilchen mit dem Magnetfeld von Schockwellen (Fermi-Mechanismus 1. Ordnung), andererseits auf der Diffusion geladener Teilchen in bewegten, inhomogenen Magnetfeldern (Irregularitäten in einer „Magnetfeldwolke“), die sich mit dem Plasma mitbewegen (Fermi-Mechanismus 2. Ordnung). Der ursprünglich von Fermi angenommene Effekt skaliert mit β2 (β = v/c mit v Geschwindigkeit des bewegten Magnetfeldes) daher auch Fermi-Mechanismus 2. Ordnung. Der später gefundene Fermi-Mechanismus 1. Ordnung hingegen skaliert mit β und kann zu noch höheren Energien führen. Beide Mechanismen beruhen auf dem Effekt, dass geladene Teilchen beim Durchlaufen von bewegten, magnetischen Gradientenfeldern eine Energieänderung erfahren.
Untersuchungen (AGASA Experiment) [9, 10] haben gezeigt, dass jenseits jener Energien, die durch den Fermi-Mechanismus 1. Ordnung erreichbar sind (Abschätzung beruht auf möglichen Magnetfeldstärken und deren maximalen Ausdehnungen), immer noch Teilchen nachweisbar sind. Bis vor Kurzem konnte man sich keine Quelle für diese extrem hochenergetischen Teilchen vorstellen [11], wobei noch zusätzlich das Problem der Greisen-Zatsepin-Kuzmin-Schwelle (GZK-cutoff) besteht. Man kann nämlich zeigen, dass bei sehr hohen Protonenenergien die kosmische Hintergrundstrahlung eine signifikante Absorption verursacht. Der Effekt beruht auf der Pionenproduktion (p + γ → p + π° und p +...