Die Wale, Tümmler und die Delphine haben sich im Wasser entsprechend den Anforderungen ihrer Umgebung entwickelt. Ihr Gehirn ist relativ zur Körpergröße so groß wie das des Menschen. Sie besitzen wahrscheinlich eine ganz andere Form von Bewusstsein, ein Bewusstsein, vielleicht auch eine »Geistigkeit«, die sogar mit uns kommunizieren kann, was wir umgekehrt wohl nicht können. Warum sind wir gerade so geworden, wie wir geworden sind? Warum besitzen wir kein Orientierungsorgan wie die Fledermäuse oder die Wesen, die dreitausend Meter tief im Ozean in ewiger Dunkelheit leben?
Kürzlich las ich einen Artikel über das menschliche Gehirn, in dem aufgezeigt wurde, wie sich unser Gehirn primär in der Auseinandersetzung mit der Umgebung formt und verändert. Erst muss ein Bedürfnis oder eine Notwendigkeit vorhanden sein, die dann in der entsprechenden Entwicklung umgesetzt wird. Nicht das Lebewesen mit dem größten Gebiss hat überlebt, sondern das, was flexibler war und sich schneller an die veränderten Verhältnisse anpassen konnte – und das kooperieren konnte. Das Biotop hat, wie man heute weiß, die größten Überlebenschancen.
Vor allem ist es der Neokortex, der den Menschen zum Menschen werden lässt. Er nimmt Informationen auf und verarbeitet sie, und daraus ergeben sich Entwicklung und Fortschritt. Je mehr der Mensch von außen gefordert ist, etwa durch ungünstige Lebensverhältnisse, umso stärker wächst der Neokortex. Bedrängnis und Widerstände auf der einen Seite, Bedürfnisse, Wünsche auf der anderen Seite fordern den Neokortex des Menschen und lassen ihn wachsen.
»Die Masse und Zahl der beteiligten Neuronen wächst unaufhörlich und erreicht im menschlichen Hirn die gigantische Zahl von etwas 100 Milliarden. Der Fortschritt besteht nicht in der Masse selbst, sondern in den unerschöpflichen Verknüpfungsmöglichkeiten. Gegenüber Tieren haben wir neben den festgelegten Synapsen einen ungleichen Anteil von frei veränderbaren Verknüpfungsmöglichkeiten«, so Gerhard Neuweiler, Professor für Biologie in München (Tagesspiegel, Nr. 16 859). Dieses Potenzial an Verknüpfungsmöglichkeiten bedingt unsere besondere Lernfähigkeit und Verhaltensflexibilität. Wir Menschen sind Generalisten und fähig zu flexiblen Lebensweisen.
In der Naturwissenschaft wird Entwicklung vor allem als eine horizontale Bewegung verstanden. Die Frage ist meistens, wie kann der Mensch überleben, wie kann er sich im sozialen Bezug ändern, um zu überleben. Ich bin fest davon überzeugt, dass auch geistige, seelische und spirituelle Bedürfnisse auf unser Gehirn einwirken. Wir erkennen, dass Gefühle und Gedanken zu physischer Realität werden können. Gefühle des Hasses oder der Liebe gehen als Peptide und Moleküle durch unseren Körper und schwächen oder stärken unser Immunsystem. So löst auch die Sehnsucht, unser wahres Wesen zu erfahren und transmentale Räume unseres Bewusstseins zu erreichen, Veränderungen in unserem Gehirn aus.
Im Universum gibt es weder eine absolute Zeit noch absolute Distanzen. Der vermeintlich gerade Lichtstrahl ist in Wirklichkeit gekrümmt. Es ist unmöglich, Aussagen über die Welt zu machen, ohne uns, den Beobachter, mit einzubeziehen. Die Quantenphysik sagt uns, dass nichts, was beobachtet wird, vom Beobachter unbeeinflusst bleibt. Wir erschaffen somit in gewisser Weise die Wirklichkeit. Unsere Gestaltwerdung gibt uns aber eine ganz bestimmte Deutung der Welt, und aus letztlich unvollständigen Informationen entwerfen wir Modelle, die unsere Weltsicht begründen.
Kosmos, Klima, Krieg, Politik, Ökonomie, Vernichtung, Tod und Zerstreuung bilden eine Art »Zeitbaum«. An diesem Baum kann man nur aufwärts steigen, nie abwärts. Auf diese Weise entwickelt sich das Universum in immer neue Strukturen hinein. Es ist ein großes Spiel. Einen Spielzug kann man nicht zurücknehmen. Aus diesem Zug ergeben sich spielerisch neue Züge. So fließt ein Spiel unberechenbar und doch berechenbar dahin. Es gebiert sich gleichsam jeden Augenblick neu. Jede anscheinend feste Struktur ist nur gebremste Zeit. Aber hinter diesen Spielregeln steht etwas, was dieser sich selbst entwickelnde Spieler kreiert. Es ist am Ende also kein blindes Spiel. Es folgt, obwohl wir das nicht erkennen können, einem transrationalen Bewusstsein, menschlich gesprochen folgt es einem unsichtbaren Plan.
Suchen wir in der falschen Richtung? Wir Menschen sind dabei, den gewaltigen Raum des Universums mit immer besserer Technik zu erforschen. Unser Wissen über Makro- und Mikrokosmos, über die Gene, das Gehirn, die verschiedenen Dimensionen unserer Psyche ist enorm gewachsen, doch es scheint, als erwüchsen daraus auch immer neue Fragen. Man nimmt an, dass sich in den nächsten zehn Jahren das Wissen der Menschheit noch einmal verdoppeln wird, und es werden sich daraus Fragen ergeben, die wir heute noch nicht einmal denken können.
Doch wir suchen immer nur in einer Richtung – im Außen. Vielleicht ist aber das, was wir eigentlich suchen, nur in unserem Inneren zu finden. Vielleicht projizieren wir unser Verlangen nach einer endgültigen Wahrheit über die letzten Bausteine der Materie, nach der einen Weltformel, die alles in einer zusammenhängenden Theorie erklären kann, nach außen, während wir die Wahrheit tatsächlich nur in uns selbst finden können. Im Außen scheinen wir nicht zum Ziel zu kommen. Denn mit jedem neuen Wissen wächst die Erkenntnis, dass wir immer weniger wissen. 2004 nahm Stephen Hawkins, das britische Physikgenie, von seiner Überzeugung Abstand, es könne die komplette Formel der Naturgesetze gefunden und eines Tages die Frage beantwortet werden, warum es überhaupt ein Universum gibt. Dies sei nicht möglich, so Hawkins, »denn dann würden wir Gottes Geist kennen«.
Vielleicht ist auch die Unendlichkeit des Raums und des Universums nur im Inneren zu erfahren, dort, wo die beiden Aspekte der Wirklichkeit als Eins erfahren werden. Zeit und Bewegung gehören zusammen. Vielleicht liegt die Lösung in der Zeitlosigkeit, in der es keine Bewegung mehr gibt außer dem jeweiligen Augenblick. Die ungeheure Spannweite zwischen dem Universellen und Individuellen, der Zeit und der Zeitlosigkeit kann, so glaube ich, nur in uns selbst überbrückt werden. Dort scheinen mir die wirklichen Lösungen zu liegen. Wer sind wir also?
Wer sind wir?
Unser Hiersein, in diesem Leib sein, gleicht einem großen Rätsel. Wir nehmen es so selbstverständlich hin, dass in diesem gewaltigen Universum plötzlich durch die Empfängnis so etwas wie ein geistbegabtes Wesen entsteht. Das ist überwältigend. Eigentlich müssten wir jeden Augenblick darüber staunen. Wir sind Gestalt gewordenes Bewusstsein. Wir werden nie begreifen, wie und warum das geschieht. Der Schritt vom Sein zum Nichtsein und der Schritt vom Nichtsein zum Sein lassen sich rational nicht ausloten. Was wir rational erkennen können, ist nur ein Weltausschnitt aus der Fülle des Universums. Es ist nicht mehr als ein Blick durch ein Schilfrohr, in dem wir den Himmel betrachten, wie es in einer östliche Weisheit ausgedrückt ist.
Wir Menschen leiden an einem heimlichen Hunger, den nichts Äußeres stillen kann. In uns liegt eine verborgene Dimension, die wir nur entdecken, wenn wir zur Ruhe kommen. Weise Menschen lehren uns das seit Jahrtausenden. Unser rationales Bewusstsein hat sich mit dem Wachsen unserer Großhirnrinde gewaltig entfaltet. Es hat dadurch auch andere Möglichkeiten verkümmern lassen. Wir sind in eine dualistische Spaltung hineingeraten. Um sie zu überwinden, müssen wir erkennen, dass unser Leben eine Tiefe birgt, die wir rational nicht erreichen können. Das bedeutet auch eine Transformation unserer religiösen Überzeugung.
Unser Ichbewusstsein hat sich allmählich aus primitiveren Formen, die einen magischen und mythischen Hintergrund hatten, in ein mentales, personales Bewusstsein entwickelt. Dieses organisiert, leidet, freut sich und programmiert die Zukunft. Es ist voller Wünsche, Pläne, Hoffnungen und Enttäuschungen. Es neigt seinem Wesen nach zur Isolation und spiegelt uns vor, es sei unsere wahre Identität. Ich erachte es als durchaus wichtig, dass unser personales Bewusstsein Authentizität entwickelt, sich entfaltet und schöpferisch und kreativ wird. Es soll Lebensfreude und ein Ja zu sich selbst und zum Leben entwickeln und Verantwortung für das eigene Leben und die eigene Biografie übernehmen. Was uns jedoch offensichtlich fehlt, ist die Fähigkeit, die Balance zwischen Ich und Gemeinschaft zu finden und Mitverantwortung für die anderen und die Gesellschaft zu übernehmen.
Unser Innerstes ist ungeboren und unzerstörbar. Nur in diesem zeitlosen Urgrund finden wir Sinn und Deutung unseres Lebens, können erkennen, dass wir mit unserer eigentlichen Mitte nicht unserem Ich gehören. Wir gehören zu einem Größeren, das allein Sinn und Geborgenheit geben kann. Wir haben eine Ahnung davon behalten, dass es etwas Größeres geben muss. Es ist eine Erinnerung an die Einheit, aus der wir...