2. Bestattungsmusik als Thema der Praktischen Theologie
Bestattungsmusik ist ein Teilbereich der Kasualmusik und als Thema der Praktischen Theologie somit der Kasualtheorie zuzuordnen. In der Forschung wird Musik innerhalb der Kasualtheorie sowohl als Kasualmusik allgemein,1 aufgrund der Eigenheiten jeder Kasualie aber auch immer wieder – wie im Fall der Bestattungsmusik – als Musik im Rahmen einer konkreten Kasualie diskutiert. Aussagen zur Kasualmusik verbleiben auf einer allgemeineren Ebene, da sie für alle Kasualien sprechen, wohingegen Texte zur Bestattungsmusik durch den Bezug zu dieser speziellen Kasualie und ihren Eigenheiten an Konkretion gewinnen. So ist die Musik bei der Bestattung eher durch die Situation des Abschieds und der Trauer geprägt und übernimmt entsprechend tröstend-seelsorgerliche Funktionen.2 Für die Auseinandersetzung mit der Bestattungsmusik ist daher sowohl die Kasualmusik als auch die Bestattungsmusik von Interesse. Aus wissenschaftlicher Perspektive wurde Kasualmusik – abgesehen von einer Monografie3 – bisher primär anhand kurzer Abhandlungen im Rahmen umfangreicher kasualtheoretischer Schriften oder in Form von kleineren gesonderten Publikationen reflektiert.4 Da Kasualmusik als Forschungsgegenstand aufs Engste mit der Praxis verbunden ist, werden neben wissenschaftlichen Texten auch praxisnahe Publikationen wie beispielsweise Handreichungen berücksichtigt. Um eine Aufzählung der einzelnen Publikationen zu vermeiden, gleichzeitig aber eine Übersicht über den bisherigen literarischen Befund zu gewährleisten, werden diese unterschiedlichen Schriften kategorisiert und unter Ergänzung einzelner illustrierender Beispiele dargestellt. Daran anschließend werden einzelne, aufgrund ihrer Rezeption oder ihres Umfangs für die Thematik besonders bedeutsame Werke ausführlicher diskutiert.
Meist wird Kasualmusik von den Autoren als signifikantes Problem der Kasualpraxis thematisiert. Signifikant ist es, da sich daran zeigt, welche Probleme und Missverständnisse bei Kasualien auftreten können, wenn die Kasualteilnehmenden wenig mit kirchlichen Vorgängen und Traditionen vertraut sind und vielmehr ihre eigenen Vorstellungen in den Kasualgottesdienst einbringen wollen.5 Die mit der Kasualmusik verbundenen Probleme lassen sich in der Literatur in zwei Bereiche aufteilen. Einerseits wird hier immer wieder der Gemeindegesang erwähnt,6 der bei Kasualien häufig unter geringer Gemeindebeteiligung oder gar nicht mehr stattfindet, jedoch traditionell Teil eines Gottesdienstes ist. Die Diskrepanz von theologischem Anspruch und Realität ist nicht neu. So moniert der Theologe Erich Hertzsch bereits Mitte des 20. Jahrhunderts in seinem Lexikonartikel zur Bestattung: „Die ‚musikalische Umrahmung‘ steht oft mit dem gottesdienstlichen Charakter einer ev. Bestattung im Widerspruch. Hier gelten dieselben Grundsätze wie im Hauptgottesdienst: Gemeindegesang ist unentbehrlich.“7
Andererseits wird die Kasualmusik von vielen Autoren aufgrund von Musikwünschen der Kasualteilnehmenden als Problembereich der Kasualien dargestellt, weil sie stilistisch oder inhaltlich dem gottesdienstlichen Charakter der Kasualie nicht entsprechen.8 Auch dieses Problem ist keine Erscheinung des 21. Jahrhunderts.9 Jedoch scheint sich die in der Literatur manifestierende Problematik in den letzten Jahren gewandelt zu haben: Die Wünsche stammen zunehmend aus dem Bereich der populären Musik,10 wodurch aus einem vormals rein ästhetischen Problem mitunter ein theologisches wird.11
Einen entscheidenden Anstoß zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik gibt der 1999 erschienene Aufsatz Der Streit am Sarg um die Musik von Eberhard Hauschildt.12 Darin differenziert Hauschildt die Konflikte im Zusammenhang von Bestattungen in drei Problemfelder – dem populären Musikwunsch, dem Gemeindegesang und der Realisierung der gewünschten Musik vom Band, wobei primär die populäre Musik und die unterschiedlichen Facetten des damit einhergehenden Konflikts Gegenstand seiner Analyse sind. Hauschildt sieht eine Ursache dieses Konflikts in den durch Gerhard Schulze beschriebenen13 unterschiedlichen sozialen Milieus der bei einer Bestattung beteiligten Personen. Entsprechend dieser Milieus entwirft er fünf Muster, die auf dem Umgang mit Bestattungsmusik basieren: Dem Niveaumilieu entspricht der erste Typus „Trauermusik als Ausdruck von kulturellem Niveau.“ Das Harmoniemilieu wählt als zweiten Typus „Trauermusik als Stimmung wie in der guten alten Zeit.“ Das Integrationsmilieu ist dem dritten Typus „Trauermusik als gesundes Mittelmaß, wie es sich gehört“ zuzuordnen. Das Selbstverwirklichungsmilieu sieht als vierten Typus „Trauermusik als Akt persönlicher Selbstverwirklichung.“ Schließlich ist für das Unterhaltungsmilieu der fünfte Typus „Trauermusik als Rückgriff auf die Musik der Popcharts“ kennzeichnend.14 Der Konflikt, der die Bestattungsmusik dominiert, ist somit nach Hauschildt nicht nur ein theologischer, sondern auch eine Frage des auf unterschiedlichen musikalischen Vorlieben und Prägungen basierenden Geschmacks. Die Darstellung der verschiedenen musikalischen Milieus mündet schließlich in den Appell an Pfarrerinnen und Pfarrer wie auch an Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker zum reflektierten und interpretierenden Umgang mit entsprechenden Musikwünschen. Neben der gründlichen und umfangreichen Analyse der mit der Bestattungsmusik verbundenen Konflikte zeichnet sich der Aufsatz Hauschildts durch eine sachliche, nicht im Vorhinein skeptische Perspektive auf die Thematik wie auch durch sein Bemühen um einen konstruktiven Umgang mit populärer Musik im Bestattungsgottesdienst aus.
Musikwünsche werden in der Literatur aber nicht ausschließlich als Problem, vielmehr auch als neutral bewertetes Phänomen gegenwärtiger Bestattungspraxis15 und dabei insbesondere als Phänomen des viel beschriebenen Wandels der Bestattungskultur untersucht.16 Besonders an populärmusikalischen Wünschen zeigt sich dabei die mit dem Wandel zunehmende „Optionalität“17 bei der Bestattungsgestaltung. Musikwünsche stellen damit eine im Zuge dieses Wandels vermehrt genutzte Möglichkeit dar, durch eigenes Engagement der Angehörigen die Trauerfeier individuell zu gestalten.18 Dies wird mitunter medial forciert, etwa wenn derart gestaltete Trauerfeiern berühmter Personen durch die Medien in Privathaushalte übertragen werden und die Vorstellung vieler Menschen prägen.19 Eine positive Sicht auf Musikwünsche bei Bestattungen und Bestattungsmusik im Allgemeinen findet sich besonders dann in der Literatur, wenn sie deren positiven Effekt auf die Trauer hervorhebt.20
Einige Schriften, die populärmusikalische Wünsche bei Bestattungen thematisieren, heben darauf ab, Kriterien und Ratschläge für den Umgang mit diesen Wünschen zu nennen.21 Häufig sind deren Autoren selbst im Kasualkontext als Liturginnen und Liturgen oder Musikerinnen und Musiker aktiv.22 Die Texte entstammen somit teilweise dem kirchlichen Kontext und sind als konkrete Anleitungen entsprechend auch auf die kirchliche Praxis ausgerichtet. In Anlehnung an Winfried Dalferth werden in der Württembergischen Bestattungsagende beispielsweise vier Kriterien genannt,23 die dem Pfarrer und der Pfarrerin bei der Entscheidung für oder wider einen populärmusikalischen Wunsch helfen sollen: An erster Stelle steht dabei die Frage der Anknüpfungsfähigkeit der Musik an das Evangelium (1) wie auch ihre Angemessenheit in der Trauersituation (2). Daneben findet sich die Überlegung, ob stattdessen auch ein geistliches Lied das „Anliegen“ des Musikwunsches vermitteln kann (3). Schließlich wird die Frage nach einer angemessenen technischen oder auch musikalischen Realisierung aufgeworfen (4).24 Neben Schriften, die mittels Kriterien Anleitungen zu einer reflektierten Praxis geben wollen, sind solche Publikationen zu nennen, die in Form von Beispielen praxisorientierte und konkrete Anregungen zum Umgang wie auch zur Interpretation solcher Wünsche bieten. Diese richten sich sowohl an Pfarrerinnen und Pfarrer als auch an Bestatterinnen und Bestatter.25 Darin wird deutlich, dass gegenwärtig beide Personenkreise Einfluss auf Bestattungsmusik nehmen.
Insgesamt fällt bei der Sichtung der Literatur zur Kasual- und Bestattungsmusik auf, dass die theoretischen Abhandlungen vorwiegend auf Überlegungen, Eindrücken und Erfahrungen der Autoren basieren. Sie sind daher nicht rein theorie-, sondern auch empiriebasiert, entbehren aber meist jeglicher methodischer, innerhalb der empirischen Forschung gängiger Instrumente. Die professionelle Perspektive auf die Thematik ist in der Literatur somit dominant vertreten.26 Im theologischen wie auch im kirchlichen Bereich ist diese Sichtweise gegenüber populären Musikwünschen...