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Verletzte Kinderseele (Fachratgeber Klett-Cotta)

Was Eltern traumatisierter Kinder wissen müssen und wie sie richtig reagieren

AutorDorothea Weinberg
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl137 Seiten
ISBN9783608107951
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Wenn ein Kind traumatisiert wurde, sind seine engsten Bezugspersonen in besonderem Maße gefordert, seelischen Verletzungen mit dem richtigen Verhalten zu begegnen. Das Buch gibt wichtige Informationen zum Verständnis und formuliert klare Verhaltensregeln für Eltern, Pflege- und Adoptiveltern. Kinder sind in ihren Verarbeitungsmöglichkeiten leicht überfordert, wenn schlimme Ereignisse in ihr Leben treten. Das kann ein schwerer Unfall sein, der plötzliche Verlust eines Elternteils, Gewalt innerhalb oder außerhalb der Familie, Missbrauch und vieles andere mehr. Leserinnen und Leser erfahren, wie Kinder auf seelische Verletzungen reagieren und wie Erwachsene sich verhalten müssen, um - das Vertrauen des Kindes in seine Bezugspersonen und seine Sicherheit wiederherzustellen - Ängsten, Alpträumen, Schlafstörungen, aber auch Apathie und Trancezuständen richtig zu begegnen - zu erkennen, wann ein Kind leidet, auch wenn es sich scheinbar normal verhält - Triggersituationen zu identifizieren und Kindern zu helfen, damit umzugehen. Konkrete Hilfestellung für schwierige Situationen mit klaren Handlungsanweisungen. Dieses Buch richtet sich an: - Eltern - Adoptiveltern - Pflegeeltern - BetreuerInnen und ErzieherInnen in Kinderheimen und Einrichtungen

Dorothea Weinberg,  Diplom-Psychologin, Magister der evangelischen Theologie, ist als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin tätig. Sie arbeitet in eigener Praxis in Nürnberg mit dem Schwerpunkt Trauma- und Bindungstherapie. Sie ist in der Weiterbildung für KindertherapeutInnen, Pflegeeltern und Erzieher tätig und hat zwei erfolgreiche Fachbücher zur Kinder-Traumatherapie geschrieben. Sie finden weitere Informationen über Dorothea Weinberg unter: www.dorothea-weinberg.de

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Leseprobe

Vorwort


An wen richtet sich dieser Ratgeber?

An alle Menschen, die sich um Kinder kümmern, die durch seelisch schädigende Phasen ihres Lebens gehen mussten, so wie Vernachlässigung und Vereinsamung in den ersten Lebensjahren, Gewalt und sexueller Missbrauch durch Familienangehörige. Aber auch lebensbedrohliche oder schmerzüberflutende Erlebnisse, eigene Nahtoderfahrungen oder eigenes Sterben (vor Reanimation), plötzliche und unvorbereitete Trennungs-, Verlust- und Todeserfahrungen können die Verarbeitungsmöglichkeiten von Kindern leicht überfordern, sodass das Kind innerlich verändert aus diesen Situationen herauskommt: Ängste, Albträume, Schlafstörungen, Übererregungs- und Anspannungszustände – oder auch Apathie und Trancezustände – Aggressionen, Verlust des Urvertrauens und des Vertrauens in seine wichtigsten Bindungen und zunehmende Vermeidung angstbesetzter Situationen sind die typischen Zeichen einer überforderten Verarbeitung. Allerdings gibt es auch solche Verläufe, in denen das Kind scheinbar angepasst und zufrieden sein Leben wieder aufnimmt und erst Jahre später zusammenbricht – es war eben nur eine Scheinanpassung, zum Beispiel um die wichtigsten Bezugspersonen nicht zu überfordern oder um in einer chronisch bedrohlichen Familiensituation möglichst wenig aufzufallen oder gar Schwäche zu zeigen.

Der Ratgeber richtet sich insbesondere an leibliche Eltern und Elternteile, die sich um ein betroffenes Kind kümmern, als auch an aufnehmende Eltern, zum Beispiel Adoptiv-, Pflege- oder Kinderdorfeltern. Und darum spreche ich diese beiden Gruppen auch direkt an. Im familiären Alltag ist die emotionale Dichte so hoch, dass permanent sogenannte »Trigger« (s. S. 9) auftauchen, die traumabedingte Interaktionen und damit verbunden enormes Leid für die Eltern in Gang setzen. Alle anderen Leserinnen und Leser, die immer wieder mit traumatisierten Kindern zu tun haben wie LehrerInnen, PädagogInnen, Großeltern etc. holen sich bitte die für sie wichtigen Informationen und Anregungen ebenso aus diesem Buch!

Liebe Eltern!

Ich will Ihnen zunächst etwas über mich erzählen, damit Sie meinen Erfahrungs- und Wissenshintergrund besser einschätzen können:

Ich habe mich schon immer zur Arbeit mit Kindern hingezogen gefühlt. Schon als 13-Jährige habe ich große Kindergruppen geleitet – manchmal waren es mehr als dreißig Kinder. Es ist also sicherlich eine Begabung und eine Passion in mir. Mit 18 Jahren habe ich ein halbes Jahr in einem Kinderheim als Erziehungspraktikantin gearbeitet und schnell meine ganz persönlichen Erfahrungen mit traumabedingten Interaktionen gemacht: Einmal sollte ich zum Beispiel einem Siebenjährigen die Haare schneiden, aber er saß partout nicht ruhig, kasperte immer mehr herum und wurde frech zu mir. Aus einem Impuls heraus habe ich ihm plötzlich eine Ohrfeige verpasst, worauf er sich brav hinsetzte, lächelte und seine Welt offensichtlich wieder in Ordnung war. Meine allerdings nicht. Aber er ließ sich anstandslos die Haare schneiden. Die Wohngruppenleiterin, der ich mein Fehlverhalten natürlich meldete, erklärte mir damals: Der kleine Junge war in seiner frühesten Kindheit von seiner Mutter verlassen worden, sein Vater hatte zusammen mit seiner eigenen Mutter versucht, sich um ihn zu kümmern. Obwohl er seinen Jungen lieb hatte, setzte es oft Schläge, weil er mit seinem renitenten Verhalten nicht anders umzugehen wusste. Als die Großmutter nicht mehr helfen konnte, kam der Kleine ins Heim und setzt dieses Verhalten fort: provozieren, bis der Erwachsene die Fassung verliert1. Was damals schon jedem klar war, dass es sich nämlich um einen Kreislauf von Provokation, Hilflosigkeitsgefühle, aggressive Affekthandlung und damit Klärung des Machtgefälles handelte. Und dass es sich – auch beim Erwachsenen – um ein Wiederholen frühkindlicher Interaktionsmuster handelte. Und dass ein solches Handeln in unserer modernen demokratischen Gesellschaft in eine Sackgasse führt … Aber in diesem Buch soll deutlich werden, dass noch ganz andere Bedeutungsebenen und seelische Mechanismen mitspielen und ungewollt unser Handeln und Fühlen bestimmen. Und dass es hilfreich sein kann, diese zu verstehen und sich auf deren Auftreten aktiv vorzubereiten.

Ich habe diese kleine Erfahrung geschildert, um deutlich zu machen, dass ich Ihre Situation nicht für einfach halte. Denn das war ja nur eine Lappalie im Vergleich zu dem, was Sie vielleicht ganz häufig erleben: Einen Beschuss von Vorwürfen, Beschimpfungen, Beleidigungen, Angriffen, durchaus auch körperlicher Art, beklaut werden, belogen werden, ignoriert werden, abgelehnt werden … trotz all Ihrer aufopferungsvoller Mühe und Plage und oft auch Liebe für das Kind. Ich könnte es nicht besser machen als Sie – trotz meines Fachwissens und meiner Erfahrung.

Wissen und Erfahrung gründen auf meiner über dreißigjährigen kindertherapeutischen Praxis, einem exzellenten Studium der Psychologie mit kinderpsychologischem Schwerpunkt in Marburg, der Personzentrierten Psychotherapieausbildungen (nach Rogers) für Kinder und Erwachsene, einer zehnjährigen Arbeit in einem großen Kinderheim in Nürnberg als Psychologin, meiner Kinderpsychodramaausbildung, der Begegnung mit der kroatischen Traumapsychologin Irena Besic während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien und in der Folge davon der Entwicklung meiner eigenen kindertraumapsychologischen Behandlungsmethoden, dem Aufbau unseres Kleinstkinderheimes Centar Duga im Nordwesten Bosniens und der Arbeit mit den dortigen Babys und Kleinstkindern und der daraus hervorgegangenen Entwicklung von Bindungstherapie – und aus der bald zwanzigjährigen Praxis als niedergelassene Kinderpsychotherapeutin mit Trauma- und Bindungsschwerpunkt in Nürnberg. Seit fünfzehn Jahren unterrichte ich meine eigenen traumatherapeutischen Behandlungsmethoden für KollegInnen und Traumapädagogik für Pflegeeltern.

Die Kommunikation (nonverbal, verbal), das Verhalten (aggressiv, erstarrt, apathisch oder scheinbar angepasst) und die Ausstrahlung (womöglich Außenstehenden gegenüber charmant und bezaubernd, aber im familiären Binnenraum wütend, oppositionell und / oder depressiv) dieser Kinder produzieren oftmals massive Verwirrungen und lassen dramatische zwischenmenschliche Dynamiken entstehen. Nicht weil sie es sich so wünschen, sondern weil sie tatsächlich sehr oft nicht anders können.

Bei alldem habe ich sehr viel gelernt: Von den Kindern und Eltern und ihren alltäglichen Kämpfen und von den Eltern, die in manchen Situationen plötzlich auf unerwartete Lösungen gestoßen sind. Oder von den Eltern, die durch ihre innere Einstellung zum Leben, zu sich selbst und zum Kind eine ganz besondere Ausstrahlung von Wärme, Ruhe und Kraft entwickelt haben, die sie ein Stück davor schützt, sich in die traumabedingten Interaktionen hineinziehen zu lassen. Und von den Eltern, die trotz aller trauma- und bindungspsychologischer Fachkenntnis, die sie sich angeeignet haben, ihr Kind niemals als einen »Fall von Traumafolgestörung« (z. B. Bindungsstörung, Borderline, Störung des Sozialverhaltens etc.) empfunden haben, sondern immer als einen ganz besonderen Menschen. Zum Aufbau des Buches:

Im ersten Kapitel werden Sie erfahren, was Psychotherapeuten unter einer Traumafolgestörung verstehen und welche Diagnosen hier greifen. Es handelt sich um ein anspruchsvolles Kapitel, welches Ihnen die Grundgedanken der Psychotraumatologie nahebringt. Es ist als Basis unverzichtbar, damit die nachfolgenden, eher an Ihren Problem ausgerichteten Kapitel verständlich werden. Fallgeschichten und Übungen (besonders auch im Anhang des Buches) werden Ihnen helfen, mit schwierigen Situationen besser umzugehen.

Zum Abschluss noch ein kurzer Satz zu mir: Ich selbst habe zwei wunderbare Töchter, die mich auf ihre je eigene und äußerst lebhafte Art auch oft genug hart auf die Probe gestellt haben – aber glücklicherweise sind sie jetzt erwachsen.

Was dieses Buch alles nicht leisten kann:

  • Ihnen Ihre Probleme abnehmen
  • Patentrezepte geben
  • Ihnen fundierte Informationen über den Einsatz von Psychopharmaka geben
  • Einen umfangreichen Wissens- und Forschungsstand zu den traumapsychologischen, neurologischen, gesundheitlichen, genetischen und epigenetischen Folgen von unverarbeiteten und nicht integrierten traumatischen Erfahrungen vermitteln2
  • Einen allgemeinen Überblick über psychotherapeutische Behandlungsmethoden von Traumafolgeerkrankungen bei Kindern geben3
  • Die rechtlichen Rahmenbedingungen zu Umgang, Sorgerecht oder Strafverfahren erläutern.

Was ich als Autorin nicht leisten kann:

Eigentlich scheint mir dieses Büchlein das schwierigste zu sein, das ich bisher geschrieben habe. In meinen anderen Publikationen habe ich meine traumatherapeutischen Konzepte und Erfahrungen begründet und dargestellt und bin damit in meinem klar umschriebenen Berufsfeld geblieben. Jetzt wage ich mich in ein riesiges, turbulentes Feld hinaus, in dem ich mich nicht selbst bewege, sondern mir nur von allen Beteiligten erzählen lasse: Das Feld der Familien, der Erziehungskonflikte, der emotionalen Explosionen und Implosionen … Dabei ist jede Familienkonstellation einmalig und ganz besonders.

Wenn Sie fachlichen Rat für Ihre Situation benötigen, empfehle ich Ihnen, mit diesem Buch zum Jugendamt oder zur Erziehungsberatungsstelle zu gehen und diese Stellen zu bitten, Ihnen eine/n Behandler/in zu vermitteln, die/der in diesem Sinne arbeitet! Ich habe viele Fachleute...

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