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Krieg der Täter

Die Massenerschiessungen von Katyn

AutorClaudia Weber
VerlagHamburger Edition HIS
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl450 Seiten
ISBN9783868546354
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Im Frühjahr 1943 wurde in der Nähe des russischen Dorfes Katyn ein grauenvoller Fund gemacht: Massengräber mit Tausenden Toten. Die Täterschaft ist zu diesem Zeitpunkt längst bekannt, wie die Autorin eindrücklich zeigt, und dennoch drehte sich die Geschichte der Massenerschiessungen von Katyn Jahrzehnte um die Frage, ob nun das 'Dritte Reich' oder Stalins Sowjetunion für das brutale Kriegsverbrechen verantwortlich war, dem im Frühjahr 1940 über 22000 polnische Armeeangehörige zum Opfer fielen. Inmitten der militärischen Schlachten des Zweiten Weltkriegs wurde ein 'Täterkrieg' entfacht: Während sich der deutsche Nationalsozialismus im Wald von Katyn als Entdecker sowjetischer Kriegsgräuel und als Bollwerk gegen den Roten Terror präsentierte, setzte sich der Stalinismus als Opfer einer Verleumdungskampagne der 'Hitleristen' in Szene. Auf der Basis neu gelesener Dokumente und bisher unbekannter Quellen aus russischen Archiven und dem Archiv der DDR-Staatssicherheit legt Claudia Weber eine umfassende historische Analyse der Akteure, Mechanismen und Ziele der nationalsozialistischen und der stalinistischen Propaganda - ihrer Erfindungen, Täuschungsmanöver und Lügen - vor. Sie beschreibt die erstaunliche Wirkungsmacht und lange Dauer der diktatorischen Katyn-Inszenierungen, denen es gelang, die komplexe Geschichte des deutsch-sowjetischen Weltkriegsterrors auf eine gelöste 'Täterfrage' zu reduzieren. Der 'Täterkrieg' um Katyn war ein Scheingefecht, das noch in den ideologischen Geschichtsscharmützeln des Kalten Krieges in Westeuropa mit Verve ausgetragen wurde.

Prof. Dr. Claudia Weber lehrt an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder); Studium der Geschichte, Südslawistik und Politologie in Leipzig, Moskau, Sofia und Athens (Ohio); bis 2014 arbeitete sie als Historikerin am Hamburger Institut für Sozialforschung.

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Leseprobe

Die Gunst der Stunde.
Der Katyń-Untersuchungsausschuss

Am 25. Juni 1950 marschierte die nordkoreanische Armee Kim Il Sungs in Südkorea ein. Tags darauf drängte Präsident Truman den UN-Sicherheitsrat zum Eingreifen und entsandte Truppen, um die von Stalin unterstützten Nordkoreaner unter der Flagge der UNO zu besiegen.42 Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg befanden sich amerikanische Soldaten nunmehr in einem bewaffneten Konflikt außerhalb der Landesgrenzen und waren der Gefahr ausgesetzt, in Kriegsgefangenschaft zu geraten. Als im Verlauf des Koreakrieges tatsächlich mehr als 4000 GIs in die Hände der Nordkoreaner gerieten, rückte ihr Schicksal in das Zentrum einer hochideologischen Kriegs- und Gräuelpropaganda, die die amerikanische Presse mit Meldungen über vermeintliche und tatsächliche Gräueltaten der nordkoreanischen und chinesischen Kommunisten sowie über die systematische Gehirnwäsche überzog, die an den Gefangenen vollzogen wurde. Bilder von geknebelten, gefolterten und getöteten Soldaten schockierten die Leser von Life magazine. Für Lanes und Epsteins Katyń-Komitee und die polnische Exilgemeinde kam die immense Aufmerksamkeit, die dem Thema der Gewalt an Kriegsgefangenen durch die aktuellen Ereignisse zufiel, zum rechten Zeitpunkt. Nicht allein, dass sie ihre Bedrohungsszenarien und Warnungen bestätigt sahen, erfuhr der Fall Katyń nun eine ganz andere Dringlichkeit und Bedeutung. »Es ist nunmehr von dringlicher Notwendigkeit«, beschwor Arthur Bliss Lane die Gunst der Stunde, »die russischen Methoden einer unmenschlichen Kriegsführung darzustellen. Die Fotografien im Life magazine in der letzten Woche, die einen toten GI mit auf dem Rücken verbundenen Händen und einem durchschossenen Schädel zeigten, erinnern schauerlich an das Schicksal der polnischen Offiziere, die in einem ähnlichen Zustand in den Massengräbern bei Katyń aufgefunden wurden.«43 Der Koreakrieg war der Katalysator, der die Anliegen und Forderungen innerhalb weniger Monate aus dem begrenzten Umfeld der Polonia und der osteuropäischen Emigrantenzirkel hinaustrug und zu einer Angelegenheit von nationalem politischem Interesse machte. PAC erhöhte die Schlagzahl der Katyń-Propaganda und verabschiedete im Mai 1951 eine zweite Resolution, die das Verbrechen dem neuen Zeitgeist angepasst einerseits als Genozid bezeichnete und andererseits direkt mit dem aktuellen Kriegsgeschehen in Verbindung brachte.44 »Katyń «, hieß es in der auf einer Gedenkfeier für die ermordeten Offiziere verlesenen Resolution, sei »einer der unmenschlichsten, schockierendsten und primitivsten Akte von Genozid«, der nun endlich »unter der Federführung oder auf Anordnung der Vereinten Nationen« verhandelt werden müsse, um wiederum den »kommunistischen Kriegstreibern im fernen Osten […]« ein deutliches Warnsignal zu senden; jenen, die »in mehreren Fällen, wenn auch in geringerem Ausmaß, unsere heroischen Jungs in Korea ermordet haben«.45 Im Unterschied zu der Resolution, die PAC dem demokratischen Kongressabgeordneten Ray Madden im September 1949 in Gary, Indiana, übergeben hatte und die sich in ihrer Forderung nach einem internationalen Strafgerichtshof nicht wesentlich von der zweiten Entschließung unterschied, die aber in Washington ignoriert worden war, brachte Letztere den lang erwarteten Erfolg. Im Kontext des Koreakrieges versprach der politische Einsatz für eine internationale Untersuchung eines kommunistischen Kriegsverbrechens an polnischen Offizieren einen politischen Nutzen, insbesondere und nicht mehr ausschließlich im Hinblick auf den Kampf um die Stimmen der polnisch-amerikanischen Wähler. Im Rennen um die Kongresswahlen im November 1950 wurde Katyń zum Wahlkampfthema, ein Rennen, das der republikanische Kandidat für das Repräsentantenhaus in Chicago, der Hochburg der traditionell demokratisch wählenden Polonia, Timothy Sheehan, unter anderem mit dem Versprechen gewinnen konnte, sich im Kongress für einen Katyń-Untersuchungsausschuss einzusetzen. Am 26. Juni 1951, ein Jahr nachdem die USA in den Koreakrieg eingetreten waren, brachte Sheehan im Repräsentantenhaus die Resolution Nr. 282 ein, in der er einen »Untersuchungsausschuss bestehend aus dreizehn Mitgliedern des Repräsentantenhauses«, forderte, um »eine komplette und vollständige Untersuchung aller Aspekte des Massakers an 4000 polnischen Offizieren im Wald von Katyń« durchzuführen.46 Im demokratisch dominierten Kongress wurde Sheehans Initiative jedoch noch so lange ignoriert, bis sich auch die Demokraten (wieder) für Katyń zu interessieren begannen. Drei Monate später machte sich der demokratische Abgeordnete Indianas im Repräsentantenhaus, Ray Madden, Sheehans Idee zu eigen. Madden, der seit einigen Jahren enge Kontakte zu Charles Rozmarek und dem PAC pflegte, hatte 1949 – wie erwähnt ohne Erfolg – die erste Katyń-Resolution eingebracht. Nun adaptierte er Sheehans Resolution und setzte sie am 18. September 1951 diesmal erfolgreich als House Resolution 390 durch. Mit 398 Ja-Stimmen und ohne Gegenstimme beschloss das Repräsentantenhaus, dessen Abgeordnete sich über Parteigrenzen hinweg darin einig waren, dass es sich bei Katyń um einen »der heimtückischten und brutalsten Fälle eines internationalen Genozids«47 handelte, die Gründung eines »Select Committee to Investigate the Facts, Evidence, and Circumstances of the Katyń Forest Massacre«. »Wir sind heute«, hieß es in der Begründung, »mit zwei unterschiedlichen Typen der Kriegsführung mit dem roten Russland konfrontiert. Zum einen die militärische Front in Korea, wo unsere Jungs die kommunistischen chinesischen Horden, die von den Verschwörern im Kreml angeleitet werden, zurückhalten. Die zweite Front meint die Schlacht um die Köpfe aller freien Menschen überall auf der Welt […], eine vollständige Untersuchung des Katyń-Massakers […] kann im Namen der Wahrheit einen bedeutenden Sieg in dieser Schlacht bedeuten.«48 In der kurzen Diskussion, die es vor der Abstimmung im Repräsentantenhaus gab, entlud sich eine antikommunistische Rhetorik, die sich kaum von der von Arthur Bliss Lane unterschied und die historisch-kulturalistischen Stereotype von PAC willkommen hieß. »Nicht einmal in den barbarischen Zeiten von Ivan dem Schrecklichen«, begründete ein Abgeordneter seine Zustimmung, »hat die mongolischasiatische Mentalität einen derart […] abscheulichen and brutalen Genozid vollbracht.«49

Für PAC, das New Yorker Komitee und die polnische Exilgemeinde war die Gründung des Untersuchungsausschusses der lang erwartete Triumph. In übergroßen Lettern verkündeten die Zeitungen der Polonia, der Dziennik Chicagoski oder Pittsburghs Pittsbuczanin, den Einsatz des Ausschusses und betonten ihre Forderung nach der kompromisslosen Aufklärung gegenüber den vier demokratischen und drei republikanischen Mitgliedern, bei denen es sich, wie im Falle von Timothy Sheehan (Illinois) und George Dondero (Michigan) um Abgeordnete aus Wahlbezirken mit einem hohen polnisch-amerikanischen Bevölkerungsanteil handelte. Ray Madden, der wie Sheehan und Dondero Kontakte zur politischen Katyń-Lobby unterhielt, wurde zum Vorsitzenden des Ausschusses ernannt, der bald seinen Namen trug und hier im Folgenden auch als Madden-Ausschuss bezeichnet werden soll. Unter der Leitung des jungen polnischstämmigen Chicagoer Journalisten Roman Pucinski und des juristischen Beraters John J. Mitchell begann das Komitee, Dokumente zusammenzustellen, Beweise zu suchen und Zeugen ausfindig zu machen, die Aufschluss über den Hergang des Verbrechens, die Täter, Goebbels’ und Stalins Propagandakampagne, die Hintergründe der polnisch-sowjetischen Krise sowie die Politik der westlichen Alliierten geben konnten. Pucinski, der später lange Jahre als demokratischer Abgeordneter die Interessen der Chicagoer Polonia im US-Repräsentantenhaus vertrat, war damit beauftragt worden, potenzielle Zeugen zu einer Aussage zu bewegen – eine, wie sich herausstellen sollte, durchaus diffiziele Angelegenheit –, während John Mitchell den juristisch korrekten Ablauf der nach eidesstattlichen Versicherungen durchgeführten Befragungen organisierte.

Am 4. Februar 1952 begannen in Washington die öffentlichen Anhörungen mit der Befragung des ehemaligen Kriegsgefangenen John Van Vliet, ein Auftakt, mit dem das Komitee zuallererst ein deutliches Zeichen hinsichtlich seiner politischen Intention, die Kriegspolitik der Roosevelt-Administration auf den Prüfstand zu stellen, setzte.50 Um der eigentlichen Aufgabe, der Klärung der Täterfrage und der Aufklärung der Massenerschießungen, gerecht zu werden, suchte der Ausschuss außerdem nach Zeugen wie den kroatischen Gerichtsmediziner Eduard L....

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