Gänsehautmomente in der goldenen Stadt Das dynamische Prag ist ein Schatzkästlein. Seine jahrhundertealte Architektur und Kultur wissen Touristen aus aller Welt ebenso zu schätzen wie internationale Filmproduktionen und Studenten. In der Moldaumetropole fand 1989 einer jener bewegenden Augenblicke statt, die für ganz Europa eine Zeitenwende einläuteten und uns allen ungeahnte Freiheiten brachten. Nachdem meine Notizen zu Wien, Budapest und Bratislava in den Laptop gewandert, die Wasserzählerabrechnungsaufforderungen, Finanzamtsschreiben und Kaminkehrerrechnung bearbeitet sowie die Kontakte, Reiseführer und Planungen für die nächste Etappe vorbereitet sind, geht es wieder ans Kofferpacken. Auf nach Prag, in die Hauptstadt der Tschechischen Republik, der neunten Station meiner Europa-Reise. Es wird vorerst die letzte Autoreise sein, da die nächsten Länder schneller mit Flieger, Bahn oder per Schiff zu erreichen sind. Deshalb wollen wir diesmal ganz entschleunigt anreisen und die Autobahn links liegen lassen. Über die kurvigen Landstraßen Österreichs und Tschechiens, vorbei an hügeligen, sattgrünen Wiesen, Wäldern, einsamen Höfen und den letzten Überresten des ehemaligen Grenzübergangs Philippsburg geht es Richtung Prag. Es ist eine nachdenklich stimmende Anreise durch vergessene Landstriche und menschenleere Dörfer, in denen irgendwie die Zeit schon seit Jahren still zu stehen scheint. 75 Prozent der Tschechen sind in den letzten Jahrzehnten in die Städte gezogen, hin zu Arbeit und Wohlstand. ... Oben in der Burg ist es um diese Uhrzeit noch gespenstisch still. Hier auf dem Hradschin, dem größten geschlossenen Burgareal der Welt, residierten nacheinander verschiedene Herrscher, darunter böhmische Fürsten, tschechische Bischöfe, österreichische Habsburger, später auch die Gestapo. Heute ist der monumentale Komplex aus imposanten Gebäuden, Gärten und verwinkelten Gässchen nicht nur Prags beliebteste Touristenattraktion, sondern auch Sitz des tschechischen Präsidenten, Ort für Ausstellungen und Teil des UNESCO-Weltkulturerbes. Klick, klick, klick - Bernd begibt sich sofort auf Motivjagd. Währenddessen genieße ich still und staunend den Ausblick auf das erwachende Prag und die letzten Nebelschleier über dem Wasser der Moldau, die zwischen ihren vielen Brücken aufsteigen und sich in den ersten Sonnenstrahlen auflösen. Ein wahrlich atmosphärischer Ort zum Einstimmen. Wäre ich jetzt Pan Tau, dann müsste ich nur einmal mit dem Finger an meinen schwarzen Zauberhut tippen und schon würde ich am Regenschirm hinunter in die Stadt schweben. Pan Tau, deutsch-tschechischer Fernseh-Serienheld und Freund aus Kindertagen - immer korrekt gekleidet im Stresemann, mit Melone und weißer Nelke im Knopfloch - war sozusagen der Batman für kleine Mädels vom Dorf wie mich. Er ließ mich lange glauben, dass jeder mit dem Schirm fliegen kann, wohin er oder sie will. Alles nur eine Frage der Übung.