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E-Book

Das Weibliche im Mann

Eine Psychologie des Mannes

AutorLoren E. Pedersen
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783105601396
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Der Psychoanalytiker Loren E. Pedersen zeigt, welch immense Bedeutung die Anima, das «Weibliche im Mann», hat und wie verhängnisvoll es für die seelische Entwicklung eines männlichen Menschen sein kann, wenn er ihr nicht die gebührende Beachtung schenkt oder sie gar verdrängt. Dann kommt es zu jener einseitigen Betonung der «männlichen» Werte wie Rationalität, Leistungsdenken, Aggressivität und die «weiblichen» Qualitäten, Sensibilität, Intuition und Mitgefühl, werden unterdrückt. Der Mann verkümmert zum «halben Menschen». Wenn er jedoch lernt, die weibliche Seite seiner Seele wahrzunehmen, wird es ihm gelingen, zur wahren Stärke eines reifen, seiner selbst bewußten Menschen zu gelangen. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Loren E. Pedersen, Psychoanalytiker, veröffentlichte ?Das Weibliche im Mann? erstmals 1991. Der englische Originaltitel lautet ?Dark Hearts?.

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Leseprobe

Die «Energie» des Bewußtseins


Wenn man vom Bewußtsein sagen kann, es «bestehe» aus etwas, dann könnte man es sich als aus Energie bestehend vorstellen. Weiter könnten wir, da Energie sich in Polaritäten auszudrücken scheint, in Begriffen männlicher und weiblicher Energien denken statt männlicher und weiblicher Eigenschaften, die einem spezifischen Geschlecht zugehören oder von diesem getragen werden. In diesem Sinne sind Männlichkeit und Weiblichkeit Polaritäten innerhalb des Bewußtseins selbst, ebenso wie positive und negative Wertigkeiten in unterschiedlichen Anteilen in der Natur koexistieren.

In der prähistorischen, matrilinearen Periode scheint das Bewußtsein als primär weiblich verstanden worden zu sein, wobei der archetypische Symbolismus der Mutter – verbunden mit den Zyklen von Natur, Ackerbau, Fortpflanzung und Geburt – dominierte.

Als die matrilineare Ära in das Patriarchat überging, wurde das Bewußtsein männlicher – das heißt zielorientierter, produktorientierter, geradlinig und wissenschaftlich. Die wissenschaftliche Revolution war eine Hochblüte männlicher Dominanz auf allen Gebieten; um diese Zeit wurde das weibliche Prinzip oder die weibliche Energie vergleichsweise inaktiv. Die veräußerlichten Produkte männlicher Dominanz haben die Lebensqualität durch technologische, wissenschaftliche und medizinische Fortschritte verbessert; gleichzeitig haben sie den Keim gelegt zu einer Technologie und Wissenschaft, die potentiell in der Lage sind, alles Leben zu vernichten.

Historisch und psychologisch wurden Männer und Frauen zunehmend mit den speziellen Eigenschaften von Männlichkeit und Weiblichkeit identifiziert, als gehörten diese Eigenschaften ausschließlich zur Domäne des jeweiligen Geschlechts. Die Begriffe männlich und weiblich wurden derart mit kulturellen Stereotypen und Vorurteilen über die Geschlechterrollen befrachtet, daß Themen wie natürliche sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentifikation heftige Diskussionen darüber auslösten, ob es zulässig sei, eine Eigenschaft oder eine Person überhaupt auf diese oder jene Weise zu etikettieren. In der gegenwärtigen Psychologie und Soziologie sind das Patriarchat und die betonte Männlichkeit nun zur «dunklen Seite» des Bewußtseins geworden, insbesondere aus feministischer Sicht.

Wir werden uns dieser dunklen Seite mehr und mehr bewußt, die sich in Umweltschäden, dem Atomproblem, den immer neuen Kriegen, die von Männern geführt werden, und anderen negativen Folgen der männlichen Dominanz äußert. Männer als «Träger» dieser Tradition sind mit jener dunklen Seite des Bewußtseins untrennbar verbunden. Die zerstörerischen Auswirkungen patriarchalischer Haltungen haben auch zu einer Form von männlichem Masochismus geführt, den Männer unbewußt perpetuieren und gegen sich selbst und gegeneinander richten.

Da die Umwelt und der Planet als solcher allmählich den ihnen zustehenden Platz in der menschlichen Wertskala wieder einnehmen und Frauen nach Gleichheit in allen Lebensbereichen streben, scheint der feminine Pol des Bewußtseins wieder im Aufwind zu sein. Weibliches Bewußtsein scheint in Form von Lebensbejahung wiederaufzutauchen, im Gegensatz zu der Negation, die durch den einseitig überentwickelten Pol der Männlichkeit erfolgte. Frauen lassen sich nicht mehr von der patriarchalischen Attitüde täuschen, die Männer an den Tag legen.

Gleichzeitig werden Männer mit der Notwendigkeit konfrontiert, sich von ihrer übertriebenen Außenorientiertheit zu lösen und sich mit der latenten weiblichen Komponente ihrer eigenen Persönlichkeit zu arrangieren. Die gegenwärtige Herausforderung besteht darin, die männlichen und weiblichen Energien des Bewußtseins innerhalb sowohl der männlichen wie der weiblichen Psyche zu entdecken und ins Gleichgewicht zu bringen.

Mein ursprüngliches Interesse an männlicher Psychologie begann mit der Neugier auf mich selbst als Mann, vor allem im Rahmen meiner Beziehungen zu Frauen und anderen Männern und aufgrund eines Bedürfnisses, die spontanen Produkte meines Unbewußten zu verstehen – meine Träume. Dieses Interesse verstärkte sich, als ich während meines Studiums eine jungianische Analyse begann. Ich fing an, mich zu fragen, ob es überhaupt eine Psychologie des Mannes im Unterschied zu der der Frau gebe, und weiter spekulierte ich, daß Männer vielleicht, so wie Frauen sozial und ökonomisch benachteiligt sind, emotional und spirituell ins Hintertreffen geraten seien.

Als sehr junger Mann habe ich ziemlich intensiv Freud gelesen und großen Respekt für ihn als Pionier in der Erforschung des Unbewußten entwickelt, vor allem wie sie sich in der Traumdeutung manifestiert. Gleichzeitig fand ich nur wenig, das mir zum Verständnis der psychischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen sinnvoll erschien. Tatsächlich empfand ich Freuds Werk in dieser Hinsicht als verwirrend und möglicherweise als Spiegelbild seiner eigenen persönlichen und kulturellen Prägungen.

Es ist bemerkenswert, daß ein großer Teil seiner Psychologie der Frau auf dem Konzept des Penisneides basiert, und implizit baute er seine Psychologie des Mannes (obwohl er es nicht so ausdrückte) weitgehend auf dem Ödipuskomplex auf. Obwohl seit der Entstehung der Psychoanalyse fast hundert Jahre vergangen sind, ist uns ein historisches und theoretisches Erbe geblieben, von dem wir uns psychologisch nicht ganz erholt haben. Die Verwendung dieser Konzepte war nicht nur unfair den Frauen gegenüber, sondern auch den Männern gegenüber sehr ungerecht. Freuds Theorien müssen im Licht seiner persönlichen und kulturellen Determiniertheit, die sein Denken über Männer und Frauen bestimmte, neu bewertet werden.

Das Inzesttabu und der Ödipusmythos waren besonders interessant für mich; die Funktion der symbolischen Aspekte des Inzests ebenso wie sein tatsächliches Ausagieren, einschließlich des psychischen Inzests, sind Themen von großer psychologischer und sozialer Tragweite. In diesem Buch versuche ich, einige der signifikanten Aspekte des Ödipuskomplexes, wie sie speziell für die Vater/Sohn-Beziehung relevant sind, und deren Konsequenzen für den Inzest zu überdenken.

Bei der Lektüre der Werke von C.G. Jung und im Zuge meiner eigenen jungianischen Analyse bekam ich das Gefühl, hier einen lebensfähigeren psychologischen Kontext für das Verständnis meiner selbst als Mann gefunden zu haben, und ich entdeckte auch eine potentielle theoretische Grundlage, um die Männlichkeit verstehen zu lernen. Jungs Konzepte der Archetypen und des kollektiven Unbewußten schienen, verbunden mit meinem Verständnis vom persönlichen Unbewußten, eine fruchtbare Grundlage für die Erforschung der tieferen Aspekte männlichen Verhaltens zu bieten.

Als ich sieben Jahre alt war, hatte ich folgenden Traum:

Ich befinde mich im Heim meiner Kindheit, einem zweistöckigen roten Ziegelhaus ohne Aufzug im nördlichen Chicago. Ich gehe den Gang vor der Wohnung im ersten Stock entlang. Als ich die Treppe erreiche, bemerke ich, daß drei Wurzeln anfangen, durch Löcher in den verputzten Wänden zu brechen und rasch aus einer Seite der Wand herauszuwachsen, um in und scheinbar durch die Wand auf der anderen Seite zu dringen. Während ich nach unten gehe, brechen mehr und mehr Wurzeln aus der Wand, und nach kurzer Zeit sind es so viele, daß ich fast völlig gefangen bin. Ich kämpfe, während ich die Treppe hinuntergehe, und es fällt mir immer schwerer, mir einen Weg durch die Wurzeln zu bahnen. Sie werden so dick, daß es zum Schluß aussieht, als sei es unmöglich, nach draußen zu gelangen. Ich bekomme immer größere Angst und bin sicher, daß es für mich keinen Ausweg mehr gibt. Voller Panik wache ich auf.

Dieser scheinbar einfache Traum gab mir viele Jahre lang Rätsel auf. Erst als ich fast fünfundzwanzig Jahre später mit der Analyse begann, konnte ich anfangen, seine tiefe Bedeutung für mein ganzes psychisches, emotionales und spirituelles Leben zu verstehen. Der ungeheure Eindruck, den er auf mich gemacht hatte, war der erste Hinweis auf einen inneren Vorgang, den ich nicht ignorieren konnte. Dieser Traum half mir, das in Angriff zu nehmen, was ich später als den Individuationsprozeß kennenlernen sollte.

Jung zufolge zeigt die Psyche durch die Individuation – das heißt, das menschliche Wesen erkennt nach und nach die Ganzheit seines Lebens – eine Neigung zum Wachstum und eine natürliche Bewegung in Richtung auf die Integration der Persönlichkeit.[3] Die Psyche hat eine angeborene und natürliche Tendenz, nach «Ganzheit» zu streben. Doch dieser Weg erfordert die Teilnahme des Individuums. Es muß sich der archetypischen Prozesse bewußt werden, die sich durch das Unbewußte mittels Bildern und machtvoller sie begleitender Emotionen bemerkbar zu machen versuchen.

Mein Kindheitstraum sowie eine Reihe späterer Erfahrungen führten dazu, daß ich das etwas verblüffende und irrationale Gefühl bekam, mein Leben liege nicht ganz in meiner Hand. Das heißt, es schien so, als entfalte sich in mir ein Prozeß, den ich nicht voll kontrollierte und dessen ich mir unbedingt bewußt werden mußte, da ich auch den Eindruck hatte, emotional zu stagnieren, und oft schweren depressiven Anfällen ausgesetzt war, die ich nicht verstehen konnte. Ich «gestand» meinem Analytiker diese scheinbar eigenartige Vorwarnung hinsichtlich meiner Entwicklung recht früh und fürchtete, er werde mich für noch kränker halten, als ich war. Zu meiner Erleichterung meinte er nicht nur, dieses Gefühl sei nicht so seltsam, wie ich gedacht hatte, sondern sogar, es sei für mich von größter Bedeutung, es zu fördern.

Durch meine...

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