Es gibt kleine Ereignisse die unerwartet zu etwas ganz Großem werden, dich nicht mehr los lassen und auf eine Reise ins Unbekannte schicken. Im Sommer 2008 passierte mir genau das. Damals, als die Wirtschaftskrise Europa durcheinanderwirbelte und seine Menschen verunsicherte, war ich mit meiner Freundin Angelika auf dem Rückweg von unserer alljährlichen familienfreien Mädelswoche in dem kleinen italienischen Bergdorf Montepertuso, hoch über der Traumküste Amalfis. Eine kleine Frage einer italienischen Zollbeamtin am Flughafen Neapel machte mir damals bewusst, dass in mir ein europäisches Herz schlägt, wenn auch ein verunsichertes, das nur wenig über seine europäischen Nachbarn und Europa weiß. Was vermutlich daran lag, dass in meiner Schulzeit in den 60ern, die EU noch EWG hieß und wie ich, in den Kinderschuhen steckte. Und sich schulische Europa-Bildung in Grenzen hielt, und Woodstocks Lockruf 'love, peace and freedom' meinen jugendlichen Freigeist weit mehr inspirierte, als das staubtrockene Auswendiglernen historischer Jahreszahlen im Geschichtsunterricht. ... Sowohl-als-auch, anstatt Entweder-oder Hier sieht alles so gut aus! Stylische Mode, puristische Bürokomplexe, Kopenhagen ist definitiv eine hervorragend designte Stadt. Aber dabei gar nicht so klar, wie sie anfangs wirkt, sondern auf den zweiten Blick voller Widerspru?che, was beispielsweise die Vorzeige-Aussteiger von Christiania, die dänische Sozial- und Asylpolitik und das Rosinenpicken bei EU-Belangen betrifft. 'Ooh, wir beneiden dich!' Mit diesen Worten haben mich meine Designer-Tochter und ihr Designer-Papa heute Morgen ins Land des guten Designs verabschiedet. Und das liegt ja nun von meinem Zuhause im Norden Deutschlands so nah! In Hamburg in den Zug einsteigen, mit der Fähre u?ber die Ostsee schippern, knapp vier Stunden später betrete ich Kopenhagener Bahnhofsboden. Und damit völliges Neuland, denn ich kenne bislang noch keines der skandinavischen Länder und platze fast vor Neugier, ob ich auf meiner Reise durch Dänemark, Schweden und Finnland als Pendant zu meinen 'Drei baltischen Schwestern' möglicherweise den 'Drei nordischen Bru?dern' begegne. Und ob hier tatsächlich alle groß, blond und blauäugig sind und nackt an ihren Stränden baden. Bei meinen Reisevorbereitungen fiel mir auf, dass ich zuhause einige dänische Kassenschlager besitze. Nein, kein Was-auf-die-Ohren-Klangerlebnis von Bang&Olufsen. Aber Bernd trägt eine schlichte Skagen-Uhr, ich lese am liebsten auf meinem Stuhl des jungen dänischen Möbellabels Hay und erkunde in meinen superbequemen Ecco-Lieblings-Sandalen Europa. Und gemeinsam mit unseren drei Enkelkindern erbauen wir mal eben die Welt neu, natürlich mit dem dänischen Kassenschlager Lego. Und weil ich auch als Oma up to date bleiben will, finden sich in meinem Bücherregal zwei Bücher von Jesper Juul, dem dänischen Familientherapeuten und Messias der aktuellen Elterngeneration. Auch wenn ich als Oma jetzt nicht mehr fürs Erziehen zuständig bin, sondern einzig fürs Liebhaben, mag ich seine pragmatischen pädagogischen Tipps. Wie den, dass man sich um die ungehorsamen Kinder nicht sorgen muss, sondern eher um die gehorsamen. Das hätten mal meine Eltern wissen sollen. Scheint so, als hätten die Dänen ihrem Jesper Juul gut zugehört. Denn das eigentlich als tolerant, locker und liberal geltende Völkchen entwickelt sich zusehends zum aufmüpfigen Mitglied in der Europäischen Unionsgemeinschaft...