Erklärt unsere Welt
Das Weltentstehungsmodell
Wie alles begann
Wie die Welt entstanden ist, war schon immer Gegenstand hitziger Debatten. Welche Version sagt Ihnen zu?
Das Ende-der-Geschichte-Modell
Was passiert, wenn nichts mehr passiert?
Es gibt eine ganze Reihe Theorien, die sich direkt oder indirekt der Frage widmen: Was ist der Motor der Geschichte?
Thomas Hobbes glaubte an den Selbsterhaltungstrieb, Adam Smith an das Eigeninteresse, Karl Marx an den Klassenkampf. Georg Wilhelm Friedrich Hegel sagte, die Lokomotive, die uns von der frühzeitlichen Stammesgesellschaft über die Knechtschaft bis zur Demokratie führte, sei der »Kampf um Anerkennung«. Seiner Geschichtsphilosophie zufolge geht es in der historischen Entwicklung um die Anerkennung des Individuums. Die Geschichte endet in einem Zustand ohne politische Widersprüche, in dem das Bedürfnis der Menschen nach Anerkennung befriedigt ist: im liberalen demokratischen Staat. (Karl Marx hatte einen ähnlichen Ansatz, die von ihm beschriebene Entwicklung hat jedoch ein anderes Ziel: die kommunistische, klassenlose Gesellschaft, in der nicht Anerkennung das Schlüsselwort ist, sondern Umverteilung.) Hegel glaubte, das Ende der Geschichte sei 1806 erreicht worden, als Napoleon die Preußen bei Jena schlug und damit den Triumph der Französischen Revolution über die Aristokratie markierte. Auch Friedrich Nietzsche bezog sich auf Hegel. Er nannte die Person, die jene Hegel’sche Anerkennung erhalte, den »letzten Menschen«: »Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: Man ist klug und weiß alles (…), man ehrt die Gesundheit. ›Wir haben das Glück erfunden‹, sagen die letzten Menschen und blinzeln.«
In den 1990ern griff der Politologe Francis Fukuyama die Idee vom Ende der Geschichte auf und proklamierte, dieses sei mit dem Ende des Kalten Krieges eingetroffen, weil nur noch ein System existiere: der liberale Kapitalismus. Er bekam viel Gegenwind. Die Anschläge vom 11. September nannten seine Kritiker »das Ende vom Ende der Geschichte«. Am deutlichsten widerlegt wurde Fukuyama durch die Tatsache, dass Großmächte wie Russland und China nach wie vor autoritäre Herrschaftssysteme sind, die mit liberaler Demokratie wenig gemein haben und trotzdem dank des Kapitalismus mächtig werden.
Fukuyama verteidigte seinen Standpunkt, indem er darauf hinwies, dass die jüngste Finanzkrise zu keinen grundlegenden Änderungen in der kapitalistischen Weltwirtschaftsordnung geführt habe und dass jüngere Revolutionen – wie etwa die im arabischen Raum – nach westlichen liberalen Werten strebten. Kurz: Die Geschichte sei noch immer zu Ende.
Und was jetzt? Fukuyama prophezeite für die Zeit nach dem Ende der Geschichte eine große Langeweile. Das furchtbare Gefühl, dass in einer Welt ohne Widersprüche, in der alles möglich ist, nichts von Wert sei. Welche Folgen sind denkbar?
- Die Geschichte könnte wieder beginnen. Oder sich wiederholen.
- Eine Rückkehr zu Nationalstaatlichkeit, wie man sie im krisengebeutelten Europa erlebt.
- Eine Renaissance des Kommunismus.
- Ein Schritt in eine neue Weltordnung.
»Es ist völlig falsch zu denken, die (arabischen) Revolutionäre wollten den gleichen liberalen Kapitalismus wie der Westen. Sie wollen mehr.« Slavoj Žižek
Das Bild zeigt die Stadien der Gesellschaftsentwicklung von den ersten Stämmen bis zur Demokratie. Was war der Motor dieses Fortschritts?
Das »Is the New«-Modell
Warum X das neue Y ist
Für dieses Modell wurden bei Google auf Englisch Variationen des Satzes »x is the new …« eingegeben (z. B. »Green is the new …« oder »Bin Laden is the new …«). Sie sehen eine zufällige Auswahl.
Das 3 T-Modell
Warum Städte die neuen Nationen sind
2002 vertrat der Urbanist Richard Florida eine erstaunliche These: People follow jobs? Das war gestern. Heute gilt: Jobs follow people. Folglich gibt es im 21. Jahrhundert einen Kampf um Kreative, da Wachstum und Kreativität eng miteinander verbunden sind. Und gewinnen werden diesen Kampf nicht Nationen, sondern Städte und Regionen, in denen die »3 Ts« zusammenkommen:
- Technology: Wachstum braucht Technologien. Und Hochtechnologiezentren sind attraktive Arbeitgeber.
- Talent: Wachstum braucht Kreative – Entrepreneure, Programmierer, Künstler.
- Tolerance: Wachstum braucht Offenheit. Einwanderung und alternative Lebensentwürfe sind keine Bedrohung für zukünftigen Erfolg (wie Europas Neokonservative gern behaupten), sondern seine Voraussetzung. Veränderung entsteht durch Offenheit.
Wir ergänzen die »3 Ts« noch um ein viertes:
Time-Perspective: Florida sagt auch: Kreativität wird stimuliert durch Austausch, sie findet statt in Gemeinschaften und an realen Orten. Es reicht also nicht, einen Haufen Kreativer zusammenzuwerfen, sie auszusaugen und dann neue zu holen. Kreativität entsteht nicht in Skype-Konferenzen. Kreativität entsteht durch Beziehungen zwischen Menschen. Wenn ein Unternehmen seine Angestellten mehrere Jahre binden kann, entsteht Vertrauen, entsteht Toleranz, entsteht Kreativität. Dasselbe gilt übrigens auch für Beziehungen zu Städten oder Regionen.
Wo haben Sie bislang gearbeitet? Wo würden Sie gern leben?
»4 T«-Orte: San Francisco, Kopenhagen, Portland, München.
Das Rhizom-Modell
Wie Sie alles in Frage stellen können
Die meisten Welterklärungsmodelle der Menschheitsgeschichte gehen von der Vorstellung aus, dass es einen Kern gibt, einen Moment, einen Ursprung, einen Anfang, eine Wurzel, von dem oder der aus sich alles linear entwickelte. Zuerst lebten wir in Höhlen, entdeckten das Feuer, erfanden dann das Rad, die Demokratie, die Aufklärung, Menschenrechte, den Mikrochip. Bildlich wird diese Entwicklung oft als Baum dargestellt mit Wurzeln, einem Stamm und Ästen, die zum Licht streben – doch so viele Verästelungen es auch gibt, alles lässt sich bis zu einem gemeinsamen Anfangspunkt zurückverfolgen. Dieses klassische epistemologische Modell, auch »Baum des Lebens« genannt, liegt der gesamten abendländischen Geistesgeschichte zugrunde: von Platons Dihairese und John Stuart Mills Homo oeconomicus über Freuds Ödipus-Komplex, der erklärt, dass alle psychischen Zustände auf ein traumatisches Moment zurückzuführen sind – die Trennung des Kindes von der Mutter – bis zu Chomskys Satz-Baum.
Man ahnt, dass die Baummetapher ungenau ist, aber sie leuchtet ein. Sie passt in unser Ursache-Wirkungs-Schema. Sie passt zu unserer Fortschrittsgläubigkeit: Wir orientieren uns grundsätzlich an jenen, die zwei Stufen weiter oben stehen, nie umgekehrt. Die Entwicklung verläuft also immer linear von unten nach oben, von einer niedrigen zu einer höheren Stufe, von barbarisch zu zivilisiert. Das Baumbild passt zu unserer Idee der Verwurzelung: Wir brauchen starke Wurzeln, um gedeihen zu können. Auf dieser Idee fußen Konzepte wie Nationalismus, Herkunft, Identität oder die biologische Familie als Urzelle der Gemeinschaft.
Die beiden französischen Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari hinterfragten dieses Baummodell: Es sei nicht offen für Veränderungen und naturalisiere ein hierarchisch strukturiertes System, das festlegt, was niedriger und was höher entwickelt sei. Stattdessen schlugen sie vor, das Leben horizontal zu denken, also nicht als Entwicklung von unten nach oben, sondern als dezentrale Bewegung in alle Richtungen. Ihr Rhizom-Modell zeigt eine Ordnung, bei der alle Elemente untereinander verbunden sind, sich kreuzen und trotzdem unabhängig voneinander sein können. Der Begriff Rhizom stammt aus der Botanik und bezeichnet wurzellose Pflanzen wie Maiglöckchen, Ingwer oder Färbergras. Manche sagen, das Internet hätte eine rhizomatische Struktur. Es ist ein riesiges Netzwerk, dessen Teile miteinander verknüpft sind, es hat keinen Anfang und kein Ende, es gibt keinen Ist-Zustand, nur ein kontinuierliches Werden.
Wollte man das deleuzianische Denken mit einem Satz erklären, könnte man schreiben: horizontal statt vertikal. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet der Kartograph einer horizontalen Ordnungsstruktur sich mit einem vertikalen Sturz aus dem Fenster das Leben nahm.
Übertragen auf uns lässt sich fragen: Ist es vorstellbar, dass wir gar nicht auf einer Leiter stehen, uns also nicht vertikal entwickeln, sondern horizontal? Dass wir nicht immer besser werden, sondern bloß anders?
»Wozu sind Wurzeln gut, wenn man sie nicht mitnehmen kann?« Gertrude Stein
Achtung: Dies ist keine rhizomatische Darstellung, denn sie hat immer noch einen Mittelpunkt: Sie. Betrachten Sie das Modell und fragen Sie sich: Wer bin ich und wie viele?
Könnten Sie sich eine Welt vorstellen, in der Sie nicht im Zentrum stehen? In der es vielleicht gar kein Zentrum gibt?
Das Back-of-the-Napkin-Modell
Warum Fliegen so billig geworden ist
1967 saß der Anwalt Herb Kelleher mit seinem Klienten Rollin King im St. Anthony Club in San Antonio. Sie führten die Liquidation von Kings gescheiterter Fluggesellschaft durch. Doch kampflos wollte King nicht aufgeben. Er nahm eine...