Die folgenden Ausführungen geben einen groben Überblick über den Aufbau und den Inhalt des Raumordnungsgesetzes des Bundes und erläutern die wesentlichen Begriffe des Raumordnungsrechts. Das Raumordnungsgesetz des Bundes ist in vier Abschnitte geteilt. Der erste Abschnitt enthält allgemeine Vorschriften über Aufgabe, Leitvorstellung und Grundsätze der Raumordnung sowie über Begriffsbestimmungen und die Bindungswirkung raumordnerischer Erfordernisse. Der zweite Abschnitt regelt die rahmenrechtlichen Vorgaben über die Raumordnung in den Ländern, während im dritten Abschnitt die Raumordnung im Bund angesprochen ist und schließlich der vierte Abschnitt Überleitungs- und Schlussvorschriften beinhaltet.
§ 1 ROG statuiert als Aufgabe der Raumordnung, dass der Gesamtraum der Bundesrepublik Deutschland und seine Teilräume durch Raumordnung und durch Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen nach dem Gegenstromprinzip zu entwickeln, zu ordnen und zu sichern sind. Für die Aufgabenerfüllung formuliert § 1 Abs. 2 Satz 1 ROG noch eine Leitvorstellung, die 1998 in das ROG eingeführt worden ist. Sie besteht in der nachhaltigen Raumentwicklung (dem sog. Nachhaltigkeitsprinzip), die die sozialen und wirtschaftlichen Ansprüche an den Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang bringt und zu einer dauerhaften großräumig ausgewogenen Ordnung führt. Der Begriff der Nachhaltigkeit entstammt der Agenda 21, des Ergebnisses des Umweltgipfels der Vereinten Nationen, der 1992 in Rio de Janeiro stattgefunden hat. Nachhaltig ist eine Entwicklung oder Maßnahme nur, die dauerhaft umweltgerecht ist, d. h. wenn sie auch langfristig nicht zu Belastungen und Verschlechterungen der Umwelt führt. Diese sehr abstrakte Leitvorstellung spezifiziert das Gesetz nunmehr in § 1 Abs. 2 ROG und bestimmt deren Funktion im Gefüge zwischen Aufgabenzuweisung durch § 1 Abs. 1 ROG und den Grundsätzen der Raumordnung in § 2 Abs. 1 ROG. Die Leitvorstellung ist somit Handlungsmaxime bei der Erfüllung der Aufgabe der Raumordnung nach § 1 Abs. 1 ROG und Auslegungs- und Anwendungsmaxime der Grundsätze der Raumordnung nach § 2 Abs. 1 ROG.
§ 1 Abs. 3 ROG hält weiter am sog. Gegenstromprinzip fest, indem er bestimmt, dass sich die Ordnung der Teilräume in die Ordnung des Gesamtraumes einfügen und umgekehrt die Ordnung des Gesamtraumes die Gegebenheiten und Erfordernisse der Teilräume berücksichtigen soll. Dieses Prinzip muss von allen Trägern der Raumordnung beachtet werden. Dabei haben die übergeordneten Träger der Raumordnung (z.B. Staatsministerium des Innern, vgl. § 19 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 SächsLPlG 2010) die Plicht zu einer angemessenen Berücksichtigung der Belange der Teilräume (bspw. der Gemeinden) und der untergeordneten Planungsträgern. Die im Planungssystem nachgeordnete Planung muss dagegen die allgemeinen Grundsätze der übergeordneten Planungsebene beachten und sich an die Ziele der Raumordnung halten.
Das neue ROG unterscheidet stärker als bisher zwischen Zielen und Grundsätzen der Raumordnung. Beide sind unter dem Oberbegriff der Erfordernisse der Raumordnung zusammengefasst und unterscheiden sich vor allem hinsichtlich der Bindungswirkung (vertieft dazu unter 2.2. „Insbesondere Ziele und Grundsätze der Raumordnung“). Im Einzelnen gilt Folgendes:
Ziele der Raumordnung sind in § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG legal definiert als verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Landes- oder Regionalplanung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen den Raumordnungsplänen zur Entwicklung, Ordnung und Sicherung des Raumes.
Grundsätze der Raumordnung, deren Begriff durch die Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG festgeschrieben ist, sind allgemeine Aussagen zu Entwicklung, Ordnung und Sicherung in oder aufgrund von § 2 ROG als Vorgaben für nachfolgende Abwägungs- und Ermessensentscheidungen. Grundsätze der Raumordnung sind demnach vor allem im ROG selbst enthalten, die Länder können jedoch, wie dies bspw. im Landesentwicklungsplan von Sachsen oder anderen Raumordnungsplänen geschehen ist, weitere Grundsätze der Raumordnung etablieren und von den Grundsätzen des ROG abweichen (zum Streit um die Abweichungsbefugnis Ritter, ARL 3/2006, 12; Degenhardt, NVwZ 2006, 1209). Nach der Legaldefinition in § 3 Abs. 1 Nr. 3 ROG enthält der § 2 Abs. 2 ROG eine Liste mit räumlichen und fachlichen Grundsätzen der Raumordnung. Zugleich enthält § 2 Abs. 1 ROG die Aufgabe, die Grundsätze der Raumordnung im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips anzuwenden und in den Raumordnungsplänen zu konkretisieren, soweit dies erforderlich ist.
Die bundesrechtlich vorgegebenen Grundsätze und sonstige Erfordernisse der Raumordnung (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 4 ROG) sind also darauf angelegt, in Ziele der Raumordnung umgesetzt zu werden. Diese Konkretisierungsaufgabe ist allerdings den Landesplanungsstellen vorbehalten. Wegen des Gebots der Normenklarheit und Erkennbarkeit müssen Ziele der Raumordnung im jeweiligen Raumordnungsplan klar erkennbar als solche gekennzeichnet sein (§ 7 Abs. 4 ROG). Dies ist im Landesentwicklungsplan und den anderen Raumordnungsplänen und deren textlichen Festlegungen durch die Verwendung von Ziffern geschehen. Grundsätze sind durch ein „G“ gekennzeichnet (vgl. Präambel zum Landesentwicklungsplan Sachsen 2013), Ziele der Raumordnung durch ein „Z“.
Hinsichtlich ihrer Bindungswirkung unterscheiden sich Ziele und sonstige Erfordernisse der Raumordnung ganz erheblich. Ziele sind als landesplanerische Letztentscheidungen von den öffentlichen Stellen und juristischen Personen des Privatrechts, an denen die öffentliche Hand mehrheitlich beteiligt ist, bzw. die öffentliche Aufgaben wahrnehmen, bei raumbedeutsamen Maßnahmen zu „beachten“ (§ 4 Abs. 1 ROG). Sie können insbesondere nicht durch Abwägung relativiert werden (Vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 20.08.1992 – 4 NB 20.91 –, BVerwGE 90, 329). Im Gegensatz dazu verpflichtet § 4 Abs. 2 ROG den Adressaten der Berücksichtigungspflicht bei Grundsätzen der Raumordnung „nur“ dazu, den entsprechenden Aspekt in die planerische Abwägung einzustellen.
Eine Privilegierung sogenannter Bundesmaßnahmen bewirkt § 5 ROG. Öffentliche Stellen des Bundes und solche, die „Bundesaufgaben“ wahrnehmen, haben ein auf zwei Monate befristetes Widerspruchsrecht gegen landesrechtlich festgelegte Raumordnungsziele. Vorgeschaltet ist jedoch ein Konsensfindungsverfahren. Der Zweck der Vorschrift besteht darin, die Realisierbarkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen von den in § 5 ROG genannten Handlungsträgern, gegenüber entgegenstehenden abwägungsfehlerhaften Zielen der Raumordnung oder wenn keine anderweitigen geeigneten Flächen zu deren Realisierung vorhanden sind, dadurch zu fördern, dass zusätzlich zu den Rechtsschutzmöglichkeiten ein Konfliktbereinigungsverfahren zur Verfügung gestellt wird.
Der im ROG und im SächsLPlG verwendete Begriff der „Ziele der Raumordnung“ ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwGE 90, 329) entstanden und nunmehr in § 3 Abs. 1 Nr. 2 ROG gesetzlich definiert. Nach dem Gesetzeswortlaut liegt ein „Ziel der Raumordnung“ vor, wenn es sich um verbindliche Vorgaben in Form von räumlich und sachlich bestimmten oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen textlichen oder zeichnerischen Festlegungen in Raumordnungsplänen handelt. Die Unterscheidung zwischen Zielen und Grundsätzen der Raumordnung erlangt in der Praxis ihre Relevanz durch die unterschiedliche Bindungswirkung. Ziele der Raumordnung besitzen nach § 4 Abs. 1 ROG bei „raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen öffentlicher Stellen, Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen anderer öffentlicher Stellen, Entscheidungen öffentlicher Stellen über die Zulässigkeit raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen von Personen des Privatrechts, die der Planfeststellung oder der Genehmigung mit der Rechtswirkung der Planfeststellung bedürfen“ Bindungswirkung, indem sie zu beachten sind. Ziele können sowohl verwaltungsinterne Wirkungen, wie auch Außenwirkungen gegenüber anderen Rechtsträgern, beispielsweise Privaten, entfalten (Runkel, in: Spannowsky/Runkel/Goppel, ROG Kommentar, 1. Aufl. (2010), § 3 Rdnr. 52.). Weiterhin können Ziele nicht durch Abwägungs- oder Ermessensentscheidungen übergangen werden (Jarass/Schnittker/Milstein, JuS 2011, S. 215), sondern nur wenn im Raumordnungsplan selbst Ausnahmen festgelegt wurden (§ 6 Abs. 1 ROG) oder „wenn die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar ist und die Grundzüge der Planung nicht berührt werden“ (§ 6 Abs. 2 ROG). Antragsberechtigt sind die öffentlichen Stellen und die Personen des Privatrechts, die das Ziel, von dem eine Abweichung zugelassen werden soll, zu beachten haben...