Einleitung: Psychische Ressourcen – Ihr Erfolgskapital der Zukunft
Ich freute mich auf mein erstes Interview mit der FAZ. Ziel meiner Arbeit ist es, körperliches und geistiges Wohlbefinden aus verschiedenen Blickrichtungen zu beleuchten. So beschäftigt mich auch das Thema Burnout, für das ich angefragt wurde. Ein heißes Eisen, bei dem man zwischen Sättigung und Sorge hin und her schwankt. Ich hatte die Daten meiner aktuellen Recherchen geliefert, Telefon- und Veröffentlichungstermin waren vereinbart. Meistens mache ich mir Notizen zu den wichtigsten Aspekten eines Themas, bevor ein Interview stattfindet. So habe ich immer passende Informationen zu bieten. Dementsprechend fühlte ich mich gut vorbereitet – bis zur ersten Frage: »Frau Bürgel, hatten Sie schon einmal Burnout«? Ich war überrascht. Keine Frage zu Theorie, Wissenschaft oder Hintergrund, sondern eine sehr persönliche.
»Erfreulicherweise nicht. Doch ich weiß, was es heißt, überarbeitet zu sein«, antwortete ich nach einer kurzen Irritation. Wie ich das denn hinbekäme bei meinem arbeitsreichen und reiseintensiven Leben? Schon sind wir mittendrin in einem Austausch über meine eigenen Erfahrungen und Lebensprinzipien.
Ja, wie mache ich das? Diese Frage höre ich immer öfter, wenn ich Vorträge halte. Woher nehme ich persönlich meine Gelassenheit und Energie? Ich beantworte diese Frage gern und werde es auch in diesem Buch tun. Weil Authentizität zählt. Es ist ein Unterschied, ob jemand ein Thema nur erforscht oder ob er es erforscht und selbst auch lebt. Ob jemand hinter dem steht, was er sagt. Genau das möchte ich. Denn meiner Meinung nach dürfen Menschen, die andere beraten wollen, mit besonders hohen Erwartungen konfrontiert werden. Warum sollten sie sonst das Recht haben, zu beraten? Empfehlungen auszusprechen und Tipps zu geben hat ja immer auch etwas mit »besser wissen« zu tun. »Besser machen« ist meine Devise. Mein erklärtes Ziel ist es vorzuleben, dass das, was ich lehre, auch funktioniert. In einem richtigen Alltag, nicht nur in der Theorie.
Fragen Sie sich gerade, ob ich es möglicherweise leichter habe als Sie, weil ich ein besonders angenehmes Arbeitsthema habe? Es ist für mich genauso leicht oder schwer wie für Sie. Wir alle treffen täglich hunderte von Entscheidungen, die oft leider nicht von Selbstfürsorge und Selbstrespekt geprägt sind, sondern von »Sollen«, Pflichten, Sorgen und negativen Emotionen.
Ich habe deshalb bei meiner Arbeit neben der Sichtung der Studien aus Psychologie und Gehirnforschung immer ein Auge auf die Praxis. Ich suche nach Konzepten, die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Nur dann lohnt es sich, danach zu leben. So bin ich auf die Positive Psychologie gestoßen. Die Wissenschaft, die erforscht, was Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Gesundheit ausmachen. Auf ihren Spuren entdeckte ich das Konzept des Psychologischen Kapitals. Es entsprang der Idee, die Positive Psychologie in der Wirtschaft zu etablieren. Der Faktor Mensch rückte in den Mittelpunkt des unternehmerischen Erfolgs.
Wenn sich England mit dem Wirtschaftsfaktor Glück befasst, Japan die Mitarbeiter mittags schlafen lässt, Unternehmen wie Google Spielecken im Haus einrichten und sich Angela Merkel seit 2013 mit dem Bruttoinlandsglück-Index befasst, dann nicht deshalb, weil es sonst nichts zu tun gäbe. Sie alle tun es, weil die Effekte überzeugen und händeringend nach neuen Lösungen für die Zukunft der Arbeit und Gesellschaft gesucht wird.
! Wir müssen für ein neues Morgen vorbereitet sein, auch wenn wir lieber alles beim Alten ließen.
Die Zukunft wartet mit neuen Anforderungen auf uns Menschen. Gefragt sind Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Selbstorganisation und ständige Weiterentwicklung. In immer kürzerer Zeit sollen wir immer mehr leisten, sollen engagiert, leistungs- und lernfähig bis ins immer höhere Alter in Beruf und Privatleben sein. Doch wie soll das gehen? Wir haben schon viele Jahre über unsere Kräfte gelebt. Mit Sorge betrachten viele Menschen ihre Zukunft. Wie können wir dieser neuen Welt weiter gerecht werden, wie unseren Lebensstandard halten?
Es geht nicht mehr um Wellness wie in den 80ern und 90ern, nicht mehr um Illusionen wie um den Jahrtausendwechsel, sondern um Existenzielles. Wer gut für sich selbst sorgt und seine psychischen Ressourcen versteht, kann von der neuen Welt enorm profitieren. Das eigene Wohlbefinden kristallisiert sich dabei immer wieder als Mediator zwischen Anforderungen und individuellen Potentialen heraus. Menschen arbeiten genauso gut oder schlecht, wie sie sich fühlen.
Leistungsfähige, engagierte Mitarbeiter sind der Mittelpunkt jedes Unternehmens. Sie werden immer kostbarer im »Schneller, höher, weiter« unserer Arbeitswelt. Die Dynamik der Märkte und der Welt nimmt zu und mit ihr der Druck, dem die Menschen im Unternehmen und zu Hause ausgesetzt sind. Globalisierung, Flexibilisierung, demografischer Wandel.
Was treibt uns wirklich an, mehr zu leisten und uns einzubringen? Geld? Ansehen? Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass persönliches Wohlbefinden unsere Leistungsfähigkeit mehr fördert als die pure Freude an der Aufgabe. Experten haben festgestellt: Ein Mitarbeiter, dem es gut geht, erledigt seine Arbeit besser als einer, dem es schlecht geht. Selbst dann, wenn ihm die entsprechende Aufgabe keinen Spaß bereitet.
Positive Emotionen helfen uns dabei, unsere psychischen Ressourcen vollständig auszuschöpfen. Dies führt zu mehr Wohlbefinden, und mehr Wohlbefinden zu einer nachhaltigen Aufwärtsspirale von Selbstmotivation und Spitzenleistung.
Können Sie sich mit dieser Sichtweise schon anfreunden? Erfolge wurden in Deutschland bislang doch eher über die klassischen Tugenden wie Disziplin und Anstrengung erzielt. Damit haben wir viel erreicht. Doch wir kommen allein damit nicht mehr weiter. Wie gelingt es, Wohlbefinden dauerhaft und möglichst unabhängig von anderen Menschen und den Umständen zu erreichen? Der bewusste Einsatz unserer psychischen Ressourcen ist der Schlüssel dazu.
! Psychische Ressourcen wurden bislang unterschätzt.
Der Ressourcenbegriff ist uns aus dem täglichen Umgang vertraut. Meistens verwenden wir ihn im Sinne der französischen Herkunft als »Mittel« oder der lateinischen als »Quelle«. Erst in den 50er- bis 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts begann die Wirtschaftswissenschaft, sich mit dem »Humankapital« als Produktivitätsfaktor zu beschäftigen. Der Fokus lag dabei auf dem Wissen und der Ausbildung der Menschen. Interessanterweise wurde lange übersehen, dass Wissen kopier- und replizierbar ist. So ist der Wettbewerbsvorteil erfahrener Mitarbeiter und Experten im Haus zwar ein kostbares Gut, sein Gewicht wird von Haltungen und Stärken der Menschen im Unternehmen aber noch übertroffen. Das Engagement, die Begeisterung, die Kreativität von Mitarbeitern machen sich täglich positiv oder negativ bemerkbar und sind unvergleichlich in der Wirkung.
Zahlreiche Untersuchungen haben inzwischen nachgewiesen, dass Einsatz und Ausbau der psychischen Ressourcen Gesundheit, Arbeitszufriedenheit, Engagement, Einzelleistung und Teamleistung verbessern. Voraussetzung dafür ist, dass wir unsere Ressourcen kennen, nutzen, pflegen und entwickeln. Wir stärken uns und andere, sind Vorbild und Modell. So wird es uns auch gelingen, das negative Stimmungsruder bei der Arbeit herumzureißen.
Zurück zu meinem Interview: Als ich nach meinen Erfahrungen mit dem Thema Burnout gefragt wurde, konnte ich schildern, dass mein Leben in Balance auf feste Rituale wie Yoga oder Meditation baut. Auf regelmäßiges Essen und klare Tagesstrukturen, an die ich mich – zum Beispiel bei...