EINLEITUNG
Wie ich das Geheimnis der erfolgreichen Kommunikation mit Kleinkindern entdeckte
Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landstriche zu suchen, sondern darin, mit neuen Augen zu sehen.
Marcel Proust
Was ist nur aus Ihrem Baby geworden? Eben noch wiegten Sie ein winziges Neugeborenes im Arm, und das gesamte Elterndasein lag vor Ihnen. Und nun, ehe Sie wissen, wie Ihnen geschieht, ist Ihr Nachwuchs auf einmal ein ganz Anderer – süßer denn je, aber plötzlich eigenwillig, trotzig und schnell wie ein Wiesel. Willkommen im Kleinkindalter!
Das Kleinkindalter ist einer der fröhlichen Höhepunkte des Elterndaseins. Niemand kann Ihnen die Welt auf eine so wunderbare neue Weise nahebringen wie ein Ein-, Zwei- oder Dreijähriges: die Käfer im Gras, die Form der Wolken, die Burgen in einem Sandhaufen … Kleinkinder quellen über vor Neugier, Begeisterung und unwiderstehlichem Charme.
Aber, wie alle Eltern wissen, ist diese Zeit nicht nur ein Zuckerschlecken. Das Kleinkindalter ist wie drei Teile Fiesta gemischt mit zwei Teilen Ringkampf und einem Teil Dschungelexpedition. Deshalb erleben viele Eltern um den ersten Geburtstag ihres Kindes herum einen kleinen »Zusammenprall der Kulturen«, da Verhalten und Wünsche ihres Kleinkindes es unweigerlich auf Kollisionskurs mit den Regeln und Erwartungen der Familie bringen.
Ein wichtiger Grund für das »wilde« Verhalten von Kleinkindern ist die explosive Gehirnentwicklung, die sich in diesen ersten Jahren vollzieht und durch die sie oft aus dem Gleichgewicht geraten. Zwischen seinem ersten und vierten Geburtstag geht Ihr Kind auf eine spannende Reise, vergleichbar mit einem Ritt auf einem galoppierenden Pferd, durch die es sich – direkt vor Ihren Augen – auf magische Weise von einem tapsigen, gurgelnden (und liebenswerten) kleinen Geschöpf zu einer singenden, scherzenden, gedankenvollen kleinen Persönlichkeit wandelt.
Aber für diesen Fortschritt ist ein Preis zu zahlen – hauptsächlich durch Beanspruchung Ihres Rückens, Ihrer Geduld und Ihrer geistigen Gesundheit. Jeder, der mit einem Kleinkind zusammenlebt, weiß, wie schnell sich das emotionale Klima verändern kann. In einem Augenblick herrscht eitel Sonnenschein. Und im nächsten – peng! – weint und schreit das Kind und hat einen Trotzanfall (oft an den unpassendsten Orten). Trotz bester Absichten haben Sie möglicherweise das Gefühl, dass die einzigen Wörter, die aus Ihrem Mund kommen, »Nein!«, »Halt!« und »Nicht anfassen!« sind. Und das ist kein Vergnügen.
Kein Wunder, dass Fragen in Bezug auf Geduld, Bereitschaft zum Teilen und ungestümes Benehmen ganz oben auf der Liste der Dinge stehen, mit denen Eltern zum Kinderarzt kommen. Hunderte von Büchern und Tausende von Artikeln, die zu diesem Thema geschrieben wurden, beweisen, dass Sie nicht allein sind, wenn es Ihnen schwerfällt, mit dem Verhalten Ihres Kleinkindes umzugehen.
Seit Menschengedenken haben sich zahllose Generationen von Eltern bemüht, ihren Kleinkindern gutes Benehmen beizubringen. Allzu oft wurden Schläge und Drohungen eingesetzt, um sie zu disziplinieren. Eltern, die ihre stürmischen Kleinkinder nicht schlugen, wurden davor gewarnt, dass ihre Kinder zu verwöhnten und aufsässigen Jugendlichen heranwachsen würden.
Glücklicherweise verloren körperliche Züchtigungen vielerorts schon vor mehr als 50 Jahren als Erziehungsmittel an Bedeutung. Allerdings wurden sie nur zu oft gegen einen weiteren sehr negativen Ansatz eingetauscht – verbale Aggression. Eltern reagierten auf unerwünschtes Verhalten von Kleinkindern oft mit verbalen Angriffen wie »Du bist dumm!« oder »Halt den Mund, oder ich geb dir einen Grund zum Weinen!«.
In den letzten 30 Jahren haben wir die destruktive Wirkung von Zurückweisungen und verletzenden Worten erkannt. Wir haben allmählich begonnen, Eltern dazu zu ermutigen, auf die Gefühlsausbrüche ihrer Kinder liebevoll und vernünftig zu reagieren. Leider bewirkt man mit geduldigen Erklärungen und respektvoller Ansprache zwar viel bei größeren Kindern, aber wenn es darum geht, aufgebrachte Kleinkinder zu beruhigen, scheitert dieser Ansatz oft.
Wenn aber die für ältere Kinder geeignete Form der Kommunikation nicht die Antwort ist, was können Eltern dann tun, um ein freundliches, kooperatives Kleinkind aufzuziehen? Sehr viel! Aber bevor Sie mehr darüber erfahren, eine merkwürdige, aber äußerst wichtige Tatsache vorab:
Kleinkinder sind nicht einfach Miniaturversionen von älteren Kindern. Ihr Gehirn ist viel unreifer, was dazu führt, dass ihr Denken viel rigider und schlichter und ihr Verhalten ziemlich … »unzivilisiert« ist. Während der nächsten Jahre wird Ihre Aufgabe als Eltern darin bestehen, Ihr Kind zu »zivilisieren«: ihm beizubringen, »Bitte« und »Danke« zu sagen, zu warten, bis es an die Reihe kommt, und auf das Töpfchen zu gehen.
Dass Kleinkinder anders »ticken« als ältere Kinder, wurde mir als junger Kinderarzt bewusst. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn folgte ich dem Rat der Lehrbücher und sprach geduldig mit den weinenden Kleinen, die ich untersuchte. Aber meine freundlichen Worte stießen oft auf taube Ohren, und die Kinder schrien noch mehr! Also probierte ich andere Vorgehensweisen aus.
Ich versuchte es mit Ablenkung (»Schau mal, das lustige Spielzeug!«), Beruhigung (»Siehst du, es kitzelt nur.«), Mitgefühl (»Ich weiß, dass du Spritzen nicht magst, aber …«) und Respekt (»Darf ich mal nachsehen, ob deine Ohren innen drin gesund sind?«). Aber meine liebevollen Worte prallten einfach an ihnen ab. Was den praktischen Nutzen anging, hätte ich ebenso gut Suaheli sprechen können. Trotz meiner besten Absichten endeten viele Vorsorgeuntersuchungen damit, dass eine frustrierte Mutter ein panisch schreiendes Kind hielt, das von einem verlegenen, nervösen Arzt untersucht wurde.
Dann hatte ich eines Tages eine Eingebung: Kleinkinder denken nicht wie ältere Kinder – warum also mit ihnen reden wie mit älteren Kindern?
Im Vergleich zu älteren Kindern haben Kleinkinder ein unreifes Gehirn (was kaum überrascht), und wenn sie aufgeregt sind, wird das Zentrum im Gehirn, das für Sprache, Logik und Geduld zuständig ist, buchstäblich ausgeschaltet. Kein Wunder, dass sie impulsiv reagieren und gewissermaßen »primitives Verhalten« zeigen. (Zu Ihrer Information: Dieselbe Veränderung geschieht im Gehirn eines Erwachsenen, wenn er sich aufregt. Deshalb toben und schimpfen wütende Erwachsene – und werden ungeduldig, irrational und mitunter ziemlich »primitiv«!)
Heureka! Plötzlich fügte sich alles sinnvoll zusammen. Es war kein Zufall, dass es bei Familie Feuerstein ein Kleinkind namens Bamm-Bamm gab. Aufgeregte Kleinkinder spucken, kratzen und schreien, weil ihr gestresstes Gehirn die Kontrolle aufgibt. Innerhalb von Sekunden wird aus einem kleinen Kind eine Art Conan, der Barbar. Und je mehr sie sich aufregen, desto wilder verhalten sie sich.
Ich testete meine neue Theorie, indem ich gegenüber meinen ungehaltenen kleinen Patienten eine sehr schlichte, sehr einfache Sprache anwandte (etwa wie Tarzan), und stellte erstaunt fest, dass ich oft in weniger als einer Minute ihre Tränen zum Versiegen bringen und ihnen sogar hin und wieder ein Lächeln entlocken konnte! Es war ein enormer Durchbruch.
In meinem ersten Buch, Das glücklichste Baby der Welt, habe ich eine radikal neue Idee präsentiert, die im Kern lautet: Unsere winzigen Babys werden drei Monate zu früh geboren; sie kommen zur Welt, bevor sie für diese wirklich bereit sind. Damit wandte ich mich gegen die bislang gängige Meinung, dass die meisten Babys wegen Blähungen weinen, und forderte stattdessen, dass wir für unsere Babys das fehlende »vierte Trimester« erschaffen. Indem wir die Sinneseindrücke simulieren, die sie im Mutterleib hatten – die behagliche Enge, die Geräusche und die rhythmischen Bewegungen –, beruhigen sie sich viel schneller und schlafen viel länger.
Eltern (und Großeltern), die sich mit dieser neuen Idee aus Das glücklichste Baby der Welt angefreundet hatten und sie umsetzten, konnten ihre Babys rasch beruhigen und deren Schlaf verlängern!
Ebenso erfolgreich kann das Beruhigen und Erziehen von Kleinkindern sein, wenn Sie sich mit der anfangs möglicherweise irritierenden Idee von Das glücklichste Kleinkind der Welt anfreunden:
Kleinkinder haben sehr viel mit kleinen Höhlenmenschen gemeinsam.
Hier einige Beispiele:
- ◆ Kleinkinder vergessen »Bitte« und »Danke« zu sagen, weil sie ungeduldig und impulsiv sind. Sie haben noch keinen Sinn für diese kulturellen Feinheiten.
- ◆ Kleinkinder treten uns mutig entgegen, wie Höhlenmenschen, die Mammuts oder Büffel jagen, obwohl wir viel größer und stärker sind als sie!
- ◆ Selbst an guten Tagen fällt es Kleinkindern schwer, vernünftig und rational zu sein, weil – wie bei den frühen Menschen – die Steuerung von Sprache, Logik und Geduld in ihrem Gehirn noch unreif ist.
Wenn Sie die Vorstellung, dass Kleinkinder viel mit Höhlenmenschen gemeinsam haben, merkwürdig finden, gehen Sie auf einen beliebigen Spielplatz und beobachten Sie die Kinder »bei der Arbeit«. Die Fünfjährigen benehmen sich schon wie wir Großen, indem sie sich abwechseln und versuchen, Streitigkeiten verbal beizulegen, während sich die Einjährigen wie kleine...