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E-Book

Leben ist das neue Sterben

Der Tod, der Herr Jesus, die Liebe und ich

AutorJohanna Klöpper
VerlagSCM Hänssler im SCM-Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783775173025
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
'Der Tod ist wie ein Monster unter meinem Bett, das sich bemerkbar macht, wenn es außen leise wird. Ich habe beschlossen, endlich mit der Taschenlampe unters Bett zu leuchten.' Wie lebt man, wenn man weiß, dass man sterben muss? Was bleibt am Ende? Und wie passen Gott und Glaube dazu? Auf der Suche nach Antworten begibt sich die Autorin - jung, lebenslustig und äußerst lebendig - auf eine sehr persönliche Reise. Sie begegnet Sterbenden, Trauernden und Hoffenden, geht auf Beerdigungen, in Friedwälder und ins Hospiz. Sie weint mit, lacht mit, lebt mir, denkt über Wut-Gottesdienste nach und den Satz 'Das Leben ist schön'. Mit viel Humor und Tiefgang bringt sie ihre Erlebnisse und Entdeckungen zu Papier, dabei gelingt ihr ein echtes Kunststück: ein Buch übers Sterben zu schreiben, das bis zum Rand mit Lebensfreude gefüllt ist.

Johanna Klöpper, Jg. 1981, lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Mittenaar in Hessen. Sie arbeitet hauptberuflich in der Verwaltung eines Hospizes. In ihrer Freizeit singt und komponiert sie, schreibt Kolumnen und Kurztexte, die z.B. in der Zeitschrift JOYCE erscheinen. Sie liebt ihren Alltag, Psychothriller und Spaghetti.

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4
… aber nicht allein


Die Kunst des Unterlassens


»Wie kann man angesichts des Leides in der Welt noch an Gott glauben?«

Die Theodizee-Frage. Die Frage aller Fragen.

Manche Theologen bezeichnen sie ehrfürchtig als den »Fels des Atheismus«. Meine persönliche Antwort darauf geht ehrlich gesagt in die Richtung »Weiß ich nicht«. Ich möchte mich nicht an einer öffentlichen Beantwortung der Theodizee-Frage versuchen. Davon hätte am Ende vermutlich niemand etwas …

Ich glaube einfach.

Warum, weiß ich manchmal selbst nicht so genau. Vielleicht bin ich so stark christlich sozialisiert, dass ich es gar nicht anders kann. Vielleicht glaube ich, weil ich es mein Leben lang gewohnt bin. Ich weiß nicht, wie ich es schaffe, im Angesicht des Leides in der Welt an die Existenz Gottes zu glauben.

Ich tue es einfach.

In meinen Gedanken und in meinem Herzen gibt es einen Gott. Oder eine Art Kraft, Macht, wie auch immer. Vielleicht ist es sogar Gottes Gnade, die den Glauben an ihn und das Suchen nach ihm in mir lebendig hält. Ich höre nicht auf zu fragen, Kontakt aufzunehmen und um diese Macht herumzukreisen.

Aber ob, und wenn ja wie, ich diesen Gott, an dessen Existenz ich glaube, in manchen Momenten ausstehen kann, steht auf einem anderen Blatt … Für mich stellt sich eher die Frage, wie sich »das Leid« als abstrakter Überbegriff auf meine Gottesbeziehung und mein Gottesbild auswirkt.

Der »Liebe Gott« aus Kindertagen kann plötzlich ziemlich unsympathisch werden, wenn man so manches Elend mit ansieht. Weil Gott das Elend nämlich manchmal auch mit ansieht. Anstatt donnernd und allmächtig aus dem Himmel zu kommen und mal ordentlich durchzugreifen.

Aber wer traut sich denn schon, Gott unsympathisch zu finden? In den Kreisen, aus denen ich komme, wagt das öffentlich(!) so gut wie niemand. Und ich selbst weiß auch nicht so richtig, ob ich das bringen kann …

Ich schleiche mich mutig an die Frage heran, wie ich mich Gott gegenüber äußern und benehmen darf, wenn es bei mir oder anderen ernst wird. Ich will wissen, wie sich unsere Beziehung gestalten kann.

Die Forschungsreise in Richtung Gott starte ich erst mal ganz unverkrampft überkonfessionell. In der klassischen Trauerbegleitungsliteratur. Die Frauen und Männer, die Trauernden aus allen Religionen und Konfessionen beistehen, wissen bestimmt viel Schlaues zu berichten. Sie kennen Menschen in Krisensituationen und haben deshalb sicher schon Beobachtungen gemacht, die mich weiterbringen können …

Und siehe da, ich muss nicht lange suchen, um Sätze zu finden wie zum Beispiel: »Aggressive Gefühle wie Wut und Hass gehören zur Trauer dazu und können gegen den Verstorbenen, die eigene Person, den ›Rest der Welt‹ wie auch gegen Gott gerichtet sein.«1

Aha. Die Fachleute können die Normalität meiner Beobachtung also bestätigen. Wut und Zorn – auch Gott gegenüber – sind zumindest nichts Ungewöhnliches! Es ist nicht weiter auffällig, manchmal mit Gott im Streit zu sein. Eine befreiende Erkenntnis fürs Erste.

»Aggressive Gefühle empfinden Trauernde als problematisch, da sie häufig als nicht angemessen empfunden werden; und es gibt wenige Trauernde, die diese Gefühle zugeben, geschweige denn ausleben.« Sag ich ja. »Hier brauchen Trauernde Entlastung, Hilfe und Ermutigung.« Verstehe.

Ich bin (noch) keine Trauerbegleiterin – meine Fortbildung dazu beginnt erst im nächsten Frühling. Die Hilfestellungen, die Trauergruppen oder eine individuelle Trauerbegleitung geben können, kann ich derzeit nicht bieten. Diese Leute sind (im seriösen Bereich!) ordentlich ausgebildet und verfügen über Methoden, besondere Kompetenzen und entsprechende Rahmenangebote, in denen die Trauer einen angemessenen Platz findet. Ich denke, dass ihre Arbeit oft ein Segen ist.

Ich bin keine Trauerbegleiterin und bin es doch.

Ich lebe auf ein und demselben Planeten mit Menschen, die – weswegen auch immer – traurig sind. In meinem Freundes- und Bekanntenkreis, in meinem Arbeitsumfeld oder meiner Verwandtschaft begegne ich immer wieder Menschen, die in großer und tiefer Traurigkeit leben. Und ich bin ihnen eine Begleiterin, ob ich will oder nicht.

Der Unterschied zwischen mir und einer ausgebildeten Trauerbegleiterin wäre momentan wahrscheinlich, dass sie konkrete Hilfe anbieten kann, die beim Weiterkommen innerhalb des wie auch immer gearteten Trauerprozesses unterstützt. Das kann ich nicht.

Aber eine Möglichkeit steht mir jetzt schon zur Verfügung: Ich kann versuchen, mich in Gegenwart der Traurigen nicht wie eine Idiotin zu benehmen. Aus dem Kontext gerissene Hiob-Zitate rauszuhauen oder den im Raum stehenden Elefanten hysterisch wegzukichern. Ich will nicht auf Rechtsanwältin Gottes machen oder predigen, dass am Ende alles wieder gut wird, wenn ich nicht sicher sein kann, dass das stimmt.

Ich kann nicht helfen und kann es doch. Vielleicht helfe ich am meisten, indem ich versuche, es nicht zu tun … Ich meine nicht die unterlassene Hilfeleistung im Sinne von ignorieren und weglaufen. Ich meine das im Sinne von »das Problem zulassen«. Vielleicht stimmt der Begriff »unterlassene falsche Hilfeleistung«. Eine Idee, der ich weiter folgen will …

Ich muss an dieser Stelle an mein Kollegium im Hospiz denken. Ein Teil ihres Könnens besteht im Unterlassen. Einen Teil ihrer Arbeit bildet es, die »kurative Therapie« zu unterlassen. Die künstliche Lebensverlängerung ebenso. Das heißt, sie machen nicht auf Heilung. Auf »wird schon wieder«. Sie lassen die jeweilige Krankheit ihr (bereits gewonnenes!) Spiel zu Ende bringen. Sie lassen den Tod geschehen. Ganz schön hart eigentlich. Aber in dieser vermeintlichen Härte stecken mehr Zärtlichkeit und Menschenliebe, als man zunächst denkt. Und das Unterlassen macht auch noch deutlich mehr Arbeit als das Weitermachen wie bisher. Darüber wissen meine Hospizkollegen aus der Pflege ausführlich zu berichten.

Ich gebe mal ein kurzes Beispiel: Wenn ein Sterbender keinen Durst mehr entwickelt, wird – sofern kein anderslautender Wunsch besteht – die Gabe von Flüssigkeit eingestellt. Wer keinen Durst hat, verdurstet nicht. Der Körper durchläuft, sofern man seinen geänderten Bedürfnissen genügend Aufmerksamkeit schenkt, einen natürlichen Sterbeprozess, der in diesem konkreten Fall noch nicht mal besonders unangenehm oder qualvoll ist. Aber jetzt kommt’s: In der Zeit, in der Pflegekräfte und Angehörige nichts zu trinken anreichen, können sie nicht etwa Däumchen drehen! Die Bedürfnisse des Sterbenden sind nach wie vor präsent – sie sind aber anders gelagert! Das Einstellen der Gabe von Getränken bedingt ein enorm gesteigertes Maß an Mundhygiene, Lippenbefeuchtung, Pflege der Schleimhäute und so weiter und so fort – das Sterben soll in Würde und möglichst angenehm verlaufen. Da ist eine große Menge an Aufmerksamkeit, Hilfsbereitschaft, Tun und Können gefragt.

Das Motto lautet: »Lasst sie. Aber lasst sie nicht allein.«

Lasst sie sterben. Aber lasst sie nicht allein.

Lasst sie weinen. Aber lasst sie nicht allein.

Lasst sie hassen. Aber lasst sie nicht allein.

Lasst sie nicht nachvollziehbare Entscheidungen treffen. Aber lasst sie nicht allein.

Lasst sie ein Problem haben. Aber lasst sie nicht allein.

Das Problem – nämlich dass der Gast unheilbar und tödlich erkrankt ist – wird in der palliativen Versorgung Sterbender zunächst einmal akzeptiert. Der Tod, das Sterben und die damit einhergehende Not sind grundsätzlich angenommen. Und nur aus dieser Haltung heraus kann in dieser Situation echte Hilfe erfolgen. Nur wer bereit ist, dem Tod direkt ins Auge zu schauen, kann mit klarem Kopf und ruhiger Hand helfen. »Erst« dann können die Morphinpflaster, die Narkotika, Barbiturate und der ganze Rest ihre segensreiche Wirkung voll entfalten.

Und ich kann noch eine Beobachtung machen: Diese hospizliche Akzeptanz des Todes – den ich für den Moment als Synonym für das Leid verwende – hat noch nicht einmal etwas damit zu tun, ob der Gast das genauso sieht. Manche Gäste weigern sich bis zum letzten Augenblick – und zwar völlig zu Recht! – ihren Tod einfach friedfertig zu akzeptieren. Das ist ihr gutes Recht, und die Aufgabe der Hospizleute ist es keineswegs, sie zu irgendwelchen vorschnellen Friedensverhandlungen mit Gott, dem Tod oder sonst wem zu überreden. Das Hospiz bietet hier auf emotionaler Ebene »nur« einen freundlichen, aber bewertungsfreien Raum. Das muss man erst mal hinkriegen …

Es ist ein Raum mit genügend Platz für Zorn, für Wut, für Tränen, für Würde und Lachen, für Glauben, Hoffen und Resignieren. Man darf sein, wie man will. Und man muss es nicht in Einsamkeit sein.

Ich möchte aus dieser Haltung lernen. Ich möchte Probleme nicht mehr unsichtbar reden. Wenn nicht alles wieder gut wird, möchte ich auch nicht so tun. Das fällt mir eher schwer. Ich bin die mit der Sonnen- oder gerne auch Schokoladenseite. Ich hab’s gerne schön. Ich werde immer ein halb volles Glas sehen, daran kann und werde ich nichts ändern. Ich liebe Geschichten, die gut ausgehen, und werde mir immer ein gutes Ende wünschen.

Ich lobe die Medizin und die Psychologie und all ihre heilenden Kräfte.

Ich lobe die ausgezeichnete Versorgungslage in unserem Land.

Ich lobe das Leben und alles Lebensfördernde.

Und ich lobe den Gott, von dem ich glaube, dass er Wunder wirken kann.

Aber niemals soll mein Lob zulasten meiner Aufmerksamkeit für diejenigen gehen, für die eben nicht...

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