Mit dem Mukden-Zwischenfall 1931 der die ersten Kampfhandlungen mit China nach sich zog und den Zweiten Sino-Japanischen Krieg einläutete, nahm auch die Militarisierung der Zivilbevölkerung mehr und mehr zu, bis zum Ende des Pazifikkrieges 1945 und der japanischen Kapitulation. Das Streben nach dem Frauenwahlrecht wurde 1931 aufgegeben, und man versuchte im autoritären System der Kriegsjahre anderweitig zur politischen und öffentlichen Anerkennung der Frauen zu gelangen.
Um die Diskrepanzen zwischen Rollenbildern und Alltagsrealtität japanischer Frauen in der Zeit des 15jährigen Krieges zu verdeutlichen, werde ich in meinen Ausführungen vermehrt Beispiele aus den Massenmedien jener Zeit heranziehen. Hauptaugenmerk wird auf Zeitschriften wie „Nippon Fujin (日本婦人)“, „Fujin no tomo (婦人之友)“ oder auch „Shashin Shūhō (寫眞週報)“, sowie Zeitungsartikeln der 1930er und 1940er Jahre liegen. Darüber hinaus gebe ich auch Beispiele von Frauenbildern in Kriegsfilmen jener Zeit. Wenn man die Medien betrachtet, muss man sich vor Augen führen, dass diese der Zensur und nicht zuletzt der Propaganda unterworfen waren. Gerade die Propaganda war ein wichtiges Mittel der Regierung, die ihren Zielen dienlichen Frauenbilder zu verbreiten.
Ultranationalismus, das hieß im kriegszeitlichen Japan der 1930er und 1940er Jahre, dass der Staat nicht nur öffentlich wirkte, sondern bis in die Privatebene hinein in das Leben des Volkes eingriff. Das Individuum sollte, so schreibt Wilson, seine persönlichen Interessen aufgeben oder die eigenen Interessen mit dem des Nationalstaates identifizieren. Diese totale Identifikation zwischen dem Individuum und dem Staat sollte so weit gehen, dass sogar Familienbande und private Gefühle, die noch zuvor als natürlich der Loyalität gegenüber dem Staat untergeordnet betrachtet wurden, nun als gefährlich galten und unterdrückt werden mussten.[85]
Diese Haltung warf Diskrepanzen zwischen Pflichtgefühl und Emotion bei den Frauen auf, die sich zwischen der Familie, deren Position traditionell stark war und dem Pflichtgefühl gegenüber dem Nationalstaat sahen. Einerseits wurden Ehe und Familie stark von der Regierung jener Zeit gefördert, andererseits hatte man Angst vor der starken Position des ie, das sich womöglich der Beeinflussung des Einzelnen durch den Staat in den Weg stellen konnte.
Einerseits förderte die Regierung im Zuge der Familienpolitik die Häuslichkeit der Frau, ganz im Zeichen von ryōsai kenbo. Andererseits begünstige der Nationalstaat durch die systematische Organisation der Frauen deren Arbeit in der Öffentlichkeit.
Wie diese Wechselwirkung von (weiblichem) Individuum und Nationalstaat aussah und welche Diskrepanzen dabei entstanden, darauf wird im Folgenden eingegangen.
3.1.1.1 Eheschließung
Im Einklang mit der staatlichen Politik, die Bevölkerungszahl anzuheben, auf die später noch im Einzelnen eingegangen wird, wurde ab etwa 1940 die Ehe zur Pflicht der Frau für das Wohl des Landes (kekkon suru koto ga naniyori no gohōkō 結婚することが何よりのご奉公)[86] erklärt. Um dies zu fördern, wurden „besondere Vergünstigungen und Prämien für Heiraten in Aussicht gestellt, um die Familienplanung zu fördern.“[87] Paare, die zu arm waren um sich eine Hochzeitszeremonie leisten zu können, konnten sich beispielsweise vom Staat Hochzeitskleidung borgen.[88] Diese Politik führte zu einem Rückgang der Liebesheirat und einem Anstieg von miai- (見合いarrangierten) Ehen. Individualismus, der noch zur Taishō-Zeit floriert hatte und als explizit westlich galt, war nun verpönt. Das galt auch oft für eine Durchsetzung der eigenen Wünsche bei der Partnerwahl. Die Frauenzeitschrift „Shufu no Tomo” wandte sich an die Leserinnen: „We can’t think anymore about marriage being for our own happiness.“[89] Die Jugendgruppen der Frauenvereine begannen 1941 Eheschließungs-Beratungszentren zu betreiben, die von der Regierung unterstützt wurden, um die Frauen davon zu überzeugen: „[T]o move from an individualistic view of marriage to a national one and to make young women recognize motherhood as the national destiny.[90] Noch in der Taishō-Zeit nahmen die arrangierten Eheschließungen einen Anteil von 38% ein; in den Jahren 1936 bis 1941 stieg dieser auf 51% an.[91] Zu weiteren, nicht individualistisch geprägten Eheschließungen im Namen der Nation kam es nicht nur durch die Vermittlung seitens Verwandter, sondern auch von Seiten der „Frauenvereinigung Großjapans“, auf deren Aktivitäten weiter unten noch genauer eingegangen wird. Die Vereinigung kümmerte sich um versehrte Soldaten, besuchte sie und betete für sie. Außerdem versuchte man, gute Ehefrauen für sie zu finden, sofern die Soldaten nicht schon verheiratet waren. Besonders die Eltern einer in Frage kommenden Braut zeigten sich allerdings in Wirklichkeit oft zögerlich, was die Heirat ihrer Tochter mit einem verwundeten oder versehrten Soldaten betraf. Berichte, dass selbst die patriotischsten Frauen ihre Leidenschaft nach der Heirat verloren, blieben nicht ungehört.[92] So klagte man beispielsweise 1943 in einer Gesprächsrunde zwischen Vertretern des Militärs und der Frauenvereinigung Großjapans:
„Aber es gibt auch Fälle, wo Mädchen aus einer zeitweiligen Begeisterung (ichiji no kangeki 一時の感激) heraus [Kriegsversehrte] heiraten, sie aber hinterher unzufrieden sind. Wenn sie auch zuerst Mitleid haben und daher heiraten, scheint es so, als ob sie sich Stück für Stück einsamer fühlen.“[93]
Daher sei es wichtig, so betont man, dass die Frauen nicht aus einer Laune heraus die verwundeten Soldaten heiraten, sondern aus „tiefem Verständnis“ (fukai rikai 深い理解) heraus. Die Runde findet, dass Frauen mit weniger ansehnlichem Äußeren (die beispielsweise, sofern sie eine attraktive Stimme haben, für erblindete Soldaten passend wären) oder etwas ältere Frauen eher zu diesem tieferem Verständnis neigen.
3.1.1.2 Die Frau im ie-System
Das ie-System wurde schon seit der Meiji-Zeit als spezifisch japanisch erkannt und propagiert. Es sei die Wurzel der Stärke Japans. Auch in der Propagandawelt der militaristischen Shōwa-Zeit tauchen ähnliche Bilder auf. Das ie sei der Schlüssel zur Kampfkraft Japans,[94] so verkündete man.
1939 gab das Kultusministerium die „Richtlinien für die Erziehung der Familie zu Kriegszeiten“ (senji katei kyōiku shidō yōkō 戦時家庭教育指導要綱) heraus. Darin wird die Familie eindeutig patriarchalisch und ahnenbezogen definiert: „Die Familie beruht auf der Einheit von Ahnung und Nachkommen und gruppiert sich um den Hausvorstand als Zentrum. Sie ist die natürlichste Lebensform, indem sie sich auf die Beziehung von Eltern und Kindern gründet.“[95] „Angesichts der historischen Realität dass das Kaiserhaus als Stammhaus verehrt wird, und der Staat sich stets selbst als ein ie weiterentwickelt, ist die Familie der Ausbildungs- und Trainingsort der Jugend, wo die Identität von Loyalität gegenüber dem Staat und Liebe gegenüber den Eltern (chūkō ippon [忠孝一本]) gelehrt wird.“[96] Die Regierung wollte das Familiensystem neu aufleben lassen, da es im Laufe der Taishō-Zeit Risse bekommen hatte. Dazu betonte sie die Rolle der Frau als Hüterin des ie, das die Basis der japanischen Nationalismusideologie darstellte („Familienstaatsideologie“ kazoku kokkakan 家族国家観).[97] Dennoch sahen die Führenden in Japan schon früh in diesem ie, dem starken Familienverband, der zwischen dem Einzelnen und dem Staat regelrecht „zwischengeschaltet“ war, eine Bedrohung der direkten Einflussnahme des Staates auf das Individuum. Je mehr die Kampfhandlungen gegen China und später im Pazifik zunahmen und die Kriegssituation härter wurde, bemühten sich die Ideologen jener Zeit, eine totale Identifikation des Einzelnen mit dem Willen des Staates zu bewirken. Diese Identifikation sollte so weit gehen, dass familiäre Bindungen und private Gefühle, sofern sie der Ausübung des Willens der gesamten Nation widersprachen, außen vorgelassen werden sollten. Das heißt, man hatte ein argwöhnisches Auge auf familiäre Bindungen, vor allem, wenn diese Bindungen zu eng zu sein schienen.
Wie bereits beschrieben, gab es...