Der Begriff der Macht hat viele Gesichter. Abhängig davon, in welchem Kontext man nach einer Definition von Macht sucht, unterscheiden sich die Resultate mehr oder minder.
Die wohl gängigste Definition der Macht stammt von dem Soziologen Max Weber, der sie als „... jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht“[1] beschreibt. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Macht in sozialer Interaktion unter verschiedenen Bedingungen entsteht und wirkt. Michel Foucault geht im Gegensatz dazu davon aus, dass Macht nicht entstehen oder besessen werden kann, und betrachtet daher eher die Veränderungen der Wirkungsweisen von Macht im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung, als die Begrifflichkeit an sich. Ähnliche Modelle der evolutionistischen Entwicklung von Gesellschaften finden sich in verschiedenen Kontexten unter anderem bei Durkheim und Kuhn. Sie alle gehen von einem etablierten System der Denk- und Handlungsweisen in einer Gesellschaft aus, welches durch das Einwirken verschiedener Neuerungen aufgebrochen und verändert wird.
Ziel dieses Kapitels ist es, mit den Theorien von Foucault, Bourdieu und Porter ein Instrumentarium für die spätere Analyse der Machtverhältnisse in der Musikindustrie zu entwerfen. Schlussendlich ergeht der Versuch, eine sozioökonomische Machttheorie zu entwickeln, in welcher die wirtschaftlichen Machtakteure in Porters Wettbewerbsnetz mit den Machtressourcen Bourdieus gewertet werden können. Mit den Machtressourcen haben die Akteure die Möglichkeit, Macht auf andere Akteure auszuüben und aus Machtbeziehungen Machtverhältnisse zu schaffen, die eine veränderte Ressourcenverteilung aufzeigen. Während die Theorien von Porter und Bourdieu ausschließlich auf Momentbetrachtungen angewendet werden, kann Foucaults historischer Ansatz im Rahmen der Betrachtung von Wandlungsprozessen zurate gezogen werden.
Michel Foucault hat während seiner Schaffensphase eine Theorie der Macht entwickelt, sie weiterentwickelt und von verschiedenen Blickpunkten aus entworfen. Dabei betrachtet er nicht den Begriff der Macht an sich, sondern vorrangig die Wirkungsweisen der Macht und Machttechniken sowie deren Veränderung im historischen Kontext. Die verschiedenen Formen der Machttechnik sind für ihn allerdings nie allein existent, sondern bauen aufeinander auf, sind historische Weiterentwicklungen, die dem Fortschritt der Gesellschaft zugrunde liegen. Ausgehend von dem souverän gesteuerten juridischen Modell des 17. Jahrhunderts entwirft er das Modell der Disziplinartechnik der Macht im Kontext des 18. Jahrhunderts und das Modell der Bio-Macht im 19. Jahrhundert.
a) die Disziplinartechnik - Die Mikrophysik der Macht
Macht ist „... keine Sache, die man innehat, kein Eigentum, das man überträgt; sondern eine Maschinerie, die funktioniert.“. Sie ist nicht absolut zu verorten und verändert auch nicht ihre Stärke. Macht ist nicht punktuell, nicht feststehend, sondern eher als liquide zu beschreiben. Sie umfließt das System unserer sozialen Gesellschaft, durchdringt diese und alle in ihr existierenden Individuen, Institutionen und Funktionssysteme. Durch jedes dieser Individuen wirkt Macht und die Berührungspunkte zwischen den einzelnen Individuen sorgen dafür, dass die Macht permanent in Bewegung ist.[2]
Foucault entwirft in Überwachen und Strafen erstmals eine Machtanalytik. Seine Überlegungen beginnen hier bei den grausamen Bestrafungen und öffentlichen Tötungsmaßnamen des 17. Jahrhunderts und entwickeln sich zu den wesentlich humaneren Disziplinierungsmaßnahmen des 18. Jahrhunderts: Der Wechsel von einem Strafsystem, das durch Zwang und Bestrafung wirkt, zu einem, das durch Kontrolle und Disziplin wirkt. Macht hat einen kriegerischen Charakter und die Machtverhältnisse zwischen Machtakteuren beschreiben einzelne Kämpfe um die temporäre Vorherrschaft. Dabei wirkt die Macht nicht primär einschränkend und unterdrückend, sondern in erster Linie produktiv. Foucaults Auffassung ist, dass Macht „... Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert ...“[3] und „... jeder Punkt der Machtausübung zur gleichen Zeit ein Ort der Wissensbildung [ist]. Und umgekehrt erlaubt und sichert jedes etablierte Wissen die Ausübung einer Macht.“[4]
Die frühere Zweiteilung der Macht in Herrschende und Beherrschte weicht Foucaults systemischem Denkansatz, in welchem sich Macht in einem hierarchischen Netz aus Machtbeziehungen manifestiert und von der Hierarchiespitze abwärts, aber bis zu einem gewissen Grad auch vom Boden aufwärts wirkt. Die Aufwärtsbewegung stabilisiert das Machtnetz durch die Archivierung von gewonnenem Wissen, während die Abwärtsbewegung für Disziplin und somit für die Produktion von Wissen und Wahrheiten sorgt.[5] Innerhalb dieser „strategisch, produktiven Machtbeziehungen“ überwachen und disziplinieren sich die Machtakteure gegenseitig und bestimmen so ihre jeweiligen Positionen im Machtnetz durch deren Verschiebung nach unten als Bestrafung, oder nach oben als Belohnung. „Die Anordnung nach Rängen oder Stufen hat eine zweifache Aufgabe: sie soll die Abstände markieren, die Qualitäten, Kompetenzen und Fähigkeiten hierarchisieren; sie soll aber auch bestrafen und belohnen. Die Reihung wirkt sanktionierend, die Sanktionen wirken ordnend. Die Disziplin belohnt durch Beförderungen, durch die Verleihung von Rängen und Plätzen; sie bestraft durch Zurücksetzungen. Der Rang selber gilt als Belohnung oder Bestrafung.“[6]
Die Struktur des Machtnetzes ist hierarchisch, wobei innerhalb jeder Gruppierung, also jeder Machtinstanz, ebenfalls eine solche Hierarchie existiert. Foucault nennt dieses Durchdringen der Macht bis hin zum kleinsten Teil jeder Machtinstanz die Mikrophysik der Macht.[7] Auf diese Weise wäre es dem Gesellschaftssystem möglich, sich ständig zu optimieren, da die richtigen Akteure auf den für sie optimal geeigneten Rängen und Positionen agieren würden. Doch „Sicher gibt es innerhalb des gesellschaftlichen Feldes ‘eine Klasse‘, die strategisch gesehen einen privilegierteren Platz einnimmt und sich durchsetzen kann, Siege einsammeln und eine Wirkung von Übermacht (surpouvoir) zu ihren Gunsten erlangen kann.“[8]
Wird den Machtakteuren die Freiheit genommen oder beschnitten, so stagniert die Beweglichkeit der Machtbeziehungen, die Kämpfe um die Vorherrschaft nehmen ab und mit ihr die Produktivität der Individuen; die Maschinerie funktioniert nicht mehr, wenn Disziplin und Überwachung durch Zwang und Bestrafung ersetzt werden.
b) Bio-Macht - Die Makroebene der Macht
Foucault beschreibt die Beobachtung einer grundlegenden Veränderung der Machttechniken in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Bio-Macht.[9]
War die Disziplinartechnik noch vom souveränen Charakter des „sterben machen und leben lassen“ geprägt, sieht er nun eine Verschiebung hin zum „sterben lassen und leben machen“[10]
„Diese neue Technik unterdrückt die Disziplinartechnik nicht, da sie ganz einfach auf einer anderen Ebene, einer anderen Stufe angesiedelt ist, eine andere Oberflächenstruktur besitzt und sich anderer Instrumente bedient.“[11]
Durchdringt die Macht der Disziplinierungstechnik das einzelne Individuum in Form einer Mikrophysik, so wirkt die Bio-Macht durch die Gesamtheit der Gattung Mensch. Sie beschreibt die Maßnahmen, die ergriffen werden, um das Wohlergehen der arbeitenden Bevölkerung garantieren zu können. Dazu gehören beispielsweise die Geburtenkontrolle, die medizinische Grundversorgung, die Grundversorgung im Allgemeinen. Ziel all dieser Maßnahmen ist es, die Geburtenrate zu steigern und gleichzeitig die Sterberate zu senken, um so die Produktion von Wissen zu vervielfältigen. Die Biopolitik reguliert die biologischen Prozesse der globalen Bevölkerung und agiert somit auf der Makroebene der Macht.[12]
In der Ökonomie wurde seit der Begründung der klassischen Markttheorie und freien Marktwirtschaft durch Adam Smith auffallend wenig zum Thema Macht geforscht und publiziert. Der Grund dafür liegt sicherlich in der Schwierigkeit, Macht quantitativ zu messen.[13]
Einige Ansätze, mit denen sich zumindest objektiv Wertigkeiten von Macht darstellen lassen, finden sich in der sozioökonomischen Kapital-Theorie von Pierre Bourdieu.
Bourdieus Kapitalbegriff ist zwar dem von Karl Marx entlehnt, jedoch nicht rein ökonomisch gedacht. Für Marx war Kapital einzig und allein ökonomischer Art, während das ökonomische Kapital bei Bourdieu nur eine von mehreren Kapitalarten darstellt.[14] Er kritisiert die Ökonomie in Bezug auf die ausschließlich auf marktwirtschaftlichen Machtbeziehungen und...