2. Das Markenzeichen der Quantentheorie
Oklo (Gabun), vor fast zwei Milliarden Jahren, ein unterirdisches Uranvorkommen. Wasser dringt ein. Die beim Zerfall von Uran-235-Kernen freigesetzten Neutronen werden durch das Wasser abgebremst, eine Kettenreaktion kommt in Gang. Einige hunderttausend Jahre lang läuft ein Kernreaktor unter dem afrikanischen Kontinent.
Pierrelatte im Departement Drôme (Frankreich), 1972, in einer Urananreicherungsanlage. Bei der Analyse von Gesteinsmaterial aus den Minen von Gabun bemerkt ein Techniker, dass die Proben eine ungewöhnliche Zusammensetzung aufweisen. Es dauert nicht lange, bis die Ursache klar wird, das Geheimnis von Oklo war gelüftet. Zwar hatte Enrico Fermi dreißig Jahre zuvor in Chicago den ersten von Menschenhand geschaffenen Kernreaktor in Betrieb genommen, die Natur war ihm aber um Längen zuvorgekommen.
Die prähistorischen Reaktoren in Oklo und dem benachbarten Bangombé sind trotz ihrer Einzigartigkeit heute durch Uranabbau fast vollständig zerstört. Dabei eröffnen sie die seltene Gelegenheit zu studieren, wie sich bestimmte physikalische Vorgänge vor zwei Milliarden Jahren abgespielt haben. Warum aber kann es für den Physiker überhaupt interessant sein, so weit in die Vergangenheit zurück zu blicken?
2.1 Sind Naturkonstanten eigentlich konstant?
Ziel physikalischer Forschung ist es, eine richtige Beschreibung von Vorgängen in der unbelebten Natur zu entwickeln. Lassen sich experimentelle Beobachtungen nicht erklären oder stehen sie im Widerspruch zu theoretischen Vorhersagen, so gibt es Handlungsbedarf. Bestehende Theorien müssen dann korrigiert oder erweitert werden. Gelegentlich kann es sogar notwendig sein, eine Theorie von Grund auf neu zu entwickeln. Genau dies war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Fall, als sich experimentelle Befunde mehrten, die sich mit den bekannten Theorien nicht beschreiben ließen. Es bedurfte des Zusammenwirkens der brillantesten Physiker dieser Zeit, um innerhalb von 25 Jahren die Quantentheorie zu schaffen, von der in diesem Buch die Rede sein soll.
Eine physikalische Theorie soll uns jedoch nicht nur heute eine richtige Beschreibung der Natur liefern. Sie hat ihren Nutzen vor allem darin, dass sie auch in der Zukunft gültig ist und es uns damit erlaubt, Vorhersagen zu machen. Es lohnt sich aber auch, Beobachtung und Theorie in der Vergangenheit zu vergleichen, und sei es vor zwei Milliarden Jahren oder noch früher. Passt alles, so wird dies das Vertrauen in die Richtigkeit der Theorie stärken. Diskrepanzen deuten dagegen darauf hin, dass es noch etwas zu verstehen gilt.
Die Informationen aus der Vergangenheit sind natürlich begrenzt. Aus den Überresten der natürlichen Reaktoren von Oklo können wir aber zum Beispiel wertvolle Informationen über den früheren Wert bestimmter Naturkonstanten gewinnen. Dabei handelt es sich um fundamentale Größen, deren Wert sich, zumindest bis heute, nicht aus einer Theorie berechnen läßt. Naturkonstanten sind häufig charakteristisch für eine bestimmte Art von Phänomenen oder auch eine physikalische Theorie.
Ein Beispiel für eine Naturkonstante ist die Lichtgeschwindigkeit, also die Geschwindigkeit, mit der sich elektromagnetische Wellen wie Licht oder Radiowellen im Vakuum ausbreiten. Bereits Galileo Galilei hatte einen Versuch zur Messung der Geschwindigkeit von Licht angestellt, der jedoch nicht von Erfolg gekrönt war. Im Jahre 1676 bestimmte Olaf Römer durch Beobachtung der Monde des Planeten Jupiter zum ersten Mal einen, wenn auch nicht sehr präzisen Wert für die Lichtgeschwindigkeit. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts sorgten die Experimente von Albert Abraham Michelson und Edward William Morley für Aufsehen, die nachwiesen, dass die Lichtgeschwindigkeit unabhängig von der Geschwindigkeit des Bezugssystems ist.
Normalerweise addieren sich Geschwindigkeiten. Beobachten wir zum Beispiel vom Ufer aus einen Schwimmer in einem Fluss. Die Geschwindigkeit, mit der sich der Schwimmer an uns vorbeibewegt, ergibt sich dann aus zwei Beiträgen. Zur Geschwindigkeit des Schwimmers im Wasser kommt noch die Fließgeschwindigkeit des Flusses hinzu. Ähnliches würde man auch für die Geschwindigkeit von Licht erwarten, das vom Scheinwerfer eines fahrenden Autos abgestrahlt wird. Das Ergebnis von Michelson und Morley widerspricht dieser Vermutung: Unabhängig von der Geschwindigkeit des Autos ist die Geschwindigkeit des abgestrahlten Lichts immer gleich groß.
Eine Erklärung hierfür lieferte zu Beginn des 20. Jahrhunderts Albert Einstein mit seiner speziellen Relativitätstheorie. Die Lichtgeschwindigkeit spielt hierbei eine zentrale Rolle. Nur wenn Geschwindigkeiten viel kleiner sind als die Lichtgeschwindigkeit, dürfen wir die uns aus dem Alltagsleben vertraute Mechanik verwenden. Ansonsten muss die spezielle Relativitätstheorie verwendet werden, die somit die umfassendere Theorie darstellt.
Eine andere wichtige Naturkonstante ist die Elementarladung, deren Geschichte unter anderem mit dem berühmten Millikanschen Öltröpfchenversuch verknüpft ist. Alle uns heute bekannten Elementarteilchen tragen als Ladung ein ganzzahliges Vielfaches der Elementarladung und nur bei den Quarks, noch elementareren Bausteinen der Materie, muss von Ladungen ausgegangen werden, die ein oder zwei Drittel der Elementarladung betragen. Die Elementarladung kommt immer dann ins Spiel, wenn es um die elektromagnetische Wechselwirkung, zum Beispiel die Abstoßung zwischen zwei Elektronen, geht. Die Entwicklung der klassischen Theorie der Dynamik von Ladungen und ihrer Wechselwirkungen, die so genannte Elektrodynamik, kam im 19. Jahrhundert vor allem durch die maßgeblichen Beiträge von James Clerk Maxwell zu einem Abschluss.
Es gibt keine Hinweise darauf, dass die beiden genannten und auch andere Naturkonstanten sich auf Zeitskalen von Jahren oder auch Hunderten von Jahren ändern. Es ist daher verführerisch anzunehmen, dass diese Größen schon immer den gleichen Wert hatten wie heute. Experimentelle Belege hierfür zu finden, ist meistens sehr schwierig. Es gibt jedoch Ausnahmen.
Die prähistorischen Reaktoren von Oklo und Bangombé erlauben es uns, den Wert zu bestimmen, den die Feinstrukturkonstante vor zwei Milliarden Jahren hatte. Diese Naturkonstante wurde erst 1915 von Arnold Sommerfeld im Zusammenhang mit quantentheoretischen Überlegungen zum Wasserstoffatom eingeführt. Der Wert der Feinstrukturkonstanten beträgt etwa 1/137. Sie ist jedoch auf zehn Stellen genau bekannt. Um Ähnliches beim Erdumfang zu erreichen, müsste man diesen auf ein paar Millimeter genau vermessen. Die enorme Präzision, mit der man die Feinstrukturkonstante kennt, ermöglicht es, dass die Quantenelektrodynamik, also die Quantentheorie der elektromagnetischen Wechselwirkung, die am besten überprüfte physikalische Theorie ist.
Um die Wichtigkeit der Feinstrukturkonstante in der Physik zu testen, genügt es übrigens, gegenüber einem Physiker die Zahl 137 zu erwähnen. Ein Mathematiker mag dabei vielleicht an Primzahlen denken, einem Physiker wird sicherlich sofort die Feinstrukturkonstante einfallen.
Wie steht es nun um die Konstanz der Feinstrukturkonstanten? Eine Analyse der prähistorischen Daten von Oklo zeigt beruhigenderweise, dass ihr Wert vor zwei Milliarden Jahren der gleiche war wie heute. Mehr über die Vergangenheit der Feinstrukturkonstanten lässt sich mit Hilfe von Quasaren erfahren. Diese astronomischen Objekte sind aufgrund ihrer großen Entfernung von der Erde sehr gut geeignet, um noch weiter in die Vergangenheit zu schauen. Dabei zeigen neuere Analysen zwar im Wesentlichen keine Hinweise auf eine zeitliche Veränderung der Feinstrukturkonstanten. Allerdings gibt es einen bestimmten Zeitbereich, in dem die experimentellen Daten nicht mit einer konstanten Feinstrukturkonstanten in Einklang sind. Wie ernst diese Abweichungen zu nehmen sind, bleibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt abzuwarten.
Die Feinstrukturkonstante, deren Vergangenheit wir so gut kennen, ist eigentlich eine Kombination von drei anderen Naturkonstanten. Zwei von ihnen haben wir schon kennen gelernt: die Lichtgeschwindigkeit und die Elementarladung. Der dritte Bestandteil war am Ende des 19. Jahrhunderts noch vollkommen unbekannt, als viele schon der Meinung waren, die Physik sei praktisch abgeschlossen und es gäbe nichts wesentlich Neues mehr zu entdecken. So wurde es 1874 auch dem damals sechzehnjährigen Max Planck gesagt, der Rat bei der Wahl eines Studienfaches suchte. Letztendlich entschied er sich doch gegen Musik und Altphilologie und nahm das Studium der Physik auf, eine gute Wahl, wie wir bald sehen werden. Denn es gab noch ein paar ungelöste Probleme …
2.2 Ein heißes Eisen und die Anfänge der Quantentheorie
Erhitzt man ein Stück Eisen stark genug, so wird es rot glühend. Entsprechend sendet es im sichtbaren Bereich vor allem rotes Licht aus. Hinzu kommt noch die Infrarotstrahlung, die wir wegen ihrer kleineren Frequenz zwar nicht mehr sehen können, aber dennoch als Wärmestrahlung wahrnehmen. Es wird also Strahlung in einem ganzen Frequenzbereich abgegeben. Erhitzen wir das Metall weiter, so verschiebt sich dieser Bereich in Richtung blau, also zu größeren Frequenzen hin. Schließlich wird das gesamte sichtbare Spektrum abgedeckt. Alle Regenbogenfarben ergeben zusammengenommen weiß, wir...