2 Im Positiven leben
Als ich ein kleines Mädchen war, saß meine Mutter jeden Abend vor dem Zubettgehen gemeinsam mit mir im Schneidersitz auf dem Boden, den Rücken an die Wand gelehnt. Wir schlossen unsere Augen und begannen, tief und bewusst zu atmen. Mit leiser Stimme sagte meine Mutter dann: »Stell dir den Punkt auf deiner Stirn vor, wo das dritte Auge sitzt. Und jetzt atme langsam ein und aus. Und zähle: drei, drei, drei, zwei, zwei, zwei, eins, eins, eins.«
Dann machte meine Mutter eine geführte Meditation mit mir und nahm mich im Geiste mit an einen Ort, den ich als Kind liebte, einen Strand in der Nähe unseres Zuhauses in Griechenland. Sie half mir dabei, mir vorzustellen, dass ich eine jüngere Version meiner selbst im Arm hielt und tröstete. In meiner Vorstellung hielt ich mich selbst als kleines Kind im Arm und beschützte es und sagte dabei, wie Mutter mich anleitete: »Ich bin stark, ich bin glücklich. Es ist positiv; hier gibt es nichts Negatives. Ich bin die Beste.« Sobald ich den meditativen Zustand verließ, war ich erfüllt von diesen positiven Gedanken und schlief über ihnen ein.
Meine Mutter und ich machten diese Übung viele Jahre lang. Ich konnte spüren, dass die Übung mir half, und heute ist mein damaliges intuitives Empfinden sogar durch Forschungsergebnisse bestätigt. Heute weiß die Wissenschaft, dass Meditation den Blutdruck senkt, das Risiko reduziert, an Depression und Angstzuständen zu erkranken, die Funktion des Immunsystems verbessert und das Schmerzempfinden verringert. Die Wissenschaftler der Brown University meinen, dass Meditation funktioniert, weil sie es einem Menschen gestattet, die Kontrolle über bestimmte Alpha-Wellen im Gehirn zu erlangen, die einen Einfluss darauf haben, wie das Hirn Empfindungen und Gedanken, darunter auch Schmerz und traurige Erinnerungen, verarbeitet und filtert (C.E. Kerr u.a., 2013). Auch kurze Meditationsphasen können die Hirnstruktur auf eine Weise beeinflussen, die Ihnen hilft, sich mehr auf den gegenwärtigen Augenblick einzulassen, zufriedener und für die Segnungen, die Ihnen zuteilwerden, dankbarer zu sein und mitfühlender auf die inneren Kämpfe und Triumphe Ihrer Mitmenschen zu reagieren.
Natürlich ahnte meine Mutter nichts von den neurowissenschaftlichen Forschungsergebnissen, die ja erst Jahrzehnte später die positive Wirkung der Meditation bewiesen; sie folgte einfach ihrer Intuition. Auf irgendeiner Ebene war sie sich ganz sicher, dass unsere Gedanken die Schöpfer unserer Wirklichkeit sind. Bis zum heutigen Tag profitiere ich von diesen frühen Meditationen und von der Stärke, die meine Mutter mir vermittelt hat.
Wenn Ihr Ausgangspunkt einer der Sicherheit und des Selbstvertrauens ist, sind Sie mit Fertigkeiten ausgerüstet, die Sie mit jeder Herausforderung fertigwerden lassen. Ob Ihre Eltern Sie nun geliebt haben oder Sie unter schwierigen familiären Umständen aufwachsen mussten, ob Sie frisches, naturbelassenes Obst und Gemüse gegessen oder Fertignahrung zu sich genommen haben, ob Sie ermutigt wurden, an der Bewegung Freude zu haben – alle diese Faktoren finden Eingang in die Widerstandsfähigkeit Ihrer adaptiven Reaktion, die Fähigkeit Ihres Körpers, Stress auf positive Weise von sich abprallen zu lassen. Eine stabile Grundlage gestattet es Ihnen, Ihre Gesundheit leichter und müheloser zu bewahren. Doch ein instabiles Fundament, das sich in den prägenden Jahren entwickeln durfte, kann emotionalen Schmerz verfestigen und derartige physische Schmerzen verursachen, dass Sie zum Patienten werden.
In vielerlei Hinsicht fühle ich mich so, als sei ich für die Arbeit, die ich tue, geboren. Während meiner Kindheit und Jugend reiste mein Vater als Coach mit dem griechischen National-Tennisteam in Australien und Amerika umher und begründete Tenniscamps. Manchmal begleiteten wir ihn und blieben den ganzen Sommer über in einem dieser Camps. Mein Vater trainierte Tennisspieler, meine Mutter unterrichtete Yoga, und wir Kinder freuten uns über den kostenlosen Urlaub und die Anregungen in fremden Ländern. Neben Yoga unterwies meine Mutter ihre Schüler auch in gesunder Ernährung und arbeitete als Massagetherapeutin. Sie war im Begriff, zu einem angesehenen Gesundheitsguru zu werden in einer Zeit, als solche Vorstellungen in Griechenland gerade erst Fuß fassten. Sie vertraute ganz und gar darauf, dass der Geist in der Lage war, den Körper zu heilen und zu kontrollieren.
Meine positive Beziehung zu meinen Eltern half mir, vielen der typischen Probleme, die junge Frauen mit Angst oder mangelndem Selbstbewusstsein haben, zu entgehen. Überraschenderweise war jedoch ausgerechnet diese starke Verbindung mit meiner Familie die tiefere Ursache für meine erste wirkliche Gesundheitskrise.
Meine Großmutter war immer für uns da. An den Wochenenden hielt ich mich bei ihr in ihrem Haus auf und liebte ihre Gesellschaft. Immer wenn wir kamen, brachte sie Stunden in der Küche zu. Meine Mutter sagte dann: »Großmutter bäckt diesen Kuchen mit Liebe für uns.« Zwar verstand ich diese Botschaft, doch mein Körper wusste Großmutters Kuchen leider nicht zu schätzen. Tatsächlich erteilten mir Großmutters Kuchen sogar eine wertvolle Lektion über die Macht der Nahrung, entweder zu heilen oder zu schaden.
Großmutter lebte vom Kochen. Wenn ich mich in ihrem Haus aufhielt oder sie in einem der Hotels auf den griechischen Inseln besuchte, wo sie arbeitete, verhalf ich mir zu zahlreichen großen Stücken von ihren Karotten- oder Orangenkuchen und zu anderen Leckereien. Dann fuhr ich nach Hause und musste mich erbrechen. Zum ersten Mal geschah das, als ich sechzehn war, aber ich brauchte eine Weile, bevor es mir gelang, eine Verbindung herzustellen: Jedes Mal, wenn ich bei meiner Großmutter war und diese griechischen Käsekuchen mit all der Kuhmilch darin aß und all diesen Orangensaft trank, bekam ich Fieberbläschen und Ausschlag.
Meine Mutter hatte immer darauf geachtet, dass wir zu Hause sehr gesund aßen. Jegliche Form von Süßem war eine Ausnahme. (»Heute hast du Geburtstag, also gut, du bekommst einen Geburtstagskuchen.«) »Verbotenes« gab es nur bei Großmutter. Obwohl sie in ihrem Garten ihr eigenes Gemüse und Obst zog und sie auch Honig und Olivenöl selbst produzierte, hatte sie immer das Bedürfnis, uns zu verwöhnen. Sie stand extra früh auf, um vier oder fünf Uhr morgens, um für unser Frühstück den Kuchen fertig zu haben.
Meine Mutter wusste, dass es ihrer Mutter besondere Freude bereitete, uns Gutes zu tun. Für Großmutter war Essen Liebe, und Mutter dachte nicht im Traum daran, ihr das Backen für mich zu verbieten. Stattdessen sorgte Mutter dafür, dass ich begriff, was diese Speisen mir antaten.
Eine der Methoden, derer Mutter sich zu diesem Zweck bediente, könnte Sie in Erstaunen versetzen: Sie wog mich jeden Tag. Sie tat es nicht, um mich zu beschämen. Vielmehr empfand sie mein Gewicht als wichtige Information über meinen Gesundheitszustand, die mich besser einstimmen würde auf die Veränderungen, die in meinem Körper vor sich gingen. Sie vermittelte mir ein komplettes Gesundheitsprogramm. Ich sollte mich jeden Tag im Spiegel betrachten, mich dann wiegen und danach mit einer trockenen Bürste den ganzen Körper bearbeiten – eine Behandlung, die ich beibehalten habe und die ich mir seit über zwanzig Jahren täglich angedeihen lasse.
Damals wusste ich noch nicht, welchen Einfluss dieses Ritual auf mein Leben haben würde. Damals tat ich einfach, wie mir geheißen wurde. Inzwischen aber halte ich es meiner Mutter sehr zugute, dass ich durch sie lernen konnte, meinen Körper zu kennen und ihm zuzuhören. Das tägliche Ritual hat mir den entscheidenden Zugang verschafft zum Auf und Ab meines Körpers. Diesem kleinen Programm täglich zu folgen hat mir jeden Morgen einen Zustandsbericht über das fortwährende Pendeln meines Körpers zwischen positivem und negativem Feedback geliefert.
Zunächst hatte ich mir nicht eingestehen können (oder wollen), dass die Speisen, die meine Großmutter mir vorsetzte, dafür verantwortlich waren, dass ich mich schlecht fühlte. Wann immer Großmutter mitbekam, dass mir übel war, brachte sie mich dazu, Orangensaft zu trinken, weil sie davon überzeugt war, dass er eine Besserung herbeiführen würde.
Größere Fieberbläschen. Noch mehr leckeren Kuchen.
Meine Mutter beschränkte sich darauf, die Tatsachen anzuführen: »Vicky, du bist von Großmutter zurückgekommen und hast Fieberbläschen.« Ich wachte mit Nackenschmerzen auf, und sie sagte: »Du bist aufgebläht und hast zwei Kilo zugenommen. Was hast du gegessen?« Nun, also: Pizza, Nudeln, Spinatpastete und Käsekuchen, Mutter. Warum fragst du?
Heute kommt es mir wie ein Witz vor, dass ich die Zusammenhänge nicht erkannt habe. All die Milchprodukte und das raffinierte Mehl übersäuerten meinen Organismus und löste eine Entzündungsreaktion aus, die in Fieberbläschen, Ausschlag und Aufgeblähtsein zum Ausdruck kam. Erst als ich älter wurde, erkannte ich, dass Nahrungsmittel einen maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie ich mich von einem Tag zum anderen fühle. Dein Körper lügt nie.
Zum Glück wusste meine Mutter genau, was mit mir los war – sie bemerkte nicht nur die sichtbaren Dinge wie meine Gewichtszunahme und die Fieberbläschen, sie wusste auch, wie ich mich fühlte. Die negativen Folgen genau dieser Ernährung, mit denen sie sich wie ich als Teenager hatte herumschlagen müssen, hatten sie vor Jahren dazu gebracht, sich eingehend mit dem Thema Ernährung zu befassen.
Wie sie wollte ich eine Heilerin sein. Und wie sie musste ich als Erstes lernen, mich selbst zu heilen. Doch erst als ich zweiundzwanzig, dreiundzwanzig Jahre alt war,...