Los Angeles in SHORT CUTS (1993)
I Welcome to Los Angeles! – Das L. A., wie Hollywood es zeigt
Schaut man in der Nacht auf das aus zahlreichen Filmen bekannte Lichtermeer von Los Angeles, dann entfaltet die Stadt ihren ganzen Zauber. An Drehorten verschmelzen ohnehin Realität und Kunst, doch dies gilt besonders für die Stadt Los Angeles, die durch ihre Traumfabrik Hollywood weltberühmt wurde.
Filme prägten die vielfältige, multikulturelle Mega-Metropole so sehr, dass jeder Kinogänger ein ganz bestimmtes Bild von der Stadt hat. Als Krimi-Kulisse für die abenteuerlichen Ermittlungen der «hard boiled»-Detektive aus TOTE SCHLAFEN FEST (1946) und L.A. CONFIDENTIAL (1997) scheint sie selbst deutschen Zuschauern so vertraut wie das gemütliche Münster, in dem Buchhändler Wilsberg oder das Tatort-Duo Thiel und Boerne ermitteln. Andere Cineasten empfinden L.A. als sozialen Brennpunkt, weil sie einfühlsame Stadtporträts wie Short Cuts (1993) und L.A. CRASH (2004) gesehen haben, oder sie lieben die langen Autofahrten aus den Gangster-Balladen PULP FICTION (1994) und COLLATERAL (2002). Als kalifornische Metropole voller Skurrilitäten und seltsamer Vögel sieht man L.A. wiederum in Komödien wie KOPFÜBER IN DIE NACHT (1985) und THE BIG LEBOWSKI (1998).
Durch die Filme lernt der Zuschauer die schönsten Orte und die gefährlichsten Winkel der Stadt kennen: Downtown mit seinen Hochhäusern, Beverly Hills mit seinen Villen, Venice mit goldgelben Stränden, South Central mit seinen Ghettos und nicht zuletzt die Hollywood Hills. Los Angeles ist kein natürlich gewachsener Ort, sondern eine funktionale Planstadt, die kein homogenes Bild bietet. Spötter sprechen von «unzähligen Vororten, die auf der Suche nach einem Zentrum sind.» Doch bei Nacht vereint die gigantische Totale die vielen Einzelteile zu einem scheinbar endlosen Lichtermeer. Die wilde Stadtgalaxie wirkt wie eine flimmernde Filmillusion und ist am Ende doch real. Sie lädt Freunde und Hasser dieser Stadt ein, die vielen Orte bei der nächsten USA-Reise persönlich aufzusuchen, sofern man sich nicht damit zufriedengibt, sie nur auf der Leinwand zu betrachten.
Los Angeles ist ein Baywatch-Beverly-Hills-Blade-Runner-Szenario – eines der beeindruckendsten filmischen Spannungsfelder überhaupt. Es bietet eine ungemeine Vielfalt aus berühmten, legendären und eher unbekannten Orten. Hier lügen die Filme nicht. Der Reisende kann sie mit allen Sinnen erfahren und erleben.
Dieser Reiseführer begleitet den Leser an die beliebtesten und schönsten Orte der Stadt. Er beschreibt viele sehenswerte Filme, die dort gedreht wurden, bietet nützliches bis originelles Hintergrundwissen und präsentiert die ganz eigenen L.A.-Universen der Filmemacher David Lynch, Michael Mann und Quentin Tarantino.
Los Angeles im Wandel – Filme als letztes Dokument von Orten
In L.A.-Filmen lässt sich bildstark verfolgen, wie sich im Laufe der Jahrzehnte aus dem riesigen Dorf der Stummfilmtage die heutige moderne Großstadt entwickelt hat. FRAU OHNE GEWISSEN (1944) und BOULEVARD DER DÄMMERUNG (1950) zeigen den wesentlichen Unterschied zwischen damals und heute: Die Vororte sind nun dicht bebaut, Häuser stehen auf jedem freien Fleck, Einkaufszentren an jeder größeren Straßenkreuzung. Los Angeles ist zu einer echten Großstadt geworden und damit zu einer adäquaten Kulisse für den ‹Film noir›, dessen düstere Atmosphäre stilprägend für die Stadt werden sollte. In ATEMLOS (1983) gleicht L.A. trotz des hypermodernen Westin-Bonaventura-Hotels immer noch einem bunten Dorf. In DAS FLIEGENDE AUGE (1983) ist die Downtown-Skyline auf wenige markante Hochhäuser beschränkt, während ein Jahrzehnt später in SPEED (1994) und COLLATERAL (2004) eine Großstadt mit üppiger Skyline und modernem Flair zu sehen ist.
Mittlerweile abgerissen: der aus PULP FICTION (1994) bekannte Hawthorne Grill
Der Medienhistoriker Norman M. Klein vom California Institute of the Art zeigt in «Anti-Touren» auf der Basis von Noir-Klassikern das Verschwinden der Stadt. Er selbst fühlt sich dabei wie ein Archäologe einer jungen Ära. Die aus BOULEVARD DER DÄMMERUNG (1950) bekannte Villa und der aus PULP FICTION (1994) bekannte Diner wurden abgerissen, wie auch viele andere bekannte Filmschauplätze. Als Kinofan sollte man erwarten, dass solche Orte gleich unter Denkmalsschutz gestellt werden müssen. Doch das ist nicht der Fall. Selbst der berühmte Hollywood-Schriftzug, der 1923 als Werbung einer Immobilienfirma errichtet wurde und damals noch um vier Buchstaben länger war, nämlich «HOLLYWOODLAND», sollte mal abgerissen werden. In L.A. STORY (1991) erklärt Komiker Steve Martin in der Rolle des stolzen Angeleno ironisch: «Sehen Sie, einige dieser Häuser sind schon über 20 Jahre alt!» Die moderne Stadt Los Angeles pflegt ihre eigene Geschichte kaum und befindet sich in einem ständigen Erneuerungsprozess. Filme sind oft das letzte Zeugnis früherer Baukunst und Bausünden.
So entwickelte die Stadt nicht viele klassische Landmarks. Los Angeles erscheint ohnehin oft eher wie ein Zustand, der erst in einer Kombination Sinn ergibt. Wie «typisch» L.A.-Filme sein können, zeigt die Polizeifilm-Parodie LOADED WEAPON 1 (1993): Zu Beginn kommt Detective Jack Colt (Emilio Estevez) in einen 24-Stunden-Laden. Dieser wird von beschränkten Indern geführt und von noch beschränkteren weißen Gangstern überfallen. In einem wilden Feuergefecht legt Colt den Gangstern das Handwerk und den Laden in Schutt und Asche. Dann fährt er mit seinem Cabrio in die Nacht. Die Szene wird untertitelt: «Los Angeles», dann «Nacht». Es zeigt, dass diese scheinbar ortsanonyme Szene nur in L.A. spielen kann, so wie es eigentlich auch immer dunkel ist, wenn Nacht ist. Die Szene ist ein Klischee, das jeder erkennt und das keine weitere Erläuterung braucht. 24h-Shops, Cops, Gewalt, Action und Autos – Willkommen in L.A.!
Was Sie schon immer über L. A.-Klischees wissen wollten
Los Angeles vs. New York – Die Rivalen der Küsten
Die Images vom «künstlichen» Los Angeles und vom «pulsierenden» New York stehen sich wie Kontrahenten gegenüber: auf der einen Seite die «Stadtwüste» von L. A., auf der anderen Seite die «Stadt, die niemals schläft» mit ihren oftmals klaustrophobisch wirkenden Hochhausschluchten. Während in FALLING DOWN (1993) der Amokläufer William Foster (Michael Douglas) ruhig durch die flirrende Stadtlandschaft von L. A. schreitet, eilt der Taxifahrer Travis Bickle (Robert De Niro) in TAXI DRIVER (1976) durch den hektischen Hexenkessel New York. In DAS FÜNFTE ELEMENT (1997) herrscht in New Yorks Hochhausschluchten vertikal und horizontal ein Flugmobilchaos, in BLADE RUNNER (1982) schweben dagegen vereinzelt ein paar Fluggleiter über die weitläufige Stadtebene. Diese ruhige Atmosphäre schlägt sich in einer schlafwandlerischen Stimmung von L. A.-Filmen wie EIN MANN FÜR GEWISSE STUNDEN (1979), KOPFÜBER IN DIE NACHT (1985), HEAT (1995) und COLLATERAL (2004) nieder, die von langen Flugaufnahmen und Autofahrten geprägt sind.
Im Gegensatz zum regnerischen, grau-gezeichneten New York steht oft das sonnige, helle Los Angeles, so auch in dem Schul-Thriller 187 (1997). Diese Darstellung in konträren Farben entspricht der Typisierung der Protagonisten: New Yorker sind ernsthaft, nachdenklich und von Selbstzweifeln zerfressen, Angelenos sind extrovertiert und lebensfroh, aber jederzeit zu Gewalt fähig.
FALLING DOWN (1993): William Foster will nur nach Hause
New York in TAXI DRIVER (1976)
In ONE NIGHT STAND (1997) ist L. A. eine bunte Welt mit oberflächlichen Typen, in New York leben vitale Menschen mit tiefsinnigen Problemen, die sie schwermütig machen. In dem selbstironischen LAST ACTION HERO (1993) hat Los Angeles sogar nur die Rolle einer fiktiven Filmwelt, während New York die graue und gefährliche Realität präsentiert. Der Untergang von New York scheint stets eine Tragödie zu sein, für L. A. ist die Apokalypse eher die gerechte Strafe. So spielt sich in THE DAY AFTER TOMORROW das menschliche Drama in New York ab, während L. A. beiläufig...