ZIGI ADE! DER PERFEKTE START
Nennen wir diesen Tag „Tag 0“. Der letzte Tag in meinem alten Leben. Der Wetterbericht für morgen lautet: Sonne, 19 Grad. Wunderbar. Der ideale Tag für mein Vorhaben. Ich hole mir eine üble Flasche Rotwein aus dem Keller – ein Geschenk vom Pizzaservice. Und lege eine Schachtel Gauloises Rot daneben. Die wunderbarste Erfindung der Welt. Mein Glück. Meine Droge gegen alles. Mein Aufputschmittel, mein Antidepressivum, mein Ich-mach-dir-das-Warten-leicht-Mittelchen, mein Kokain, mein Brain-Booster, mein Alles. Das darf man einem Nichtraucher nicht erzählen, der zeigt einem den Vogel. Einem Raucher braucht man es nicht zu erzählen, der weiß das. Und er weiß auch, wie man sich fühlt, wenn man so richtig an dieser weißen Stange hängt. Gott sei Dank lesen Nichtraucher diese Zeilen nicht. Die militanten Ex-Raucher sind übrigens die Schlimmsten. Das waren meist auch die Raucher, die bei sich zu Hause nicht rauchten – aber dir die Bude vollqualmten. Und wenn du zu Besuch bist, musst du raus in den Regen. Genau die werden dann irgendwann zu militanten Nichtrauchern. Vorher waren sie ja schon militante, zu Hause nicht rauchende Raucher. Sorry … aber sie lesen dieses Buch ja nicht .
ROTWEIN, ZIGARETTEN, ÜBELKEIT
So sitze ich also vor meiner sehr billigen Flasche Merlot und meiner Schachtel Gauloises. Nach 35 Jahren Abhängigkeit weiß ich noch nicht, wie man das schreibt, obwohl ich 40-mal am Tag diese Schachtel in die Hand nehme … Es ist 20 Uhr. Und ich habe meine letzte Schachtel Zigaretten vor mir liegen.
Am schönsten ist es, sie mit einem Streichholz anzuzünden! Ein leises Knistern und Aufflammen, dann diese Mixtur aus Schwefel- und Zigarettenduft, hmm, wie gut das riecht! Zwischen meinen Fingern steckt eine der 263 Millionen Zigaretten, die in Deutschland pro Tag angezündet werden. Von einer zermürbten Minderheit, die Rauchen nicht mehr als Freiheit, Abenteuer und Stärke ansieht. Sondern als eine über alles geliebte Schwäche, die im Grunde keiner versteht.
Ehrlich: Ich rauche wirklich gerne! Die Zigarette ist für mich Genuss, ein Booster im Kopf, Fröhlichkeit, Aufwachen, Lust …
Bald ist Schluss damit, und morgen früh werde ich als Nichtraucher aufstehen – klar, mit ziemlichem Rotwein-Nikotin-Selbstmitleidskopfweh. Aber das will ich ja. So richtig schlecht soll es mir morgen sein.
3 TAGE DAUERT DER NIKOTIN-FLASH,
4 WOCHEN DIE EMOTIONSFALLE
AM ANFANG STEHT DER PLAN
Man muss wollen. Kein anderer.
Nur man selbst.
Dann legt man sich einen Plan zurecht.
1. Die ersten vier Tage muss man freihaben. Weil man unruhig ist und übellaunig. Vor allem aber, um sich voll auf das Projekt konzentrieren zu können und nicht in übliche Routinen zu verfallen. Viel zu gefährlich, dann zur Zigarette zu greifen.
2. Idealerweise startet man im Frühjahr. Weil die Tage länger sind. Und Licht einem Serotonin schenkt. Es macht glücklich und willensstark. Und dämpft den Heißhunger. Wer im Winter startet, sollte täglich mittags 30 Minuten raus. Am besten nackt.
3. Bäckerhefe besorgen – oder sich Vitamin B spritzen lassen. Man sollte eh den Hausarzt mit ins Nichtraucher-Boot holen. Nicht für Nikotinersatz oder Mode-Medis sondern für Vitamine & Co. Unterdrückt die Zigaretten-Lust.
4. Beschäftigung für die
Hände besorgen: Talisman, Gummiringe und so was. Auf hier. gibt es ein Zirkeltraining für die Finger.
5. Beschäftigung für den Mund besorgen: aus einer Schnabeltasse oder einem To-go-Becher trinken, Kaugummi, Gemüsesuppe, Karotten und Paprika knabbern, getrocknete Früchte, Eiweißpulver, Popcorn, Chiasamen-Pudding.
Ja, ich weiß, dass es E-Zigaretten gibt. Nein, auch von denen möchte ich nicht länger abhängig sein. Und auch nicht von der Shisha. Nein, die ist nicht gesund. Auch wenn sie nach Aprikosen oder Melonen schmeckt.
6. Drei Tage mit Turnschuhen an den Füßen laufen, laufen, laufen. Bewegung lenkt ab, tut gut, hilft beim Detoxen.
7. Laden Sie jetzt schon mal die kleine Rauch-Stopp-Hypnose-Anleitung runter (siehe hier.). Bilaterale Gehirnstimulation hilft binnen drei Minuten beim Verzichten.
GUTEN MORGEN? GUTEN TAG?
Die ersten drei Tage sind die härtesten. Und der erste der allerhärteste. Mein Kopf ist schwer. So schwer, dass ich ihn am liebsten auf den Knien ablegen möchte. Oder gleich dem Postboten mitgeben. Erst mal habe ich überhaupt keine Lust auf eine Zigarette. Das war der Plan. Eine Schachtel plus eine Flasche billigen Wein – danach weiß man dann schon, dass einem das Ganze nicht so richtig guttut. Ich stolpere in die Küche. Zum Kühlschrank. Halte den Kopf rein. Bis die Ohren blau sind. Von Oma habe ich den Tipp mit der frischen Bäckerhefe. Einen Teelöffel davon in etwas warmem Wasser auflösen. Nase zuhalten und runter damit. Sie sagt: „Da widerstrebt dir dann jede Zigarette. Liegt an den B-Vitaminen in der Hefe.“
LIEBER EINE KUR VOM DOC
Leider bleibt Omas guter Ratschlag nicht in meinem Magen. Und es dauert eine halbe Stunde, bis ich fähig bin, an etwas anderes zu denken als an Hefe. Wolf sagt: „Guten Morgen, Hulk!“ Nein, ich kann nicht darüber lachen. Überhaupt nicht. Ich trinke meinen ersten Morgenkaffee „ohne“, schlüpf in meine Laufschuhe und lauf zu meiner Hausärztin. Nach dem gescheiterten Hefe-Selbstversuch halte ich eine hohe Sicherheitsdosis für angebracht: B-Vitamine aus der Spritze. Eines der B-Vitamine, die wir dringend brauchen, heißt sogar Nikotinsäure.
Dort angekommen, erzähle ich meiner Ärztin, dass ich gerade mein neues Leben als Nichtraucher starte. Sie sagt: „Finde ich gut!“
„Kannst du mir Vitamin B spritzen? “ – „Klar. Musst aber mindestens dreimal die Woche zum Spritzen vorbeikommen. Zwei Wochen lang. Willst du Nikotinpflaster? “ – „ Nein. Ich denke, ich probier es lieber so.“
Das mit dem Nikotinpflaster ist ein ziemlich dickes Geschäft der Pharmaindustrie. Und im Grunde genommen tut es ja nichts anderes, als das Leiden zu verlängern. Ich möchte erst einmal ausprobieren, was passiert, wenn man es ohne macht – und den Entzug nicht ins Unendliche ausdehnt.
Wenn jemand Entzugserscheinungen hat, dann ich – und die muss ich ja erst mal fühlen, und dann kann ich mir überlegen, ob ich etwas dagegen unternehme und wenn ja, was.
ERSTE SCHRITTE DER ABLENKUNG
Immer wenn ich Lust auf eine Zigarette habe, laufe ich raus – die Sonne scheint. Die schickt mir auch Serotonin in den Kopf. Tieeeeef einatmen: ein irres Gefühl! Da kommt nix mehr rein.
Nur noch gute Luft. Kein Teer, kein Nikotin, kein Formaldehyd, keine kanzerogenen Kohlenwasserstoffe. Kein Gift, Gift, Gift. Tja, ich versuche halt, mir das schon ein wenig schmackhaft zu machen.
Den Mund muss man auch beschäftigen. Klar, mit Kaugummi. Nur: Den kann ich gar nicht leiden. Ich kau lieber auf selbst gedörrten Apfelringen oder Möhren oder dem gesündesten Popkorn der Welt. Selbst gepoppt. Aus Amaranth. Ich trinke viel, viel Kaffee. Irgendwie vergeht dieser Tag. Ein bisschen wie auf Watte. Aber er vergeht. Immerhin.
Abends zieht es mich um 21:15 Uhr ins Bett – Schlafenszeiten wie bei einem Erstklässler. Aber ich denke: „Was ist ein Abend ohne Zigaretten?“ Und massiere noch ein wenig meinen Selbstakzeptanzpunkt.
B-VITAMINE HELFEN ÜBER DEN ERSTEN ENTZUG HINWEG. B3 HEISST NICHT UMSONST NIKOTINSÄUREAMID.
DER SELBSTAKZEPTANZPUNKT
Ehrlich gesagt kann man sich die ersten drei Wochen nicht leiden. Überhaupt nicht. Die Launen, die Figur, den Hunger … die Sucht.
Das ist fatal. Denn Grundlage für alle positiven Veränderungen ist – auch für das Rauchenaufhören: Liebe dich selbst. Sonst funktioniert gar nichts. Und es ist ja auch schön, wenn man den, der einem wirklich am nächsten steht, auch lieb hat. Nur: Das fällt einem in diesen Tagen einfach um einiges mehr als schwer.
ZWEI AUF EINEN STREICH
Nein, es hilft nicht, in den Spiegel zu gucken und zu sagen, dass man den da drin lieb hat. Das hilft nicht. Gar nicht. Aber dafür gibt es den „heilenden Punkt“. Wenn wir diesen Selbstakzeptanzpunkt aktivieren, entgiftet das, und das stärkt auch gleich noch unsere Selbstliebe. Er liegt einige Zentimeter unterhalb des Schlüsselbeins auf der linken Körperseite...