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E-Book

SPACE2016

Das aktuelle Raumfahrtjahr mit Chronik 2015

AutorEugen Reichl, Stefan Schiessl
VerlagVerein zur Förderung der Raumfahrt
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl299 Seiten
ISBN9783944819112
Altersgruppe12 – 
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
SPACE2016 - Das Rahmfahrtjahrbuch. Die 13.Ausgabe des Raumfahrt-Klassikers. Erfolg des Jahres: Vorbeiflug an Pluto und Charon +++ Die 'Neuen Träger': Raketen 2025 Nagelprobe für die Private Raumfahrt: Explosionen und erstes Opfer +++ Größtes Risiko für einen Raumfahrer? Ertrinken! +++ Interstellar: die Filmkritik +++ Theo Tüftler: Astronaut +++ der besonderen Art +++ SF Wettbewer +++ Raumfahrt-chronik +++ Raumfahrt-Statistik 2014 +++ Vorschau 2015 +++ und vieles mehr...

Eugen Reichl arbeitet als Raumfahrtexperte bei einem großen Raumfahrtunternehmen. Als Sachbuchautor (u.a. für den Motorbuchverlag und SPACE) hat er die Gabe, Raumfahrt pointiert, verständlich und spannend zu vermitteln. Auch im Radio (z.B. Bayern 2) ist er für Raumfahrtthemen ein gefragter Interviewpartner.

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Leseprobe

Der Preis der Unabhängigkeit


In EU-Europa mit seinen zähen und langwierigen Entscheidungsprozessen hat man das Abwarten, das endlose Diskutieren und Analysieren und die nachfolgende Wahl inferiorer Lösungen zur Kunstform entwickelt. Die Realisierung eines ursprünglich interessanten Konzeptes ist erst dann möglich, wenn auch die letzte Kante verschliffen ist, das letzte Risiko gegen Null gefahren wurde und der administrative Aufwand maximiert ist.

Wo immer man hinblickt – einige wenige Ausnahmen bestätigen dabei die Regel – ist Europa in Sachen Raumfahrttechnologie seit vielen Jahrzehnten mit dritten oder vierten Plätzen zufrieden. Das meiste, was auf dem alten Kontinent geschaffen wird, ist Mittelfeld-Technologie. Vieles macht man erst gar nicht. Anderes ist politisch nicht opportun. Weltmeister wird man mit so einer Haltung nicht. Macht auch nichts. Schließlich ist man ja jedes Mal Europameister. Nur wenige Ausnahmen dieser elenden Regel zeigen, zu welcher Klasse europäische Raumfahrttechniker in der Lage wären, würde man sie nur lassen. Beispiele sind das Gebiet der Erdbeobachtung und als großes Ausnahmeobjekt unter den Raumsonden der Kometenerkunder Rosetta. Ansonsten herrscht in Europas Raumfahrt die Langeweile. Bemannte Raumfahrt betreibt man erst gar nicht, schließlich lassen einen ja gelegentlich die anderen mitfliegen. Bei rückkehrfähigen Raumfahrzeugen ist man da, wo die USA vor 35 Jahren waren, bei Antriebstechnologien setzt man auf Bewährtes aus den Sechzigern, Dinge wie Energietechnik im Weltraum lässt man ganz bleiben und Raumsonden jenseits des Jupiter, wo um den Neptun und den Uranus noch so manche unerforschte Welt wartet und man viele erste Plätze gewinnen könnte, sind nicht das Ding Europas. Dafür bräuchte man Radio-isotopengeneratoren, und dazu müsste man schon in den Konzeptstudien politisch garstige Unwörter wie etwa „Plutonium“ verwenden. Und das geht nun gleich gar nicht.

Für Hochtechnologiebereiche wie die Raumfahrt bedeutet das, dass in der Regel die technologisch am wenigsten anspruchsvolle, die am wenigsten mutige und die am wenigsten zukunftsweisende aller möglichen Lösungen gewählt wird. Schließlich braucht man ja stets den Konsens aller. Immerhin hält Europa heute in der weltweiten Raumfahrt eine Reihe kleinerer Nischen besetzt. Für einen mittelgroßen Nationalstaat wäre das ein ganz ordentliches Ergebnis. Für die größte Volkswirtschaft der Welt ist es ein Armutszeugnis. Befriedigend kann so eine Situation wohl nur für Politiker sein.

Soweit der Rant zur Situation der europäischen Raumfahrt im Allgemeinen. Kommen wir nun – im Speziellen – zur Rolle Europas auf dem Gebiet der Trägerraketen, und das ist nun ein Sonderfall. Denn ganz besonders ausgeprägt scheint der unbedingte Wille Europas zu hinteren Plätzen bei den neuen Trägerraketen im Premium-Segment der Mittel- bis Oberklasse zu sein. Doch in diesem Fall müssen wir uns überlegen, ob wir das vielleicht nicht sogar akzeptieren sollten. Zunächst aber einmal die Fakten, denn die europäische Industrie wirbt mit nicht weniger als dem Anspruch, dem schnell aufstrebenden Newcomer auf dem Trägermarkt, SpaceX, mit der Ariane 6 Paroli zu bieten. Doch mit dem Konzept ihrer neuen Trägerrakete haben Europas Raumfahrtstammhäuser ein verzagtes, risikoarmes und technologisch anspruchsloses Papier vorgelegt. Würde die Ariane 6 heute fliegen, sie wäre schon jetzt mit dem Produkt des direkten Kontrahenten gerade noch auf gleicher Höhe. Aber fest davon auszugehen, dass dieser Konkurrent bis zu dem im Jahre 2020 geplanten Erstflug der Ariane 6 jegliche Weiterentwicklung seines eigenen Produktes einstellt, nur um darauf zu warten, von Europa eingeholt zu werden, ist absurd.

dlr

Vulcain 2 Triebwerk.

Europäische Raumfahrtingenieure sind nicht dümmer als ihre US-Kollegen. Und die bereits vorhandene technologische Basis ist von der amerikanischen nicht sehr weit entfernt. Tatsächlich hätte die europäische Industrie ohne weiteres einen Entwurf vorlegen können, der ab dem Jahre 2020 klar an der Spitze der weltweiten Entwicklung steht. Dieses Ziel ist nicht nur bei weitem verfehlt worden, sondern man hat sich keine Sekunde lang darum bemüht, es überhaupt ins Auge zu fassen. Das Konzept der Ariane 6 ist ein typisch europäischer Kompromiss, bei dem die Konkurrenzfähigkeit des Produktes allen möglichen Interessen untergeordnet wurde. Das Produkt selbst hatte dabei nie irgendeine Priorität.

Der Träger ist ein Hybrid aus einer neuen Erststufenzelle, aus bereits seit vielen Jahren für die nunmehr aufgegebene Ariane 5 ME in Entwicklung stehenden Komponenten, wie dem Vinci-Raketenmotor und der ECB-Oberstufe und Systemen aus dem gegenwärtigen Ariane 5 ECA-Programm, wie etwa dem Vulcain 2-Triebwerk. Möglicherweise wäre der Entwurf der Ariane 6 in den achtziger Jahren noch mit dem Prädikat „technisch und leistungsmäßig respektabel“ bewertet worden. Als Produkt des Jahres 2020, bestimmt für den Einsatz in den darauf folgenden Jahrzehnten, kann man diesen Entwurf nicht anders als altbacken und mutlos bezeichnen.

Die Ariane 6 sieht den japanischen Trägern H-2A (als Gegenstück zur Ariane 62) und H-2B (als Gegenstück zur Ariane 64) verblüffend ähnlich. Wenn man bedenkt, dass diese beiden Träger aufgrund ihrer hohen Produktionspreise, vor allem bedingt durch die geringe Fertigungskadenz, praktisch nur den institutionellen japanischen Markt bedienen, kann man sich jetzt schon mal darauf einstellen, welches Schicksal der Ariane 6 beschieden sein wird. Um sich aus den Fängen der geldgebenden Institutionen zu befreien, gründeten Airbus und Safran, die beiden Hauptprotagonisten im Ariane-Business, ein Joint Venture, das derzeit die Übergangsbezeichnung „Airbus Safran Launcher Company“ (ASL) führt. Die Gründung des neuen Unternehmens wurde unter anderem damit begründet, dass man für eine konkurrenzfähige Konstruktion und Produktion der Ariane 6die Organisationsstrukturen den viel flacheren Hierarchien und wesentlich agileren Prozessen des direkten Konkurrenten SpaceX anpassen muss. Bereits dieses noch recht einfache Ziel hat man schon mal glatt verfehlt.

Der organisatorische Überbau mit einer Holding und nationalen Einzelunternehmen wurde, um den unterschiedlichen Rechtsnormen in der EU gerecht zu werden, komplex wie alles in Europa. Die Verknüpfungen mit den Mutterunternehmen Airbus und Safran sind vertrackt. Die Einflussnahme von Regierungen und nationalen Raumfahrtbehörden auf das Konstrukt ist ausgeprägt wie eh und je, nur vielleicht etwas indirekter als vorher. Diese Einflussnahme ist allerdings auch irgendwo verständlich, denn das neue Unternehmen wird nur in geringem Umfang Eigenmittel für die neue Rakete mitbringen. Deswegen werden die Regierungen im Gegenzug für ihre umfangreichen finanziellen Zuwendungen eine detaillierte Kontrolle über die Verwendung der von ihnen vergebenen Mittel verlangen. Nachdem somit eigentlich alles ist wie immer, dürfte die Flexibilität und Ellbogenfreiheit des neuen Unternehmens noch schlechter sein, als es die der alten Muttergesellschaften zuvor war, denn denen ist man ja berichts- und tributpflichtig. Die Manager der Airbus Safran Launcher Company kommen allesamt aus diesen Häusern und wollen auch gewiss zum überwiegenden Teil eines Tages auch wieder dorthin zurück.

Man muss bei aller Kritik aber zugeben: Leicht ist es in dem gegebenen Umfeld nicht. Gesucht war ein Produkt, das alle Interessen gleichzeitig befriedigt. Die Firmen sollen ihre Stakeholder damit beglücken, es soll möglichst viele der bestehenden Jobs weiter sichern, es soll bereits vorhandene Komponenten verwenden, es soll zuverlässig sein, und das Prinzip der ESA einer fairen Verteilung der Arbeit auf die größten Einzahler bei der Raumfahrtbehörde soll auch soweit wie möglich respektiert werden.Die Betrachtung von Kosten, Effizienz und technischer Grandezza spielen da keine Rolle. Ausschlaggebend sind soziale und politische Aspekte. Das alles wird dazu führen, dass Europa zukünftig nicht mehr über eine Trägerrakete verfügt, welche die Kosten- und Leistungsvorgaben der Konkurrenz trifft. Jetzt könnte man allerdings damit argumentieren, dass der alte Kontinent im Darwinismus der Raumfahrttechnologie mit dieser Haltung in der Vergangenheit – unterstützt durch einigen Dusel und dem Pech der anderen –bisher gar nicht mal so schlecht gefahren ist. Dass es in den vergangen Jahrzehnten für Europa so gut ging, lag aber daran, dass es weltweit alle anderen genauso gemacht haben. Der Bau von Trägerraketen war auch irgendwo immer ein politisches Mischkonstrukt aus Beschäftigungs- und Sozialprogramm. In den USA versorgten die Senatoren ihre Wahlbezirke mit Raumfahrtjobs, und wer schon welche hatte, durfte sie behalten. Effizienz und Wirtschaftlichkeit spielten keine sonderlich große Rolle. Mit dieser Haltung waren die USA fast zwei Jahrzehnte lang weg vom kommerziellen Trägermarkt, was sie allerdings nicht sonderlich rührte, denn ihre institutionellen Kunden versorgten sie reichlich mit hoch bezahlten Startaufträgen. Und dann gab es da auch noch die Russen. Mit Produkten aus staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen. Wenig effizient, wenig innovativ, aber billig und hinreichend zuverlässig. So hatte sich ein Gleichgewicht gebildet, dessen Stabilität gut daran zu...

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