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E-Book

Gebrauchsanweisung für Rom

AutorBirgit Schönau
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783492972840
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Uralt und wunderschön: Rom ist die Stadt aller Städte und mit ihren antiken Ruinen, mittelalterlichen Kirchtürmen und barocken Palästen der gewaltigste Schatz unserer abendländischen Kultur - aber deshalb noch lange kein Museum. Rom lebt! Wie schon viele Deutschrömer vor ihr flaniert Birgit Schönau durch die größte Altstadt der Welt und frönt der hiesigen Passion für Brot und Spiele, dem Fußball und der Leidenschaft fürs Essen. Sie kurvt durch den ewig brüllenden Verkehr und berichtet von ihren Erlebnissen bei der Wohnungssuche. Rühmt die Freude der Römer am Philosophieren, führt uns ein in eine illustre Abendgesellschaft und zeigt uns die Seele Roms zwischen der Last der Geschichte, lässigem Heute und der Lust auf morgen.

Birgit Schönau, 1966 in Westfalen geboren, lebt seit 1992 mit ihrer italienischen Familie in Rom. Sie ist Buchautorin, Sportreporterin für die Süddeutsche Zeitung und Italienkorrespondentin für DIE ZEIT. Von ihr erschienen u.a. die Bände »Calcio! Die Italiener und ihr Fußball« sowie »Circus Italia. Aus dem Inneren der Unterhaltungsdemokratie«.

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Leseprobe

Vorwort


oder: Willkommen in der Welthauptstadt der Skeptiker

No nun te lasso mai
Roma capoccia der mondo infame

Antonello Venditti

Vor nicht allzu langer Zeit wurde ich von einem deutschen Radiosender interviewt. Die römische Stadtregierung war gerade zurückgetreten, bei dem Interview ging es um die Hintergründe, nämlich Korruption und Amtsmissbrauch. In ungefähr fünf Minuten sollte ich den Hörerinnen und Hörern also die politische Lage in der italienischen Kapitale erklären. Irgendwann unterbrach mich die Moderatorin und sagte: »Sie lieben Rom aber trotzdem.« Es klang weniger wie eine Frage als wie eine Feststellung, ja ein letztinstanzliches Urteil. Ich weiß gar nicht, was mich mehr verblüffte, das »trotzdem« oder das »lieben«. Und ziemlich kläglich warf ich ein, das würde ich dann doch lieber etwas vorsichtiger formulieren. Das war’s auch schon, es kam Musik. Erst später ging mir auf, dass man in Deutschland offenbar Rom nicht als eine normale Metropole betrachtet. Denn würde man angesichts eines Korruptionsskandals in Zürich oder Amsterdam einen Journalisten fragen, ob er die Stadt, in der er lebt und arbeitet, liebt? Und dann fiel mir noch ein, dass meine Entgegnung auf die seltsame Frage typisch römisch gewesen war. Öffentliche Liebeserklärungen für diesen Haufen alter Steine und kecker Kuppeln? Na, wir wollen hier aber bitte nicht peinlich werden. Wir Römer.

Wir hätten es nämlich im Prinzip immer gern eine Nummer kleiner. Weil wir dem Pathos und den Superlativen nicht trauen, die sich seit jeher über unsere Stadt ergießen, um ihre Schönheit zu beschreiben, ihre Grandezza, ihre Ewigkeit. Vielleicht, weil damit immer nur Rom gemeint ist, während sich für die Römer eigentlich niemand interessiert. Goethe war nicht der Erste und nicht der Letzte, der sich von Roms Kunstschätzen und den »unendlichen, obgleich überreichen Trümmern« seiner vieltausendjährigen Geschichte überwältigt zeigte, gleichzeitig jedoch aus seiner Geringschätzung für die Römer keinen Hehl machte. Er erwähnt sie in seinen römischen Tagebüchern nur am Rande, lieber verbreitet er sich über antike Statuen und Monumente. Heute existiert eine spezifisch deutsche Italienliteratur, in der es sich genau umgekehrt verhält, denn vor der großartigen Kulisse werden nun ausführlich die Italiener im Allgemeinen und die Römer im Besonderen als putzig-liebenswertes, melodramatisch-aufgeregtes Völkchen beschrieben, das zur Ernsthaftigkeit ebenso wenig fähig ist wie zur echten Tragödie. Als sei die Stadt losgelöst von ihren Menschen, als sei Rom nicht von den Römern geformt, sondern stehe gleichsam über ihnen. In dem »trotzdem«, das mir die Radiofrau hingeworfen hatte, klang genau das mit, die Unterscheidung zwischen der erhabenen Stadtlandschaft und den Niederungen ihres Alltagslebens. Wenn auch die Römer durch den Korruptionssumpf waten, Rom kann man dennoch lieben.

Diesen Unterschied gibt es natürlich nicht. Es existiert kein Rom ohne Römer, genauso wie es keine Römer ohne Rom gibt. Die Stadt und ihre Bewohner bilden vielmehr einen einzigartigen Kosmos, entstanden in einer fast dreitausendjährigen Geschichte; einen Kosmos, der kein Museum bildet, sondern eine bedeutende europäische Metropole. Mit der Besonderheit, dass Rom als doppelte Hauptstadt fungiert – die der Republik Italien und die der katholischen Christenheit.

Erst seit gut 150 Jahren existiert innerhalb des römischen Stadtgebietes ein Kirchenstaat, eigenständig natürlich, aber doch keineswegs isoliert. Der Vatikan ist der kleinste Staat der Welt, umgeben von einer multikulturellen Großstadt. Über viele Jahrhunderte waren die Päpste die Herrscher von Rom und die Römer ihre nicht immer duldsamen Untertanen. Das hat die Stadt wie die Städter geprägt. Aber heute wächst der Abstand zusehends, und zwar nicht nur, weil Rom neben der Peterskirche auch eine der größten Moscheen des Kontinents beherbergt. Genau wie das übrige Europa hat sich auch die einstige Stadt der Päpste von der Religion entfernt. Die Zahl der Kirchgänger ist hier nicht höher als anderswo, und in manchen Gemeinden wirken längst ausländische Pfarrer, weil kaum noch junge Italiener Priester werden wollen.

Das Leben in Rom unterscheidet sich also in manchen Aspekten nicht von dem in Köln oder Berlin. Aber etwas ist anders: Man schwimmt hier unweigerlich im Fluss der Geschichte. Wohin man auch blickt, andere haben ihre Zeugnisse hinterlassen, wohin man auch geht, man wird kaum der Erste sein. Schwierig, so etwas wie Aufbruchsstimmung zu spüren. Noch schwieriger, sich bemerkbar zu machen, selbst Zeichen zu setzen. Die Stadt ist nicht gelähmt, aber träge. Und ihr Phlegma ist wahrscheinlich das Fundament für ihre Überlebensfähigkeit. Was auch geschieht, es geht immer weiter. Egal, ob man selbst dazu beiträgt oder nicht.

Man lässt sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Und man pflegt gegenüber dem Leben und seinen Unwägbarkeiten eine gesunde Skepsis. Der Fanatismus ist den Römern fremd, die leise Ironie ihr hervorstechender Wesenszug. Und bloß nicht so wichtig nehmen bitte, wer will sich denn aufplustern vor all diesen Ruinen! Eine kleine Szene aus einem Tabakgeschäft in der Via Merulana zwischen Santa Maria Maggiore und dem Lateran. Ein Ladenloch, in dem man auch Lotterielose, grobes Meersalz und Briefmarken erwerben kann, also im weiteren Sinne staatliche Handelsgüter: An diesem Morgen sind neben dem Besitzer ein stämmiger Mittfünfziger und eine winzig kleine, uralte Frau zugegen. Alle drei rauchen und paffen, was das Zeug hält, bei großzügig ignoriertem Rauchverbot und sorgfältig geschlossener Ladentür. Der Stämmige liest das Mitteilungsblatt der Carabinieri. Die winzige Frau füllt konzentriert ihren Lottoschein aus, dafür braucht sie zwei Zigarettenlängen. Dann reicht sie den Schein dem Tabakhändler und flüstert: »Vielleicht wird es endlich was. Ich spiele schon fast 70 Jahre, weißt du. Und nie kommt was rein. Langsam dämmert mir, ich bin ein Verlierertyp.« Da kommt es laut dröhnend von dem Stämmigen: »Ich muss doch bitten, schöne Frau. Wir sind hier alle Verlierer!«

Das ist Rom. Abgeklärt und desillusioniert, aber deshalb nicht herzlos. Keine Angst, man kann sich in dieser Welthauptstadt der Skeptiker sehr wohlfühlen, vielleicht sogar zu Hause. Aber erwarten Sie jetzt bitte keine Gebrauchsanweisung. Wie sollte das denn gehen: Rom gebrauchen? Mit ein paar griffigen Spielregeln erfassen, wie diese Stadt lebt, wie sie atmet, wie man sich in ihr bewegt? Und auch, wenn Sie von Piazza zu Piazza geführt werden – dieses Buch ist kein Reiseführer, denn davon gibt es nun wirklich mehr als genug. Vielmehr ist jeder Platz Ausgangspunkt für eine imaginäre Wanderung durch das römische Innenleben. Manche Orte und die an sie geknüpften Gedankenspaziergänge sind gegenüber älteren Auflagen verschwunden, neue sind hinzugekommen. Denn die Stadt verändert sich, und ich habe mich natürlich auch verändert, nachdem ich in ihr mehr als die Hälfte meines Lebens verbracht habe. Eine Lebenshälfte, in der ich zur Römerin mutierte, obwohl ich immer noch keinen italienischen Pass besitze. Wir Römer sind allergisch gegen Bürokratie.

Übrigens ist – die Bemerkung sei an dieser Stelle erlaubt – der Begriff Deutschrömer hochinteressant. Weil er einzigartig ist. Es gibt keinen Deutschlondoner und keinen Deutschpariser, von einem Deutschmoskauer oder einem Deutschnewyorker ganz zu schweigen. Dabei haben in all diesen Städten stets Deutsche gelebt, vielleicht sogar mehr als in Rom. Aber in Rom empfanden sich die Deutschen als eher zugehörig als in anderen Städten. Sie eigneten es sich an. Und grenzten sich gleichzeitig ab von den übrigen Römern.

Heute ist der Begriff endgültig anachronistisch, denn in der Vielvölkerstadt gibt es Deutschrömer und Frankorömer ebenso wie Römer aus Indien, China, Syrien, Rumänien und Russland. Es sind neue und gleichzeitig uralte Römer, kamen doch im wahrhaft kosmopolitischen Weltreich der Antike nicht nur die Gladiatoren, sondern die Cäsaren selbst aus Nordafrika oder vom Balkan.

Rom ist weltläufig, Rom ist modern, Rom ist nirgends nur Kulisse, noch nicht einmal in der Altstadt, wo immer weniger Menschen leben. Rom ist nicht Caput Mundi, Haupt der Welt, aber auch nicht capoccia der mondo infame, die »Birne eines Kosmos der Niederträchtigkeit«, wie es in einem gleichnamigen Lied des cantautore, Liedermachers, Antonello Venditti heißt – dass »Roma capoccia« zur inoffiziellen Stadthymne avancierte, sagt natürlich viel aus über die grenzenlose Selbstironie der Römer. Man darf sich von all der Geschichte, all der Größe, all dem Genius eben auch nicht erdrücken lassen.

Mit Rom fertigzuwerden ist auch für die Römer schwierig. Denn entweder versucht man, alles zu ergründen, wühlt sich durch Kilometer von Literatur und hat am Ende doch nur die Hälfte verstanden. Oder man verzichtet von Anfang an darauf, will gar nicht erst wissen, was sich hinter all den Palazzi verbirgt, den vielen Kirchen, den Kaiserforen, und begreift natürlich erst recht nichts. So wie jenes gut gekleidete römische Paar um die 30, das sich in einer kalten Novembernacht auf der Via dei Fori Imperiali wiederfand und vollkommen die Orientierung verloren hatte. »Wir sind auf der Forenstraße«, sagte er, hob den Blick vom Smartphone und wies auf das Forum Romanum. »Dieses Forum, dieses verdammte Forum«, schimpfte sie und schüttelte den Kopf mit den gepflegten langen Haaren. »Wozu war das eigentlich nütze?«

Solch grundsätzliche Fragen kann der vorliegende Band leider...

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