Grundlagen
Dieses Buch soll kein Lehrbuch für Raumfahrttechnik sein. Ich denke aber, eine kleine Einführung in die Grundlagen wie Raketentriebwerke funktionieren, ist auch wichtig für ein Nachschlagewerk um das Lesen der folgenden Seiten zu erleichtern. An dieser Stelle daher eine Einführung die Funktionsweise von Antrieben, Treibstoffen und die wichtigsten Bahnen.
Treibstoffkombinationen
Flüssiger Sauerstoff (LOX – Liquid Oxygen) ist eines der stärksten Oxidationsmittel (Oxidator). Die Verbrennung von Sauerstoff mit dem Schweröl Kerosin, in den physikalischen Eigenschaften vergleichbar mit Heizöl, ist die älteste, heute noch verwendete Treibstoffkombination. Die als Raketentreibstoff verwendete Kerosinfraktion (der Name steht für eine Erdölfraktion mit hohem Siedepunkt) wird als RP-1 (Rocket Propellant 1) bezeichnet. RP-1 wird durch die Destillation des Treibstoffs JP-4 für Düsenflugzeuge erhalten. Dadurch erhält man die Fraktion mit dem höchsten Siedepunkt und der höchsten Wärmekapazität (wichtig für die Kühlung von Brennkammern)
Die Kombination von Sauerstoff und Kerosin ist ungiftig, Sie gehört zu den mittelenergetischen Treibstoffen. Obwohl Sauerstoff nur bei Temperaturen unter -183 Grad Celsius flüssig bleibt, ist er dennoch gut handhabbar. Kerosin eignet sich gut zur Kühlung der Brennkammer und Düse, da es über einen größeren Temperaturbereich flüssig bleibt und beim Erhitzen nicht zerfällt.
Auch heute noch werden neue Trägerraketen entwickelt, die LOX und Kerosin einsetzen, wie die Falcon, Angara oder Antares. Die Kombination gilt auch als relativ umweltfreundlich, obwohl Kerosin als Erdöl-Derivat bei seiner Freisetzung das Grundwasser belastet. Kerosin ist jedoch nicht so giftig wie Hydrazin und nicht so ätzend wie Stickstofftetroxid. Der Sauerstoff verdampft bei der Freisetzung einfach.
Stöchiometrie
Reagieren zwei oder mehrere Stoffe miteinander, so bezeichnet das stöchiometrische Verhältnis das Gewichtsverhältnis, bei dem eine vollständige Umsetzung der Reaktionspartner erfolgt. So beträgt die Atommasse von Wasserstoff 1, die von Sauerstoff 16. Bei der Reaktion
2 H + O → H2 O
reagieren bei stöchiometrischer Umsetzung zwei Atome Wasserstoff mit einem Atom Sauerstoff. Das stöchiometrische Verhältnis beträgt also 2 × 1 zu 16 oder 1 zu 8. Ist es höher, so wird ein Teil des Sauerstoffs nicht umgesetzt. Ist es niedriger, wird ein Teil des Wasserstoffs nicht umgesetzt. Bei Raketentreibstoffen ist das Letztere der Normalfall.
Der spezifische Impuls im Vakuum erreicht je nach Druck und Mischungsverhältnis etwa 3100 bis 3300 m/s. Etwas höhere Werte werden beim Verbrennen von Methan erreicht. Da es jedoch nur eine niedrige Dichte und einen niedrigen Siedepunkt aufweist, stellt es an die Technik ähnliche Anforderungen wie flüssiger Wasserstoff, ohne dessen hohen spezifischen Impuls aufzuweisen. Trotzdem wird derzeit am Einsatz von Methan geforscht. Da das Kerosin im Überschuss eingesetzt wird (LOX / Kerosin = 2,5 bis 2,8; das stöchiometrische Verhältnis beträgt 3,5 bis 3,8), entsteht bei der unvollständigen Verbrennung Ruß. Dieser Ruß färbt die Flamme des Triebwerks orange-rot und ist beim Start manchmal als Rußwolke sichtbar.
Stickstofftetroxid (englisch Nitrogentetroxid – NTO, eigentlich Distickstofftetroxid) ist das gemischte Anhydrid der Salpetersäure und der salpetrigen Säure. Anders als flüssiger Sauerstoff ist NTO bei 20°C flüssig. Eine besondere Eigenschaft von Stickstofftetroxid ist, dass es sich mit Hydrazinen spontan entzündet. Derartige Kombinationen werden als „hypergol“ bezeichnet. Das vereinfacht die Konstruktion eines Antriebs, da eine Zündvorrichtung überflüssig ist. Antriebe können durch gleichzeitiges Öffnen der Ventile beliebig oft erneut gestartet werden.
Die Lagerfähigkeit von Stickstofftetroxid und Hydrazinen führte dazu, dass sie bei militärischen Raketen eingesetzt wurden. Aus dem gleichen Grund sind sie die Standardkombination für Satellitenantriebe. Der große Nachteil ist ihre Giftigkeit. Stickstofftetroxid ist ätzend und bildet mit Wasser Salpetersäure.
Alle Hydrazine sind stark fischgiftig und schwer abbaubar. Aus diesem Grund wird diese Kombination heute für die ersten Stufen nicht mehr eingesetzt. Es werden drei Varianten dieses Treibstoffs eingesetzt:
- Das Hydrazin (H2N-NH2) ist der einfachste Vertreter der Reihe und liefert die höchsten spezifischen Impulse. Allerdings zerfällt es durch Hitze in ein Gemisch aus Stickstoff, Wasserstoff und Ammoniak. Deshalb ist es in reiner Form nicht geeignet, wenn mit dem Treibstoff die Brennkammer gekühlt werden soll. Verwendet wird daher meist ein Gemisch mit UDMH, z. B. Aerozin 50, das aus je 50 % Hydrazin und 50 % UDMH besteht. Von Vorteil ist, dass Hydrazin die höchste Dichte aller Hydrazine besitzt. Reines Hydrazin wird als monergoler Treibstoff (nur eine Komponente erforderlich) für Satellitenantriebe verwendet. Dort zersetzen es Katalysatoren in ein Heißgas.
- UDMH, das unsymmetrische Dimethylhydrazin (CH3)2-N-NH2, wird öfter eingesetzt als das reine Hydrazin. Es zersetzt sich nicht durch Hitze. Der spezifische Impuls und die Dichte von UDMH sind geringer als bei Hydrazin. Seine Herstellung ist relativ teuer.
- Vor allem bei Satellitenantrieben wird das Monomethylhydrazin, MMH (CH3)H-N-NH2 eingesetzt. Der spezifische Impuls vom MMH ist etwas geringer als derjenige von UDMH und Hydrazinen. Dafür gibt es aber bei der Anwendung von MMH einen sehr praktischen Vorteil. Bei dem üblichen Mischungsverhältnis von MMH und NTO von 1 zu 1,6 nehmen beide Treibstoffe gleiche Volumina ein. Die Tanks können daher gleich groß sein, dies erleichtert die Fertigung. Den gleichen Vorteil hat auch das Aerozin 50 (eine Mischung von 50 % Hydrazin und 50 % UDMH), welche in der Titan Trägerrakete als Treibstoff eingesetzt wurde.
Charakteristisch bei Zündung eines Triebwerks mit Stickstofftetroxid als Oxidator ist eine braune Wolke. Bei Treibstoffen, die bei Kontakt zünden, muss die Entstehung eines explosiven Gemisches vermieden werden. Dies wird bewerkstelligt, indem erst die eine Komponente zuerst in die Brennkammer strömt. So kann kein explosives Gemisch entstehen. Die Komponente, die zuerst einströmt, verbrennt zum Anfang nur unvollständig und der unverbrannte Rest wird freigesetzt. Genutzt wird dazu das Stickstofftetroxid, da es die billigere und weniger giftige Komponente von beiden Treibstoffen ist. Beim Erhitzen zerfällt Stickstofftetroxid in Stickstoffdioxid (NO2), das als rotbraune Wolke beim Start zu sehen ist.
Der spezifische Impuls von NTO und Hydrazin liegt in der gleichen Größenordnung wie derjenige von Kerosin (2900 bis 3200 m/s). Ein Vorläufer des NTO ist die Salpetersäure. Salpetersäure zersetzt sich bei der Verbrennung zu Wasser und NTO. Der nutzbare Energiegehalt ist daher geringer, doch war Salpetersäure früher verbreiteter und einfacher verfügbar. Diese Kombination wurde bei der Agena Oberstufe (S.→) und den ersten Delta Oberstufen eingesetzt.
Von den verwendeten Treibstoffen liefert die Verbrennung von flüssigem Wasserstoff (Liquid Hydrogen – LH2) mit flüssigem Sauerstoff am meisten Energie. Nur wenige Kombinationen sind noch leistungsfähiger, doch bei diesen gibt es entweder Bedenken wegen der Giftigkeit (Fluor oder Fluor/Sauerstoff als Oxidator verbrannt mit Wasserstoff) oder sie sind extrem teuer (Verbrennung von Lithium oder Beryllium zusammen mit Wasserstoff als Verbrennungsträger und Sauerstoff als Oxidator).
Wasserstoff als Treibstoff wird erst seit den frühen sechziger Jahren genutzt. Die Nutzung dieses Treibstoffs sagt viel über die technologische Kompetenz einer Raumfahrtnation aus. Die technischen Schwierigkeiten liegen in vielen Bereichen. Bei den Tanks liegen die Herausforderungen darin, dass Wasserstoff eine geringe Dichte von unter 0,07 kg/l hat, also vierzehnmal kleiner als die von Wasser. Benötigt werden daher sehr großräumige Tanks, die aber sehr gut isoliert sein müssen, da Wasserstoff nur in einem sehr kleinen Temperaturbereich zwischen -259 und –253 °C flüssig ist. Bei Sauerstoff sind es dagegen -219 und – 182 °C, also ein Intervall von 37 Grad. Die Kombination von tiefen Temperaturen und großen Tanks stellt hohe Anforderungen an die Werkstofftechnologie.
In den Triebwerken wird der Wasserstoff zur Kühlung verwendet. Er verdampft dabei, nimmt aber im Vergleich zu Kerosin weitaus weniger Wärme auf. Entsprechend leistungsfähig muss die Kühlung ausgelegt sein, zumal die Verbrennung von Wasserstoff und Sauerstoff höhere Temperaturen erzeugt und bestimmte Metalle den Wasserstoff binden und dann spröde werden.
Bei den Förderpumpen für den Wasserstoff besteht die Herausforderung, dass durch die geringe Dichte die zu fördernden Volumina viel größer sind, als dies bei anderen Treibstoffen der Fall ist....