Wir verlassen nun das erste Untergeschoss, die Oberhaut, und bewegen uns in Richtung zweites Untergeschoss, zur Lederhaut. Doch zunächst halten wir noch einen Moment inne und betrachten die wellige Geschossdecke, die beide Etagen voneinander trennt und gleichzeitig auch verbindet. Denn hier ist einiges los.
Leberflecken
In der Fachsprache nennen wir diese Geschossdecke Basalmembran. Hier finden wir zum Beispiel die Geschwister der Melanozyten, die Leberfleck- oder Nävuszellen. Ein Leberfleck ist eine nestförmige Ansammlung von Melanozyten oder von Nävozyten. Letztere sind die kugeligen und faulen, weil nichtsnutzigen Varianten der Melanozyten. Faul, weil sie nichts tun und niemand versteht, wozu die Natur sie überhaupt erfunden hat. Im Grunde braucht sie kein Mensch.
Die Nester der Leberfleckzellen liegen oft dicht unterhalb der Basalmembran oder auch darüber. Diese eher oberflächlichen Gesellen haben einen hellbraunen Farbton, die tiefgründigeren Kollegen wirken graublau, die unentschiedenen sind mittelbraun. Die großen hellbraunen Varianten nennen Dermatologen »Café-au-Lait«- und »Linsenflecken«. Leberflecken erinnern an die braune Leber, haben aber sonst mit diesem Organ nichts zu tun.
Viele entstehen erst im Laufe des Lebens oder werden dann erst sichtbar. Zuvor haben sie sich jahrelang in der Tiefe des Gewebes getummelt, bevor sie eines Tages hervorploppen. Das geschieht in der Regel bis zum Alter von etwa 30 Jahren. Auch in der Schwangerschaft können noch ein paar nach oben kommen. Im Alter schließlich tauchen einige wieder in die Tiefen des Gewebes ab. Muttermale sind übrigens angeborene Leberflecken.
Leberflecke sind gutartige Tumoren, die aber zu schwarzem Hautkrebs entarten können. Leider liegen manchmal verstreute entartete Melanozyten im Auge, in Lymphknoten, im Darm oder in inneren Organen, weshalb in ganz seltenen Fällen schwarzer Hautkrebs auch außerhalb der Haut entstehen kann.
Blasen, Wunden und Narben
Mit etwas Phantasie können wir uns den Aufbau der Basalmembran, der Schicht zwischen dem ersten und zweiten Untergeschoss, wie einen Pappkarton für Eier vorstellen. Durch diese wellenartige Konstruktion können sich die Oberhaut und die darunterliegende Lederhaut stabiler miteinander verzahnen. So kann ein einfaches Verrutschen verhindert werden. Den Effekt spüren wir, wenn wir uns in Röhrenjeans quetschen, in engen Schuhen laufen oder eine Rückenmassage bekommen – ohne diese Verzahnung würde sich die Oberhaut sofort blasig abheben.
Dennoch stellt diese Membran einen Schwachpunkt dar. Für Mediziner ist sie ein Locus minoris resistentiae, ein Ort geringen Widerstands. An einem solchen Schwachpunkt entstehen leider gerne Blasen, wie beim klassischen Fall des Barfußlaufens in reibenden Schuhen. Die Blase ist ein Hohlraum, der sich zwischen den beiden Hautschichten Epidermis und Lederhaut mit Lymphe füllt. Und weil dort auch eine Menge Nervengefäße verlaufen, tut die Blase ordentlich weh, besonders wenn sie aufgeht und der rohe Blasengrund zum Vorschein kommt.
Der Deckel der Blase wird zwar von der Epidermis mit all ihren Schichten gebildet, dennoch ist er dünn und platzt gerne mal. Wenn die Blase sich sehr stark füllt oder aufgeht, schlagen die Sensoren der Gefühls- und Schmerznervenfasern Alarm. Der Körper muss informiert werden, dass hier etwas nicht stimmt, dass ein Leck aufgetreten ist, durch das Bakterien eindringen können, oder dass möglicherweise eine Ausdehnung der Blase droht. Damit genau das nicht geschieht, kann eine Druckentlastung manchmal sinnvoll sein. Wenn Sie selbst Hand anlegen, weil die Blase so weh tut oder so gespannt ist, bitte Vorsicht: Um das Risiko zu vermindern, sich Bakterien einzufangen, sollte man die Blasenhaut sehr gut desinfizieren und dann mit einer abgeglühten Nadel oder einer sterilen Kanüle aus der Apotheke vorsichtig punktieren. Ist der Druck raus, sollte man den Blasendeckel als körpereigenes Biopflaster darüber liegen lassen oder wieder vorsichtig an die verletzte Stelle ziehen und mit desinfizierender Salbe oder einem zusätzlichen Blasenpflaster abdecken. Gleiches gilt, wenn der dünne Epidermisdeckel dem Druck nicht mehr standhalten konnte und die Blase von allein aufgegangen ist.
Apropos offene Blase: Es gibt einen alten Mythos, der da heißt: »An die Wunde muss Luft ran!« Bei Blasen mit und vor allem ohne erhaltenen Blasendeckel, bei Schürfungen und Verbrennungen ist jedoch der modernen Wundversorgung Vorzug zu geben, denn hier können wir uns die körpereigenen Heilstoffe aus der Lymphe zunutze machen. Schorf ade, willkommen feuchte Wundbehandlung! Moderne Wundauflagen für diese Form der Behandlung heißen Hydrokolloidverbände, Hydrogelauflagen, Alginate oder Polyurethanschaumstoffverbände. Man könnte auch »Hautersatz auf Zeit« dazu sagen. Schorf entsteht so nicht, und das ist auch gut so, denn eine Schorfkruste ist hart, kantig und abgestorben und führt deshalb zu verzögerten Heilungsverläufen. Eine Kruste blockiert den Einmarsch des Zellnachwuchses von den seitlichen Wundrändern. Auch Standardpflaster sind keine gute Lösung.
In einem feuchten und zugleich atmungsaktiven Wundmilieu dagegen bilden sich die frischen, saftigen Heilzellen der Epidermis am allerbesten. Sie können sich die verletzte Hautstelle wie eine kleine, pflegebedürftige Pflanze vorstellen. Die gedeiht auch am sichersten und schnellsten in einem Gewächshaus – einem feuchtwarmen Biotop mit ausreichend Sauerstoffzufuhr und Biodünger. Die modernen Wundauflagen lassen Sauerstoff durch, hemmen aber den Eintritt von Bakterien. Gleichzeitig funktioniert unser darunter angesammeltes körpereigenes Wundwasser als Bio-Super-Dünger. Dieser Powermix aus körpereigenen Heilstoffen besteht aus Immunzellen, Botenstoffen, Eiweißen und Enzymen, die die frischen Hautzellen bombig gedeihen lassen.
Übrigens killt leider schon ein einziger Zug aus einer Zigarette zahllose frische Heilzellen auf der Haut! Rauchen verursacht deshalb massive Wundheilungsstörungen.
Freches Krüstchen
Wir Dermatologen sind sehr sinnliche Typen. Wir schauen, riechen und fühlen. Krusten liefern dabei ein ganz eigenes optisches und haptisches Erlebnis. An dieser Stelle möchte ich Sie gerne an der kleinen Spurensuche rund um Krusten oder – wie viele auch sagen – »Schorf« beteiligen.
Krusten bestehen aus eingetrockneten Sekreten, die hier und da aus Wunden herauskommen. Die Farbe einer Kruste verrät, was für ein Problem hinter ihr stecken könnte: Rotschwarze Krusten bestehen aus geronnenem Blut, sie folgen auf Verletzungen mit Blutaustritt. Bei hellgelben Krusten dagegen handelt es sich um eingetrocknete Gewebeflüssigkeit (Serum, Lymphe), die aus kleinen Hautbläschen oder Blasen ausgetreten ist. Ebenso kommt diese Kruste vor bei nässenden Ekzemen, also Entzündungen der Oberhaut. Färbt sich eine Kruste orange oder »honiggelb«, ist das ein Zeichen für eine infektiöse, bakterielle Verseuchung. Die Kruste besteht aus getrocknetem Eiter, der durch extrem ansteckende Bakterien (Streptokokken oder Staphylokokken) verursacht wurde. Ein anderer Name dafür ist »Grindflechte«.
Schwarzgrau wird es dann im Falle des Absterbens von Gewebe. Diese Krusten verbreiten manchmal einen Verwesungsgeruch und sind Ausdruck einer schwerwiegenden Erkrankung. Solche Nekrosen können bei Gefäßentzündungen, Gefäßverschlüssen oder tiefgreifender Gürtelrose auftreten.
Ist die Kruste dagegen stückig und von weißlich gelblicher Farbe, dann sind ins helle Wundsekret einfach ein paar Hornzellen mit hineingemanscht, weshalb sie von Dermatologen den Titel »Schuppenkruste« verpasst bekommt.
Überfressene Narben
Manche Menschen sind trotz oder wegen ihrer Narben berühmt geworden. Der Schauspieler Jürgen Prochnow, gut aussehend, erfolgreich – Aknenarben. Auch der »Schmiss«, eine absichtlich zugefügte Schnittverletzung auf der Wange mit nachfolgender Narbenbildung, ziert bis heute das Antlitz mancher »alter Herren«, die während ihres Studiums einer schlagenden Verbindung angehörten. Besonders bis zum Zweiten Weltkrieg war der Schmiss ein Merkmal männlicher Akademiker. Schmucknarben dekorieren auch die Haut mancher Naturvölker, und bei hippen Städtern lag die »Skarifizierung« ebenfalls eine Zeitlang im Trend.
Fast jeder von uns hat irgendwo eine Narbe, entstanden durch tiefe Pickel, Windpocken, Unfälle, Verbrennungen oder chirurgische Schnitte. Die meisten Narben stören die Optik nicht. Andere entstellen jedoch, springen gleich auf den ersten Blick ins Auge oder sind nach traumatischen Ereignissen entstanden und erinnern den Verletzten täglich an das Erlebte. In diesen Fällen sind Narben für die Betroffenen eine Belastung.
Eine Narbe entsteht immer dann, wenn die Basalmembran auf einer größeren Strecke verletzt wird. Der Substanzverlust der Epidermis muss dann mit minderwertigem, störrischem Narbenersatzgewebe aufgefüllt werden. Eine Narbe ist zunächst rot. Dafür sorgen einsprossende Blutgefäße, über die wie bei einer Baustellenzufahrt das Baumaterial für die neue Narbe geliefert wird. Sie blasst im weiteren Verlauf dann von rot auf rosa ab und wird am Ende, nach Abschluss der Bauarbeiten, weiß, hart und unelastisch. Sie hat keine Schweiß- oder Talgdrüsen, keine Haarfollikel und keine Pigmentzellen. Sie bräunt also nicht mit und ist kahl. Aber immerhin verschließt sie die Wunde stabil.
Eine oberflächliche Schürfwunde tut arg weh, weil die empfindlichen Nervenenden freiliegen. Und die nehmen ihre Funktion als lokales Frühwarnsystem nun...