Die Alternsforschung
Die Entwicklung der Lebenserwartung
Schaut man auf die letzten 125 Jahre, hat sich zumindest die Lebenserwartung des Menschen deutlich erhöht. In Europa lag sie im Jahr 2015 bei durchschnittlich 78 Jahren. Der Durchschnitt unterteilt sich in knapp 81 Jahre für Frauen und etwas mehr als 74 Jahre für Männer. Dabei haben die Menschen in West-, Süd- und Nordeuropa laut Statistik ziemlich gleiche Chancen, dieses Alter zu erreichen, während etwa in Osteuropa die Lebenserwartung deutlich niedriger liegt (Frauen 78, Männer 68). Das lässt den Schluss zu, dass sich auch die Lebensumstände auf die Lebenserwartung auswirken.
Dementsprechend lag sie um 1890 in Deutschland bei rund 40 Jahren für Frauen und ungefähr 37 Jahren für Männer. Das heißt, dass sich die Lebenserwartung in dem relativ kurzen Zeitraum von 125 Jahren nahezu verdoppelt hat. Das ist eine gewaltige Entwicklung hin zum Älterwerden. Was ist der Grund? Die Wissenschaft macht dafür die medizinisch-pharmazeutischen Fortschritte und die damit einhergehende deutlich gesunkene Mütter- und Säuglingssterblichkeit im letzten Jahrhundert verantwortlich. Gleichzeitig fanden die Ausrottung von Pest und Cholera, die Entdeckung von Penizillin, der breite Einsatz von Antibiotika sowie die Innovationen in der Medizintechnologie statt.
Aber nicht nur der Zugang zu guten medizinischen Bedingungen hat sich verlängernd auf die Lebenserwartung ausgewirkt, auch die hygienischen Verhältnisse haben sich in dieser Zeit extrem verbessert und die Ernährung wurde ausgewogener. All das beeinflusste die Lebensspanne des Menschen positiv. Die maximale Lebensspanne liegt für den Homo sapiens derzeit bei etwa 120 Jahren. Diese erreichen zwar immer noch sehr wenige Personen, doch auch sie sterben dann in der Regel nicht an hohem Alter, sondern wie die meisten Menschen vor allem an sogenannten altersassoziierten Krankheiten wie Immunschwäche, Herzinfarkt, Krebs, Schlaganfall oder an schweren Erkrankungen der Atemwege.
Das Ende der Fahnenstange?
Die Wissenschaft ist sich nicht im Klaren darüber, wann das Ende des Alterns erreicht sein könnte. Doch gehen die Gerontologen davon aus, dass etwa 50 Prozent der Menschen, die im Jahr 2015 geboren wurden, 100 Jahre alt werden.
Bis heute haben sich die Lebensumstände in der westlichen Welt mit weiterem medizinischen Fortschritt, allgemeinem Wohlstand und einer gut ausgebauten Gesundheitsversorgung zwar immer weiter verbessert, das Leben ist vor allem bequemer geworden. Doch gerade diese Bequemlichkeit hat bezogen auf die körperliche Gesundheit durchaus Schattenseiten. Bewegungsmangel und »körperlicher Stillstand« sind hohe Risikofaktoren. Bis vor 20 Jahren hat das Leben uns ganz allgemein und den Körper im Besonderen noch deutlich mehr gefordert. Inzwischen sitzen die Menschen bis zu 14 Stunden am Tag (Büro, Internet, TV). Doch zu viel Sitzen und zu wenig Bewegung im Alltag schadet der Gesundheit und fördert frühzeitiges Altern. Denn der Mensch ist von seiner gesamten Physiologie her nicht für den Stillstand geschaffen. Wir müssen uns bewegen, damit unser Stoffwechsel rund läuft und wir auch im Alter fit bleiben. Näheres dazu im Kapitel »Bewegung«.
Zu dieser durchaus negativen Entwicklung – Bewegungsmangel und in der Folge Übergewicht mit seinen krank machenden Konsequenzen nehmen in unserer Gesellschaft dramatisch zu – kommt, dass der Mensch heutzutage massiven schädigenden Einflüssen von außen ausgesetzt ist. Dazu gehören Feinstaub, Giftgase, Smog in der Luft sowie Pestizide in den Lebensmitteln. Die Belastung ist enorm, wird aber von den meisten Menschen völlig unterschätzt – denn man sieht sie nicht, riecht sie nicht und schmeckt sie nicht. Das macht sie äußerst gefährlich für Körper und Gesundheit. Umso mehr ist eine umfassende Bewusstheit über die Einflussfaktoren und wie diese auf uns, unseren Körper, unsere Gesundheit und damit unseren Alterungsprozess wirken, vonnöten. Denn nur dann können wir mit passenden Maßnahmen und Programmen dem Alterungsprozess gegensteuern. Darüber werden Sie in diesem Buch noch mehr erfahren.
Was bedeutet Altern? – Die Physiologie des Alterungsprozesses
Auf körperlicher Ebene definieren Gerontologen das Altern folgendermaßen: Nach dem Erreichen einer Vitalitätsspitze im Alter von 20 bis 30 Jahren beginnt beim Menschen die Alternsphase. Das heißt, die Leistungsfähigkeit von Geweben und Organen nimmt zwar schleichend, aber unumkehrbar ab. Hinzu kommt, dass mit den Lebensjahren die Wahrscheinlichkeit steigt, an altersassoziierten Krankheiten zu sterben.
Die Gerontologie ist die Wissenschaft, die sich mit dem Alter beziehungsweise dem Altern beschäftigt. Sie untersucht unter anderem, was genau im menschlichen Körper – also auf der physiologisch-biologischen Ebene – passiert, wenn er altert. Zugleich stellt sie die Frage, ob diese Prozesse umkehrbar sind und ob es Möglichkeiten gibt, das Altern aufzuhalten oder zumindest zu verlangsamen. Denn der Wunsch, die Jugend zu bewahren beziehungsweise ewig zu leben, ist so alt wie die Menschheit selbst. Und auch wenn trotz fortschrittlichster medizinischer, pharmazeutischer oder technischer Entwicklungen keine Lösung für ein ewiges Leben in Sicht ist, so hat sich die Lebensspanne des Menschen – wie schon erwähnt – in den letzten 100 Jahren doch deutlich erhöht. Und die Wissenschaft arbeitet intensiv daran aufzuzeigen, mit welchen Maßnahmen beziehungsweise unter welchen Umständen es uns Menschen gelingen kann, wenigstens möglichst gesund und fit zu altern. Das Ziel ist offensichtlich: dem inzwischen längeren Leben mehr Qualität zu geben – auf allen Ebenen.
Zunächst soll es hier aber um die Frage gehen: Was passiert beim Altern im Körper des Menschen? Welche Prozesse und Effekte liegen dem »biologischen Altern« zugrunde? Mit einigen skizzierten Einblicken in die Biologie des Alterns erläutere ich anhand der wichtigsten Körperteile und -regionen, was Altern bedeutet.
Die Gerontologen gehen davon aus, dass sich der menschliche Körper zunächst über eine gewisse Lebenszeit steil »nach oben« entwickelt: optimales Körperwachstum einschließlich maximaler Reproduzierbarkeit und Reparaturfähigkeit der Zellen, maximierte körperliche Leistungsfähigkeit (Organe, Muskeln) sowie die Ausprägung kognitiver und emotionaler Fähigkeiten (Gehirn, Geist). Diese umfassende Entwicklung gipfelt zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr in einer Vitalitätsspitze. Eine der Messgrößen beispielsweise ist die bestmögliche Sauerstoffaufnahme, die Frauen schon mit 16 Jahren erreichen und Männer mit 18. Danach geht diese maximale biologische Leistungsfähigkeit im Sinne des allgemeinen aeroben Austauschs schon wieder zurück. Sie baut sich jedes Jahr im Ausdauerbereich um 3 Prozent und im Muskulaturbereich um 3 bis 5 Prozent ab.
Weitere altersbedingte Veränderungen: Das Körperfett nimmt zu und die Körperflüssigkeit ab, auch die Muskelmasse schwindet und die Leistungsfähigkeit des Grundstoffwechsels sowie die Temperaturregulation lassen nach.
Theorien zum Altern
Auf der Suche nach den Ursachen des allgemeinen Alterungsprozesses – also den irreversiblen Veränderungen von Geweben und Organen – haben Wissenschaftler zahllose Theorien entwickelt. Die drei bedeutendsten sind:
- 1. Die Freie-Radikale-Theorie
- 2. Die Telomeren-Theorie
- 3. Die Neuroendokrine Theorie
Oxidativer Stress – Freie Radikale greifen Zellen an
Als eine der Hauptursachen für unser körperliches Altern nennt ein Teil der Forscher den sogenannten oxidativen Stress in den menschlichen Zellen. Dieser greift direkt DNA, Proteine und Lipide der gesunden Zelle an und verursacht dort Schäden, die im Laufe des Älterwerdens nicht mehr repariert werden können. In jungen Jahren ist das kein Problem – denn Zellstoffwechsel und Zellvermehrung werden von chemischen Botenstoffen wie Hormone, Wachstumsfaktoren oder Zytokine gesteuert. Das passiert im Laufe des Alterns in immer geringerem Maße.
Der oxidative Stress entsteht aufgrund eines – mit den Jahren zunehmenden – Ungleichgewichts im Körper: Aggressive Sauerstoffverbindungen, sogenannte freie Radikale (ROS), nehmen im Vergleich zu den Radikalfängern überhand. Letztere sind körpereigene Schutzzellen, die durch antioxidative Mechanismen in der Lage sind, die schädlichen ROS zu inaktivieren. Je mehr im Laufe des Älterwerdens dieses natürliche Schutzsystem des Körpers aus der Balance gerät, desto umfangreicher sind die entstehenden Zellschäden, die den Alterungsprozess beschleunigen und altersbedingte Krankheiten verursachen. Die gute Nachricht: Sogenannte Antioxidantien können wir mit der Nahrung gezielt zuführen und damit unseren Körper bei der Freien-Radikalen-Abwehr unterstützen. Beispielsweise gibt es besonders viele dieser Radikalvernichter in den Vitaminen C und E sowie in Karotinoiden. Obst und Gemüse sind natürliche Lieferanten der lebenswichtigen antioxidativen Stoffe. Lesen Sie dazu auch die Tipps zur Verjüngungsernährung.
Übeltäter: Freie Radikale
Freie Radikale (ROS: reactive oxygen species) sind hochreaktive Sauerstoffverbindungen, die zum größten Teil bei der sauerstoffverbrauchenden Energiegewinnung in den Mitochondrien in Zellen entstehen.
Auch UV-Licht, Umweltgifte, Nikotin oder Medikamente haben Einfluss auf ihre Entstehung. Werden die ROS von den antioxidativ wirksamen Radikalfängern nicht in Schach gehalten, kommt es zu...