I. Frühgeschichtliche Voraussetzungen
Die Vorfahren der Griechen
Im Gebiet des heutigen Griechenland sind Siedlungen seit dem 7. Jt. v. Chr. belegt. Von griechischer Geschichte ist aber erst zu reden, seitdem Gruppen mit griechischer Sprache (bzw. einer frühen Form davon) sich niedergelassen hatten. Die griechische Sprache gehört zur indogermanischen Sprachfamilie, die nicht im Mittelmeerraum zu Hause war, sondern in einer nördlicheren Gegend (mag auch deren genaue Bestimmung umstritten sein). Bezüglich der älteren Bewohner Griechenlands spricht man oft mit absichtlicher Unbestimmtheit von einem ägäischen Substrat. Ortsnamen gleichen Typs finden sich in Kleinasien und auf Kreta. Aus der Verschmelzung indogermanischer Einwanderer mit der bereits ansässigen Bevölkerung entstand das griechische Volk – vorsichtiger: die erste seiner wechselnden Gestaltungen. Denn einerseits gab es mehrfache Zuwanderungen sprachverwandter Gruppen, andererseits wurden in den weiten Gebieten des Mittel- und Schwarzmeerraumes, die im Laufe der Jahrhunderte von Griechen besiedelt wurden, weiterhin Nichtgriechen integriert. Das neuzeitliche griechische Volk schließlich ist auch geprägt durch die massenhafte Einwanderung von Slaven im 7. Jh. n. Chr. und durch die jahrhundertelange Türkenherrschaft. Bedenkt man dies alles, wird die Frage nach der griechischen Nationalität und ihrem Anfang einigermaßen relativiert.
Von erheblicher Bedeutung ist immerhin, ob die glanzvolle Kultur der späten Bronzezeit, die nach dem wichtigsten Fundort auf der Peloponnes auch die mykenische Periode genannt wird, bereits von Griechen getragen war. Entscheidend ist dabei das Urteil über die Entzifferung knapper Wirtschafts- und Verwaltungstexte in der sogenannten Linearschrift B auf zahlreichen Tontäfelchen, die in den Ruinen mehrerer Siedlungszentren gefunden wurden, die meisten in Knossos im Norden Kretas und in Pylos an der Südwestküste der Peloponnes. Sie sind nur deshalb bis heute erhalten, weil sie durch Feuer bei der Zerstörung der Zentren am Ende des 13. Jh.s v. Chr. (auf Kreta vielleicht schon im 14. Jh.) gehärtet worden waren. Obgleich die aus Bildzeichen entwickelte Silbenschrift kretischen Ursprungs ist, wurde die damit wiedergegebene Sprache zuerst 1952 durch Michael Ventris und John Chadwick als eine frühe Form des Griechischen bestimmt. Eine Minderheit von Gelehrten ließ sich nicht davon überzeugen. Tatsächlich sind die Lesungen etwas enttäuschend, die Texte oft vieldeutig oder gar nicht verständlich. Eine Silbenschrift paßt nicht zur griechischen Sprache. Aber diejenigen, die sie verwendeten, wußten, worum es ging. Außerdem dürfte das Vokabular nichtgriechische Bestandteile enthalten haben. In sprachwissenschaftlicher Sicht wird die Sprache der lesbaren Texte vor allem durch ihre grammatischen Formen als griechisch bestätigt.
Die Täfelchen geben gemäß den Fundumständen nur ein punktuelles Bild. Auf Kreta dürften mykenische Griechen sich erst wenige Generationen vorher etabliert haben. Wenn aber auf dem Festland am Ende der mykenischen Kultur griechisch gesprochen wurde, ist das für die ganze Periode anzunehmen, d.h. mindestens seit dem 17. Jh. Daher wird von manchen Forschern die erste Einwanderung griechisch sprechender Gruppen um diese Zeit angesetzt, doch abgesehen von einer scheinbaren Plötzlichkeit des Aufschwungs ist kein markanter Bruch gegenüber der vorangehenden Periode der mittleren Bronzezeit zu erkennen. Eher lassen Zerstörungen gegen Ende des 3. Jt.s das Eindringen neuer Bevölkerungsgruppen vermuten, vielleicht parallel zur Einwanderung von Indogermanen in Kleinasien. Zwingend sind solche Annahmen nicht. Es ist überhaupt fraglich, ob mit einer größeren Einwanderungswelle zu rechnen ist und nicht mit dem Einsickern kleiner Gruppen über einen langen Zeitraum hin.
Derartige Vorgänge würden der landschaftlichen Zerrissenheit Griechenlands entsprechen. Das Land ist von Gebirgen durchzogen, die sich sogar in unmittelbarer Meeresnähe zu beachtlichen Höhen erheben. Der Olymp, in den Mythen der Griechen Wohnsitz der Götter, erreicht mit 2917 m fast die Höhe der Zugspitze. Die für Ackerbau geeigneten, meist kleinen Flußtäler sind voneinander durch unwegsame Höhenzüge getrennt, die im Altertum nur von Fußgängern und Tragtieren (Eseln und Maultieren) überquert werden konnten. So ist der Kamm des zwischen den fruchtbaren Landschaften Lakonien und Messenien auf der Peloponnes gelegenen Taygetos-Gebirges streckenweise mehr als 2000 m hoch. Der Verkehr war daher zu Wasser oft leichter als zu Lande, zumal das Meer infolge der besonders auf der Ostseite ausgeprägten Gliederung der Küste nirgendwo weit entfernt ist. Die vielen Inseln im Ägäischen Meer waren ohnehin nur auf dem Seeweg zu erreichen.
Aus den Einwanderern und den Vorbewohnern, die ihre Sprache übernahmen, entstand das Volk der Frühgriechen. Ihre Sprache wird als mykenisch bezeichnet, die mit ihnen befaßte Spezialdisziplin als Mykenologie. Auch Achäer werden sie in Anlehnung an den Sprachgebrauch der unter dem Namen Homers überlieferten Epen Ilias und Odyssee genannt; sie sind nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Dialektgruppe der historischen Zeit. Der Name Hellenen ist erst seit dem 7. Jh. v. Chr. als Gesamtname nachweisbar. Hellas hieß ursprünglich nur eine kleine Landschaft in Thessalien. Unsere Bezeichnung Griechen geht auf die lateinische Graeci zurück.
In der archäologischen Terminologie heißt die in der ersten Hälfte des 3. Jt.s beginnende Bronzezeit auf dem Festland Helladikum und wird in die Perioden Früh-, Mittel- und Späthelladikum (FH, MH, SH) mit Unterabschnitten anhand der Abfolge von Keramikstilen gegliedert. Die Entsprechung für Kreta heißt Minoikum (FM, MM, SM).
Das minoische Kreta
Die vorgriechischen Kreter der Bronzezeit bezeichnen wir nach einem sagenhaften, die See beherrschenden König Minos als Minoer. Wie sie selbst sich nannten, ist unbekannt. Das nach Sprache und Herkunft noch immer rätselhafte Volk hat eine hochentwickelte eigenständige Kultur geschaffen, die erst durch die seit 1900 von Arthur Evans betriebenen Ausgrabungen wieder ans Licht getreten ist und deren Kunst durch Naturverbundenheit und ein scheinbar unbeschwertes Lebensgefühl einen großen Reiz für Menschen des 20./21. Jh.s hat.
Die eigentliche Blütezeit des 2. Jt.s ist charakterisiert durch eine spezifisch kretische Art von Palästen inmitten städtischer Zentren (Knossos, Phaistos mit Hagia Triada, Malia und Zakros). Daher hat sich neben der etwas schematischen Einteilung des Minoikums nach Keramikstilen eine an den Palästen orientierte Gliederung durchgesetzt. Die präpalatiale Periode entspricht dem Frühminoikum. Die Palastzeit zerfällt in die Perioden der älteren (MM I–II) und der jüngeren Paläste (MM III–SM II bzw. III).
Die älteren Paläste sind nach wiederholten Zerstörungen wohl infolge von Erdbeben um und nach 1700 eingeebnet und überbaut worden. Der bedeutendste war in dieser Zeit anscheinend der von Phaistos, dessen Nachfolger kleiner war. Der größte der jüngeren Paläste stand in Knossos. Die Paläste dienten nicht nur als repräsentative Wohnsitze, sondern auch als Sammelstellen für Abgaben, als Zentren des inneren Austausches und des Fernhandels, ja sogar als Produktionsstätten des Handwerks. Die Gebäudekomplexe gruppierten sich jeweils um einen Zentralhof.
Vor und neben den Palästen existierten kleinere sogenannte Herrenhäuser als Wohn-, Amts- oder Wirtschaftsgebäude von Angehörigen der führenden Schicht, manche außerhalb der Städte, von denen die Paläste jeweils einen Teil bildeten. Nur die kleine Stadt Gurnia (nach heutigen Begriffen ein Dorf) ist vollständig ausgegraben. Die Einwohnerzahl von Knossos wird auf 30.000 oder auch sehr viel mehr geschätzt. Die Häuser waren meist dicht aneinandergedrängt und mehrgeschossig. Städte wie Paläste waren nicht befestigt.
Auf der Insel scheinen für längere Zeit keine kriegerischen Auseinandersetzungen stattgefunden zu haben, äußere Gegner nicht bedrohlich gewesen zu sein. Die Minoer kontrollierten ihrerseits Teile der Ägäis. Jedenfalls war ihr wirtschaftlicher und kultureller Einfluß beträchtlich. Wer in den Palästen die Macht ausübte, ist nicht erkennbar, denn etwaige Herrscher sind nicht so deutlich wie in Vorderasien und Ägypten hervorgehoben. Frauen nahmen eine hohe gesellschaftliche Stellung ein, besonders im Kult.
In der Palastverwaltung verwendete man eigene Schriftsysteme, sowohl Bilderschrift (Hieroglyphen) als auch die kombinierten Silben-Bilderschriften Linear A und B. Die letzte wurde, wie oben gesagt, am Ende für griechische Texte verwendet. Die Sprache von A ist bisher unverständlich geblieben, wie übrigens auch einzelne, mehr als ein Jahrtausend später mit griechischen Buchstaben geschriebene Inschriften aus Ostkreta.
Wann und wie es zur Herrschaft von Frühgriechen auf Kreta gekommen ist, läßt sich nicht erkennen. Sehr lebhaft diskutiert wurde in den letzten Jahrzehnten die Hypothese, ein mächtiger Vulkanausbruch auf Thera (Santorin), der diese Insel...