Alle dürfen raten.
QUIZLUST im ganzen Land, 1950er bis heute
Hape Kerkeling hat es längst erkannt. Und zwar viele Jahre, bevor er sich auf dem Jakobsweg einige Bestseller-Millionen erwandert hat. Die Erleuchtung kam schon früher.
Sie kennen doch sein Lied? »Das ganze Leben ist ein Quiz! Und wir sind nur die Kandidaten. Und wir raten, raten, raten ...«
Denken wir mal einen Moment nicht an das tagtägliche Gedankenleser-Quiz in Ehe, Beziehung, Job und Straßenverkehr. »Was meint sie? Was grübelt er? Was möchte mein Chef? Und wechselt diese Trulla im Twingo da vorne nun plötzlich die Spur, ohne zu blinken?«
Denken wir mal an Quiz als Phänomen, als Institution, ja als Industrie. Allein die Zahl der Merchandising-Artikel, die ergänzend zu Shows erschienen, geht in die Hunderte. Aber ob wir nun 20 waagrecht ausfüllen oder für 20.000 auf den Buzzer hauen oder neuerdings seelenlose Sudoku-Zahlenreihen ergänzen – wir tun das ja absolut freiwillig. Und mit großem Spaß.
Warum?
Selbst ernannte Medienkenner und -dauerdurchschauer sagen jetzt natürlich wie aus der Pistole geschossen: »Na, klar, bei dem hohen Preisgeld für die paar richtigen Antworten – kein Wunder, dass Quizshows immer noch klasse Quoten bringen!«
Das ist höchstens die halbe Miete, Freunde. Denn ich glaube einfach nicht, dass sich am Mitratespaß mit dem Durchbrechen der Fünf-Stellen-Mauer (wir erinnern uns an Ulla Kock am Brink und ihre 100.000-MARK-SHOW bei RTL ab 1993) viel geändert hat. Der Mitratespaß wächst nicht mit dem Gewinn. Die Spannung schon, zugegeben. Aber bereits bei Hans-Joachim Kulenkampff, Hänschen Rosenthal und Wim Thoelke, als es noch um harmlose Summen ging, fieberte eine ganze Nation mit und suchte die abendliche Erlösung in der richtigen Lösung.
Warum ist es vielen wichtig, ob nun Ouagadougou die Hauptstadt vom Tschad ist oder eher doch N’Djamena?* Warum sitzen die Leute vom Nordkap bis Burkina Faso aufm Sofa und diskutieren über A, B, C oder D? Was wollen wir uns beweisen, wem wollen wir imponieren?
Ich glaube, viele von uns haben eine Rechnung mit der Schule offen. Was mussten wir da nicht alles an Wissensballast aufhäufen? Statt uns beizubringen, wie z. B. Banken funktionieren, was man bei der Finanzierung einer Eigentumswohnung beachten sollte oder wie man sich richtig ernährt, bekam man eingetrichtert, wie der Verdauungstrakt des gemeinen Mistkäfers aufgebaut ist, wie der Hauptexportartikel von Bolivien lautet und wie man »ich würde gerne gehabt haben wollen« exakt ins Französische übersetzt. Zu gewinnen gab es viele Noten und wenig Lebenshilfe.
Über den klassischen Lateiner-Satz Non scholae sed vitae discimus! lachten sogar die Lehrer, na, sagen wir mal, die etwas »progressiveren«. Daran, dass wir nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernten, glaubte nun kaum einer. Fürs Leben an der Uni vielleicht, man sollte ja auch »lernen, wie man lernt«. Wissensvermittler brachten einem bei, wie man später andere Wissensvermittler beeindrucken kann. Dass diese Schlaumeier mit ihren Lehrplänen meist haarscharf an der Praxis vorbeischrammten und es auch heute noch tun, versteht sich von selbst: Die Praxisprüfung, die später stattfindet, kriegen sie ja nicht mehr mit. Das wollen sie wohl auch nicht in ihrem Elfenbeintürmchen. Man müsste sonst vielleicht den »Kanon des Wissens« mal wirklich neu definieren, entrümpeln, aktualisieren. Ein bisschen konkreter hätten Sie’s gerne? Schauen Sie sich einfach nur unsere Rechtschreibreform an. Wenn die nicht im Elfenbeinturm gebastelt wurde, wo dann?
Mit den Quizshows geht die Rechnung nun endlich auf. Denn diese diffuse Cumuluswolke »Allgemeinbildung«, die seit Schultagen über uns schwebt und immer dicker wird, kann nun abregnen. Der bunt gemischte Salat aus tausendundeiner Frage, die den Kandidaten und damit Millionen von Zuschauern gestellt werden, funktioniert endlich als eine Art Überdruckventil gegen den Informations-Overload, der mit dem Schulabschluss ja bei Weitem kein Ende gefunden hat. Jetzt darf alles raus: Wichtiges, Banales, Weltbewegendes, Triviales. Jetzt können wir mal checken, was wir so angehäuft haben auf unserem cerebralen Speicher, bewusst und unbewusst, gezwungenermaßen oder freiwillig. Mal schauen, ob im Oberstübchen alle Informationen gut verlötet sind, ob das Register funktioniert.
Das »Prinzip Quiz« hat den beiden Ansätzen »Lernen für die Schule« und »Lernen fürs Leben« eine dritte Nutzanwendung hinzugefügt: »Lernen als Gewinn«. Und ob man da nun Spaß gewinnt, spannenden Zeitvertreib, Gehirngymnastik gegen Altersdemenz, Bestätigung oder mal eben 64.000 Euro (oder im Idealfall alles gemeinsam): Wer spielt, gewinnt eigentlich immer.
Gut, lassen wir mal das suchtgetriebene Verzocken von Geld und das dumpfe Egoshooter-Geballere am PC außen vor. Diese Art »Spiele« meine ich nicht. Ich meine: Interaktion, Kreativität, Reaktion, Taktik, Körperbeherrschung, Gedächtnis, Wissensabruf. Und diesen unschätzbaren Faktor Glück. Wer diese Palette einsetzt, statt nur passiv zu konsumieren, gewinnt jede Menge.
Natürlich zählt nicht jede Fertigkeit bei jedem Spiel, das versteht sich: Die einzige Körperbeherrschung, die eine Teilnahme bei Jauch erfordert, ist, nicht vom Stuhl runterzurutschen. Und die einzige Gedächtnisleistung beim Fußballkicken auf der Dorfwiese war ja: »Ist der Rothaarige mit den Sommersprossen diesmal in unserem Team oder nicht?«
Stefan Raab hat es mit SCHLAG DEN RAAB! nun geschafft, alles in einen Topf zu packen und daraus eine klasse Show zu machen. Das ist nun wirklich der moderne Game- und Quizshow-Zehnkampf: Ob Raab und seine Herausforderer nun fechten, klettern oder Münzen ins Glas schnippen, Länderumrisse erkennen oder Buchcover ohne Buchstaben erraten müssen – Raab ist mit solcher Spiellust, Schnelligkeit, Ehrgeiz und vollem Körpereinsatz dabei, dass es einfach ansteckt.
Der ist einfach ein Typ und kein Weichei, einer, der Spaß hat am Armdrücken und den tausend Varianten, die man sich dazu einfallen lassen kann. Geht’s dabei um viel Geld? Na klar. Für den Kandidaten kann schon mal der richtige Billard-Stoß an die schwarze »8« einen Dreimillionengewinn bedeuten. Und Raab fährt mit seiner Produktionsgesellschaft sicher keine roten Zahlen ein. Aber im Grunde genommen spielt er nicht um Geld. Er spielt auch nicht um Anerkennung. Hat er ja alles schon.
Nein, er spielt um die Sendung. Verliert er einmal, ist das menschlich, fair und sympathisch. Verliert er zum zweiten Mal in Serie, ist das kein Beinbruch. Verliert er zum dritten Mal hintereinander, macht er schon eine unglückliche Figur, provoziert Spekulationen wie »langsam zu alt? ... Formtief? ... besser mal pausieren?«
Nach dem vierten Mal ist die Show weg. Und dazu macht es ihm einfach zu viel Spaß, das lässt er sich so schnell nicht vom Butterbrot nehmen. Dafür fightet er, nicht fürs Geld. Er ist ein Vollblutspieler im 3D-Modus, ein großer Junge, der uns auffordert, selbst Spielkind zu bleiben und das Spielen nicht zu verlernen. Das richtige Spielen wohlgemerkt, nicht das virtuelle Herumhopsen als flacher Avatar in World of Warcraft, als gesichtsloser Dauerfeuer-Söldner in Counterstrike oder als Digital-Gucci-Handtäschchen-behängte Szenelady in Second Life.
Bei Raab wird gerannt, geworfen, gegrübelt, getüftelt, geschwitzt und gekeucht – und der Zuschauer muss sich bei vielem nur anstecken lassen. Auch, wenn man zu Hause nicht einfach so per Skisprung in einen großen Pool platschen kann und vor der Tür auch kein schlammiger Parcours für den Beach Buggy wartet: Dann versuchen wir doch einfach mal, ob wir diese Aufgabe mit einem gewöhnlichen Fahrrad hinkriegen: Einen kleinen Rundkurs abstecken, aufsteigen, losradeln, nie mit dem Fuß auf den Boden tapsen ... und der LANGSAMSTE gewinnt!
Das Schöne obendrein: Für diese Art (auch denk-) sportlicher Unterhaltung braucht’s keine Fußballclub-Funktionäre und Formel-1-Sponsoren, keine Tabellen und wandelnde Trikot-Litfaßsäulen. Raab eignet sich mit seiner Show auch bestens als Vorbild für viele rundum gewindelten, oft übergewichtigen Kinder, die nur noch am Monitor kleben, sich ohne Radhelm nicht mal auf eine schnurgerade Strecke und ohne Skihelm nicht mehr auf den Idiotenhügel trauen. Er sagt: Beweg deinen Hintern, beweg dein Gehirn, es ist cool.
Apropos Idioten: Das Lernmodell Quiz als rettender Impuls gegen das nächste deutsche PISA-Studien-Debakel?
Schön wär’s. Nötig? Unbedingt. Denn wie das Vakuum in den Köpfen vieler Jugendlicher heute aussieht, hat Raab – oder sagen wir, das hämische Teufelchen in ihm – schon mehrmals mit seinem Erstwähler-Check ausgelotet. Da stehen dann 18-jährige Girlies und Bubis mit trendigen Frisuren vor einer...