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This Man's Pill

Sex, Kunst und Unsterblichkeit

AutorCarl Djerassi
VerlagHaymon
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783709937167
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Dem Autor ist am 15. Oktober 1951, in einem kleinen Labor in Mexico City der entscheidende Schritt zur synthetischen Herstellung des Hormons Gestagen gelungen, was die 'Antibabypille' ermöglicht hat. In diesem Buch verfolgt Djerassi genauer, als er das bisher getan hat, die Geschichte der 'Pille' mit ihren Vorstufen, etwa den Forschungen und Ergebnissen des Innsbrucker Biologen Prof. Ludwig Haberlandt aus den zwanziger Jahren, schildert die Auswirkungen seiner Erfindung auf Gesellschaft und Politik und sinniert über die sich abzeichnende Trennung von Sex und Fortplanzung. Auch persönliche Erinnerungen an die turbulenten fünfziger und sechziger Jahre breitet der vorzügliche Erzähler Djerassi vor dem Leser der zwölf Essays aus. Aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner

Carl Djerassi, geboren 1923 in Wien, lebte bis zu seinem Tod im Januar 2015 in San Francisco, London und Wien. Aufgewachsen z.T. in Bulgarien, der Heimat seines Vaters, 1938 nach Amerika geflohen, wo er studiert hat und sich als Naturwissenschaftler, später auch als Mäzen und Kunstsammler, einen Namen machte. Für sein berufliches Wirken wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und mit 32 Ehrendoktoraten gewürdigt. Carl Djerassi war u.a. Träger des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland sowie des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst. 2005 erschien eine österreichische Briefmarke mit seinem Porträt. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, mehrere populäre Bücher zum Thema, autobiographische Veröffentlichungen, Romane und Theaterstücke. Bei Haymon: 'This Man's Pill'. 'Sex, die Kunst und Unsterblichkeit' (2001), 'Stammesgeheimnisse' (mit den beiden Romanen 'Cantors Dilemma' und 'Das Bourbaki Gambit', 2002), 'Kalkül / Unbefleckt'. Zwei Theaterstücke aus der Welt der Wissenschaft (2003), 'EGO'. Roman und Theaterstück (2004), 'Aufgedeckte Geheimnisse'. Zwei Romane aus der Welt der Wissenschaft: 'Menachems Same' und 'NO' (2005), 'Phallstricke. Tabus'. Zwei Theaterstücke aus den Welten der Naturwissenschaft und der Kunst (2006), 'Vier Juden auf dem Parnass'. Ein Gespräch (mit Fotokunst von Gabriele Seethaler, 2008), 'Vorspiel'. Theaterstück (2011), 'Tagebuch des Grolls. A Diary of Pique 1983-1984' (übersetzt von Sabine Hübner, 2012), 'Chemie im Theater. Killerblumen'. Ein Lesedrama (2012), 'Der Schattensammler'. Die allerletzte Autobiografie. Carl Djerassis Bücher wurden aus dem Amerikanischen von Ursula-Maria Mössner übersetzt.

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Leseprobe

1


Dreißig Auserwählte: Murasaki & Konsorten


Am 12. September 1999 veröffentlichte das Londoner Sunday Times Magazine in seiner Titelgeschichte „The Top Thirty“ des zurückliegenden Jahrtausends. Diese von fünfzehn britischen und amerikanischen Gelehrten erstellte Hitliste der dreißig wichtigsten Personen war, gelinde ausgedrückt, exzentrisch, um nicht zu sagen bizarr; in anderen Worten ein weiteres Symptom des Rummels um den Millenniumswechsel.

Ganz oben auf der chronologisch angeordneten Liste stand der Name der einzigen Frau in der ansonsten reinen Männerriege. Obwohl gegen diese Wahl nichts einzuwenden ist, hatte ihre Aufnahme in den erlauchten Kreis vermutlich mehr mit political correctness und Effekthascherei zu tun als mit Logik. Ich kann mir schwerlich vorstellen, daß Murasaki Shikibu – selbst in Japan – von einer breiten Öffentlichkeit in diese Dreißigerbande gewählt worden wäre. Aber mit ihr zu beginnen nahm nicht nur dem unvermeidlichen Vorwurf männlicher Voreingenommenheit die Spitze, sondern auch dem des Eurozentrismus: Asien war nur durch Murasaki Shikibu und den osmanischen Sultan Mohammed II. vertreten. Dschingis Khan, Mahatma Gandhi und Mao Tse-tung fehlten völlig. Warum fiel die Wahl von Rupert Murdochs Experten auf Napoleon und Lenin, aber auf keinen dieser asiatischen Führer? Der kurze Prozeß, der mit Nord- und Südamerika, von der Baffin Bay bis hinunter nach Patagonien, gemacht wurde, bewies nur, daß der Ethnozentrismus der Jury unparteiisch war. Kein Cortez, Bolívar, Washington, Lincoln oder Roosevelt; der ganze Kontinent tauchte nur ein einziges Mal auf: mit Thomas Alva Edison. Es versteht sich wohl von selbst, daß Afrika für diese intellektuellen Forschungsreisenden ein dunkler Kontinent blieb.

Daß geographische Aspekte und das weibliche Geschlecht keine Berücksichtigung fanden, mochte irgendwie verständlich sein; weit auffallender jedoch war die schiere Willkürlichkeit dieser Liste. Am eklatantesten war das völlige Fehlen von Musikern – kein Bach, kein Mozart, kein Verdi, nicht einmal die Beatles – und anderen Künstlern, abgesehen von Leonardo da Vinci, dessen Aufnahme offenbar in erster Linie seinen Referenzen als Naturwissenschaftler und Ingenieur zu verdanken war. Etwas besser sah es im Bereich Literatur aus: Neben Murasaki fand sich dort die klar auf der Hand liegende Entscheidung für Shakespeare und die fast ebenso unvermeidliche Nennung von Dante und Chaucer. Die Aufnahme von Jean Jacques Rousseau, dem einzigen weiteren Vertreter dieser Gattung, erschien durchaus gerechtfertigt, aber nur, bis man sich zu fragen begann, warum er und nicht, sagen wir, Goethe oder Tolstoi.

Die Liste tendierte stark in Richtung Naturwissenschaft und Technik. Unter den fünfzehn Naturwissenschaftlern und Erfindern waren Bacon, Newton, Kopernikus, Galilei, Darwin, Pasteur und Einstein. Daß sie aufgenommen wurden, erscheint absolut einleuchtend, auch wenn einige andere – z. B. Planck, Maxwell, Watson & Crick (die vermutlich eliminiert wurden, weil man sonst zwei kostbare Plätze vergeudet hätte) – genauso plausibel gewesen wären. Daß Großbritannien unverhältnismäßig stark vertreten war, konnte man vielleicht noch nachvollziehen, denn schließlich handelte es sich hier um die Londoner Times, nicht um die New York Times. Und von der fünfzehnköpfigen „Expertenjury“ kamen elf aus Großbritannien und nur vier aus den Vereinigten Staaten. Folglich war es auch nicht weiter verwunderlich, daß die abschließende Wahl des primus inter pares – der Numero Uno des Millenniums – auf Isaac Newton fiel. Allerdings entbehrte es nicht einer gewissen Ironie, daß auf dem Titelblatt, das die Wahl verkündete, kein visuell hagiographisches Porträt des Physikers erschien (von denen es genügend gibt), sondern eine Fotografie von Eduardo Paolozzis übermannsgroßer Statue Newtons am Eingang der British Library, einer Skulptur, die auf William Blakes berühmtem Aquarell von 1795 basiert. Ob dem Fotoredakteur wohl bekannt war, daß Blakes Ansichten über Newton und dessen Rationalismus alles andere als schmeichelhaft waren? „Wer das Unendliche in allen Dingen sieht, sieht Gott. Wer nur die Vernunft sieht, sieht nur sich selbst.“

Natürlich hat die Auswahl der Times keinerlei Bedeutung. Es kann nicht den wichtigsten Menschen eines Jahrtausends geben: weder ein einzelnes Kriterium noch eine Reihe von Kriterien würden jemals auf allgemeine Zustimmung stoßen. Es gibt keine Gemeinschaft gelehrter Männer oder Frauen mehr (falls es sie überhaupt je gegeben hat), für die eine solche Person oder Liste repräsentativ sein könnte. Und damit komme ich zu dem entscheidenden Punkt – der nicht von mir stammt –, daß nämlich Newton, Galilei, Einstein und all die anderen Leuchten der Wissenschaft nicht als Personen auf dieser Liste stehen – in dem Sinne, wie Murasaki und Skakespeare dort erscheinen –, sondern vielmehr als Repräsentanten und Surrogate für Entdeckungen und Erfindungen.

Newtons bedeutendste Entdeckungen, beispielsweise die Gesetze der Gravitation und der Planetenbewegung, hätten vielleicht noch einige Jahre auf sich warten lassen, wenn er nie geboren worden wäre, aber entdeckt worden wären sie unweigerlich, wie Leibniz’ zeitgleiche Erfindung der Integralund Differentialrechnung – um nur eines von vielen derartigen Beispielen zu nennen, die die Geschichte der Naturwissenschaften kennt – eindeutig beweist. Gewiß, Kopernikus, Galilei, Darwin und Einstein waren mit ihren bahnbrechenden Erkenntnissen jeweils die ersten auf ihrem Gebiet, aber auch hier hätte ein anderer die gleichen allgemeingültigen Regeln innerhalb einer Zeitspanne aufgestellt, die im Rahmen der Menschheitsgeschichte getrost als vernachlässigbar zu bezeichnen wäre. Letzten Endes kommt es in den Naturwissenschaften, anders als in der Kunst, nicht auf den einzelnen Menschen an.

Jedenfalls fast nie. Es sei denn, dieser Mensch ist man selbst. Die Hitliste der Times endet mit einem lebenden Relikt. Auf den ersten Blick scheint es absolut grotesk, daß dort der Name Carl Djerassi erscheint, bis man sich darauf besinnt, daß er als Surrogat für die Pille steht. Kaum jemand würde bestreiten, daß die Einführung steroidaler oraler Verhütungsmittel große Auswirkungen in den letzten vier Jahrzehnten des zurückliegenden Millenniums hatte. Viele davon, wenn auch gewiß nicht alle, waren positiv. Andere medizinische Entdeckungen und Erfindungen – wie die Röntgenstrahlen oder Antibiotika – kamen mehr Menschen zugute, obgleich die Pille auch in dieser Hinsicht nicht zu unterschätzen ist: In den USA wurde und wird sie von 80% aller nach 1945 geborenen Frauen benutzt! Bezüglich des soziokulturellen Einflusses jedoch, von der Religion bis zur Frauenbewegung, nimmt die Pille mit Sicherheit eine Spitzenposition ein. Indem sie den Geschlechtsakt von der Verhütung trennte, setzte sie eine der umwälzendsten Veränderungen der jüngsten Zeit in Gang, nämlich die allmähliche Auflösung der Einheit von Sex und Fortpflanzung. Das darauffolgende Aufkommen von In-vitro-Befruchtungstechniken hat die völlige Trennung zwischen Sex und Fortpflanzung – in anderen Worten die Schaffung neuen Lebens ohne Geschlechtsverkehr – Realität werden lassen. Die ethischen und gesellschaftlichen Implikationen dieser Entkoppelung sind gewaltig und beginnen erst jetzt diskutiert zu werden. Obgleich diese Revolution auf dem Gebiet der Fortpflanzung durch die Einführung der Pille initiiert wurde, waren für die Eltern der Pille keineswegs alle Konsequenzen vorherzusehen, die im reiferen Alter ihres mittlerweile fünfzigjährigen Sprößlings auftraten.

„Fünfzig Jahre?“ höre ich fragen. Wann genau war denn der Geburtstag der Pille? Und wo wurde sie geboren? Und, was noch viel wichtiger ist, wo fand ihre Empfängnis statt? Wenn die Beantwortung der letztgenannten Frage selbst Eltern echter Babys Probleme bereitet, um wieviel mehr dann in diesem Fall, wo selbst die Identität der Eltern oft angezweifelt wird. Dennoch gibt es darauf eine klare Antwort. Die Idee einer Pille, die Sex ohne Befruchtung gestattet, tauchte um 1920 in Österreich auf. Ich war zur Zeit der Empfängnis der Pille noch gar nicht geboren, und dennoch behaupte ich, daß ich, als organischer Chemiker, bei der Geburt der Pille am 15. Oktober 1951 in Mexico City die Rolle einer Mutter spielte.

Das vorliegende Buch hat jedoch weniger mit mütterlicher Chemie zu tun, sondern stellt vielmehr eine Bewertung des Einflusses dar, den die Pille auf die Welt um uns herum und insbesondere auf mich hatte. Die Geschichte ist noch nicht zu Ende, denn entgegen allen Erwartungen – insbesondere seitens der Eltern der Pille – hat sich die Empfängnisverhütung im Laufe der letzten fünfzig Jahre kaum verändert, und es hat auch nicht den Anschein, als ob sie sich in den nächsten Jahrzehnten rein technisch gesehen fundamental verändern würde. Vielleicht sind wir sogar im Begriff mitzuerleben, wie das Thema „Kontrazeption“ allmählich in den Hintergrund tritt, da wir uns inzwischen mit einer...

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