Wer ist der Boss in uns?
Wir Menschen, vor allem wir hirnlastigen Wesen aus der westlichen Welt, glauben ja, dass unser Verstand das Sagen hat. Wir sind stolz auf unsere Intelligenz. Sie unterscheidet uns von den Tieren und den Pflanzen. Unser Grips erhebt uns an die Spitze der Schöpfung – so bilden wir es uns zumindest ein. Seit Aristoteles beschwören Generationen von Philosophen die Macht unserer Vernunft. Wir fühlen uns mit diesem jüngsten Update in der Entwicklung der menschlichen Spezies allen anderen Formen von Leben auf diesem Planeten überlegen.
Der Verstand ist ja auch etwas Großartiges. Wir können uns über alles Mögliche Gedanken machen. Wir können uns sogar Gedanken machen, warum wir uns so viele Gedanken über unsere Gedanken machen. Etwa 50.000 Gedanken hat jeder Mensch pro Tag. Aber ist dieser „menschliche Computer“ auch die Kommandozentrale in uns? Entscheidet er wo es lang geht? Ist allein unser Verstand dafür verantwortlich, dass wir uns so oder so entscheiden? Wohl eher nicht. Unsere Gefühle sind viel stärker und mächtiger als unsere Gedanken. Mehr noch: unsere Gedanken sind Kinder unserer Emotionen: ohne Bedürfnis kein Gedanke. Wenn Sie sich z.B. für eine Alarmanlage interessieren, um Ihr Zuhause vor Robby Longfinger zu schützen, dann könnte man sagen: „Ja, da wurde der Verstand eingeschaltet. Hier handelt jemand klug!” In Wahrheit war die Motivation ein Bedürfnis nach Sicherheit. Und hinter diesem Bedürfnis steht noch etwas viel Mächtigeres: unsere Angst bedroht zu werden. „Womöglich ist der Einbrecher bewaffnet und schießt mich gleich über den Haufen“. Hier wirkt also der uralte Überlebenswille. Womit wir auf der Ebene der Instinkte sind. Unser Instinkt, dieses Relikt aus der Reptilienzeit, hat tatsächlich die höchste Befehlsgewalt in uns.
Stellen Sie sich nur mal vor, Sie wären in einer lebensbedrohlichen Situation. Jemand richtet eine Waffe auf Sie: „Geld her oder ich puste Dich um!” Es geht um Leben und Tod. In diesem Augenblick schaltet unser Überlebensinstinkt nicht nur unseren Verstand aus („Vielleicht könnte ich mit dem jungen Herren ja eine Diskussion über den Sinn und Unsinn von roher Gewalt...“), sondern auch unsere Gefühlswelt. Ihre Eltern haben Sie vielleicht ethisch vorbildlich erzogen, zu einem Menschen der Mitgefühl besitzt und viel Verständnis für die Bedürfnisse anderer entwickeln kann, aber in so einer Situation verwehren Sie sich selbst den Zugriff auf diese Ressourcen. Sie entscheiden sich wie ein dummes Reptil zwischen drei möglichen Varianten: Angriff, Flucht oder „sich tot stellen“. Und diese Entscheidung findet nicht im Verstand statt, welcher für diesen Prozess auch viel zu langsam getaktet ist. Diese Wahl trifft das Stammhirn, auch Reptilienhirn genannt, in Bruchteilen einer Sekunde.
Wir haben also eine seltsame Hierarchie in uns: das älteste und primitivste Modul in unserem Hirn, das Reptilienhirn ist der „Big Boss“. Bei nicht wenigen Menschen bestimmt das Stammhirn mit allerlei Ängsten das gesamte Leben. Viele Menschen leben in ständiger Furcht: „Dies und das könnte passieren und wenn ich da nicht aufpasse, dann...“. Nicht wenige von diesen Personen leiden unter immer wiederkehrenden Panikattacken.
Zum Glück hält sich das Stammhirn aber zumeist vornehm zurück. Es lauert ja Gott sei Dank nicht hinter jeder Ecke ein Mörder und so gehören lebensbedrohliche Situationen normalerweise nicht zu unserem Alltag. Somit kann sich unser Stammhirn in Ruhe anderen Aufgaben widmen, die auch von Bedeutung sind, wenn wir weiterleben möchten: unsere Atmung und unser Herzschlag. Daher ist es also vor allem wichtig, dass wir uns auf unsere Gefühle konzentrieren, um unserem Lebensglück auf die Sprünge zu helfen. Natürlich lässt sich das alles nicht glasklar trennen: hier die Abteilung Gedanken, da das emotionale Zentrum und ganz tief in uns drinnen das mächtige Stammhirn. Irgendwie hängt doch alles mit allem zusammen.
Zum Beispiel kennen wir alle mehr oder weniger das mulmige Gefühl, wenn wir vor einer größeren Menge von Menschen sprechen müssen. Dahinter steckt eine uralte Angst, die wohl schon von den Steinzeitmenschen in unsere Gene gebrannt wurde. Wenn wir also diese Rede- oder Auftrittsangst verspüren, dann ist das die gleiche Angst, die unsere Vorfahren schon vor 10.000 Jahren hatten: wir haben Angst etwas falsch zu machen, uns zu blamieren und fürchten (meist unbewusst), dass wir deshalb aus der Gruppe ausgeschlossen werden. In der Steinzeit bedeutete dies den sicheren Tod, denn auf sich allein gestellt hatte ein Mensch damals keine Überlebenschance.
„Aber bei einem Auftritt oder einer Rede geht es doch nicht um Leben oder Tod?“ Richtig, aber das weiß unser Unterbewusstsein nicht. Solche hinderlichen Ängste und Gefühle schlummern in unserem „Gefühlsgedächtnis“. Und dieses implizite Gedächtnis, wie es die Wissenschaft nennt, ist ziemlich dumm. Es kennt keine Zeit, „denkt“ nur in der Gegenwart. Traumatische Erlebnisse, die wir also z.B. mit vier Jahren erfahren haben, sind genauso aktuell, als wären sie heute erst passiert.
Warum speichert das implizite Wissen diese Emotionen überhaupt ab, wenn sie uns doch im Alltag nur behindern? Das hängt mit der Trägheit der Evolution zusammen. Es dauert mehrere tausend Jahre bis sich der Mensch genetisch an neue Lebensgewohnheiten anpasst. Die Update-Zyklen des „Produktes Mensch“ sind äußerst zäh. Biologisch gesehen ticken wir noch sehr ähnlich wie unsere Vorfahren vor 10.000 Jahren. Damals waren emotionale Erfahrungen überlebenswichtig. Die Begegnung mit einem Säbelzahntiger z.B. war lebensgefährlich.
So eine Erfahrung brannte sich in das implizite Gedächtnis des Steinzeitmenschen fest ein und wurde sofort reaktiviert, sobald der nächste Säbelzahntiger in Sichtweite war. Es war damals also eine sinnvolle Schutzfunktion. Dieser Mechanismus funktioniert heute noch immer sehr gut, oft aber nicht zu unserem Schutz sondern zu unserem Schaden. Ein Beispiel: Sie gingen als kleines Kind versehentlich in einer großen Menschenmenge verloren. Es dauerte sehr lange, bis Ihre Mutter oder Ihr Vater Sie wieder in die Arme schließen konnte. Das war ein traumatisches Erlebnis für Ihr implizites Gedächtnis. In Ihrem Unterbewusstsein wurde folgendes abgespeichert: „Große Menschenmenge = Gefahr = Angst = Flucht.“ Damit dieses emotionale Wissen nie verloren geht, versteckte es Ihr Unterbewusstsein so gut, dass es der Verstand nicht finden kann. Er hat keinen Zugriff auf dieses Wissen. Wenn Sie dann später keinen guten Therapeuten finden, werden Sie lebenslang einen Horror vor größeren Menschenmengen haben und diese meiden.
Die Macht der Emotionen
Es sind aber nicht nur traumatische Erlebnisse und die damit verbundenen heftigen emotionalen Reaktionen, die unserem Glück im Wege stehen. Hinderliche Emotionen können wir uns regelrecht antrainieren. Wir füttern sie regelmäßig und bekommen gar nicht mit, wie sie immer mächtiger und mächtiger werden. Alle Jahre wieder nehmen wir uns zu Silvester vor mit dem Rauchen aufzuhören, mehr Sport zu treiben, weniger zu arbeiten, und und und... . Unser Verstand sagt uns: es ist nicht gesund zu rauchen, oder es tut der Gesundheit gut sich vernünftig zu ernähren und Sport zu treiben. Also schmieden wir hochmotiviert gute Vorsätze für das neue Jahr. Wir sind ganz euphorisiert von diesen neuen Gedanken. Die ersten Tage, vielleicht auch Wochen, schafft es der Verstand auch tatsächlich uns zu mobilisieren, aber ganz langsam, wie schleichendes Gift setzen sich die alten Bedürfnisse wieder durch: „Komm, die eine Zigarette...“, „Ach, jetzt ist es gerade so gemütlich auf der Couch, außerdem regnet es draußen, joggen kann ich auch noch morgen...“.
Was macht diese Gefühle so mächtig?
Es ist die Wiederholung. Wir haben z.B. als Raucher nicht nur einmal erfahren, wie beruhigend es sein kann, wenn der warme Rauch in die Lungen strömt, oder wie schön sich das Zusammensein in einer Gruppe von Rauchern anfühlt. Wir haben das zig tausendmal genossen. Und jedes einzelne Erlebnis hinterlässt eine Spur im emotionalen Gedächtnis. Je mehr Spuren wir legen, desto breiter wird der Weg und entwickelt sich schließlich zu einer komfortablen emotionalen Autobahn, die einfach zu verlockend ist. Die gesunden Alternativen wirken auf unser Unterbewusstsein wie unbequeme Trampelpfade durch ein stacheliges Gestrüpp, und es ist sehr viel Selbstdisziplin nötig, um sich dafür zu motivieren. Wir wissen nun also, wie mächtig unsere Gefühle sind und wie sehr unser Lebensglück von den Emotionen abhängt. Wenn wir in unserem Leben also glücklicher und erfolgreicher werden wollen, dann müssen wir diese emotionale Kiste irgendwie in den Griff bekommen. Bevor wir aktiv mit dem „emotionalen Tuning“ beginnen, erfahren wir im nächsten...