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E-Book

Autismus mal anders

Einfach, authentisch, autistisch

AutorAleksander Knauerhase
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl204 Seiten
ISBN9783741206955
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Stellen Sie sich vor, um Sie herum dudeln 23 Radiosender gleichzeitig; Sie riechen den Duft aus 3 verschiedenen Parfümerien, spüren das Kratzen des Hemdkragens und das Reiben der Ferse an der Schuhkante, während Ihre Augen gleichzeitig diesen Klappentext lesen möchten ... Klingt unmöglich - ist aber Alltag für Autisten: Reize werden intensiv und ungefiltert wahrgenommen. Besuche in einer Shopping-Mall, mit der Freundin ins Kino? Nur sehr selten, sagt Aleksander Knauerhase: »Anders als nicht-autistische Menschen, die Störendes wie Gespräche an Nachbartischen automatisch ins Unterbewusstsein verschieben, muss ich als Autist viele der auf mich einströmenden Reize bewusst filtern - und das ist extrem anstrengend.« Wie man trotzdem gedeiht, in einem Umfeld, das so gar nicht für Autisten geschaffen ist, zeigt Aleksander Knauerhase in einfacher, unverschnörkelter Sprache. Mehr noch: Er nimmt die Lesenden mit auf eine faszinierende Entwicklungsreise, vom Zeitpunkt seiner Diagnose 2009 bis heute - mit Rückblenden zur Zeit, wo er einfach nur »anders« war. Und zeigt auf, dass Autisten die Welt der »Neurotypischen« auch bereichern können: Weil sie oft streng logisches Denken lieben und Muster oder Fehler schneller erkennen - was in vielen Situationen und Branchen nützlich sein kann. Dieses Buch ist ein Muss für alle, die sich für die Innenansicht eines Autisten interessieren - und die lieber mit als über Betroffene reden.

Aleksander Knauerhase wurde 1974 geboren und studierte Informatikwissenschaften und Bibliothekswesen. Seit seiner Diagnose beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Autismus - in seinem Blog, Quergedachtes, oder als freiberuflicher Referent. Bei Vorträgen und an Seminaren gewährt er Interessierten Einblicke in die Innenwelt eines Autisten und zeigt auf, dass die besondere Sicht der Autisten auch Chancen bietet - persönlich, beruflich und für die Gesellschaft. Er lebt mit seiner Frau, zwei Katzen und einem Pferd in Wiesbaden.

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Leseprobe

Atemberaubend und ohrenbetäubend


Eng mit der persönlichen Wahrnehmung hängen auch die Sinne des Menschen zusammen. Und so wie die Wahrnehmung von Menschen mit Autismus eine ganz besondere ist, sind deren Sinne oftmals anders ausgestattet als bei Nichtautisten. Das betrifft manchmal nur wenige Sinne, manchmal alle, teilweise auch gar keinen. Autismus ist, gerade hier, etwas besonders Individuelles. Wer autistische Menschen verstehen möchte, findet in der Art, wie sie Sinnesreize wahrnehmen, einen weiteren Schlüssel. Wundern Sie sich nicht, wenn ein Autist Dinge wahrnimmt, die Ihre eigenen Sinne nicht erfassen.

Das Sehen

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass man aufgrund der mangelnden Filterung nicht nur mehr Details wahrnimmt. Man bemerkt auch Besonderheiten, die nichtautistische Menschen ausblenden. Ein Beispiel dafür sind Leuchtstoffröhren oder auf der gleichen Technik basierende Energiesparlampen: Mit der Zeit können diese anfangen zu flimmern und zu flackern. Autisten nehmen das oft bereits sehr früh wahr. Das führt unter anderem dazu, dass man in einem Konferenzraum sitzend dem Vortrag nicht mehr richtig folgen kann, da das ständige hochfrequente Flimmern extrem ablenkt und stört. Schließt man daraufhin die Augen, um sich auf die Konferenz zu konzentrieren, dauert es oftmals nicht lange, bis ein aufmerksamer »Mithörer« einem einen Finger in die Rippen stupst, um den Autisten aus dem vermeintlichen Büroschlaf zu wecken.

Ganz alltägliche Situationen, die wohl auch Nichtautisten stören, können sich bei Autisten gravierend auswirken. Schnelle Lichtimpulse, zum Beispiel in einer Disko oder bei anderen Veranstaltungen, können einen Overload erheblich beschleunigen – denn ein Autist kann diese nicht ausblenden. Derartige Lichtgewitter können eine erhebliche Belastung darstellen. Manchmal reicht bereits das Scheinwerferlicht eines entgegenfahrenden Autos, einen Autisten aus der Bahn zu werfen.

Es hat aber auch seine positiven Seiten: Wetten Sie niemals mit einem Autisten, wenn es um Fehler in Film oder Fernsehen geht. Die Chance, dass er etwas bemerkt hat, was Ihnen entgangen ist, ist extrem hoch.

Das Hören

Wussten Sie, dass Leuchtstoffröhren nicht nur flimmern sondern auch zirpen können? Die meisten Menschen müssen das nicht lange ertragen, da viele das Geräusch erst dann hören, wenn die Röhre schon kurz vor ihrem Lebensende steht – und dann, weil es stört, schnellstens ausgetauscht wird. Erklären Sie nun jemanden, der dieses Geräusch noch nicht wahrnimmt, dass Sie selbst am Rande des Wahnsinns stehen, da Sie einen ständigen, in der Frequenz leicht wechselnden und sehr hochfrequenten Pfeifton im Ohr haben. Da wird einem schnell mal ein Tinnitus angedichtet! Wenn Autisten also einen Raum betreten und zusammenzucken oder irritiert dreinschauen: Es könnte die Beleuchtung sein.

Generell ist es sehr belastend, wenn man Dinge hört, die andere entweder überhören, ausblenden oder einfach nicht wahrnehmen. Wer schon einmal mehrere Minuten oder gar Stunden nach der Ursache für ein nerviges Geräusch gesucht hat, weiß, was gemeint ist: Nicht zu wissen, was einen da stört, ob und wie man es abstellen kann, und ob schon wieder etwas im Haus defekt ist, kann einen mächtig belasten – ganz abseits des Sinnesreizes. Bedenkt man, dass jede Wohnung bzw. jedes Haus ganz individuelle Eigengeräusche hat, kann man sich vorstellen, warum Umzüge oder längere Ortswechsel für Menschen mit Autismus oft schlaflose Nächte bedeuten.

Die Empfindung von Geräuschen bzw. eine komplexe Geräuschkulisse kann aber auch ganz allgemein belastend sein. Besonders dann, wenn man sich eigentlich konzentrieren müsste. Ein gutes Beispiel dafür sind Wartezimmer. Wer kennt sie nicht, die typischen Wartezimmertypen? Da gibt es die Smartphonefummler, die nichts anderes machen, als ständig mit der neusten Errungenschaft der Technik zu spielen und die Umgebung mit Spielesounds oder Wischgeräuschen zu unterhalten. Immer wieder beliebt sind auch die SMS-Vibrierer, die dank Flatrate eine Flut von Kurznachrichten erhalten. Wer dann seine Tastentöne nicht ausgeschaltet hat, wird für Autisten schnell zum Geräuschgewehr. Der »Guten Morgen!«-Brüller ist eigentlich eine nette Spezies von Mensch. Für Autisten jedoch problematisch: bis sie sich sortiert haben und reagieren können, haben alle anderen schon längst geantwortet. Also lässt man es lieber. Und wo die »Guten Morgen!«-Brüller sind, ist die Plaudertasche auch nicht weit. Man glaubt gar nicht welche Informationen man in einem Wartezimmer so mitbekommt, ohne das eigentlich zu wollen. Wirklich schlimm sind aber die »Zeitschriften-Durchwühler«, die sich nervös eine Zeitschrift nach der anderen greifen und hektisch (und äußerst geräuschvoll) durchblättern. Wenn man bis dato nicht wusste, wie viele Seiten eine aktuelle Ausgabe der Zeitschrift »Wie mache ich Autisten wahnsinnig?« hat: spätestens nach der Begegnung mit dieser Spezies von Wartezimmertyp weiß man es!

OK – viele Menschen haben ein Problem mit Wartezimmern und den Menschen darin. Weshalb ist die Situation für Autisten oft besonders anstrengend? Sie warten darauf, aufgerufen zu werden. In der Masse der Geräusche, die auf sie einprasseln, geht der Aufruf unter. Zumindest ist das zu befürchten. Wo Menschen normalerweise abschalten und versuchen, Ruhe zu finden, läuft die autistische Wahrnehmung auf Hochtouren. Ganz ehrlich: Wenig ist peinlicher, als wenn man aufgerufen wird und nicht reagiert. Vor allem, weil die Mitwartenden dazu neigen, sich suchend umzuschauen, welcher Patient wieder mal »den Termin versemmelt hat«. So wird jeder Aufenthalt in einem Wartezimmer zu einer Geräuschsafari mit anschließendem Überraschungseffekt.

Auch einkaufen gehen gleicht oftmals einem Ausflug in einen Abenteuerpark. Achten Sie einmal darauf, wie oft »5 die 23« anrufen soll, wie viele (Tief-)Kühltruhen pfeifen, rappeln oder brummen, und wie sehr das Piepen der Scannerkassen nerven kann, wenn die Schlange besonders lang ist. Zum vollkommenen Glück des Autisten fehlt dann nur noch der Diebstahlalarm, der an der Kasse nebenan losgeht, und natürlich durch mehrfaches durchschieben des Einkaufswagens immer wieder neu ausgelöst werden muss. Ein guter Tag ist ein Tag, an dem schon eines dieser Geräusche beim Einkaufen fehlt. Halten Sie bei Ihrem nächsten Einkauf einfach mal die Ohren offen: Sie werden sich wundern, wie ohrenbetäubend so ein Supermarkt sein kann!

Das Schmecken

Wussten Sie, dass »Feinschmecker« und »Fein-Schmecker« zwei unterschiedliche Dinge sind? Die einen legen Wert auf gutes Essen und erlesene Zutaten. Manchmal reicht aber auch nur die Erwähnung von vermeintlich erlesenen Zutaten, um den Homo Sapiens Feinschmecker zufrieden zu stellen. Einige Autisten zählen zu jenen Menschen, die sehr fein schmecken können. Da schmeckt man schon mal heraus, wenn die von Weihnachten übrig gebliebenen Kokosmakronen neben einem Stück Apfel gelagert wurden, um wieder weich zu werden. Wenn man Kokosmakronen mag, ist das noch ganz angenehm. Aber wie sieht es mit der Handcreme oder der Desinfektionsflüssigkeit von Fleisch- oder Käsefachverkäuferinnen und -verkäufern aus? Aufschnitt mit Handcrèmegeschmack ist nicht wirklich lecker. Wer schon mal einen leckeren Weichkäse mit einem Hauch Parfümaroma im Mund hatte versteht, wovon ich schreibe. Ich weiß nicht, was so manche Bäckerei mit ihren Brötchentüten anstellt, aber Frühstücksbrötchen die einen Hauch von »was auch immer« haben, sind zum Abnehmen ideal!

Wirklich lustig wird es in Restaurants. Schon einmal ein Getränk mit Spülinote gehabt? TOP! Da sind die Diskussionen mit der Bedienung, ob eine Cola nun »Light« oder »Nicht Light« ist, ein Klacks dagegen. (Ein kleiner Tipp für die Diabetiker unter den Lesern: Ein Blutzuckermessgerät kann eine solche Situation schnell peinlich werden lassen – für die Bedienung. Ich zumindest möchte keine Cola Light serviert bekommen, aber leider gibt es noch keine Spülmittelmessgeräte für den Hausgebrauch.)

Das mein Geschmack manchmal besser als ein Laborgerät und ein Haufen Laborassistenten ist, hat sich vor vielen Jahren gezeigt. Ich hatte beim Trinken meines gewohnten Mineralwassers das Gefühl: Hier stimmt etwas nicht. OK, es war Sommer, manchmal kommt es da zu Abweichungen im Geschmack, wenn der Kasten Wasser länger in der Sonne gestanden hat oder einfach so warm geworden ist. Nachdem aber auch andere Flaschen aus unterschiedlichen Kisten komisch schmeckten, konnte etwas nicht stimmen. Ich meldete mich beim Hersteller, dieser lies die Kisten abholen. Auf Nachfrage hieß es: Unsere Sensoriker haben nichts gefunden, aber das Wasser sei ins Labor gegangen. Hmmm, doch nur Einbildung? Wie sich (viel) später herausstellte: Nein, ich lag richtig. Was war passiert? Selbst das Labor war...

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