Faszinierender Faschismus?
Der schwarze Orden unterm Totenkopf gilt seit den Tagen des Dritten Reiches als die Inkarnation des Bösen schlechthin. Das Außergewöhnliche seiner Schreckensherrschaft und seines äußeren Erscheinungsbildes erschwert die analytische Distanz und erregt bis heute die – nicht zuletzt sexuellen – Phantasien der Nachwelt.
Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches
Nur wenige Jahre, nachdem in der finnisch-deutschen Satire Iron Sky (2012) von Timo Vuorensola die auf den Mond geflüchteten Nazis auf die Erde zurückkehrten, um sie ein für allemal zu übernehmen, bietet sich ein Blick in die Vergangenheit an, der zeigen mag, woher das popkulturell anmutende Bild des Faschismus stammt, das in Filmen, Musikvideos und Comics der letzten drei Jahrzehnte immer wieder auftaucht. Ich will bei diesem Überblick weniger eine rückwirkende Kritik formulieren, wie es der Historiker Saul Friedländer in »Kitsch und Tod« unternimmt, noch sexuelle Beweggründe im ästhetischen Kontext bloßlegen, wie es Susan Sontag in ihrer Darstellung subkultureller Phänomene in »Fascinating Fascism II« tut6. Vielmehr geht es mir darum, den Blick zu schärfen für eine klarere Einschätzung des Faschismusbildes, das der Film heute wie damals transportiert. Es geht um die filmische Darstellung des Faschismus als eine Art »phallischer Neurose« mit sadomasochistischen Akzenten, eine beispielhafte Sexualphantasie also, wie sie von Wilhelm Reich7 und später Klaus Theweleit8 formuliert wurde. Nicht zuletzt die zeitgenössische Exilliteratur wirft immer wieder einen deutlich sexuellen Blick auf die Nationalsozialisten, man denke an Klaus Manns Aufsatz »Homosexualität und Fascismus«9 aus dem Jahr 1934 oder Romane wie »Der Augenzeuge« (1939/1940) von Ernst Weiß10, in dem der Autor eine Rede Hitlers als sexuelle Überwältigung der Zuhörer beschreibt. Die Künstler der 1970er Jahre begaben sich somit in einen latenten Faschismusdiskurs. Die ausgewerteten Filme habe ich weitgehend in der anschließenden Filmografie kurz kommentiert, der Haupttext jedoch wird die Entwicklung des Phänomens, das ich nach seinem italienischen Namen »SadicoNazista« benannt habe – der eigentlich italienische Pulpliteratur mit ähnlichen Themen bezeichnet –, anhand exemplarischer Beispiele verfolgen, die sich auch heute noch einiger Popularität erfreuen. Der eigentlich sehr eng eingegrenzte Begriff »SadicoNazista« scheint mir dienlich, da er bereits in einem Begriff zusammenfasst, was die meisten dieser Filme andeutungsweise vereinigen: »Sadismus« und »Faschismus«. Ich benutze den Begriff also in einem weiter gefassten Zusammenhang als üblich.
Die erste umfassende Abhandlung über das vorliegende Thema lieferte der Historiker Saul Friedländer 1986 mit seinem großen Essay »Kitsch und Tod – Der Widerschein des Nazismus«, in dem er, ausgehend von einigen Schlüsselwerken aus Literatur und Film, einen neuen Diskurs über den Faschismus zu eröffnen versucht:
[…] gegen Ende der 1960er Jahre begann sich das Bild des Nazismus in der ganzen westlichen Welt zu verändern. Nicht grundlegend und nicht einhellig, aber doch hier und da, in der Linken wie in der Rechten, so merklich und so bezeichnend, dass es erlaubt ist, von einer neuen Sicht zu sprechen, von einem neuen Diskurs über den Nazismus.11
Als erste bedeutende Beispiele dienen ihm Michel Tourniers Roman »Le Roi des aulnes«12 und Luchino Viscontis Film La caduta degli dei. Er versucht im Folgenden »die Erscheinungsformen dieses Wandels zu erfassen und ihre innere Logik zu erklären«13. Drei Rezeptionskategorien scheinen den neuen Diskurs möglich zu machen:
- eine bewusste Verzerrung historischer Fakten zur Umbewertung der Vergangenheit (die Strategie der ›neuen Rechten‹);
- ein »freies Spiel eingebildeter Phantasmen«14 im Sinne von Trugbildern – also durchaus vergleichbar der Simulakren-Theorie Baudrillards; und
- ein Bemühen um besseres Verständnis der geschichtlichen Fakten sowie ein »Exorzismus«, ein Austreiben der historischen Schuld: Hans Jürgen Syberbergs Experiment Hitler – Ein Film aus Deutschland (1977) mag für diesen Versuch stehen, sich von der historischen ›Erbschuld‹ zu befreien: »Der Kosmos, der beginnt in den Abgründen des Leidens und der Schuld und in die Unendlichkeit der Moral führt, jener Trauer-Ritus der ästhetisierbaren Ethik wenigstens zeitweiser Rettungsversuche. […] ist es möglich, Hitler, […], durch einen Film aus Deutschland zu besiegen?«15
Auch Friedländer drängte sich die Erkenntnis auf, der neue Diskurs vereinige zwar Kunstwerke höchst unterschiedlicher Qualität, Zielsetzung, Gattung (Roman, Dokumentation, Spielfilm, usw.) und Nationalitäten – vorwiegend aus Italien, Deutschland und Frankreich –, doch es lasse sich eine gemeinsame Grundstruktur erkennen. Diese Struktur existiere scheinbar jenseits ökonomischer und politischer Prozesse: Es handle sich um eine »psychische Dimension«16, die einer Eigendynamik im Rahmen der »imaginären Ebene« des Faschismus folge. Friedländer gesteht den untersuchten Werken zu, dass ihre Argumentationslinien an der Oberfläche rational nachvollziehbar sind, doch darunter wird eine symbolische Energie wirksam, die jenseits von Ideologie und Doktrin funktioniert. Seine Untersuchung richtet ihren Blick folglich bewusst auf die durch die entsprechenden Werke erweckten »Bilder und Gefühle«17. Nicht zuletzt weil es sich um unterbewusste Prozesse handelt, wird für ihn die ideologische Intention der jeweiligen Künstler irrelevant. Es geht ihm nicht darum, Künstler wie Fassbinder, Visconti oder Tournier als ideologisch suspekt zu diffamieren, doch zeigt Friedländer sehr deutlich, wie hier die vermeintlich kritische Verarbeitung des Faschismus an der bei ihm vorausgesetzten Attraktivität (s.u.) des eigenen Themas krankt. Gleichzeitig sieht der Autor hierbei indirekt die Chance, einen neuen Zugang zum Faschismus zu finden, indem dessen Faszination bewusst werden könnte; das hängt freilich von der Rezeptionshaltung ab. Dies betont die Möglichkeit, eine mythische Interpretation des deutschen Faschismus wie etwa Viscontis Film könnte Elemente fassbar machen, die dem nüchternen Dokumentaristen verborgen bleiben. Friedländer geht davon aus, dass sich solche Elemente aus dem gros der vorliegenden Werke filtern lassen und letztlich Rückschlüsse auf die ästhetischen Strategien des historischen Faschismus ermöglichen.
Genauer: Unter den sichtbaren Themen entdeckt man den Auslöser eines Reizes, das Vorhandensein eines Verlangens und die Manöver eines Exorzismus. Jede dieser drei Bedeutungsschichten ist von tiefen Widersprüchen durchzogen: Der ästhetische Reiz wird ausgelöst durch den Gegensatz zwischen Kitsch-Harmonie und permanenter Beschwörung der Themen Tod und Zerstörung; das Verlangen wird durch Erotisierung der Macht, der Gewalt und der Herrschaft geweckt, aber gleichzeitig auch durch Darstellung des Nazismus als das Zentrum aller Entfesselungen der unterdrückten Affekte; der Exorzismus schließlich setzt – heute wie damals – sein ganzes Bestreben darein, durch die Sprache Distanz zu halten gegenüber der Realität des Verbrechens und der Vernichtungspolitik, durch Verkehrung der Vorzeichen eine andere Realität zu behaupten – und letztlich uns zu beschwichtigen durch den Beweis, dass die elementaren Moralgesetze immer befolgt worden seien, weshalb es auch dort noch eine Logik und eine Erklärung gebe, wo man bisher nur Chaos und Grauen sah.18
Die scheinbar unleugbare Faszination des Faschismus qualifiziert ihn als Thema immer neuer Abhandlungen und Fiktionen. Das Analysemodell, das Friedländer hier anbietet, ist aufschlussreich und hauptsächlich anwendbar auf die Hauptobjekte seines Interesses, Syberbergs Hitler-Film und Tourniers »Erlkönig«, doch Friedländer bleibt eine filmanalytische Beweisführung schuldig; Tatsächlich fühlt er sich selbst nicht qualifiziert dafür.19 Es mag sein, dass der Exorzismusgedanke eine gewisse Rolle gespielt haben mag (bei Syberberg war es zweifellos der Fall, vor allem, wenn man dessen Aufsätze über den eigenen Film beachtet), doch beispielsweise Pasolini dürfte dies sehr fern gelegen haben, als er Salò inszenierte, denn er hatte vor, den latenten Faschismus der Gesellschaft offenzulegen, nicht ihn auszutreiben. Auch Luchino Viscontis späte Werke (Il gattopardo / Der Leopard, 1960, Caduta degli dei, Morte a Venezia/Der Tod in Venedig, 1971, Ludwig, 1972, und L‘innocente / Die Unschuld, 1975) tragen trotz ihrer aristokratischen Wehmut eher die Züge der Agonie denn der Abrechnung und Erlösung:
Der Nazi-Tod ist bei Visconti – wie bei so vielen anderen – Schauspiel, prunkvolle Inszenierung, Spektakel. Und für die Zuschauer heißt das Faszination, Erschauern, Ekstase.20
Ein Exorzismus scheint mir hier zweifelhaft, die Ekstase (ein sehr extremer Begriff) bleibt den Neigungen des Betrachters überlassen; mit dem (zugegeben) apokalyptischen Brodeln der Essenbeckschen Stahlschmelze, das dem Vor- und Abspann des Films unterlegt ist, hinterlässt der Film den Hauch der Vernichtung. Auch Liliana Cavanis Portiere di notte mag den faschistischen Kontext in den Bereich sexueller Obsession transportieren, als effektive Verarbeitung taugt er jedoch kaum. Mit der These der »Negativ-Transzendenz«21 – der fatalen Zerstörung, die über den »Helden« dieser Epen...