Nehmt dem Menschen Hoffnung und Schlaf,
und er ist das unglücklichste Geschöpf auf Erden.
VORWORT ZUR 5. AUFLAGE
Professor Theodor Stöckmann, geboren 1872 in Landwehrhagen bei Hann. Münden, wie so viele andere hervorragende Männer unseres Volkes aus einem evangelischen Pfarrhaus in ländlicher Einsamkeit hervorgegangen, Lyzeumsdirektor, der verdienstvolle Schlaffachmann und Entdecker des Gesetzes vom Naturzeitschlaf, Verfasser dieser Schrift, hat leider das Erscheinen ihrer 5. Auflage nicht mehr erlebt und ist am 16. November 1947 in Göttingen an den Folgen einer schweren Unterleibsoperation im Alter von 77 Jahren viel zu früh für seine große dankbare Anhängerschaft verschieden. Krieg und Nachkriegszeit mit ihren Hemmnissen und Schwierigkeiten haben das Herausbringen der 5. Auflage, nach welcher seit 1942 bereits starke Nachfrage einsetzte, leider sehr verzögert. Als erster ärztlicher Mitkämpfer Professor Stöckmanns habe ich im Auftrag der Witwe die Herausgabe der 5. Auflage übernommen, sie erheblich erweitert, verbessert und kritisch ergänzt.
Von jeher Frühaufsteher, machte ich als Primaner des Barmer Gymnasiums, als welcher ich auch noch Sebastian Kneipp 1892 im Barmer Kneippverein persönlich kennenlernte, die Erfahrung, daß meine deutschen Aufsätze dann am besten ausfielen und vom Direktor der Klasse als Muster vorgelesen wurden, wenn ich nach entsprechender Vorbereitung am Vorabend der Ablieferung mich zwischen 18 und 18.30 Uhr zu Bett gelegt hatte und vor Mitternacht ausgeschlafen ohne Wecker erwachend in einem Zuge die Arbeit in etwa 7 Stunden gleich „ins reine“ schrieb. Als 18jähriger Freiwilliger in Bonn beobachtete ich 1894 staunend die riesigen Marsch- und Gefechtsleistungen der Truppe, die um 16 Uhr ins Biwak rückte, abkochte, kurz nach 18 Uhr ins Stroh kroch, um Mitternacht durch Hornsignale geweckt, 15 Stunden mit schwerem Gepäck (60-70 Pfund) bergauf, bergab im Siebengebirge und der berüchtigten Schnee-Eifel marschieren, fechten und – singen konnte. Als Verbindungsstudent habe ich leider diese so wertvollen Erlebnisse nicht genügend ausgenützt, wie Th. Stöckmann infolge seines Zusammenbruchs in der Unterprima mit den seinigen es getan hat, von dessen planmäßigen Versuchen und Forschungen seit 1890 mit und über Naturschlafzeit ich zu meinem Leidwesen erst im Alter von 58 Jahren hörte, „spat, awers nich to spat“! Seitdem weise ich jeden meiner Kranken auf den Vormitternachtsschlaf als einen wesentlichen Teil des Naturheilverfahrens nachdrücklich hin und habe in zahlreichen verschleppten, schwer beeinflußbaren Fällen durch den Naturschlaf noch erhebliche Besserungen, oft auch noch Heilungen erzielt. Leider kann ich selbst aus beruflichen Gründen ihn nicht regelmäßig durchführen, aber läßt er sich (bei Pflanzenfrischkost) ermöglichen, bin ich so mit Kraft geladen, daß ich als Siebziger noch ohne Ruhepause und Nahrungsaufnahme wiederholt von Mitternacht zu Mitternacht 100 bis 115 km auf meist schlechten Straßen durchmarschieren konnte. Nach erquickendem Schlaf erledigte ich dann ohne besondere Abspannung und ohne eine Spur von Erschöpfung, nur bei leichten Muskelschmerzen, am folgenden Tage meine gewohnte Berufsarbeit, die dann um 18.45 Uhr in den Naturzeitschlaf ausmündete.
Als Arzt machte ich immer wieder die Erfahrung: Je mehr Vormitternachtsschlaf, desto bessere Nerven, weil durch den Naturschlaf der unruhige und unterbrochene Schlaf tief, fest, traumlos wird. Erstes Gebot aber für den Naturschläfer ist, immer „ausgeschlafen“ zu sein! Sodann muß jedermann seine beste Schlafzeit, die optimale Schlafdosis durch Eigenversuche feststellen. Wer sich durch viele gesellschaftliche Verpflichtungen und naturwidrige Arbeitszeit mit dem Schlaf überwirft, zieht immer den kürzeren. Der Erwachsene, der (bei Naturkost) um 19 Uhr schläft, braucht nur 41/3 bis höchstens 5 Stunden Schlaf. Der berühmte Erfinder Edison (übrigens Vegetarier) ist neben zahllosen anderen ein klassischer Beweis dafür. Er kam sogar mit 4 Stunden Schlaf aus und wurde 85 Jahre alt. Nur durch Frühschlaf ist nervöse Erschöpfung, d. h. dauernde Übermüdung von Gehirn und Rückenmark vollkommen auszugleichen. Die tägliche Arbeitsschädigung wird so schnell wettgemacht; Herabsetzung der Leistungsfähigkeit, Reizbarkeit des Gemüts, Verstimmung, Schlafstörungen und Unlust zu tätigem Leben verschwinden bald. Der Naturschlaf erleichtert den nicht immer einfachen Übergang zu einem naturgemäßen Leben, entlastet schlagartig das bedrückte Gemüt, stärkt und dichtet das „siebartige“ Gedächtnis, heilt Leiden von Geist und Körper, besonders Nervenschwäche und die Unfähigkeit zur Sammlung, Konzentration. Schlaf und Sonnenuntergang, Erwachen und Sonnenaufstieg sollten nach Möglichkeit gleichlaufen. Die Kultur der Gegenwart ist eben eine Afterkultur, sie erfand Scheinsonnen, welche das Dunkel und den Schlaf hintergehen. Aber die Natur läßt sich nicht betrügen und überlisten. Die Nerven müssen, wie ein Freund des Frühschlafs sagte, hohe Prozente zahlen für das gestohlene Licht. Wer gewohnheitsmäßig in die Nacht hineinarbeitet oder Vergnügungen nachgeht, die warnende Müdigkeit (den „Sandmann“ der Kinder) durch Tabak, geistige Getränke, Schwarztee, Bohnenkaffee unterdrückt, setzt seinem wachsamen treuen Hofhund eine Narkosekappe auf die Nase und darf sich über die Folgen nicht beklagen.
Der Naturschlaf stärkt die Abwehrkräfte, und die positive Einstellung zur Schlafkur hilft, die ständige nervöse Verneinung, den verhängnisvollen Negativismus der Leidenden zu überwinden, und gibt Lebens- und Arbeitsfreude zurück. Das Selbstvertrauen wird gestärkt, indem der Naturschläfer sich selbst in eine Gesundungsschule nimmt, die den Kern seiner Persönlichkeit, den Willen, stählt und das gesamte Geist-Leib-Seelenwesen langsam aber sicher erneuert. Besonders eindrucksvoll ist die gleich im Anfang schon einsetzende seelische Umstellung vom matten Automatismus zu bewußter Sammlung, von Willensschwäche zu geballter Wollenskraft, von Zerrissenheit zu Harmonie, Einklang und Aufgeschlossenheit. Es ist, als ob längst außer Betrieb gesetzte Leitungsbahnen in Gehirn und Rückenmark durch die starken Willensantriebe vom Gehirnkraftwerk aus wieder für die nervenelektrischen Ströme gangbar gemacht, neu „eingefahren“ und so leistungsschwache Teile voll arbeitsfähig gemacht worden wären. Nunmehr können alle heilsamen Maßnahmen und „Heilschwingungen“ aufgrund der inneren Harmonie aufgenommen und verarbeitet werden.
Wer auf Lebenserfolg durch Persönlichkeitsbildung und Leistungssteigerung bedacht ist, eingehende Versuche nicht nur über die Naturschlafzeit selbst, sondern auch über andere Schlafzeiten abwechselnd angestellt hat, Urteilskraft besitzt und positive und negative Erfahrungserlebnisse, Licht und Schatten nüchtern abzuwägen versteht, wird fern von jeder einseitig optimistischen Schönfärberei wie voreiliger Nörgelei etwa zu folgender Antwort auf die Naturschlaffrage kommen:
Die Anwendung der Naturzeit steigert das körperliche, geistige und seelische Wohlbefinden und gewährt den Vorteil erhöhter Arbeitsleistungen, zumal bei angemessenem Wechsel zwischen Kopf- und Handarbeit. Die besten Ergebnisse im Hinblick auf Kräfteerneuerung erbringt die Schlafzeit von etwa 18.45 bis 23.20 Uhr. Verlegung auf 20 Uhr läßt erst um 2 Uhr bei weniger deutlich empfundenem Ausgeruhtsein erwachen. Bei Schlafbeginn zwischen 20.30 und 21 Uhr wird der Erwachsene gegen 4 Uhr wach bei noch schwächerer Erholung. Alle Schlafzeiten von 21 Uhr ab brauchen 7 bis 8 Stunden Schlaf, wobei immer Reste von Müdigkeit festzustellen sind. Bei vielen Angehörigen geistiger Berufskreise treten bei Schlafbeginn um 22 Uhr und später am folgenden Tage Kopfschmerzen auf mit starker Einbuße an Arbeitsbereitschaft und Arbeitsleistung. Der Naturschlaf, gegen 19 Uhr beginnend, erholt und stärkt also am besten. Dies kann ich aufgrund meiner langjährigen ärztlichen Beobachtungen in verschiedenen Ländern mit Bestimmtheit sagen. Freilich hat der „Naturschläfer“ nicht die Möglichkeit, seine Schlafzeit beliebig zu verschieben, da der Schlaf gegen 19 Uhr mit solcher Naturgewalt auftritt, daß auch der stärkste Wille nicht mehr ausreicht, ihn zu bannen, vorausgesetzt, der Tag war mit ernster Arbeit ausgefüllt und Nervenreizmittel waren tagsüber vermieden worden. Ein weiterer Vorteil ist der Zeitgewinn von etwa 3 Stunden durch Zuwachs an wacher Zeit; nötig ist indessen angemessener Wechsel zwischen körperlicher und geistiger Arbeit zwecks bester Ausnutzung derselben.
Gewisse Schwierigkeiten bei der Durchführung des Naturzeitschlafes, die hier nicht übersehen werden sollen, bestehen u. a. in Erschwerung oder Unmöglichkeit gesellschaftlicher Betätigung, auch Vereinsamung innerhalb der Familie, solange der Naturschlaf nicht größere Kreise erfaßt hat. Trotz allem müßte die Naturzeit die überwiegend angewandte Schlafzeit werden, um ihre große segensreiche Aufgabe erfüllen zu können.
Die uralten natürlichen Heilanwendungen setzen sich immer mehr in der Gegenwart durch. Dies beweisen sowohl die stark besuchten ärztlichen Einführungslehrgänge in die Naturheilverfahren...