II. Ein gelungener Auftakt: Die Regierungszeit Konrads II. (1024–1039)
Die salische Dynastie ist bisher noch ohne Leben geblieben, sozusagen ein Gerippe ohne Fleisch und Blut. Aber dies ändert sich, sobald man erfährt, daß Konrad II. von einem seiner Zeitgenossen idiota genannt wurde. Damit war gemeint, daß er nicht schreiben und lesen konnte, und das war für einen Laienadligen nicht untypisch. Je nachdem, ob man bereits als Kind für das Königsamt ausersehen war oder sich lediglich als Fürst bewähren sollte, fiel die Erziehung junger Knaben recht unterschiedlich aus: Die einen lernten lediglich die «sieben Fertigkeiten» des adligen Kriegers, also Reiten, Schwimmen, Bogenschießen, Faustkampf, Jagd mit Greifvögeln, Schachspielen und Verseschmieden. Die anderen wurden hingegen zugleich in die «sieben freien Künste» eingeführt, vor allem in das «Trivium» (die Grammatik, Rhetorik und Dialektik), so wie es uns etwa für Heinrich III. und Heinrich IV. bezeugt ist. Die Zeit besaß also durchaus ein waches Empfinden dafür, daß es gut sei, wenn ein König die von ihm erlassenen Urkunden lesen könne. Aber als notwendige Voraussetzung betrachtete man das nicht – die «Eingangsqualifikationen» waren vielmehr ganz anderer Art.
Wiederum ist es Wipo, der uns davon eine anschauliche Vorstellung gibt. Er berichtet nämlich, daß Konrad II. von besonderer Tugend und Tüchtigkeit gewesen sei, hebt ferner die bis nach Troja führende Reihe seiner Ahnen hervor und unterstreicht drittens, daß er fehlende Ämter und Lehen durch vornehme Herkunft, persönliche Integrität und reichen Privatbesitz ausgeglichen habe. Diese Laudatio war gewiß dazu angetan, die genannten Defizite des Herrschers vergessen zu machen. Denn tatsächlich war Konrad das Königtum nicht einfach in den Schoß gefallen. Die Jahre in der Opposition gegen Heinrich II., eine schwere Verwundung, die ihn monatelang ans Bett fesselte, und eine (erfolgreich bestandene) Fehde gegen Herzog Adalbero von Kärnten – all dies hatte den ersten salischen König hart gemacht. Wir dürfen ihn uns als zwei Meter hohen Recken von außerordentlichen Körperkräften vorstellen, dem die Gicht mitunter schwer zu schaffen machte. Doch nichts wäre falscher, als in ihm einen politischen Neuling zu sehen, der die Spielregeln der Macht nicht rechtzeitig erlernt hätte.
Eine erste Kostprobe davon legte er schon ab, als er bei der Frage der Königswahl seinen gleichnamigen Vetter überspielte und das Kunststück einer einmütigen Entscheidung ohne Gegenkandidaten zustande brachte. Dabei gelang es ihm, die Unterstützung des Erzbischofs Aribo von Mainz zu gewinnen, der als Wahlleiter die erste Stimme abzugeben hatte. Aber schon die anschließende Königskrönung zeigte, wie dünn das Eis in Wirklichkeit war, auf dem sich Konrad bewegen mußte. Aribo weigerte sich nämlich, neben dem Salier auch dessen Gemahlin Gisela am 8. September 1024 im Dom zu Mainz die Salbung zu erteilen, und so konnte ihre Weihe erst 13 Tage später in Köln stattfinden.
Die Hintergründe für diese merkwürdige Verzögerung werden sich wohl nie ganz aufklären lassen, aber sie sind wohl vor allem in zu naher Verwandtschaft der beiden Ehegatten zu suchen, denn in diesem Punkt war Aribo unerbittlich: Eine Verwandtenehe durfte niemals seinen Segen finden. Konrad fand jedoch einen passablen Ausweg. Er ließ sich zunächst allein die Salbung an Haupt, Brust, Schultern und Armen erteilen und bat anschließend Erzbischof Pilgrim von Köln um Hilfe, der zu Aribo in einem gewissen Konkurrenzverhältnis stand und das Kirchenrecht nicht ganz so penibel handhabte.
Dieser Kompromiß ist als taktische Meisterleistung zu bezeichnen, da er allen Beteiligten ermöglichte, ihr Gesicht zu wahren. Aber er dokumentiert uns auch, wie wichtig es für Konrad war, seine Herrschaft sakral legitimieren zu lassen. Ohnehin achtete der Salier peinlich genau darauf, daß sein Regierungsantritt in den richtigen Formen ablief. Am 4. September 1024 durch Akklamation und Huldigung der Großen zum König erhoben, ließ er sich erst nach seiner Wahl die Insignien aushändigen und bekundete noch vor seiner Weihe die Herrschertugend des Erbarmens, indem er drei bedürftigen Bittstellern rechtliches Gehör schenkte. Kurz darauf zog er nach Aachen, um sich auf den steinernen Thron Karls des Großen zu setzen, und vollzog anschließend einen gewaltigen Umritt im Reich, den seine Umgebung mit den Worten kommentierte: «An Konrads Sattel hängen Karls Bügel», was wohl heißen sollte, er habe soviel Tatkraft wie Karl der Große besessen.
Diese Worte sind sicherlich als Herrscherlob zu deuten, an dem man üblicherweise erhebliche Abstriche macht. Gleichwohl wird man nicht umhin können, auch dem weiteren Ereignisverlauf eine große Geschwindigkeit zu attestieren. Schon im Februar 1026, zu einer ganz ungewöhnlichen Jahreszeit, brach der Salier nämlich mit Heeresmacht nach Italien auf, empfing dort die Krone des Langobardenreichs und setzte sich anschließend in der Poebene fest. Dabei hatte er mitunter hartnäckigen Widerstand zu brechen. Die Einwohner von Ravenna zum Beispiel gerieten in offenen Aufruhr, den er nur mit militärischer Gewalt, schweren Bußzahlungen und einem formellen Unterwerfungsakt zähmen konnte. Aber am Ende behielt Konrad fast überall die Oberhand und erlangte schon zu Ostern 1027 in Rom die Kaiserkrone.
Diese geradezu beispiellose Erfolgsgeschichte hat die Forschung viel beschäftigt. Denn das, was Otto der Große erst nach langen Jahren erreichte, was viele Kaiser ganz vergeblich erstrebten – eine unangefochtene Herrschaft in Oberitalien –, scheint Konrad keinerlei Probleme bereitet zu haben. Eine nähere Betrachtung zeigt freilich, daß dem nicht so war. Der König hielt sich nämlich ziemlich strikt an die Faustregel, daß man sich in fremden Regionen nur dann behaupten könne, wenn man sich beim Reisen der Flußläufe bediene und gebirgige Gegenden möglichst meide. Immer wieder sind uns daher Aufenthalte Konrads am Po und seinen Nebenflüssen bezeugt. Die Lombardei stieg dadurch fast zu einer Kernlandschaft auf. Dennoch zögerte Konrad, in die gewachsene Sozialstruktur einzugreifen. Sein Königtum blieb deshalb zunächst eine Fremdherrschaft, die sich klug mit den örtlichen Gegebenheiten zu arrangieren verstand.
Daß dies auch für das Papsttum und Mittelitalien galt, sieht man schon daran, daß Konrad nur etwa zehn Tage in Rom verweilte und auch keinerlei Anstrengungen machte, im Latium oder auf dem Apennin Fuß zu fassen. Sein schon im Juni 1026 eingeführter Titel eines «Königs, der zum Kaisertum über die Römer bestimmt» sei (rex … ad imperium designatus Romanorum), ist daher nicht als realpolitischer Anspruch zu verstehen. Er war eher ein ideeller Wert, der kaum zu praktischen Konsequenzen führte. Dank dieser klugen Zurückhaltung konnte der Salier schon im Juni 1027 ohne Schwierigkeiten in die Heimat zurückkehren. Denn die Autorität eines Herrschers hing damals weit weniger von den tatsächlichen Kräfteverhältnissen ab als von den symbolischen Akten, bei denen man seinen Rang zur Schau stellen konnte. Krönungen – wie die Konrads zum König der Langobarden und Kaiser der Römer – waren deshalb viel wirksamer als erfolgreiche Kriegszüge. Etwas verkürzt kann man sagen: Es kam lediglich darauf an, sich in den Machtzentren Rom, Mailand und Pavia durchzusetzen, um auch in Italien als legitimer Herrscher zu gelten.
Im Unterschied dazu mußte sich Konrad nördlich der Alpen auch darum bemühen, möglichst viele Große zu persönlicher Loyalität zu verpflichten und Konflikte tatsächlich siegreich auszutragen. Aber dafür konnte er hier davon profitieren, daß schon sein Vorgänger eine Reihe von Machtmechanismen entwickelt hatte, die er bloß zu imitieren brauchte. So kam es erneut zu einer Zentralisierung der Herrschaftsgewalt, die im wesentlichen auf drei Komponenten beruhte: der häufigen Präsenz des Kaisers in den Kernlandschaften des Reichs, der allmählichen Einschränkung der Herzogsgewalten und der intensiven Nutzung der Reichskirchen. Diese drei Komponenten gilt es nun etwas genauer zu betrachten. Aber man kann dies nicht tun, ohne zuvor noch einmal die Funktion der Herrschaftsrepräsentation hervorzuheben. In einer Gesellschaft, die fast ausschließlich aus Analphabeten bestand und die sich Jahr für Jahr fragte, gegen wen der nächste Krieg ausgetragen werde, war es nämlich von entscheidender Bedeutung, daß sich der König immer wieder auf Versammlungen zeigte, seinen Platz als oberster Richter und Feldherr behauptete und seinen Rang bei Festgottesdiensten und Prozessionen zur Schau stellte – doch dazu bedurfte es eines ganzen Arsenals von zeichenhaften Handlungen.
Eine der wichtigsten war dabei jener Vorgang, den man später als Investitur bezeichnete: die zeremonielle Einweisung in ein Kirchenamt durch die Übergabe eines entsprechenden Rechtssymbols. Sie geschah bei Bischöfen und Äbten meist dadurch, daß ihnen der König noch vor der Weihe persönlich den Krummstab in die Hand drückte und die...