BEOBACHTUNGEN
Was häufig schief läuft in Unternehmen
Wir haben uns fast schon daran gewöhnt, dass manche Dinge in Unternehmen nicht gut funktionieren. Das lässt sich vergleichen mit dem Frosch im langsam heißer werdenden Wasser. Wir bemerken es fast gar nicht mehr. Es wird zur Normalität.
Wenn wir uns jedoch mit etwas Distanz vor Augen führen, was alles schief läuft, erkennen wir, dass wir grundlegend etwas ändern müssen.
DIE LEHMSCHICHT
Wenn die Unternehmensführung nicht führen kann
Der Vorstandsvorsitzende eines der weltgrößten Technologieunternehmen beklagte kürzlich in einem persönlichen Gespräch, dass seine Anweisungen im besten Fall als interessante Gedankenanregungen aufgenommen werden. Er fühlt sich manchmal ohnmächtig, sein Unternehmen tatsächlich zu lenken. Die Lehmschicht zwischen ihm und den mehreren hunderttausend Mitarbeitern ist einfach zu dick und kaum durchdringbar. Es gibt – wenn überhaupt – kaum Instrumente, um Veränderungen tatsächlich herbeizuführen. Insgesamt dauern Veränderungen viel zu lange. Maßnahmen entfalten erst dann ihre praktische Wirkung, wenn sie bereits wieder überholt sind.
Viele seiner Mitarbeiter beklagen dieselbe Situation aus entgegengesetzter Perspektive. Die Lehmschicht verhindert, dass ihre Vorschläge und berechtigte Kritik Gehör finden. Die Geschäftsleitung ist viel zu weit vom Tagesgeschäft und den aktuellen Problemen entfernt. Viele der Entscheidungen von oben behindern ihre Arbeit, statt diese zu vereinfachen und zu unterstützen. Die wichtigen Tätigkeiten müssen irgendwie fast nebenher erledigt werden – neben den ständigen Umorganisationen und zahlreichen strategischen Initiativen. Viel Energie wird in interne Dinge investiert, die keinerlei Mehrwert schaffen.
Genau in dieser Lehmschicht befindet sich das mittlere Management. Es ist lähmend umgeben von organisatorischer Schlacke. Zu viele Sachzwänge, starre Vorgaben und unnötige Prozesse verhindern gute Führung. Die Handlungsmöglichkeiten sind eingeschränkt. Nicht wenige Führungskräfte brennen darin aus – angefeuert durch immer stärkeren Druck von oben und immer höheren Erwartungen von unten. Alle anderen wissen besser, wie und wohin man führen soll. Statt Anerkennung für das immense zeitliche und aufreibende Engagement hagelt es von allen Seiten Kritik. Viele in dieser Lehmschicht fragen sich zu Recht, ob sie ihr Herzblut richtig einsetzen – oder ob es nicht besser wäre, sich einfach treiben zu lassen.
Wie kann das sein? Warum fühlen sich alle Beteiligten machtlos, die Zukunft des Unternehmens tatsächlich aktiv zu gestalten? Jeder Einzelne fühlt sich behindert durch ein System, das den tatsächlichen Anforderungen nicht (mehr) gerecht wird.
Wie kann man dieses System nachhaltig verändern, um wieder handlungsfähig zu werden? Wie kann man der Begeisterung für die Sache, Kreativität und Innovation wieder gebührenden Raum verschaffen? Der Großteil der Beteiligten hat das Beste für das Unternehmen im Sinn, solange dies eigenen Bedürfnissen nicht entgegensteht. Es mangelt keineswegs an guten Absichten, an tatsächlichem Willen oder an der notwendigen Energie. Dennoch ist diese Lehmschicht eine Realität, angesichts derer engagierte Mitarbeiter und Führungskräfte zunehmend resignieren.
DIE VERSCHANZUNG
Wenn Silos verstärkt statt aufgebrochen werden
Die Beschleunigung und Komplexität der Veränderungen stellt Unternehmen und Menschen in Unternehmen vor beträchtliche Herausforderungen. Obwohl allen klar ist, dass diese nur durch vermehrte Zusammenarbeit im Unternehmen und darüber hinaus zu bewältigen sind, geschieht in Unternehmen das genaue Gegenteil: Silos werden befestigt, verstärkt und Gräben darum gezogen.
Dies ist damit erklärbar, dass der Druck auf jedes einzelne Team zunimmt. Wir müssen noch produktiver werden, um die Herausforderungen des Marktes, des Wettbewerbes und der Kunden zu meistern. Wir definieren unsere Produktivität dahingehend, dass wir unsere Arbeit erledigen. Daran werden wir gemessen, daran messen wir uns auch selbst. Nach dieser Einschätzung ist es am besten für das Unternehmen, wenn jeder seine Arbeit professionell und wie vereinbart erledigt. Wir meinen, dass es für unsere Tätigkeit ideal ist, wenn wir uns ungestört darauf fokussieren können. Anfragen von anderen und die vielen Sitzungen stören uns. Ebenso empfinden wir Projekte, bei denen wir die Probleme anderer lösen sollen, oder manchmal sogar Kundenanfragen als Ablenkung von unserer Arbeit. Bereits Henry Ford wusste ja, dass der Kunde eigentlich nur schnellere Pferde wünscht. Wenn man uns nur ließe, könnten wir richtige Autos bauen – und damit die Kunden weit glücklicher machen als sie selbst es sich vorstellen. Der Druck von außen führt so dazu, dass wir uns im Team einigeln. Wir versuchen dem Arbeitsalltag möglichst viel Zeit ungestörter Arbeit abzuringen. In einigen Unternehmen erkennt man dies an Schildern an Bürotüren, zu welchen Zeiten Störungen akzeptabel sind.
Ein weiterer Grund für die Verschanzung liegt darin, dass sich die Spezialisierungen in Unternehmen immer stärker ausprägen. Die jeweiligen Experten verstehen einander nicht mehr und vermuten, dass das Gegenüber sie nicht ernst nimmt. Wie soll der Verkäufer verstehen, dass Qualität und Sicherheit wichtiger sind als ein kurzfristig gewonnener Neukunde? Wie sollen umgekehrt die Kollegen von der Qualitätssicherung verstehen, wie schwierig es heutzutage ist, Kunden für sich zu gewinnen? Wie sollen die Buchhaltung und die Rechnungsprüfung verstehen, dass agile Produktentwicklung nicht minuziös planbar ist? Wie sollen umgekehrt die Kollegen von Forschung und Entwicklung verstehen, dass Ressourcen nicht unbeschränkt und ungeplant zur Verfügung stehen? Um unseren eigenen Überzeugungen mehr Gewicht zu verleihen, schließen wir uns mit Gleichgesinnten zusammen. Wir bilden Allianzen gegen diejenigen, die unsere Anliegen nicht verstehen oder nicht ernst genug nehmen. Dies erfolgt nicht zwingend als bewusster Entscheidungsprozess. Es geschieht, weil wir uns mit Gleichgesinnten besser verstehen, wir uns von ihnen besser verstanden fühlen – und insgesamt besser zusammenarbeiten können. Wir sind davon überzeugt, dass unsere eigenen Anliegen mehr Aufmerksamkeit, Ressourcen und Unterstützung bedürfen als andere, die uns weniger nahe stehen.
Parallel dazu nimmt die Unsicherheit und Vieldeutigkeit unserer Umwelt zu. Wir verlieren an Sicherheit, die Resultate unserer Arbeit unter Kontrolle zu haben und vollständig beeinflussen zu können. Es gibt nicht mehr nur den einen Königsweg zum Ziel. Was gestern zu einem guten Ergebnis führte, funktioniert schon heute nicht mehr – und wird morgen womöglich wieder in Erwägung gezogen werden müssen. In einem solchen Umfeld ist nachvollziehbar, dass wir uns zurückziehen in Bereiche, in denen wir möglichst viel Kontrolle behalten. Dies ist im engen Bereich unserer eigenen Arbeit der Fall, hier können uns andere kaum hineinreden. Wenn sie dies dennoch tun, wissen wir zumindest, dass sie über keinerlei Berechtigung oder fachliche Kompetenz dazu verfügen.
Die Verschanzung und das Aufrüsten der Silos sind somit absolut nachvollziehbar. Dennoch ist dies angesichts der komplexen Herausforderungen nachteilig für das Unternehmen insgesamt – und auch für die einzelnen Teams. Doch wie ist dieser Teufelskreis zu durchbrechen? Wie können wir lernen, Silos nachhaltig und wirksam aufzubrechen?
DIE AGILITÄTSFALLE
Wenn die Organisation zu langsam ist für das Marktumfeld
Neidisch bis angsterfüllt verfolgen Führungskräfte und Mitarbeiter das Geschehen im Silicon Valley – dem Mekka der Innovation. Dort gedeihen Jungunternehmen, die scheinbar mühelos ganze Branchen revolutionieren. Verglichen damit befinden sich die großen, etablierten Unternehmen diesseits und jenseits des Atlantiks in einer Art Schockstarre. Sie scheinen keine Antwort zu finden, wie sie diesen Herausforderungen begegnen. Das betriebliche Vorschlagswesen wirkt angesichts des rasanten Wandels nahezu lächerlich. In den Vorstandsetagen wird über Maßnahmen diskutiert, um die eigenen Reihen innovativer und schneller zu machen. Die Existenz und Dringlichkeit des Veränderungsbedarfs ist allen Beteiligten klar. Doch weder stetige Appelle noch die Verstärkung des Drucks führen zu spürbaren Fortschritten.
Geschäftsführer pilgern zur Gruppentherapie ins Silicon Valley und lassen sich von erfolgreichen Grünschnäbeln die neue Welt erklären. Einhörner sind dort keine Fabelwesen für Kinder, sondern das Ziel jeden Gründers: Es sind junge Unternehmen, die schon nach kurzer Zeit mit über einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Aber auch die arrivierten Internet-Titanen fehlen nicht auf der Erkundungsreise....