2 Coaching und Mentoring in der Führung
2.1 Die Begriffe Coaching und Mentoring
Der Begriff Coaching ist allgemein als ein professionelles Beratungsformat zur individuellen Unterstützung von Personen im beruflichen Kontext bekannt. Der Coachee bestimmt die Thematik und das Ziel des Austausches und der Coach unterstützt diesen Prozess als methodischer Experte (vgl. Rauen, 2008, S. 2 f.). So lassen sich z. B. Topmanager im Rahmen von Fragen nach dem geeigneten Umgang mit Überlastungen, dem richtigen Umgang mit Mitarbeitern oder in dem Wunsch nach Steigerung der eigenen Souveränität etc. aus eigenem Antrieb - und vielfach privat finanziert – zeitlich befristet von einem ausgebildeten Coach begleiten. Das Ziel des Coachingprozesses ist immer, den Coachee dabei zu unterstützen, die von ihm gesetzten Ziele zu erreichen. In der Regel schließen Coach und Coachee zu Beginn des Beratungsprozesses einen sog. Vertrag ab, indem sie mündlich Regeln zum Umgang miteinander und dem Coachingprozess insgesamt vereinbaren. Vermehrt geht der Wunsch nach einem Coaching der Mitarbeiter aber auch allein vom Arbeitgeber aus. Dementsprechend erleben wir in der Praxis immer wieder Anfragen von Unternehmen, die darauf abzielen, vor allem Führungskräfte in eine bestimmte Richtung zu entwickeln. Sofern dies dem Ziel des Coachees widerspricht, kann kaum von Coaching im professionellen Beratungsformat gesprochen werden.
Im Unterschied dazu ist Mentoring zwar auch eine individuelle Unterstützung, meist jedoch in beruflichen Einstiegssituationen. Zudem erfolgt es i. d. R. nicht durch einen auf die Begleitung spezialisierten Experten, sondern durch einen in der Führung erfahrenen Mentor, der häufig auch aus der gleichen Organisation stammt, aber nicht die Führungskraft des Mentee ist (vgl. Schmid & Haasen, 2011, S. 14 f. und S. 30 f.). Was bedeutet im Unterschied dazu nun konkret Coaching und Mentoring im Sinne der transformationalen Führung?
Es ist die begleitende Unterstützung der Mitarbeiter bei der Nutzung und Förderung ihrer Potenziale durch eine in bestimmten Aspekten erfahrenere Führungskraft, um damit bestmöglich zur Erreichung der Unternehmensziele beizutragen. Damit unterscheidet sich Mentoring in der transformationalen Führung vom klassischen Mentoring dadurch, dass die i. d. R. mit disziplinarischer Gewalt ausgestattete Führungskraft die Rolle des Mentors in einem fortwährenden Prozess innehat. In Abgrenzung zum Coaching im Beratungskontext, wo es allein um die vom Coachee gesetzten Ziele geht und der Coach lediglich ein inhaltlich neutraler Prozessbegleiter ist, werden beim Coaching in der transformationalen Führung die Unternehmensziele verfolgt. Hier besitzt die Führungskraft als Vertreter der Unternehmensinteressen den Auftrag, mit ihrer und der Tätigkeit der Mitarbeiter bestmöglich zur Zielerreichung beizutragen.
Gemeinsam ist allen Formaten – d.h. sowohl dem Coaching im Beratungsformat, dem klassischen Mentoring als auch dem Coaching/Mentoring in der transformationalen Führung – dass sie auf die Förderung der Selbstführungskompetenz der Mitarbeiter abzielen. Ein Mitarbeiter, der in der Lage ist, sich selbst zu führen, kann sein eigenes Denken und Handeln so steuern, dass er seine Ziele erreicht. Er ist befähigt, seine Potenziale einzusetzen, mit komplexen, sich verändernden Situationen umzugehen und Aufgaben, mit denen er bislang nicht vertraut ist, gerecht zu werden. Transformationale Führung strebt an, dass die Mitarbeiter diese Fähigkeiten (weiter-)entwickeln und im Sinne des Unternehmens verwenden, um mit den hohen Anforderungen des Wettbewerbs umzugehen. Dazu muss es gelingen, die Ziele des Mitarbeiters mit denen des Unternehmens zu verbinden, ihn zu motivieren und da wo es erforderlich ist, bei der Bewältigung der Anforderungen zu unterstützen, aber auch immer wieder herauszufordern.
Idealtypisch können Führungskräfte mit idealisierter Einflussnahme und inspirierender Motivation ( Kap. 1.2) erreichen, dass die individuellen Ziele der Mitarbeiter mit den Zielen des Teams und des Unternehmens verbunden werden. Dazu kommuniziert die Führungskraft im Rahmen der idealisierten Einflussnahme den Mitarbeitern die Vision verständlich und begeistert dafür. Dann werden die Mitarbeiter anstreben, ihre Potenziale – auch im Rahmen der ihnen eingeräumten Freiräume – einzusetzen, um die Unternehmensziele zu erreichen. Sind die Mitarbeiter zudem durch die inspirierende Motivation der Führungskraft intrinsisch motiviert und erkennen ihre Arbeit als sinnhaft, werden sie zur Erreichung der Ziele eine hohe Einsatzbereitschaft zeigen. Aber auch, wenn die Mitarbeiter die Unternehmensziele zu ihren eigenen erklären und ausgesprochen motiviert sind, müssen sie noch über die Fähigkeiten zur Bewältigung der Aufgaben verfügen. Und genau hier ist die Führungskraft mit ihren Coaching- und Mentoringfähigkeiten von Bedeutung. Durch ihre fortwährende, auf den einzelnen Mitarbeiter abgestimmte Begleitung und Unterstützung trägt sie im Sinne der intellektuellen Stimulation und der individuellen Berücksichtigung dazu bei, dass der Mitarbeiter sowohl den Umgang mit sich als auch mit neuen Anforderungen und Situationen bewältigt, also seine Selbstführungskompetenz erhöht und damit zunehmend herausfordernde Situationen erfolgreich überwinden kann.
Um die Mitarbeiter in diesem Sinne zu begleiten, ist für die Führungskraft ein Erfahrungshorizont analog zum Mentor erforderlich. Ebenso benötigt sie die einem professionellen Coach vergleichbare Fähigkeit zur Steuerung des Beratungsprozesses sowie das Vermögen, mit der eigenen Rolle umzugehen. Das stellt an die Führungskraft die Anforderung, aus einer Haltung als Coach und Mentor heraus zu agieren und in der Lage zu sein, das erforderliche Handwerkszeug einzusetzen, um den Mitarbeiter bei der Erreichung neuer Erkenntnisse und dem Einnehmen neuer Blickwinkel zu unterstützen.
2.2 Selbstverständnis der Führungskraft als Coach und Mentor
Da transformational führende Führungskräfte sich als Coaches und Mentoren begreifen müssen, sollten sie damit in besonderem Maße eine bestimmte emotionale Haltung und wertschätzende Einstellung gegenüber Mitarbeitern besitzen. So konnten u. a. auch Mason et al. (2014) belegen, dass der Aufbau transformationaler Führungskompetenz auch psychologische Veränderungen impliziert. Erst wenn eine Führungskraft eine innere Haltung als Coach und Mentor einnimmt, wird sich dies für die Mitarbeiter schlüssig und glaubhaft in dem Verhalten der Führungskraft zeigen.
Die mit der transformationalen Führung erforderliche Interaktion mit den Mitarbeitern sowie deren individuelle Berücksichtigung bedingt das Interesse der Führungskraft an den Mitarbeitern. Dabei geht es darum, Mitarbeiter nicht nur mit ihrer Arbeitsleistung wahrzunehmen, sondern auch mit den darüber hinausgehenden Bedürfnissen und Besonderheiten als ganze Person. Nur wenn ein solches Interesse an den Mitarbeitern besteht, kann sich eine auf Wertschätzung basierende Beziehung entwickeln, die eine Voraussetzung für die erfolgreiche Zusammenarbeit von Führungskraft und Mitarbeiter im Sinne der transformationalen Führung darstellt. Unter Wertschätzung wird verstanden, dass das Gegenüber sich mit all seinen Stärken und Schwächen angenommen fühlt. Diese Anforderung entstammt einer der bedeutenden Denkschulen der Psychotherapie, die unser heutiges Verständnis von Coaching im professionellen Beratungsformat in weiten Teilen geprägt hat (vgl. Draht, 2012, S. 227). So fordern beispielsweise Rogers (1973) sowie Tausch & Tausch (1990) im therapeutischen Kontext das Entgegenbringen einer maximalen Wertschätzung, da die Klienten aus ihrer Sicht nur dann lernen, sich selbst zu akzeptieren und autonom zu handeln. Analog wird auch eine durch gegenseitiges Vertrauen und Wohlwollen geprägte Beziehung als Voraussetzung für ein erfolgreiches Mentoring gesehen (vgl. Ziegler, 2009, S. 11). Die Vertrauensbeziehung zwischen den Beteiligten stellt einen zentralen Faktor für die Wirksamkeit des Mentorings dar (vgl. Schneider & Blickle, 2009, S. 151). Die Thematik der Wertschätzung ist ebenfalls in der Diskussion um das Führungsverhalten ein wichtiger Aspekt. So postuliert McGregor (1960), dass Führungskräfte oft für sie selbst unbemerkt stereotype Vorstellungen über ihre Mitarbeiter haben und diese unterschwellig kommunizieren. Ist das Stereotyp einer Führungskraft beispielsweise, dass Mitarbeiter die Arbeit grundsätzlich lästig finden und sie meiden, schlussfolgern sie...