4. Kapitel
Übersicht über Behandlungsmöglichkeiten der Angst
1. Abschnitt: Vorwort
Mit diesem Teil möchte ich Ihnen einen kurzen Überblick geben über mögliche Therapien, die in einer Gruppe oder alleine unter Hinzuziehung eines Therapeuten durchgeführt werden können. Derjenige unter Ihnen, der sich selbst nicht so recht motivieren kann, aber dennoch "irgendetwas" machen möchte, hat hier die Möglichkeit, einen kurzen Einblick in das Therapiespektrum zu nehmen, ggf. auch zu schauen, welche Therapie für ihn gegenwärtig am ehesten in Frage kommt.
2. Abschnitt: Verhaltenstherapie
Die Verhaltenstherapie begreift den Menschen als Produkt seiner Konditionierungssysteme. Sie stützt sich dabei auf wissenschaftliche Ergebnisse, die auf Pawlow, Skinner, Hull, u.a. zurückgehen, nach denen bestimmte Verhaltensweisen erlernt - aber auch wieder verlernt werden können.
Bei der so genannten Desensibilisierung beispielsweise - einer der Hilfsmittel der Verhaltenstherapie - wird der Patient dazu angehalten, sich eine Hierarchie von angstbesetzten Situationen zu notieren und sich diese sodann in der Fantasie im Wechselspiel mit fantasierten "Entspannungssituationen" vorzustellen. Im Verlauf der Therapie "erklettert" der Patient schrittweise seine hierarchisch aufgebaute Angstsituationsleiter. Ziel ist das "Verlernen" der Angst, das durch schrittweise Umformung der Angstreize in Entspannungsreize möglich wird, d.h., auf ursprüngliche Angstreize reagiert der Patient im Endstadium der Behandlung künftig mit Entspannung.
Aber auch das Rollenspiel, das Selbstsicherheitstraining und andere Techniken werden von der Verhaltenstherapie angewandt, um situationsadäquates Verhalten zu erlernen.
3. Abschnitt: Psychodrama
Das Psychodrama ist ein Verfahren, das von Moreno aus dem Stegreiftheater heraus entwickelt worden ist. Hier werden Konfliktsituationen bewusst im Zusammen-spiel mit anderen Patienten in der Weise dargestellt, gespielt, dass der Betreffende, der Protagonist, zunächst den anderen die äußeren Verhältnisse sowie die Charaktereigenschaften der Menschen schildert, die in diesen konkreten Situationen in ihm Angst auslösen. Im Anschluss daran verteilt der Protagonist die Rollen an die Darsteller und das 'Theaterstück" kann beginnen.
Durch das Psychodrama kann der Protagonist lernen, durch das Erleben improvisierter Krisensituationen seine Konflikte auszuleben. Dabei stößt er einerseits auf die Ursachen, andererseits lernt er aber auch, sich in genannten Situationen anders zu verhalten.
4. Abschnitt: Gesprächstherapie
Die Gesprächstherapie - auch "Klienten zentrierte Therapie" genannt - geht auf den amerikanischen Psychologen Rogers zurück. Sie ist eine Methode, bei der der Klient zur Offenlegung seines Konfliktes geführt wird und klarere Einsicht in diesen gewinnen soll. Der Therapeut hat dabei die Aufgabe, durch Fragen, die ehrliches Interesse bekunden sollen, sowie durch das schlichte Wiederholen emotionaler Erlebnisinhalte des Patienten seinen Erkenntnisprozess zu beeinflussen, wobei er eine nicht wertende Haltung einnimmt, keine Ratschläge erteilt, weder kritisiert, noch Schuldgefühle weckt und den Klienten so dazu führt, dass dieser selbst zu einer Lösung seines Konfliktes findet. Diese Haltung des 'Beraters" weckt Gefühle affektiver Solidarität, die beide Individuen zu einem "Wir" zusammenschmelzt.
Beeinflusst durch die gefühlsmäßige Wärme, die das Gespräch erzeugt, sowie den Eindruck des Klienten, dass er mit seinen Gefühlen wichtig genommen und ihm zugetraut wird, die Lösung seines Problems selbst herauszufinden, lernt der Klient in zunehmendem Masse, die Verantwortung für das, was in seinem Leben geschieht, selbst zu übernehmen.
5. Abschnitt: Gruppentherapie
Von dieser Behandlungsform gibt es mehrere Abwandlungen. Diejenige auf psychoanalytischer Grundlage ist wohl am weitesten verbreitet.
Die psychoanalytische Gruppentherapie arbeitet mit entlehnten Techniken aus der Psychoanalyse wie der Traumdeutung und der freien Assoziation, ohne dabei gegenwärtige bzw. "archivierte" Gefühle des einzelnen zu übergehen. Das Ziel ist es, bewusste und unbewusste "Bilder" und Empfindungen aufzudecken und die gefühlsmäßigen Triebfedern des Individuums durchgreifend und neu zu organisieren. Der Gruppenprozess lässt sich etwa in drei Abschnitte zergliedern:
Im ersten Abschnitt steht das Kennenlernen der einzelnen Gruppenmitglieder im Vordergrund. Aus diesem Prozess des Kennenlernens heraus entwickelt sich dann nach und nach ein Gemeinschaftsgefühl, bei dem zunehmend die Furcht der einzelnen vor den anderen abgelegt wird. In diesem Stadium werden in der Regel dem Individuum seine Schwierigkeiten mit sich und den anderen zunehmend deutlich. Der dritte Abschnitt ist gekennzeichnet durch das Bewusst-Werden der individuellen Verhaltenswurzeln.
Bei der Gruppentherapie tritt der einzelne Patient nicht in einen Dialog zu dem Therapeuten. Alle Gruppenmitglieder sind angesprochen und aufgerufen, in die Rolle des Therapeuten zu schlüpfen und durch nondirektive Fragen, Verständnis, sharing (z.B. die Mitteilung eines anderen: "Das kenne ich von mir auch"), Deutungsversuche und nicht zuletzt auch durch körperliche Zuwendung auf den einzelnen einzugehen.
6. Abschnitt: Gestalttherapie:
Die auf den Psychoanalytiker Goldstein zurückzuführende Gestaltpsychologie begreift den Menschen als ein Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Er vertritt die Ansicht, das Bewusstsein entstehe aus dem Verhältnis zwischen Umwelt und Organismus. Bewusstsein bilde Gestalten des Interesses vor dem Hintergrund von Umgebung und Organismus. Dieser interessiere sich für ein Objekt, wenn es seine Bedürfnisse anspricht. Durch diesen Kontakt mit seinen Bedürfnissen etabliere der Organismus sein Selbst.
Der Psychoanalytiker Perls ging den von Goldstein eingeschlagenen Weg weiter. Seine Gestalttherapie bezweckt, den einzelnen in die Lage zu versetzen, mit seinem Selbst
Kontakt aufzunehmen. Diese Kontaktaufnahme mit dem Selbst - dem Zentrum dynamischer Ruhe, der Basis des Bewusstseins und der Gesundheit, der Quelle kreativen Ausdrucks - schärfe unwillkürlich das Bewusstsein und begünstige die Aktualisierung des inneren Potentials. Nach Perls ist nur ein zentrierter Mensch in der Lage, dieses Selbst zu leben. Denn er hat Kontakt zu diesem Zentrum, das ihn von der Schein-Notwendigkeit befreit, sich fortlaufend anpassen oder verändern zu müssen.
Die Gestalttherapie geht davon aus, dass unbewussten Körperbewegungen die Be-deutung innewohnt, das Individuum an der Einleitung von Maßnahmen auf dem Weg zum Selbst-Bewusst-Werden zu hindern. So ist folgerichtig wesentlicher Inhalt der Gestalttherapie die Körperarbeit, wobei die Kontaktaufnahme nicht nur auf den eigenen Körper beschränkt wird, sondern auch andere miteinbezieht. Dieses soll bewirken, dass der einzelne sich seiner selbst stärker bewusst wird und damit wieder Kontakt zu seinem Zentrum schließt. Das "Hier und Jetzt" wird zum prägenden Moment der Therapie.
7. Abschnitt: Psychoanalyse
Der Begründer der Psychoanalyse, der Wiener Nervenarzt Sigmund Freud, ging davon aus, dass Angst und die anderen, eine Neurose anzeigenden Verhaltensweisen auf einen Krankheitsprozeß hinweisen. Deshalb sei es erforderlich - ebenso wie der Gärtner nicht die welken Blätter, sondern die Wurzel behandelt - nicht die Angst als Symptom, sondern die Wurzel der Angst zu behandeln. Nach Freud sind unbewusste Komplexe wie z.B. der Ödipuskomplex oder sein Gegenstück, der Elektrakomplex, für diese Neurose verantwortlich.
Ziel der Psychoanalyse ist es, diese verdrängten, unbewussten Konflikte und die darauf zurückzuführende Krankheit dem Patienten bewusst zu machen. Das Instrument der Psychoanalyse ist das Deuten von Gedankenbildern, die in der klassischen Psychoanalyse vorwiegend den Träumen entstammen. Der Patient wird dabei angehalten, sich seine Träume aufzuschreiben und sie in den Sitzungen - locker entspannt auf einer Couch liegend - zu erzählen. Dabei soll er Gedankenbilder, die er zu diesem Traum assoziiert und andere Gedanken äußern, die ihm dazu durch den Kopf gehen und die zunächst scheinbar in keinem nachvollziehbaren Bezug zum Traum stehen.
Widerstände können durch Deutungen, Erkenntnisse und wiederholtes Durcharbeiten des Widerstandes an Einfluss verlieren, so dass schließlich Heilung möglich ist. "Durcharbeiten" meint dabei das Umsetzen der Erkenntnisse auf eine Vielzahl von ähnlichen, den Erkenntnissen zugrundeliegenden Situationen mit dem Ziel einer Verhaltens- und Erlebniskorrektur. Idealerweise ist diese Korrektur gekennzeichnet durch eine Ich-Stärkung, eine Verminderung des Triebdrucks sowie durch eine Veränderung der Über-Ich-Struktur im Sinne z.B. einer Verminderung von Strenge.
Stellt sich im Verlauf des Durcharbeitens keine Symptomverbesserung ein, ist in der Analyse der Frage nachzugehen, ob die Deutung möglicherweise unzutreffend gewesen ist oder ob das symptomatische Erleben noch weitere Determinanten enthält. Bejahendenfalls hat ein erneutes Durcharbeiten auf der Grundlage neuer Erkenntnisse zu erfolgen.
Es wird erwartet, dass symptomatisches Erleben und Verhalten nicht mehr auftreten, sobald alle Symptomdeterminanten geklärt und durchgearbeitet worden sind.
8. Abschnitt: Psychoanalytische Fokaltherapie
Die psychoanalytische Fokaltherapie versucht, in wenigen Sitzungen dem Patienten Zugang zu den Ursachen seiner Angst zu...