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E-Book

Ich stottere

Aus dem Gefühlsleben eines Stotterers

AutorJochen Praefcke
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl156 Seiten
ISBN9783743199880
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Wie fühlt es sich an zu stottern? Was bedeutet Stottern im Alltag eigentlich? Wie prägend ist es für die Persönlichkeit, ein Stotterer zu sein? Ein Buch über eine lebensbegleitende Konstante, über das Reden und Schweigen, über Leidensdruck und Leugnung, über die eigene Begriffsstutzigkeit und die anderer Leute, über stotternde und nichtstotternde Deppen im Film und im echten Leben, über Freundschaft und Familie, über Klarinetten und Gitarren, über hilfreiche und weniger hilfreiche Bewältigungsstrategien, über Selbstsicherheit, Erfolge und Rückschläge - kurzum: eine Achterbahnfahrt durch das Gefühlsleben eines lebenslänglichen Stotterers, höchst subjektiv und zutiefst unwissenschaftlich.

Jochen Praefcke (40) aus dem oberschwäbischen Ravensburg stottert seit er denken kann - Ursache unbekannt. Jahrzehntelang war Stottern das beherrschende Thema in seinem Leben: vom ersten Gedanken am Morgen, über die Planung aller potentiell problematischen Alltagssituationen, bis hin zum letzten Gedanken vor dem Einschlafen. Gerade die relativ sanfte Ausprägung seines Stotterleidens wurde ihm absurderweise zum Verhängnis. Im Laufe der Jahre hat er eine große Bandbreite an Reaktionen auf sein Stottern und den Umgang mit seinem Stottern erlebt, im negativen wie im positiven Sinne. Warum behaupten manche Menschen immer noch, er stottere doch eigentlich gar nicht? Warum nur versteht niemand, wie sich das anfühlt? Die Antwort ist geradezu verblüffend einfach: weil er es nie jemandem erzählt hatte, nicht einmal seiner Familie und seinen engsten Freunden. Es war an der Zeit, ein Buch darüber zu schreiben, wie stark sein Stottern sein Leben kontrollierte und wie er die Kontrolle über sein Leben ein Stück weit wieder zurückerobern konnte. Heute weiß er, dass sich die Welt eben nicht nur ums Stottern dreht, nicht mal seine eigene. Es hat knapp 40 Jahre gedauert, dies zu begreifen.

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Leseprobe

Oberstufe und Landsknechte


In der elften Klasse stand die Wahl der Landsknechte an, einer Trommlergruppe des Ravensburger Heimatfestes, dem Rutenfest. Der Trupp der Landsknechte teilt sich in Trommler, Pfeifer und Landsknechte vom Tross, auch „Latscher“ genannt, ein. Dieser Wahl konnte ich mich rein aus Stotterersicht problemlos stellen, denn weder mit trommeln noch pfeifen (also: auf einer Holzpfeife flöten) noch latschen sah ich Probleme. Ein anderes Problem ergab sich aber aus der Tatsache, dass sich die Landsknechte aus der jeweils 11. Klassenstufe der drei städtischen Gymnasien zusammensetzen – und zumindest mit der 11. Klassenstufe von einem der beiden anderen Gymnasien hatten meine Klassenkameraden und ich bisher keinen Kontakt. Die Schüler der anderen Gymnasien kannten mich also nicht, kannten mein Problem nicht, waren nicht daran gewöhnt. Die daraus potentiell resultierenden Problemsituationen waren vielfältig – ich musste vielleicht wieder unzählige Male sagen, wie ich heiße, und ich wusste nicht, wie auf mein Stottern reagiert werden würde. Im Allgemeinen fühlte ich mich in einer eingeschworenen Gemeinschaft, wo alle mich und mein Problem kannten, deutlich wohler als mit „Außenseitern“.

Der fatale Druck, das Stottern zu verbergen


Neue Menschen kennenlernen war also eindeutig negativ besetzt. Wenn man mal bewusst darauf achtet, trifft man erstaunlich oft auf Leute, die man noch nicht kennt bzw. die einen selbst noch nicht kennen. Vielleicht fällt einem das nur auf, wenn man ständig Angst davor hat, dass all diese Leute wissen wollen, wie man heißt und man schon weiß, dass man seinen Namen nicht flüssig sagen kann. Das Hauptproblem war, dass ich den Druck verspürte, ich müsse möglichst dafür sorgen, dass niemand mein Stottern bemerkt. In dieser Hinsicht war ich sehr lange lernresistent – denn natürlich merkte es absolut jeder innerhalb der ersten paar Sätze, die mit mir gewechselt wurden, allerspätestens eben bei meiner Antwort auf die Frage nach meinem Namen oder bei meinem Versuch mich selbst aktiv mit Namen vorzustellen. Dennoch ließ ich mir die Utopie nicht nehmen, dass ich es verbergen könne, wenn ich mich nur genügend anstrengte. Also wieder der Teufelskreis „denk jetzt ja nicht daran, dass Du stotterst“. Der Druck, das Stottern zu verbergen, war immens und allgegenwärtig. Im Nachhinein betrachtet war dieser Druck über Jahrzehnte hinweg hauptausschlaggebend für mein Stimmungsbild und Lebensgefühl. Tatsächlich wurde der gekonnte Umgang mit dieser Problematik später mein Schlüssel zum Erfolg bei der Bewältigung meiner Lebenssituation.

Hätte ich von Anfang an viel stärker gestottert, wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen, dass es überhaupt jemand nicht merken könnte. Insofern ist mir also die relativ sanfte Ausprägung meines Leidens in gewisser Weise zum Verhängnis geworden.

Jedenfalls war die Angst speziell auf die Landsknechte bezogen im Endeffekt unbegründet, denn mein Stottern war nie ein großes Thema, wenn überhaupt mal gab es nur wenig Spott und Häme, vielleicht sehr vereinzelt mal einen blöden Kommentar – das war’s. Diesen Umstand, also den unkomplizierten Umgang in Form eines weitgehenden Ignorierens meines Stotterns, kann ich meinen Landsknechtskameraden gar nicht hoch genug anrechnen. Das Gleiche gilt übrigens auch für alle Klassenkameraden aus der Gymnasialzeit. Zum einen war diese Art der Behandlung und des Umgangs damals einfach das angenehmste Umfeld für mich, zum Anderen zeigte es mir aber auch deutlich, dass viele meiner typischen Ängste unbegründet sind – reines Kopfkino also. Ich fühlte mich grundsätzlich akzeptiert, mit und trotz Stotterns. Dies war mir im Vorhinein, vor so weitreichenden Entscheidungen wie z. B. der Aufstellung zur Wahl zum Landsknecht, nicht vorstellbar. Die Angst, es könnte gegenteilig enden, überwog deutlich.

Die „Landsknechstzeit“ ist sehr prägend für das spätere Leben, jedenfalls war das in meinem Fall so. Mein heutiger Freundeskreis setzt sich größtenteils aus ehemaligen Landsknechten zusammen, sowohl aus dem eigenen Jahrgang als auch aus früheren und späteren Jahrgängen. Kaum vorstellbar, wie mein Leben heute aussehen würde, wenn ich mich damals – aus letztendlich unbegründeten Ängsten heraus – gegen die Landsknechte entschieden hätte. Ich will gar nicht erörtern, ob es nun besser oder schlechter aussähe, aber es würde definitiv total anders aussehen. Erstens wegen des Freundeskreises, zweitens wegen des dann potentiell fehlenden Selbstvertrauens, welches ich aus meiner Zeit als aktiver Landsknecht gezogen habe.

Im Jahr nach dem ersten aktiven Jahr als Landsknecht kann man sich nochmals zur Wahl stellen, denn aus den Ehemaligen des Vorjahres werden für das folgende Jahr drei Leute gewählt, die den Trupp sozusagen anführen: ein Fahnenschwinger und zwei Begleiter. Der Fahnenschwinger ist der Chef, die Begleiter sind grob gesagt die Organisatoren, zusammen mit dem Fahnenschwinger. Deren Aufgaben sind die Ausbildung der neuen aktiven Landsknechte (also trommeln, pfeifen, latschen; mit Unterstützung von vielen anderen Ehemaligen, die eben schon trommeln und pfeifen können), Marschplan aufstellen, den Trupp repräsentieren, die Finanzen verwalten und ähnliches. Jetzt sah die Entscheidungslage aus Stotterersicht etwas komplizierter aus. Während ich die Aufgabengebiete des ersten Aktivenjahrs für gut machbar hielt, sah ich beim Repräsentieren und Ausbilden schon andere Probleme auf mich zukommen (wenn ich denn gewählt werden würde). Vor 25 Elftklässler, die einen anfänglich übrigens nicht so richtig kennen, hinstehen und Anweisungen geben ist was ganz anderes als gut versteckt im Trupp unter insgesamt sechs Pfeifern eine Melodie zu pfeifen. Überhaupt war abzusehen, dass man als einer der drei „Chefs“ ganz anders exponiert sein wird als im Vorjahr als einer von 25 Truppmitgliedern. Wie ich diese Ängste damals überwunden habe und mich dennoch zur Wahl habe aufstellen lassen, weiß ich nicht mehr genau. Ein großer Teil war sicher der fairen und freundschaftlichen Behandlung durch die Kameraden und dem daraus erstarkten Selbstvertrauen geschuldet. Letztlich hatte ich 1994 das Amt des Begleiters inne, und außer dem Erfahrungsgewinn, den die Ausführung des Amtes sowieso für jeden Amtsinhaber mit sich bringt, hatte ich die wichtige Erkenntnis gewonnen, dass man sich dem Risiko – also den potentiellen Stottersituationen – immer wieder aktiv aussetzen muss, wenn man weiterkommen und was erleben will.

Abiturprüfungen


Das Abitur nahte, und meine Hauptsorge galt wenig überraschend den mündlichen Prüfungen. Ich weiß nicht, wie das heute geregelt ist, aber damals war das vierte Prüfungsfach – in meinem Fall Religion – mündlich zu absolvieren. Bei den ersten drei Fächern musste man nur in die mündliche Prüfung, wenn die schriftliche Note in der Abiturprüfung markant von der Anmeldenote (die sich aus dem Durchschnitt der vergangenen drei Halbjahre ergab) abwich. Leider geschah genau dies im Prüfungsfach Deutsch, so dass ich sowohl in Religion als auch in Deutsch in die mündliche Prüfung musste. Da half keine vorgetäuschte Krankheit, kein Attest – wenn ich das Abitur wollte, musste ich da durch. Ich lernte relativ viel und ausführlich auf diese Prüfungen, was gut möglich war, weil die Lehrer netterweise recht gut die relevanten Themengebiete abgesteckt hatten. Ich dachte mir, ich muss inhaltlich umso mehr punkten, je schlechter und weniger souverän die Art des Vortrages sein wird. Ein willkommener Nebeneffekt war, dass ich mich in der Prüfung selber weniger sorgen musste, ich könnte den Inhalt nicht kennen, so dass ich mich mehr auf die Wortvermeidungs- und Satzbauanalyse konzentrieren konnte. Ich habe mir beim Lernen bereits fertige Antworten auf erwartete Fragestellungen voll ausformuliert und wirklich Wort für Wort auswendig gelernt, immer darauf bedacht, dass die Formulierungen möglichst wenig Stolpersteine enthalten. Die Fragen in den Prüfungen gingen in der Tat in die erwartete Richtung, so dass ich große Teile meiner Textbausteine quasi auswendig aufsagen konnte. Und das war gut, denn ich musste mich recht stark darauf konzentrieren, die Texte auswendig wiederzugeben – ich war in gewissem Umfang abgelenkt vom Stottern.

Ablenkungstechniken


Es gibt ein Bündel an gängigen Techniken, die meines Erachtens letztlich nur auf die Ablenkung vom Stottern abzielen. Wahrscheinlich stehen jetzt einigen Logopäden die Haare zu Berge, denn sie würden diese Techniken wahrscheinlich nicht gern als Ablenkungstechniken bezeichnen. Ich will explizit keinem Stotterer davon abraten, diese Techniken einzusetzen, denn sie helfen in der Tat (auch mir immer wieder), akute Problemsituationen zu meistern – und was hilft, ist gut. Ich habe nur langfristig die Erfahrung gemacht, dass ablenkende Techniken mir nicht dauerhaft zu einem zufriedeneren Lebensgefühl verholfen haben. Nehmen wir als...

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