4 Unterrichtsvorhaben
4.1 Die Demokratie wird abgeschafft
4.1.1 Sachanalyse
Wiederkehrend stellt sich die Frage, unter welchen Umständen die NSDAP an Macht gewinnen konnte – von einer anfangs schwachen Partei bis hin zur Durchsetzung eines Einparteienstaates und schließlich zur Abschaffung der Demokratie. Sicherlich muss in diesem Zusammenhang zum einen die Aufstiegsphase der NSDAP analysiert werden. Zum anderen muss die anfängliche Regimephase, die zum deutlichen Ausbau der NS-Diktatur beitrug, und die Machtstabilisierung durch den Reichstagsbrand und die damit einhergehende Notverordnung „zum Schutz von Volk und Staat“ sowie das Ermächtigungsgesetz umfassen soll, analysiert werden. Der Fokus soll im Hinblick auf die geplante Unterrichtsreihe deutlich auf dem zweiten Punkt der Durchsetzung und Etablierung der NS-Herrschaft liegen, da die Aufstiegsphase der NSDAP bereits am Ende der Reihe zur Weimarer Republik besprochen wurde.
Die Aufstiegsphase der NSDAP, die zu Beginn der NS-Forschung zunächst durch „apologetische Ausweichmanöver“ gekennzeichnet ist, und „ eine selbstkritische, argumentativ überzeugende Erklärung des von Deutschland ausgelösten Zivilisationsbruchs in den 1930er und 1940er“[21] verhinderte, ist vorüber. Vielmehr versuchen Historiker heute, die NS-Diktatur in all ihren Phasen in historische Prozesse einzuordnen, um somit verschiedene Zusammenhänge verstehen zu können. So sind die Ursachen für die Entstehung „einer destruktive[n] Utopie des Rassestaats unter einem charismatischen Führer“, unter der „imperialistisches Expansionsstreben bis in den Vernichtungskrieg gesteigert“[22] wurde, mannigfaltig und von besonderem Interesse der Forschung. Wirft man einen Blick auf die allgemeine Konstellation der 1920er-Jahre, finden sich dort einige Erfolgsbedingungen, die den Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung begünstigten, wenn nicht sogar initiierten. Eine der Ursachen ist in der Kriegsniederlage von 1918 zu vermuten, die auf der einen Seite zum Zerfall einer Jahrtausend alten Monarchie führte, die letztlich in eine durch viele Seiten skeptisch betrachtete Republik mündete, und auf der anderen Seite die damit einhergehende Demütigung, die im Zuge des Versailler Vertrages erduldet werden musste, der zu deutlichen Repressionen wie der „Reparationsknechtschaft“[23] führte. Der bereits bestehende übersteigerte Nationalismus erfuhr durch die Erfahrungen der Nachkriegszeit zu einer weiteren Steigerung zu „einem tief traumatisierten, ressentimentgeladenen Radikalnationalismus“[24] aufbegehrte. Die allgemeine Situation in der Weimarer Republik mit ihren Bürgerkriegen, der Rheinlandbesetzung, der Weltwirtschaftskrise und den daraus resultierenden Desillusionen förderten das Vertrauen in die bestehende Regierung nicht – im Gegenteil, denn nun wurde zunehmend der Wunsch nach einer Revolution, die eine neue Gesellschafts- und Staatsform mit sich bringen würde, deutlich.
Bis 1929 waren die Wahlerfolge der NSDAP durchaus überschaubar. Obwohl der Eintritt der Partei in den „Reichsausschuss für das deutsche Volksbegehren“ und der damit einhergehende Volkentscheid gegen den Young-Plan nicht zur Durchsetzung des Gesetzes führte, markierte die Kampagne einen wichtigen Erfolg „von der Randpartei zur Massenbewegung, denn die mächtige Hugenberg-Presse verschaffte der NSDAP damit einen Grad an öffentlicher Aufmerksamkeit, den sie aus eigener Kraft nie hätte erreichen können“[25]. Bis zum September 1929 gelang es der nationalsozialistischen Partei nun, zur zweitstärksten Partei im Reichstag aufzusteigen und 18,33% der Stimmen zu erhalten.
Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 konnte den Absturz der NSDAP, die bei der Wahl im November 1932 erheblich an Stimmen verloren hatte, verhindern. Die damit einhergehende Verbesserung der finanziellen Lage der Partei führte zu einem gut organisierten Wahlkampf, der weitere Stimmen einbringen und die Partei dadurch zur stärksten Kraft machen konnte.
„Zum Katalysator für die weitere Durchsetzung der Diktatur wurde der Reichstagsbrand am 27. Februar 1933“[26]. Noch immer werden teils heftige Kontroversen darüber ausgetragen, wer für das Legen des Brandes verantwortlich gewesen ist. Dieser Umstand resultiert daraus, weil der Brand durch Propaganda und den Erlass der „Reichstagsbrandverordnung“ vom 28. Februar zu einem nahtlosen Aufbau der NS-Diktatur führte und die Vermutung nahelegt, „der Brand sei mit Absicht von Hitlerleuten gelegt worden und nicht von den sofort als Täter identifizierten Kommunisten“[27]. Bis heute konnte nicht endgültig geklärt werden, ob der Brand entfacht wurde, um ihn als Vorwand für verschärften Terror gegen die Kommunisten zu nutzen „und damit der NSDAP nach Hitlers „legaler“ Machtübernahme am 30. Januar auch die Mehrheit bei der Reichstagswahl am 5. März zu sichern“[28]. Die Kontroverse kann in einem knapp 860 Seiten umfassenden Werk von Alexander Bahar und Wilfried Kugel evaluiert werden, die den Fall damit rekonstruieren, dass der Reichstagsbrand auf Pläne des NSDAP-Propagandachefs Joseph Goebbels zurückgeht und das Ziel verfolgte, die KPD auszuschalten, „um den Rechtsparteien nach Kassierung der KPD-Mandate eine (knappe) parlamentarische Mehrheit zu verschaffen“[29]. Ob der Brand nun von der NSDAP geplant wurde oder von dem Niederländer Marinus van der Lubbe gelegt wurde, kann nicht endgültig geklärt werden. Letztendlich ist aber unbestritten, dass das NS-Regime ihn dazu nutzte, den politischen Gegner skrupellos zur Rechenschaft zu ziehen und das Ereignis zum Signal zu nehmen, einen angeblich bevorstehenden kommunistischen Aufstand zu erwarten und damit die „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ sowie die „Verordnung gegen Verrat am deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe“ zu erlassen[30]. Somit wurde die Grundlage geschaffen, „alle wesentlichen Grundrechte der Weimarer Verfassung – darunter die Presse- und Meinungsfreiheit – für die Dauer des Dritten Reiches außer Kraft“[31] zu setzen, den Nazis zum Monopol auf Presse und Rundfunk zu verhelfen, und die Grundlage zu setzen, eine Zweidrittelmehrheit für das geplante „Ermächtigungsgesetz“ mit der Ausschaltung der KPD zu erlangen.
Wenn Theodor Heuss als damaliges Fraktionsmitglied der Deutschen Staatspartei und Befürworter des Ermächtigungsgesetzes in seinen Erinnerungen schreibt, dass „das »Ermächtigungsgesetz« [...] für den praktischen Weitergang der nationalsozialistischen Politik keinerlei Bedeutung gehabt“[32] habe, so muss das Ermächtigungsgesetz selbst in den Fokus der Untersuchung rücken, um dieser Einschätzung nachgehen zu können. Kann konstatiert werden, dass das Ermächtigungsgesetz lediglich ein formaler Akt gewesen ist, der jedoch nicht über den Aufstieg des NS-Regimes entschied? Das „Gesetz zur Behebung von Volk und Reich“ wurde am 23. März 1933 mit einer Mehrheit von 441 der 535 Stimmen der Reichstagsabgeordneten beschlossen; lediglich 94 Sozialdemokraten stimmten dagegen[33]. Um diese Entwicklung hin zu einer solch deutlichen Mehrheit nachvollziehen zu können, muss die innenpolitische Lage betrachtet werden, die sich seit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 stark veränderte.
Durch die praktische Illegalisierung der KPD infolge des Reichstagsbrandes und die Schikanierung von Sozialdemokraten, indem SA-Trupps bei SPD-Veranstaltungen zugegen waren und somit Druck und Terror auf für sie politisch Verdächtige ausübten sowie durch umfangreiche Propaganda von Funktionären der NSDAP, konnten bei der Wahl am 5. März 1933 fast 4 Millionen zusätzliche Stimmen gewonnen werden, sodass „die einstigen bürgerlich-liberalen Mittelparteien [...] zu einer unbedeutenden Restgröße“[34] zusammenschrumpften. Durch die Behinderung der politischen Gegner und den immer größer werdenden Terror in Form von Brutalität und Aggressivität durch das NS-Regime ihnen gegenüber, stieg die Angst vor Repressionen. So konnten bis zum Wahltag im März 1933 bereits 51 Tote aufseiten der nationalsozialistischen Gegner gezählt werden[35], die ersten Konzentrationslager wurden errichtet. Mitglieder des Zentrums, der Deutschen Staatspartei und einige Sozialdemokraten wurden bereits unter Leitung von Hermann Göring und der preußischen Schutzpolizei aus ihren politischen Positionen verdrängt; durch die bereits angesprochene Notverordnung wurden Versammlungen und Zeitungen verboten[36]. Zum einen wurden also politische Gegner ausgeschaltet und terrorisiert und zum anderen das öffentliche Meinungsbild massiv eingeschränkt.
Insgesamt bedeutete „die Annahme des [...] Ermächtigungsgesetzes durch den Reichstag am 23. März 1933 [...] eine entscheidende...