Der Steinkreis – das Jahresrad der Kelten und Germanen
Es war für mich ein seltsames Erlebnis, als ich zum ersten Mal vor einem Steinkreis stand. Er kam mir vor wie ein Spielfeld für ein Spiel, dessen Regeln ich nicht verstand. Ich stand vor einem Kreis mit einem Durchmesser von ungefähr fünf Metern, der von kleinen, kantigen Steinchen bedeckt war. Größere Steine markierten den Rand des Kreises und teilten ihn in acht Segmente. In der Mitte wuchs eine mächtige Königskerze. Am Eingang standen ein kleiner Busch und ein Schild – »Bitte nicht betreten« –, wie an einer altmodischen Rasenfläche. Meine Arbeit mit den Pflanzen hatte mich an diesen Ort geführt, den wunderbaren Kräuterhof Artemisia im Allgäu, wo ganz offen die Hilfe von »Wesen« erbeten war. Offensichtlich mit großem Erfolg, denn die Pflanzen gediehen dort alle prächtig und der Hof florierte.
Fasziniert war ich und ein wenig befremdet auch. Was hatte dieses Symbol mit uns und der Kultur hierzulande zu tun? Unsere Kultur und unsere Geschichte hatte ich bislang als christlich wahrgenommen, so bin ich aufgewachsen, und die Symbolik, mit der ich konfrontiert war, war dominiert von dem Kreuz, an dem unser Heiland gestorben war. Bei allem Zweifel und mittlerweile auch Distanz zur Kirche war ich bis dahin nie auf die Idee gekommen, dass wir nicht unbedingt natürlicherweise zu Christen geworden waren.
Eine Zeit lang war ich in meiner Jugend sehr aktiv in der Gemeindearbeit gewesen, mir gefielen der starke politische Anspruch und das soziale Engagement; das gab mir Sicherheit und ein Gefühl von Dazugehörigkeit.
Ich hatte schon von mittelalterlichen und keltischen Rollenspielen gehört, die viele Leute interessierten: Große Gruppen verkleiden sich und spielen das frühzeitliche Leben und uralte Rituale nach. Das hatte mich nie besonders angesprochen.
Auch Rituale mit Räucherungen, Meditationen und Schwitzhütten, von denen andere fasziniert waren, hatte ich in ferne Länder verortet, mit uns hier hatte das nicht wirklich etwas zu tun. Exotisch, exaltiert, irgendwie unnatürlich in unseren Breiten. Wir sind schließlich aufgeklärt, modern, unsere Idole flackern Tag und Nacht über die Bildschirme.
Die Sprache der Natur lernen
Es war sehr heiß an dem Tag. Die Luft schwirrte. Er zog mich an, dieser Kreis, ich wollte so gern wissen, was es damit auf sich hat. Hören, was er zu sagen hat. Lange stand ich dort und konnte nicht reden, ich konnte meine Fragen nicht stellen, es ging nicht. Ich wollte es selbst herausfinden. Ich musste es selbst herausfinden. Also begann ich zu suchen und zu lesen. Immer wieder kehrte ich an den Platz zurück und fand auch andere, ähnliche Kreise. Einmal hatte ich Gelegenheit mitzuhelfen, einen neuen Steinkreis anzulegen. Das Gefühl dabei blieb sonderbar. Es war eine faszinierende Arbeit, der Kreis auf diesem Gelände wurde auch sehr schön, aber ein wenig kam ich mir vor wie ein Zauberlehrling. Ich dachte: Wer weiß, vielleicht rufe ich Wesen und Kräfte herbei, die dann mit mir machen können, was sie wollen, denn ich spreche ihre Sprache nicht. Und es gibt auch niemanden, der übersetzen könnte.
Ich wusste bereits, dass die Natur nicht nur aus lieblichen, duftenden Kräutern besteht, die hübsch aussehen als Dekoration. Ich hatte die Kraft der Heilkräuter kennengelernt, die es genau zu dosieren galt, und konnte mir vorstellen, dass sich hinter harmlosem, friedlichem Grün auch starke Mächte verbergen konnten. Mit denen ich nicht gelernt hatte umzugehen.
Denn uns ist mittlerweile das Wissen abhandengekommen, das Vertrauen in die natürliche Welt und die Geborgenheit in ihr. Solch ein Steinkreis ist heute ein eher esoterisches Vergnügen für grenzgängerische Menschen, die nicht recht in die moderne Welt passen wollen.
Auf den Britischen Inseln allein gibt es immer noch über 900 Steinkreise, zum Teil aus der Bronzezeit. Hinter ihrer geografischen Verteilung scheint ein System zu stecken, das auf eine große Verbindung untereinander hindeutet. Die Steinkreise bilden ein Netzwerk heiliger Orte, an denen es zu bestimmten Zeiten möglich war, eine tiefe Verständigung mit den Kräften der Natur zu erlangen. Es ist zwar überall und jederzeit möglich, die Naturkräfte wahrzunehmen, aber es scheint bestimmte Orte und Zeiten zu geben, an denen die Tore weiter geöffnet sind als sonst.
Die Bäume haben eine höhere elektrische Aktivität zu den Zeiten, die wir als Mittsommer oder Sommersonnenwende (21.6.) und Hochsommerfeste (31.7./1.8.) kennen. Diese »heiligen« Zeiten haben auch heute immer noch eine Relevanz. »Heilig« meine ich im Sinne von »heil sein«, das Wort beschreibt die Ganzheit zwischen Mensch und Natur.
Einst assoziierte man mit jedem Baum eine bestimmte Gottheit, und die Zeit verlief in Kreisen. Das keltische Wort für Jahr war dasselbe wie das für Rad, und die Vergangenheit war eins mit der Zukunft.
Die alten Völker – unsere Wurzeln
Wer war das Volk der Kelten, wer waren die Germanen, diese rätselhaften Völker, aus deren Zeit die rätselhaften Kreise stammen und über die wir so wenig wissen?
Als erstes Bild stellt sich ein ungeschlachter, brutaler Haufen »Barbaren« ein, ohne Kultur, die Menschenopfer darbrachten und auch sonst bei jeder Gelegenheit drauflosschlugen. Bis die Römer kamen und ihnen Zivilisation beibrachten. Es ist an der Zeit, dieses Bild geradezurücken.
Die Kelten und die Germanen sind nicht wirklich voneinander zu trennen, wenigstens nicht am Anfang. »Kelte« bedeutete »Held« in der keltischen Sprache. Die Bezeichnung »Germanen« geht auf Julius Cäsar zurück, der im Jahr 52 v. Chr. den Keltenanführer Vercingetorix besiegte. Die Kelten waren zwar große Kämpfer, die sich nackt, inbrünstig und todesverachtend auf den Feind stürzten, aber in der Kriegsführung waren die Römer ihnen eindeutig überlegen. Unorganisiert, jeder für sich kämpften die Kelten und hatten zwar keine Angst, aber auch wenig Chancen.
Aus taktischen Gründen wollte Cäsar eine Unterscheidung zwischen den keltischen Völkern links und rechts des Rheins einführen. Als die »echten, originalen, genuinen« (lateinisch »germani«) Kelten bezeichnete er fortan die Völker östlich des Rheins. »Teilen und Herrschen«, das war sein Motto. Er ließ sie als noch wilder und schrecklicher als die Kelten westlich des Rheins beschreiben und sicherte sich auf diese Weise höhere Militärausgaben und Rüstungsgelder aus Rom. Die Geschichte der Unterwerfung und Diffamierung nahm ihren Lauf. Sie hält bis heute an.
»Ach, du arbeitest mit Kräutern?« – das ist nicht immer nett gemeint in manchen Kreisen. Die angemalten Lippen der Damen kräuseln sich, und die Augenbrauen werden sanft und skeptisch hochgezogen. Wenn wir dann aber ins Gespräch kommen oder wenn ich in den Kursen von unseren Wurzeln erzähle, ist die Faszination meist groß und die Menschen sind sehr berührt. In der Ökologiebewegung, in der Spiritualität, in politischen Autonomiebestrebungen, in der Frauenbewegung und nicht zuletzt in der Heilkunde lässt sich ein Paradigmenwechsel beobachten. Und eine vorsichtige Sehnsucht nach der verloren gegangenen Einheit mit der Natur ist zu spüren.
Welten und Anderswelten
Unsere feinen Antennen sind zerstört, und die Fähigkeit zur Hellsichtigkeit ist weitgehend erloschen. Manche Menschen haben diese Fähigkeit noch und empfinden sie oft als eine ungeheure Belastung, die sie geheim halten und meist auch lieber unterdrücken.
Die Verbindung zu anderen Welten ist den meisten Menschen peinlich und suspekt. Sie gehört in den Bereich des Nichtwissenschaftlichen, des Nebulösen, sie ist angreifbar und nicht zu belegen. Spuk, lächerliche Spinnerei, Eso-Kram. Dass das einst hohe Künste waren, die gelehrt wurden, darf nicht wahr sein, das ist nicht vorstellbar. Wir haben schließlich noch auf den Bäumen gehockt, während anderswo schon feinste Künste ausgeübt wurden! So wird es uns erzählt, das haben wir felsenfest in unser Bewusstsein verankert.
In Wahrheit waren die Urvölker in unseren Breiten alles andere als primitiv. Die Ausbildung zum Druiden dauerte dreimal sieben Jahre im Wald. In den ersten sieben Jahren lernten die Anwärter Abertausende von Versen auswendig, Barden und Sänger waren sie dann. Nur das auswendig gelernte Wissen galt etwas, von der Schriftform hielt man damals wenig, obwohl es eine Schriftform gab. Orakel, Verwünschungen und Zaubersprüche wurden damit festgehalten. Der Wald war das Lehrbuch, er war die Schrift, und ihn zu lesen war die hohe Kunst, die es zu erlernen galt.
Im zweiten Teil der Ausbildung während der nächsten sieben Jahre lernten sie, zu weissagen und mit den Göttern zu sprechen. Kein römischer Geschichtsschreiber kam je so nah heran, als dass er von diesem Teil der Ausbildung etwas berichten konnte. Weitere sieben Jahre dauerte es noch, bis schließlich die Ausbildung zum Druiden abgeschlossen war. Sie waren zu Meistern der Zeit geworden und kannten den Wandel der Jahreszeiten und den Lauf der Gestirne genau. Als Druiden, also »Baum-Weise«, konnten sie nun die magische »große Tradition« ausüben.
Die »kleine Tradition« war das Wissen des einfachen Volks, die Alltagsbräuche und Gesetze, die jeder beherrschte und beachtete. Die Anwendung der Heilpflanzen, die Erntezeiten, die Lieder, die Geschichten, die Feste, all dies wurde mündlich weitergegeben. Dazu gehörten auch magische Zauberlieder und Sprüche, die sich zum Teil bis heute erhalten haben. Viele Kinderlieder und -reime sowie alle unsere Märchen stammen aus dieser Zeit. Sie sind ein großer Schatz, eine Landkarte...