1. Der Barbar als Nachbar
Im Herbst des Jahres 12 v. Chr. drangen germanische Gruppen unter Führung der Sugambrer, die ihre Siedlungsgebiete ungefähr im Bereich des heutigen Ruhrgebiets hatten, in kriegerischer Absicht über den Rhein (Abb. 1). Drusus, der Stiefsohn des römischen Herrschers Augustus und Statthalter in Gallien seit dem Jahr zuvor, eilte auf diese Nachrichten hin aus dem mittleren Frankreich an den Rhein und schlug die Sugambrer zurück. Sodann ließ er sein Heer etwas oberhalb der Mündung über den Strom setzen. Aus nördlicher Richtung stieß er durch das Gebiet der Usipeter zu dem der Sugambrer vor und verwüstete es.[1]
Im Anschluss daran unternahm Drusus, obwohl das Jahr schon weit vorangeschritten war, noch einen zweiten Vorstoß in das rechtsrheinische Gebiet. Mit einer Flotte fuhr er flussabwärts in die Nordsee und von dort Richtung Osten. Die an der Küste siedelnden Friesen schlossen sich dem Heer des Drusus mit ihren eigenen Mannschaften an. Schon als es gegen ihre östlichen Nachbarn, die Chauken, ging, leisteten die Friesen den mit ihrer Flotte in Bedrängnis geratenen Römern Hilfe. Zum selben Unternehmen gehörten wahrscheinlich auch die erfolgreiche Belagerung der Insel Burchanis (wohl Borkum) sowie Auseinandersetzungen mit den Brukterern auf der Ems.[2] Da mittlerweile der Winter eingesetzt hatte, führte der Statthalter sein Heer nach Gallien zurück. Drusus selbst reiste nach Rom, wo er im folgenden Jahr mit der Prätur ein städtisches Richteramt übernehmen sollte.
Die Unternehmungen des Herbstes 12 v. Chr. – sowohl im Hinblick auf Anlass, Dauer als auch auf ihre räumliche Ausdehnung von eher begrenztem Umfang – bildeten den Auftakt fortan regelmäßig vorgetragener römischer Vorstöße ins rechtsrheinische Gebiet. Jahr für Jahr wurden römische Truppen weiter in den Osten geführt, und schon 9 v. Chr. standen die Legionen erstmals an der Elbe. Gewaltige Militäranlagen und stadtartige Siedlungen wurden rechts des Rheins errichtet, und ein weit verzweigtes Wegenetz zu Wasser und zu Lande erschloss und sicherte das neu gewonnene Gebiet. Zweimal – am 1. Januar 7 v. Chr. sowie am 26. Mai 17 n. Chr. – wurde in der römischen Hauptstadt in einem feierlichen Triumph ein bis zur Elbe besiegtes Germanien gefeiert. Und in seinen Res Gestae, dem ausführlichen Tatenbericht des Augustus, der nach dem Tod des Herrschers 14 n. Chr. an verschiedenen Stellen des Reiches inschriftlich veröffentlicht wurde, hob dieser unter seinen außenpolitischen Erfolgen die Befriedung des sich bis zur Elbe erstreckenden Gebietes hervor:[3] In unterschiedlicher Weise hatten die Stämme rechts des Rheins in dieser Zeit den Status von Unterworfenen, aber auch von Verbündeten Roms erlangt.
Abb. 1 Germanische Stämme und Stammesgebiete
1.1 Römer am Rhein
Seit der Eroberung Galliens durch Caesar (58–51 v. Chr.) waren die Germanen Nachbarn des Römischen Reiches. In beispielloser Weise hatte Caesar das Herrschaftsgebiet Roms von der heutigen Provence – der schmalen Landverbindung zwischen Italien und dem römischen Spanien – bis an den Atlantik im Nordwesten und den Rhein im Osten vorgeschoben. Innerhalb weniger Jahre wurde von ihm das Gebiet des heutigen Frankreich, der Beneluxstaaten sowie der westlichen Teile Deutschlands erobert. Zur Sicherung der Herrschaft standen in den Jahrzehnten nach Caesar mächtige Heereskontingente im Innern des Landes. Sie kontrollierten zentrale Orte und wichtige Verkehrsverbindungen und unterstützten die Durchsetzung der neuen römischen Ordnung.[4] Dabei griff Rom nicht nur mit der Forderung nach Abgaben tief und schmerzlich in die traditionellen Verhältnisse und das Selbstverständnis der gallischen Stämme ein. Der noch von Caesar unter größten Mühen niedergeschlagene Aufstand des Vercingetorix 52 v. Chr. signalisierte überdeutlich, dass die gallischen Stämme die römische Oberherrschaft nicht widerstandslos hinzunehmen bereit waren. Zwar hatten manche von ihnen die Ankunft Caesars noch begrüßt und vor dem Hintergrund interner Auseinandersetzungen geglaubt, in ihm einen Verbündeten in eigener Sache gefunden zu haben, doch schon bald war für jedermann der ausgeprägte römische Wille zur eigenen Herrschaft erkennbar geworden. Auch in den Jahrzehnten nach Caesar brachen in den verschiedenen Teilen Galliens immer wieder Unruhen aus. Sie machten die Präsenz starker römischer Heeresverbände auf Dauer erforderlich.
Das römische Heer und Herrschaftstechniken
Der Statthalter einer Provinz war zugleich der Oberbefehlshaber der darin stationierten Truppen. Insgesamt verfügte der römische Staat nur über einen kleinen Beamtenapparat. So war es selbstverständlich, dass ein Statthalter sein privates Hauspersonal, die Sklaven und die Freigelassenen, Familienangehörige sowie politische Freunde als Hilfskräfte und Unterstützer für die Verwaltung in die ihm zugewiesene Provinz mitnahm. Steuern einzutreiben war im wesentlichen Aufgabe privater Unternehmer, die im Staatsauftrag tätig wurden. Geradezu unerlässlich war jedoch in jeder Provinz die Kooperation mit den einheimischen Eliten: Ohne deren Mitwirkung wäre die Herrschaft in einem Gebiet von der Größe des Imperium Romanum – mit den unterschiedlichsten politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Traditionen in den einzelnen Regionen, den verschiedensten Sprachen, aber auch den verkehrsgeographisch oft abgelegenen und nur schwer erreichbaren Gebieten – gar nicht möglich gewesen. Schon zur Erringung, vor allem aber zur Aufrechterhaltung der Herrschaft brauchte Rom Mittelsmänner aus der einheimischen Bevölkerung, die kraft der Tradition ihrer jeweils eigenen Gesellschaft als Autorität akzeptiert wurden und bereit waren, sich in den Dienst Roms zu stellen.[5]
Das römische Heer beschränkte sich nicht auf die Rolle eines militärischen Zwangsapparats, sondern die Truppen beteiligten sich auch am Ausbau der Infrastruktur, an der Anlage von Straßen, Brücken und Gebäuden – bis hin zur Entwicklung neuer Siedlungen. Die Soldaten dienten dem Statthalter ebenso in der Zivilverwaltung als Hilfspersonal – soweit man überhaupt militärische und zivile Angelegenheiten voneinander scheiden kann.
Kern der Truppen waren die Legionen: Einheiten mit einer Sollstärke von rund 6000 Mann, rekrutiert allein aus römischen Bürgern. Seit 13 v. Chr. waren sie durch feste Regelungen der Dienstzeiten, der Besoldung und Entlassungsbedingungen auch rechtlich Berufssoldaten.[6] Vor allem der männlichen Bevölkerung jener Gebiete, denen erst in jüngerer Zeit das römische Bürgerrecht verliehen worden war, erschien der Dienst im Heer attraktiv: In großer Zahl lassen sich in den Legionen Bewohner Norditaliens, Gallier aus der Provence sowie Spanier nachweisen.[7] Doch auch Griechen und Männer aus Kleinasien oder Nordafrika dienten in den Verbänden, da die Vergabe des Bürgerrechts an Einzelpersonen stets möglich und als Belohnung verbreitet war. Inhabern des Bürgerrechts stand eine Karriere innerhalb der traditionellen römischen Gesellschaft offen. Seine Verleihung war für das Römische Reich ein kaum hoch genug einzuschätzendes Mittel der Integration. Über das gesellschaftliche Prestige hinaus machten handfeste Privilegien wie Steuerfreiheit und Schutz der Person durch das Römische Recht den Status eines civis Romanus – eines römischen Bürgers – begehrt.
Der Dienst im römischen Heer bot vor allem denjenigen, die besitzlos waren – und nicht etwa zu Hause den Hof oder einen kleinen Handwerksbetrieb übernehmen konnten –, einen guten und sicheren Verdienst sowie attraktive Aufstiegsmöglichkeiten. Unterstützt wurden die Legionen durch Hilfstruppen (auxilia): Sie waren aus den Kontingenten der römischen Bundesgenossen in republikanischer Zeit sowie aus den für Geld angeworbenen Söldnereinheiten hervorgegangen. Caesar, der Gallien nicht zuletzt durch die tatkräftige Mithilfe gallischer Krieger eroberte, stellte darüber hinaus in großem Umfang Hilfstruppen aus soeben erst unterworfenen Gebieten in Dienst. Durch dieses Verfahren wurde vormals feindlichen Stämmen nicht nur die Wehrkraft entzogen, sondern die Kampfkraft der fremden Krieger wurde darüber hinaus für das römische Heer nutzbar gemacht. Zugleich beförderte der Dienst in den Hilfstruppen die Integration der ehemaligen Gegner.[8] Die von den Stämmen zunächst nur für den konkreten Kriegseinsatz und vorübergehend angeworbenen Truppen blieben anfangs ethnisch geschlossen und unterstanden als kleinere Kampfeinheiten weiterhin ihren einheimischen Befehlshabern. Das römische Bürgerrecht war für die Soldaten der auxilia nicht erforderlich. Der von Rom gezahlte Sold fiel zwar etwas geringer aus als in den Legionen, doch auch der Dienst in den Hilfstruppen bot ein gutes Auskommen und Möglichkeiten zum sozialen Aufstieg.[9]
Der Übergang von alliierten und aus dem Kreis der...