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E-Book

Als der Affe sprechen lernte

Die Entwicklung des menschlichen Bewußtseins

AutorJohn McCrone
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl302 Seiten
ISBN9783105616772
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Die Sprache ist der maßgebliche Auslöser für die Entwicklung des modernen Menschen. Sie befreit ihn von den Fesseln der Gegenwart und versetzt ihn in die Lage, über sich selbst und seine Umwelt nachzudenken. Sie erlaubt es ihm, die Tätigkeit seines Gehirns zu steuern und Selbst-Bewußtsein zu entfalten. Das Buch zeichnet sich durch eine bildhafte und allgemeinverständliche Sprache aus, und das Mysterium des menschlichen Geistes wird in seiner Differenziertheit durch eine Vielzahl von Metaphern auch für ein breites Publikum verständlich dargestellt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

John McCrone wurde 1957 geboren. Er hat Zoologie und Psychologie studiert und danach als Journalist gearbeitet. Seine Spezialgebiete sind Wissenschaft und Technik.

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Leseprobe

Einleitung


Es begann mit einem Affen, der sprechen lernte. Obwohl unsere Vorfahren, die Affenmenschen, in einer Welt lebten, die in die Eiszeit überging, kamen sie gut zurecht. Es war ihnen gelungen, einige wichtige Probleme zu lösen, die andere Zweige der Affenfamilie an ihrer Weiterentwicklung hinderten. So hatten sie beispielsweise gelernt, genug Nahrung zu finden, um ihr überdimensional großes Gehirn mit Nährstoffen zu versorgen. Später entdeckten sie dann die Sprache. Und plötzlich eröffnete sich eine vollkommen neue geistige Welt. Die Entdeckung der Sprache revolutionierte die geistigen Fähigkeiten des Menschen. Der Mensch erwarb Selbst-Bewußtsein und Selbstbeherrschung. Er löste sich aus den Fesseln der Gegenwart, in denen alle anderen Tiere befangen sind, und er beherrschte sein Gedächtnis. Die Sprache ermöglichte es dem Menschen, Vergangenes wiederzuerleben und Zukünftiges zu planen. Sie erlaubte es ihm außerdem, die eigene Existenz distanziert zu betrachten. Durch die Sprache entwickelte sich der seiner selbst bewußte menschliche Geist.

Dies ist, kurz gesagt, die Geschichte des menschlichen Geistes. Um jedoch zu verstehen, wie sich Sprache entwickeln konnte und wie sie uns Selbst-Bewußtsein und unser Gedächtnis gab, müssen wir die Geschichte der Evolution des menschlichen Geistes in allen Einzelheiten betrachten.

Vielen Menschen erscheint das Phänomen Geist wie Hexerei. Wenn man die Schädeldecke eines Menschen anhebt und hineinschaut, was findet man? Nichts anderes als eine rosige gefurchte Masse. Und doch verbirgt sich in diesem unansehnlichen Klumpen eine Welt vielfältig schimmernder Bilder und unerschöpflich sprudelnder Gedanken. Wir wissen, daß in jedem Kopf ein denkender, fühlender Geist existiert, der dem unseren gleicht. So ist es rätselhaft, daß ein Chirurg das menschliche Gehirn sezieren kann und nicht die geringste Spur dieser inneren geistigen Welt findet. Wir können davon ausgehen, daß die elektrischen Gehirnströme und die im Hirn vorhandenen chemischen Substanzen mit diesem Geheimnis zusammenhängen, doch ist dies keine befriedigende Antwort auf die Frage, wie der menschliche Geist existiert. Offenbar ist der Geist noch immer das faszinierendste Zauberkunststück, das die Natur zu bieten hat.

Sogar unseren eigenen Geist nehmen wir nicht deutlich wahr. Nur grob erkennen wir seine grundlegenden Bestandteile. Da gibt es zum einen die in unserem Kopf umherwirbelnden, vielfältigen Bilder und Geräusche des Lebens, zum anderen die privaten Erinnerungen und Vorstellungen des einzelnen. In diese Flut der Eindrücke mischen sich gelegentlich heftige Gefühlsaufwallungen aus der Tiefe des Unbewußten. Und schließlich können wir unter all den auf uns einstürmenden Eindrücken und Gefühlen eine innere Stimme ausmachen, die beständig auf uns einredet, eine Stimme, die aus dem Nichts aufzusteigen scheint. Oftmals überrascht sie uns durch ihre zwingende Logik, obwohl sie meistens nur den aktuellen Strom der Geschehnisse zu kommentieren scheint, wie ein Sportkommentator im Fernsehen, der weitschweifig Analysen und Meinungen zu dem anbietet, was wir auf dem Bildschirm sehen.

Wir können die Bestandteile des menschlichen Geistes zwar aufzählen, doch können wir sie nicht unter dem Mikroskop betrachten. Wenn wir versuchen, einen flüchtigen Gedanken oder eine flüchtige Empfindung festzuhalten, um sie zu analysieren, verschwimmt sie und entschwindet unserem Zugriff. Einzelheiten, die aus der Entfernung faßbar erscheinen, verflüchtigen sich, wenn man nach ihnen greift.

Dieses Buch unternimmt den Versuch zu erklären, wie das Gehirn in der Lage ist, die spukhafte innere Welt in unserem Kopf zu erzeugen. Es soll zeigen, in welch erstaunlichem Ausmaß unser kulturelles Erbe, das heißt die in der Kindheit erworbenen Kenntnisse und gesellschaftlichen Vorstellungen, für die vielen besonderen Eigenschaften verantwortlich sind, die den Geist des Menschen von dem des Tieres unterscheiden. Es soll ferner zeigen, wie die besonderen Fähigkeiten des menschlichen Geistes mit Hilfe der Sprache geformt wurden.

Dabei werden zwei Grundprinzipien befolgt: Zum einen betrachte ich den menschlichen Geist nicht als einen Gegenstand, der losgelöst vom Gehirn existiert, sondern als einen aktiven Prozeß, als eine Leistung des Gehirns. Zum anderen bemühe ich mich, die Entwicklungsgeschichte des menschlichen Geistes nachzuzeichnen.

In der Vergangenheit haben besonders Philosophen einige Verwirrung ausgelöst, indem sie den Geist als ein Phänomen betrachteten, das eine vom Hirn unabhängige Existenz führt. Sie sprachen vom Geist als von etwas, das versteckt in einer Ecke des Gehirns untergebracht ist und dem sich durch die Wahrnehmungen unserer Sinne ein Bild von der Welt vermittelt. An imaginären Fäden ziehend wie ein Marionettenspieler ist der »Geist« in der Lage, den Körper nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Dieses verworrene Bild vom menschlichen Geist wird sich auflösen, sobald wir erkennen, daß der Begriff »Geist« nur eine vereinfachte Umschreibung für das arbeitende Gehirn ist. Das Gehirn kann in jedem beliebigen Augenblick eine Vielzahl von Dingen leisten, es kann sehen, denken, sich etwas vorstellen und sich sogar seiner selbst bewußt sein. All diese verschiedenen Tätigkeiten ergeben das, was wir als den »Geist« bezeichnen. Aber der Geist und das Gehirn sind nicht zwei verschiedene Dinge, die in unserem Schädel lokalisiert sind. Wir besitzen nur das Gehirn und die Vielzahl von Dingen, die es leisten kann.

Die falsche Verwendung des Wortes »Geist« kann zu vielen irrigen Annahmen führen. So glauben viele Menschen, daß der Geist ein von der Arbeitsweise des Gehirns unabhängiges Gebilde sei, und sprechen in ähnlicher Weise von den verschiedenen Teilen des Geistes. Wir beziehen uns auf das Gedächtnis anstatt auf den Vorgang des Erinnerns, auf die Gedanken anstatt auf den Vorgang des Denkens, auf die innere Stimme anstatt auf den Vorgang der Zwiesprache mit uns selbst und sogar auf das Selbst-Bewußtsein anstatt auf den Vorgang des Nachdenkens über unser Denken.

Leider ist diese Gewohnheit, Tätigkeiten mit abstrakten Bezeichnungen zu versehen, so tief in unserer Sprache verwurzelt, daß es unmöglich war, dieses Buch zu schreiben, ohne gelegentlich in denselben Fehler zu verfallen. Um der guten Lesbarkeit willen habe ich Begriffe wie »Bewußtsein« und »Selbst-Bewußtsein« verwendet, auch wenn eigentlich die sinnliche Wahrnehmung des Lebens und das Nachdenken über eben diese Sinnesempfindungen gemeint sind. Wenn wir uns jedoch in den entscheidenden Situationen der sprachlichen Schwierigkeiten bewußt sind, können wir die Arbeitsweise des menschlichen Geistes untersuchen, ohne am Ende das unbefriedigende Gefühl zu haben, das Wesentliche sei uns noch immer entgangen. Wenn wir begreifen, wie das Gehirn arbeitet, haben wir unser Ziel erreicht. Es wird dann kein Phantomgebilde mehr geben, das sich unter dem Namen Geist in den hintersten Winkeln des Gehirns verbirgt, während wir Schicht um Schicht nach ihm absuchen.

Das zweite diesem Buch zugrundeliegende Prinzip besteht darin, die Entwicklungsgeschichte des Geistes zu verfolgen. Auch wenn es wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen mag, möchte ich noch einmal betonen: Der Geist muß sich im Laufe der Zeit entwickelt haben. Er kann nicht voll ausgebildet aus dem Nichts entstanden sein und den Affen in ein selbstbewußtes menschliches Wesen verwandelt haben. Dieselben evolutionären Gegebenheiten, die dazu führten, daß der Mensch auf zwei Beinen aufrecht zu gehen lernte und eine feine Greifhand ausbildete, müssen auch die Entwicklung des Geistes bestimmt haben. Indem wir den entwicklungsgeschichtlichen Weg verfolgen, den der Mensch bis in die Gegenwart zurückgelegt hat, werden wir in der Lage sein, uns ein Bild von der Entstehung des menschlichen Geistes zu machen.

Eines der größten Rätsel der Entwicklungsgeschichte ist nicht die Tatsache, daß sich der Mensch seiner selbst bewußt wurde, sondern die phänomenale Geschwindigkeit, mit der dies geschehen konnte. Es dauerte etwa eine Milliarde Jahre, bis sich aus dem primitiven Gehirn der Wirbeltiere das relativ intelligente Gehirn eines Affen entwickelte. Innerhalb von nur zwei Millionen Jahren, geologisch gesehen also in einer sehr kurzen Zeitspanne, betrat der seiner selbst bewußte Mensch die Bühne. Dem Leser mögen einige Millionen Jahre zwar lang erscheinen, doch ist dies etwa so, als hätte die menschliche Rasse einen Tag benötigt, um das Stadium des Affenhirns zu erreichen, während dann nur noch drei weitere Minuten erforderlich waren, um den Schritt vom Affenhirn zum selbst-bewußten menschlichen Geist zu vollziehen.

Dies zeigt uns, daß sich das Gehirn des Menschen physisch nicht sehr von dem des Affen – oder eines beliebigen anderen Säugetieres – unterscheiden kann. Eine wesentliche Veränderung der Arbeitsweise des Gehirns konnte allein aus zeitlichen Gründen nicht stattfinden. Zwar hat sich das Hirnvolumen des Menschen in den letzten Jahrmillionen verdreifacht, doch ist dies entgegen erstem Anschein eine eher triviale Veränderung. Sie mag vielleicht eine gewisse Zunahme der sogenannten »primären« Intelligenz bewirkt haben, trotzdem kann sie keinesfalls die riesige geistige Kluft erklären, die nach Auffassung des Menschen zwischen ihm und den Tieren besteht. Schließlich gibt es eine Vielzahl von Tieren wie beispielsweise Elefanten, Wale und Walrosse, die ein weitaus größeres Gehirn besitzen als wir. Größe ist also nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr wird der Unterschied durch das Aufkommen von Sprache erklärt. Als unsere Vorfahren, die Affenmenschen, sprechen lernten, hatten sie damit ein Werkzeug entdeckt, mit dem sie ihren Geist weiterentwickelten.

Bevor es Sprache gab,...

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