Kapitel II
Nahrung als wichtigster Energielieferant
Was bedeutet Nahrungsenergie?
Die wichtigsten Dinge des Lebens finden zwischen Anfang und Ende des Verdauungskanals statt. PARACELSUS
Auf wie viele Nahrungsmittel haben Sie schon verzichtet wegen eines zu hohen Kaloriengehalts? Glauben auch Sie, dass die Kalorie für Gewichtszunahme und Fettpölsterchen steht?
Der Energiegehalt eines Nahrungsmittels wird in Kilokalorien oder Joule angegeben. Kalorie steht für Wärme, Joule beschreibt die Kraft. Diese Wärme und Kraft brauchen wir ganz dringend, um alle Körperfunktionen wie zum Beispiel Wachstum, Neubildung von Körperzellen, Organ- und Muskelarbeit sowie die Gehirnfunktionen aufrechterhalten zu können.
Kalorie bedeutet nicht Fettpolster
Schränken Sie die Kalorienzufuhr ein, so könnten Sie eine jener Patientinnen sein, die uns folgendes erzählen: »Obwohl ich darauf achte mich gesund zu ernähren, im Wesentlichen ausreichend schlafe und nicht mehr Stress als alle anderen habe, fühle ich mich ständig müde und erschöpft, antriebslos und abgekämpft. Früher habe ich gerne Sport betrieben, heute habe ich keine Kraft dazu. Außerdem ist mir ständig kalt.«
Kilokalorien (kcal) sind die internationale Maßeinheit für Energie und definieren den Brennwert eines Nahrungsmittels. Eine Kilokalorie ist jene Energiemenge, die nötig ist, um Wasser von 14,5 auf 15,5 Grad Celsius, also um einen Grad zu erwärmen.
1 Joule (J) ist jene Energie, die nötig ist, um 1 Kilogramm mit einer Kraft von einem Newton um einen Meter zu bewegen. (1 kcal = 4,18 kJ) Die Bezeichnung Joule erinnert an James Joule, der bewiesen hat, dass Arbeit, Energie und Wärmemenge als gleiche Größen anzusehen sind.
Viele Patienten sind über diese Beschwerden so besorgt, dass sie ärztliche Hilfe suchen und Ärzte eine Reihe von Untersuchungen veranlassen. In der Regel zeigen die Befunde keine pathologischen Auffälligkeiten, was unsere Patient/innen meist noch mehr beunruhigt. Aus Sicht der konventionellen Medizin ist der oder die Patient/in gesund, fühlt sich aber nicht so.
Inspizieren Sie doch einmal eine Produktpackung aus dem Supermarkt genauer. Sie finden auf der Rückseite eine bestimmte Kalorienangabe, meist pro 100 Gramm des Nahrungsmittels. Diese gibt lediglich Auskunft, wie viel Wärmeenergie wir von diesem Nahrungsmittel erhalten.
Unsere oben genannte Patientin arbeitet den ganzen Tag mit dem Computer. Im Laufe des Vormittags verspürt sie ein leichtes Hungergefühl. Da sie sich mit gesunder Ernährung beschäftigt, weiß sie von der Nahrungsmittelpyramide, dass sie fünfmal pro Tag Obst essen sollte. Daher beginnt sie jetzt wie jeden Vormittag mit einer Obstmahlzeit. Der Fruchtzuckergehalt des Obsts gibt ihr kurzfristig einen Energieschub. Eine Stunde später ist sie müde und hungrig, eine Tasse grüner Tee mit 2–3 Stücken Keks überbrücken die Zeit bis zum Mittagessen. Dort genießt sie ihre Salatschüssel, denn sie isst kalorienbewusst und möchte nicht an Gewicht zunehmen. Warum also ist sie müde und kraftlos?
Ganz egal, ob wir den Energiegehalt in Kilokalorien (kcal) oder Kilojoule (kJ) definieren, rohes Obst und Gemüse ist bekanntlich kalorienarm und liefert somit weder Wärme noch Kraft. Im Gegenteil, der Körper wendet für die Verdauung mehr Energie auf, als er Kraft und Wärme aus der Nahrung erhält. Dies signalisiert er, indem er müde und antriebslos ist und leicht friert. Unser Verdauungstrakt benötigt alleine 25 % der aufgenommenen Tagesenergie, unser Gehirn weitere 25 %. Bekommt unser Gehirn diese Energie nicht, so zeigt sich das deutlich durch Konzentrationsschwäche, Müdigkeit und leichte Stimmungsschwankungen. Kleine Anforderungen werden bereits als sehr belastend empfunden. Das ist der Moment, in dem im Allgemeinen die »Schoko-Lade« geplündert wird. Dieses Phänomen, das wir von jedem Patienten und jeder Patientin hören, ist nicht immer vom komplizierten Serotonin-Stoffwechsel verursacht, sondern zeigt die chronische Unterversorgung des Körpers mit Energie.
Energieverbrauch: Unser Verdauungstrakt benötigt alleine 25 % der aufgenommenen Tagesenergie, unser Gehirn weitere 25 %.
Wir empfehlen der Patientin ihre Obstmahlzeiten in Kompott umzuwandeln: Obst in kleine Stücke schneiden und 4 Minuten mit wärmenden Gewürzen wie Nelken und Zimt in Wasser kochen. Dabei braucht sie nicht zu fürchten, dass wertvolle Vitamine verloren gehen. Mittags in der Kantine sollte sie wenigstens eine warme Suppe essen, wenn sie auf ihren Salat nicht verzichten will. Noch besser wäre es für sie den Salatkonsum auf zwei Mal pro Woche einzuschränken und sich die restliche Woche ein warmes Mittagessen zu gönnen. Ihre Bedenken, ein zu hoher Kaloriengehalt würde sie dick machen, können wir leicht entkräften. Rechnet sie nämlich zu ihrem Salatteller noch die Kalorien der Schokolade hinzu, kann sie genauso gut etwas Warmes zu Mittag essen. Dafür ist der Energiebedarf gedeckt und der Heißhunger auf Süßes fällt aus.
Der Energiebegriff in der TCM
Das Qi () des Menschen
Das ursprüngliche Schriftzeichen des Qi, wie es auf Orakelknochen aus dem 2. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung zu sehen ist, besteht aus drei übereinander stehenden Strichen: . Diese stellen Wolken, Wind, also atmosphärische Zustände dar, von denen man annimmt, dass sie Wolken- und Windgötter symbolisieren. Ein weiteres Schriftzeichen (), auch wie Qi ausgesprochen, bedeutet erbitten, flehen. Erst viel später in der Geschichte wurde auch das Zeichen für Reis () zugefügt, das nach der letzten Schreibreform wieder verschwunden ist, aber noch häufig in Abbildungen und Kalligrafien () zu finden ist.
Qi bedeutet also Energie, die sich aus zwei Komponenten zusammensetzt: einem unsichtbaren Anteil, wie Wettereinflüsse (Sonne, Wind, Regen), und einem sichtbaren Anteil, der Nahrung. Nehmen wir diese zu uns, verwandelt sich durch die Verdauung dieser sichtbare Anteil wieder in das unsichtbare, energetische Qi, das wir als Wärme und Kraft spüren.
Auch der Geruch und Geschmack von Speisen wird als Qi verstanden. Beide sind nicht sichtbar, aber dennoch wahrnehmbar und sind dadurch ganz wesentlich für die Qualität von Speisen. Das erklärt auch, warum in asiatischen Ländern sehr viel Wert auf die Frische und Qualität der Speisen gelegt wird, während bei uns die Quantität im Vordergrund steht: Es muss viel auf dem Teller sein.
Aus Laozi: »Dao de Jing«: Zum Formen knetet man den Ton – der leere Raum darin jedoch macht erst die Vase. Tür und Fenster muss man brechen, um ein Haus zu bilden. Der Stoff macht den Besitz daran, das Nichts jedoch das Wesen. So entsteht aus Nichtsein Sein.
Qi hat aber auch andere Eigenschaften. Als dynamisches Prinzip bringt es Leben hervor, fördert Wachsen und Reifen, transportiert Blut und steuert alle Lebensprozesse.
In den daoistischen Klassikern heißt es: »Alle Wesen, die leben und atmen, sterben dann, wenn das Qi abbricht«.
Die Energie des Menschen wird von zwei Formen des Qi beeinflusst:
dem Vorhimmels-Qi, das wir von unseren Vorfahren erben (genetisches Material) und
dem Nachhimmels-Qi, das wir aus der Nahrung erhalten.
Das Vorhimmels-Qi bildet die Grundlage unserer Konstitution und soll von uns durch eine harmonische Lebensführung bewahrt werden. Gebrechlicher Körperbau, schütteres Haar, schlechtes Zahnmaterial, Erbkrankheiten oder Krankheitsanfälligkeit sind einige Zeichen eines schwachen Vorhimmels-Qi. Auf das Qi unserer Vorfahren haben wir keinen Einfluss. Deshalb hat man in allen Kulturkreisen versucht, durch Opfergaben und diverse Rituale die Ahnen günstig zu stimmen. Diese als Schamanismus bezeichnete Tradition war der Vorläufer der Medizin. Die Ahnen sollten uns unterstützen, unser Leben positiv zu bewältigen, und uns vor Krankheiten schützen, also unser Vorhimmels-Qi optimieren.
Die Nahrung als Quelle des Nachhimmels-Qi
Das Qi, welches wir durch unsere Ernährung erhalten, wird »Nachhimmels-Qi« genannt. Diese für uns lebenswichtige Energiequelle sollte nach Ansicht der alten Meister mit besonderer Sorgfalt gepflegt werden. Im Gegensatz zum Vorhimmels-Qi können wir es selbst beeinflussen und bestimmen.
Qi hat mehrere Bedeutungen: Wasserdampf, Atem, Gas, Lebensgeist, Lebenskraft, Energie, Wärme, Atmosphäre u. a.m. Es steht in Bezug zum Yang-Begriff, der Sonnenseite eines Berges. Das griechische Pendant des Qi ist Pneuma, der Atem, Hauch, Seele; ähnlich das Sanskrit-Wort Prana mit ebendiesen Bedeutungen. Qi wird als treibende Kraft für unser Leben, als Wärme, als Dynamik, als Abwehrkraft, als Stabilisator gesehen und wenn es aus unserem Körper entweicht, sind wir vergangen.
Qi bedeutet Dampf, Atem, Lebensgeist, Energie, Wärme
In einem der ältesten klassischen Texte, dem »Klassiker der Schwierigkeiten« (Nan Jing) (30) heißt es: »Die Bewegung des Qi gleicht dem Fließen des Wassers, es kommt nie zur Ruhe. In den Yin-Meridianen fließt es zu den Vollorganen, in den Yang-Meridianen zu den Hohlorganen. Dies ist wie bei einem Kreis, ohne Anfang und Ende. Keiner kennt die Unterbrechung. Es endet und beginnt von Neuem. Das Qi des Menschen wärmt die Organe von innen, und von außen befeuchtet es die Eingeweide« (durch das Blut).
Daoistisches Symbol des Kreises
Jeder von uns kann Qi spüren, z. B. indem wir uns wohl fühlen, kreativ und...