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E-Book

Vom Ich zum Du

Für sich und andere sorgen

AutorAnselm Grün
VerlagKösel
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl144 Seiten
ISBN9783641213640
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
'Liebe deinen Nächsten wie dich selbst', Sorge tragen für die Flüchtenden, die zu uns kommen. Ebenso wie für die alten Eltern, die Kollegen, die Mitbrüder. Hat das etwas mit Hingabe zu tun? Was sind die Quellen dieser Nächsten-Liebe? Hat sie Grenzen oder kann sie grenzenlos sein? Verwandelt uns die Sorge um jemanden? Gibt uns Jesus dafür ein Beispiel? In München hat die Caritas einen wirklich guten Slogan: 'Nah am Nächsten'. Aber manchmal ist der Nächste vielleicht auch am anderen Ende der Welt. Sorge kann erdrücken. Und auch die Sorge um sich selbst ist eine Sorge. Sich um den anderen sorgen ohne von sich abzusehen - wie macht man das?

In diesem Buch möchte Anselm Grün vor allem die positive Bedeutung der Sorge bedenken. Aber natürlich hat er auch die Gefahren im Blick, wenn sich jemand zuviel Sorgen macht. Ihm geht es darum, sorgfältig mit diesem Begriff 'Sorge' umzugehen und zu betrachten, welche Rolle sie in unserem Zusammenleben mit anderen, aber auch in unserem Umgang mit dem Augenblick und mit der Zukunft spielen kann.

Anselm Grün gibt in diesem Buch spirituelle und praktische Antworten auf die o.g. Fragen.

Pater Anselm Grün, geboren 1945, ist Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach, deren Cellerar (wirtschaftlicher Leiter) er 36 Jahre lang war. Als Kursleiter und geistlicher Begleiter ist er viel unterwegs. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes und erreicht mit zahlreichen Veröffentlichungen und Vorträgen Millionen von Menschen.

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Leseprobe

Einleitung:
Vom Ich zum Du


Als mir jemand sagte, er würde gerne einmal etwas von mir zum Thema Sorge und Sorgen lesen, da fielen mir zunächst alle möglichen Zitate ein, die man zunächst einmal negativ verstehen kann. Wir sagen zum Beispiel einander: »Mach dir nicht so viele Sorgen.« Und meinen es gut. Doch klingt die Sorge dabei nach etwas Belastendem, Beschwerendem. Deswegen wünscht man ja oft, der andere möge sich eben keine Sorgen machen. Oder mir kam das Buch von Dale Carnegie in den Sinn: »Sorge dich nicht – lebe! Die Kunst, zu einem von Ängsten und Aufregungen befreiten Leben zu finden«. Hier wird die Sorge als etwas verstanden, wovon wir uns unbedingt befreien sollten. Denn die Sorge hindert uns am guten Leben. Sie quält uns und lässt uns nicht zur Ruhe kommen. In dem Lied »Wer nur den lieben Gott lässt walten« singen wir in der zweiten Strophe: »Was helfen uns die schweren Sorgen, was hilft uns unser Weh und Ach? Was hilft es, dass wir alle Morgen beseufzen unser Ungemach? Wir machen unser Kreuz und Leid nur größer durch die Traurigkeit.« Hier wird die Sorge mit Weh und Ach und mit Traurigkeit verbunden. Davon sollten wir uns befreien und unser Vertrauen auf Gott setzen.

Bei der Beschäftigung mit dem Thema Sorge kamen mir die Worte Jesu in den Kopf: »Sorgt euch nicht um euer Leben und darum, dass ihr etwas zu essen habt« (Mt 6,25) oder der Schluss seiner Rede über die Sorglosigkeit: »Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.« (Mt 6,34) Die Sorge, das Sorgen ist also etwas, das wir nicht wollen, das wir von unserem Leben möglichst fernhalten sollten? Jesus möchte, dass wir uns keine Sorgen machen.

Doch dann dachte ich an die vielen Mitbrüder, die im Haus arbeiten und liebevoll für die Gemeinschaft sorgen. Oder die Krankenpfleger, die für unsere alten Mitbrüder sorgen. Und ich dachte an meine Mutter, die für ihre sieben Kinder immer sorgte. Ihr machte das Sorgen Spaß. Noch im Alter sorgte sie gerne für andere Menschen. Als sie von einer jungen Frau hörte, die keine gute Beziehung zu ihrer Familie hatte, schickte sie ihr Weihnachten ihre selbst gebackenen Plätzchen. Die sorgende Mutter spürte sofort, wo sich jemand über ein Geschenk freuen konnte. Und viele andere Mütter kamen mir in den Sinn, die Tag für Tag für ihre Familie sorgen. Wenn ich an die vielen Menschen denke, die für andere sorgen, weiß ich, dass die gute Sorge für andere zum Wesen des Menschen gehört.

Und beim Nachdenken über das Phänomen der Sorge kam mir die Definition des Menschen durch den Philosophen Martin Heidegger in den Sinn: Der Mensch ist immer einer, der sich sorgt. Bevor ich also all die Erfahrungen mit der Sorge in unserem Alltag beschreibe, möchte ich einen Blick in die Vergangenheit werfen. Ich möchte den philosophischen Begriff der Sorge bei Heidegger in den Blick nehmen und seine Sicht vergleichen mit der Sicht des Philosophen unter den biblischen Schriftstellern: mit der Sicht des Predigers Kohelet. Die Sorge gehört für Heidegger nämlich wesentlich zum Menschen. Allerdings meint er damit immer nur die Sorge um sich selbst. Dabei spielt das Du kaum eine Rolle. Die wahre Sorge, die ich bei meinen Mitbrüdern, die dafür sorgen, dass wir alle ein sauberes Haus haben, die ich bei meiner Mutter und vielen anderen Müttern und Vätern wahrnahm, ist immer eine Sorge für den anderen. Der sorgende Mensch kreist nicht um sich selbst, sondern er sorgt aus Liebe für andere. In der Sorge geht es darum, vom Ich zum Du zu kommen, vom Kreisen um mich selbst zu den Bedürfnissen und Nöten des Du zu gelangen. Sorge ist Ausdruck der Liebe. Ohne Sorge bleibt die Liebe nur im Gefühl.

Heidegger hat in seinem Buch »Sein und Zeit«, das 1927 erschienen ist und eine enorme Wirkung hatte, versucht, das Dasein des Menschen zu beschreiben. Er wollte damit eigentlich nicht Eigenschaften des Menschen beschreiben, sondern sein Wesen. Es ging ihm um eine ontologische Beschreibung des Menschen. Das Dasein des Menschen ist dadurch geprägt, dass der Mensch in die Welt geworfen ist. Das Dasein ist aber von seinem Wesen her immer schon über sich hinaus. Das heißt, es geht der Existenz des Menschen voraus, das Dasein ist also nie voraussetzungslos. Daher definiert Heidegger Dasein als »Sich-vorweg-Sein«. Und diese Verfassung des Daseins versteht er als Sorge. Sorge ist also keine Eigenschaft des Menschen, die er haben oder nicht haben kann. Der Mensch als »In-der-Welt-Sein« ist vielmehr wesenhaft Sorge.

Als Veranschaulichung seiner oft nicht leicht verständlichen philosophischen These zitiert Heidegger eine alte römische Fabel des Hyginus:

Als einst die »Sorge« über einen Fluss ging, sah sie tonhaltiges Erdreich: Sinnend nahm sie davon ein Stück und begann es zu formen. Während sie bei sich darüber nachdachte, was sie geschaffen hatte, trat Jupiter hinzu. Ihn bat die »Sorge«, dass er dem geformten Stück Ton Geist verleihe. Das gewährte ihr Jupiter gern. Als sie aber ihrem Gebilde nun ihren Namen beilegen wollte, verbot das Jupiter und verlangte, dass ihm sein Name gegeben werden müsse. Während »Sorge« und Jupiter über den Namen stritten, erhob sich auch die Erde (Tellus) und begehrte, dass dem Gebilde ihr Name beigelegt werde, da sie doch ihm ein Stück ihres Leibes dargeboten habe. Die Streitenden nahmen Saturn zum Richter. Und ihnen erteilte Saturn folgende anscheinend gerechte Entscheidung: »Du, Jupiter, weil du den Geist gegeben hast, sollst bei seinem Tode den Geist, du, Erde, weil du den Körper geschenkt hast, sollst den Körper empfangen. Weil aber die »Sorge« dieses Wesen zuerst gebildet, so möge, solange es lebt, die »Sorge« es besitzen. Weil aber über den Namen Streit besteht, so möge es »homo« heißen, da es aus humus (Erde) gemacht ist.« (Heidegger 198)

Solange der Mensch in der Zeit ist, wird er von der Sorge bestimmt. Das will uns Heidegger mit dieser Fabel veranschaulichen. Der Mensch ist Sorge, wenn er auf der Welt ist. Er sorgt sich um sich. Er ist sich immer schon voraus und immer in Sorge um sich. Dasein ist Sorge um sich. Die Sorge prägt sein Sein. Jeder Mensch sorgt für sich, für sein Leben. Es geht ihm um sich selbst, und deshalb ist er eben immer auf etwas aus und müht sich um etwas.

Was Heidegger als Philosoph im letzten Jahrhundert über das Wesen des Menschen als Sorge beschrieben hat, das hat der Philosoph unter den biblischen Autoren, Kohelet, in ähnlicher Weise gesehen. Auch wenn der Mensch noch so viel besitzt, so ist das Wesen seines Daseins nur Sorge: »Alle Tage besteht sein Geschäft nur aus Sorge und Ärger, und selbst in der Nacht kommt sein Geist nicht zur Ruhe. Auch das ist Windhauch.« (Koh 2,23) Selbst das Wissen und die Fähigkeiten, die der Mensch erwirbt, befreien ihn nicht von der Sorge. Vielmehr gilt: »Viel Wissen, viel Ärger, wer das Können mehrt, der mehrt die Sorge.« (Koh 1,18) Der Mensch kann also der Sorge nicht entgehen, weder durch Bildung, noch durch Besitz, noch durch Erfolg in seinen Geschäften. Die Sorge begleitet ihn, wo immer er auch ist und in welcher Verfassung er sich auch befindet. Die Sorge gehört zu seinem Wesen. Und es ist eine Sorge, die mit Kummer und Ärger verbunden ist. Über sie gilt das Urteil des Kohelet, dass sie nur Windhauch ist.

Wenn wir diese Analyse Heideggers und Kohelets ernst nehmen, dann würde der sorglose Mensch gegen sein eigenes Wesen als Mensch verstoßen. Er würde sich dagegen wehren, wahrhaft Mensch zu sein. Er würde – um mit Heidegger zu sprechen – im Uneigentlichen leben, im Seinsmodus des »Man«. Aber er würde sich als Mensch nicht richtig sehen. Und wer sich nicht richtig sieht, der lebt auch nicht angemessen. Sowohl Heidegger als auch Kohelet würden also das Buch von Dale Carnegie »Sorge dich nicht – lebe!« als zwar einladende, aber letztlich falsche Spur für unser Menschsein beurteilen. Denn da wird uns ein Menschenbild vor Augen geführt, das dem Wesen des Menschen widerspricht. Es ist das des Menschen, das zwar für viele Menschen anziehend ist, aber sie letztlich in eine Illusion hinein führt, die sich dann in wachsender Depressivität ausdrückt. Falsche Verheißungen tun dem Menschen nicht gut. Da halte ich mich lieber an die Botschaft der Bibel. Wenn Jesus von Sorglosigkeit spricht, meint er etwas anderes als Dale Carnegie. Und wenn die Bibel von der Sorge für andere Menschen spricht, dann weist sie uns einen Weg, wie wir vom eigenen Ego frei werden und den Weg zum Du finden. Davon erzählen uns viele biblische Geschichten.

Anders als die philosophische Analyse von Martin Heidegger verstehen wir nämlich Sorge oft als Fürsorge. Das Wesen der Sorge besteht darin, dass man das Kreisen um sich selbst aufgibt und sich für und um den anderen sorgt. Mit dieser Haltung gebe ich auf, immer nur für mein eigenes Wohlergehen zu sorgen. Ich gehe vom Ich zum Du. Zu dieser Abkehr vom Ich und von der Hinkehr zum Du erzählt uns schon das erste Buch der Bibel in der berühmten Geschichte von Kain und Abel. Kain kreist nur um sich und seine Anerkennung. Er ist neidisch auf seinen Bruder Abel, weil er meint, er würde von Gott bevorzugt. Dieses Kreisen um das eigene gekränkte Gefühl führt dazu, dass er seinen Bruder erschlägt. Er kann es nicht aushalten, dass da ein anderer neben ihm ist, der vielleicht mehr gesehen wird, der mehr Erfolg hat, der mehr die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zieht und eher im Mittelpunkt steht als er selbst. Doch Gott reagiert auf den Brudermord mit der Frage an Kain: »Wo ist dein Bruder Abel?« (Gen 4,9) Kain antwortet Gott voller Trotz: »Ich weiß es nicht. Bin ich der Hüter meines Bruders?« (Gen 4,9) Gott lässt nicht zu, dass Kain...

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