Nachdem nun ein Überblick über die Bewertungsverfahren sämtlicher Bundesländer gegeben wurde, widmet sich dieses Kapitel einem vertiefenden Vergleich ausgewählter Länder bzw. Verfahren. Dazu wird auf deren Basis eine Eingriffsbilanzierung für ein fiktives Fallbeispiel erstellt. Für den Vergleich werden die in Tab. 3‑3 hervorgehobenen Länder[27] ausgewählt. Diese Auswahl gründet einerseits hauptsächlich darauf, dass die Tätigkeitsschwerpunkte der … GmbH, mit deren Kooperation die vorliegende Arbeit entstand, in diesen Bundesländern liegen. Dies ermöglichte u.a. ein praxisnahes Vorgehen bei der Berechnung des jeweiligen Kompensationsbedarfs für das Fallbeispiel. Zum anderen lässt sich durch die Auswahl mehrerer Beispiele aus den Gruppen 1 und 2 erfahren, ob und inwieweit sich die Ergebnisse trotz ähnlicher Herangehensweise der Länder dennoch unterscheiden. So werden bspw. die Einflüsse der unterschiedlichen Skalen der Biotopwertverfahren deutlich und es lässt sich direkt vergleichen, welche unterschiedlichen Dimensionen die Ersatzzahlungen annehmen können.
Um die Länder bzw. Verfahren vor allem im Sinne der Eingriffsbewertung vergleichen zu können, soll zunächst ein fiktives Windkraftvorhaben konstruiert werden. Um Allgemeingültigkeit, Aktualität und Vergleichbarkeit zu wahren bzw. schaffen, soll dieser fiktive Windpark ein realistisches Anlagenkonzept besitzen und einem durchschnittlichen Vorhaben entsprechen, was bspw. Anlagenzahl, -höhe und Eingriffsraum betrifft. Sonderfälle wie bspw. eine Planung in Schutzgebieten oder die Betroffenheit von Werten und Funktionen besonderer Bedeutung – z.B. in Bezug auf den Boden oder das Vorkommen besonders geschützter Arten – sollen demnach außer Acht gelassen werden. Vom Eingriff durch die WKA sollen mehrere typische, weit verbreitete und somit für alle Bundesländer repräsentative Wald- sowie Offenlandbiotoptypen betroffen sein. Ziel ist es, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Verfahren vor allem im Hinblick auf die Bewertung von Eingriffen in die verschiedenen Biotoptypen besser herausarbeiten und verdeutlichen zu können. Für das fiktive Vorhaben soll des Weiteren angenommen werden, dass die Errichtung von WKA im Wald generell zulässig ist. Dass dies nicht unbedingt der Realität bzw. der aktuellen Praxis entspricht (vgl. Nagel 2012), soll für das Fallbeispiel nicht berücksichtigt werden, da es hier nicht um die Frage nach der Zulässigkeit der Eingriffe, sondern deren Bewertung gehen soll. Gleiches gilt für eventuell einzuhaltende Schutzabstände zu Wäldern.
Bilanzierung und Vergleich erfolgen auf Grundlage der in Kapitel 3 untersuchten Dokumente und vorgestellten Verfahren der jeweiligen Länder. Auf die jeweiligen, dort schon dargelegten Vorgehensweisen zur Kompensationsermittlung wird demnach nur im Einzelfall nochmals eingegangen – im Fokus steht deren Anwendung. Wie oben ebenso erwähnt, werden etwaig vorhandene regionale oder lokale Methoden vernachlässigt. Eine Ausnahme ergibt sich bei der Berechnung des Kompensationserfordernisses für den Eingriff ins Landschaftsbild in Sachsen-Anhalt. Dies wird in Kapitel 4.3.6 näher erläutert.
Geplant wird ein fiktiver Windpark mit fünf WKA, wobei durch jede WKA in einen anderen Biotoptyp eingegriffen werden soll. Die Anlagenmaße orientieren sich an den Maßen eines modernen und aktuell häufig installierten WKA-Typs und wurden anhand entsprechender Pläne errechnet. Dies gilt auch für die Größe der Kranstellflächen, die Ausmaße der Zuwegung und weitere Kennwerte, die für die Berechnung des Kompensationsbedarfs relevant sind (Tab. 4‑1). Die Gesamthöhen der WKA betragen demnach jeweils ca. 200 m bei einer Nabenhöhe von ca. 150 m. Die Fläche des Fundaments einer Anlage beträgt insgesamt ca. 450 m²/WKA, wovon 180 m² auf Mastfuß und Sockel (Vollversiegelung) und 270 m² auf den erdüberdeckten Teil des Fundaments – der dann in der Regel als teilversiegelt gilt – entfallen. Für die Kranstellfläche wird eine Teilversiegelung von 1.395 m² pro WKA angenommen, für die Zuwegung 900 m² pro Standort. Zusätzlich werden durch die im Allgemeinen geschotterten, wasserdurchlässigen Zufahrtswege weitere 4.000 m² Ackerfläche eingenommen und teilversiegelt. Des Weiteren werden pro Anlage ca. 2.500 m² temporäre Lager- und Montagefläche benötigt sowie ein 2.300 m² großer, dauerhaft hindernisfreier Bereich für den Kranausleger. Diese temporären Eingriffe sind jedoch irrelevant für die Gesamteingriffsbilanzierung des fiktiven Vorhabens, insofern sie die Offenlandbiotoptypen betreffen. Grund dafür ist, dass diese hierdurch nicht nachhaltig beeinträchtigt werden bzw. relativ kurzfristig wieder herstellbar sind. Nach LANA (1996a:K6) werden Beeinträchtigungen dabei dann als nachhaltig definiert, „wenn sie voraussichtlich länger als 5 Jahre anhalten werden, d. h., sich nicht innerhalb von 5 Jahren ein Zustand einstellt, wie er vor dem Eingriff war“. Die Anlage der Montage- und hindernisfreien Flächen für die WKA im Wald erfordert jedoch eine Rodung der entsprechenden Areale. Diese Eingriffe wirken sich nachhaltig im Sinne der vorangegangenen Definition aus, da zumindest die Lager- und Montageflächen nach Errichtung der WKA zwar wieder aufgeforstet werden, der ursprüngliche Zustand des Biotops sich jedoch nicht innerhalb von fünf Jahren entwickeln kann. Demnach spielen sie auch eine Rolle in der Eingriffsbilanzierung für beide Waldstandorte.
Tab. 4‑1: Flächeninanspruchnahme der Teilbereiche des fiktiven Windparks (eigene Darstellung).
Wie oben erwähnt, werden im fiktiven Fallbeispiel Eingriffe in verschiedene und regelmäßig von derartigen Planungen betroffene Biotoptypen dargestellt. Dabei soll es sich bei den drei Offenland-Standorten um Acker, Intensivgrünland und Extensivgrünland handeln. Geplant werden des Weiteren jeweils eine WKA in einem forstwirtschaftlich genutzten Nadelholzbestand und in einem naturbelassenen Laubwald, wobei sich hier auf die in den Ländern jeweils vorherrschenden Baumarten bezogen wurde. Die konkreten bzw. genau bezeichneten, zur Kompensationsermittlung in den untersuchten Ländern herangezogenen Biotoptypen sind in Anhang 2 tabellarisch dargestellt[28]. Da die Biotoptypenlisten[29] der Länder aufgrund ihrer unterschiedlichen Anwendungsregionen jedoch nicht deckungsgleich sind, was sowohl die Auswahl der Biotoptypen als auch deren (detaillierte) Bezeichnung angeht, ist eine hundertprozentige Vergleichbarkeit der Lebensraumtypen nicht in jedem Falle gegeben. So konnte bspw. für den Standort im Nadelforst aus der Biotoptypenliste der sachsen-anhaltischen Bewertungsrichtlinie nur der Lebensraumtyp – bzw. dessen recht schwammige Bezeichnung – „Reinbestand Nadelholz“ gewählt werden. Dieser entspräche in etwa dem Biotoptyp „Nadel(misch)forste einheimischer Baumarten außerhalb ihrer (potentiell) natürlichen Standorte (Fichten, Tannen, Kiefern, Lärchen) – mittlere Ausprägung“ aus der Biotoptypenliste der BKompV. Für Hessen wiederum wurde hierfür der Biotoptyp „Sonstige Fichtenbestände“ der Nutzungstypenliste der hessischen KV gewählt. In Brandenburg entspräche dies eher einem Eingriff in einen Kiefernforst, da diese Baumart hier mit 74 % Anteil die dominierende ist und Fichte nur vereinzelt vorkommt (MIL 2012:15). Dennoch wurde trotz eventueller Abweichungen versucht, die Vergleichbarkeit der Biotoptypen zwischen den Ländern im fiktiven Fallbeispiel zu wahren bzw. möglichst gut vergleichbare Biotoptypen zu wählen.
Für das Schutzgut Boden im fiktiven Plangebiet wird kein Vorliegen von Werten oder Funktionen mit besonderer Bedeutung angenommen.
Eine schematische Darstellung der Standortplanung zeigt Abb. 4‑1. Die Zusammensetzung der Landschaft, die Anordnung der WKA und auch das Konzept der Zuwegung werden hierbei logischerweise vereinfacht bzw. idealisiert. Wie zu erkennen, erfährt zur Vereinfachung bspw. auch jeder Biotoptyp die gleiche Flächeninanspruchnahme durch die Komponenten des Windparks[30]. Die temporären sowie dauerhaft hindernisfreien Flächen werden aus den oben genannten Gründen nur für die beiden WKA im Wald dargestellt.
Abb. 4‑1: Schematische Standortdarstellung des fiktiven Windparks (eigene Darstellung).
Das Landschaftsbild des fiktiven Untersuchungsgebiets in einem Umkreis von 10 km um die geplanten Anlagen lässt sich in drei großräumige Landschaftsbildeinheiten gliedern. Wie sich diese verteilen, zeigt Abb. 4‑2. Den größten Flächenanteil im Umkreis mit 10 km-Radius nimmt dabei Raumeinheit A ein. Ca. ein Viertel der Fläche lassen sich zu Raumeinheit B zählen. In größerer Entfernung zum Windpark liegt Raumeinheit C. Charakterisiert werden die Landschaftsbildeinheiten durch die in Tab. 4‑2 genannten Merkmale.
Abb. 4‑2: Schematische Darstellung der Landschaftsbildeinheiten und deren Wertstufen im Umkreis des fiktiven Windparks (eigene Darstellung).
Tab....